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Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Herr Frank richtet sich, was die formale Seite betrifft, nach der Handreichung, die die Schule für die Erstellung von Jahresarbeiten entwickelt hat und die an alle Schülerinnen und Schüler zu Beginn des 12. Schuljahres ausgegeben wird. Darin sind allgemeine Tipps enthalten, wie eine solche Arbeit aufgebaut sein sollte, wie man bibliographiert, sich Leitfragen stellen kann, einen Text gliedert und ein Manuskript abfasst, außerdem Hinweise und Beispiele für richtiges Zitieren, für eine Gliederung, für Inhalts- und Literaturverzeichnis. Der folgende Ausschnitt aus einem Beratungsgespräch mit Florian zeigt eine Sequenz, in der Herr Frank auf diese Handreichung verweist:

Herr Frank: Mmm, ich frag‘ jetzt einfach mal noch so’n paar Sachen weiter .. . Haben Sie zum Beispiel in diesem Grob- oder Rohmanuskript .. , das ich morgen mal lesen kann,.. haben Sie da schon Zitate eingearbeitet? (Florian nickt) Fällt Ihnen das schwer? Das haben Sie also schon .. versucht?

Florian: Ja, ja, ich hab’s/ äh ich denk mal das wird auch so richtig sein. Ich mein‘ .. es ist ja nicht das erste Mal, dass ich Zitate einbringen musste. Es ist ja auch in den Klausuren öfter so..

Herr Frank: (gleichz) Sie haben ja in der zwölf schon mal/ .. Sie haben ja schon mal die zwölf gemacht, oder?

Florian: Genau, und hab‘ da auch ne …

Herr Frank: (gleichz) .. und in Nürnberg da auch schon mal eine Facharbeit schreiben müssen?

Florian: Nee, ne Hausarbeit hab‘ ich geschrieben (Herr Frank: Ja), aber das war also .. über Austausch in USA.

Herr Frank: Ja, aber ich mein‘ jetzt von den Formalitäten ähm …, wenn man zitiert, wie man das belegt .., das ist .. Ihnen schon sehr klar? (Florian: Natürlich, ja) Also, ich guck’s mir dann mal an/ Sie haben auch noch diese Handreichung hier, da ist es ja eigentlich auch alles ganz gut erklärt (Florian: ja, mm – (zustimmend)), wenn da was ist, schauen Sie sich die ruhig noch mal bis Freitag an, falls Ihnen da noch was auffällt (in der Handreichung blätternd) .. . Beim Arbeiten haben Sie ordentlich .. bibliographiert? Und immer wenn Sie was notiert, exzerpiert haben .. entsprechend vorher schon .. Titel usw., das braucht man ja dann wieder im Literaturverzeichnis, dass Sie das .. (Florian: Ja!) nicht noch mal machen müssen. Da sind Sie .. (Florian: Das hab ich, ja.) auf’m guten Weg? Gut! (blätternd). Wichtiger wird’s ja jetzt dann hier .. beim Auswerten, Gliedern bzw. Abfassen des Manuskripts/ Rohmanuskripts .. mmm (überlegend), vielleicht schauen Sie sich das einfach auch noch mal an! Ich find‘, da sind gute Hinweise .. und dann können wir da unter Umständen am … Freitag auch noch mal drüber reden (Florian: Ja) und ich guck‘ mir das dann auch noch mal an!

(Beratungsgespräch mit Florian am 2.4.)

Da zu diesem Zeitpunkt noch kein Rohmanuskript von Florian vorliegt, lässt sich Herr Frank lediglich bestätigen, dass der Schüler bereits Erfahrungen mit solchen längeren Arbeiten hat – und zwar durch einen USA-Studienaufenthalt und durch die begonnene Facharbeit in der an seiner früheren Schule schon einmal absolvierten 12. Klasse. Herr Frank geht davon aus, dass Florian korrektes Zitieren gelernt haben müsste und der Schüler bestätigt das. Für alle Fälle verweist Herr Frank aber dennoch auf die Handreichung.

Einige Tage später findet das nächste Beratungsgespräch statt. Florian hat mittlerweile eine erste Fassung seines Manuskripts vorgelegt. Bezogen auf das Zitieren der verwendeten Literatur erweist sich nun, dass Florian bis jetzt nicht den in der Handreichung formulierten Ansprüchen an wissenschaftlich korrekte Quellenverweise gefolgt ist. Herr Frank legt ihm die Möglichkeiten in knapper Form noch einmal dar und erinnert daran, dass auch sinngemäße Übernahmen aus verwendeter Literatur angemessen gekennzeichnet sein müssen:

Herr Frank: Sie sehen/ und jetzt zum Beispiel, wenn Sie da mit Churchill arbeiten, da wär‘ jetzt wichtig, dass Sie irgendwie eine Literaturangabe (Florian: mmm) dann machen. Das müssen Sie auch noch mal überlegen, ob Sie das unten als Anmerkung machen, dahinter in Klammer oder ganz am Ende der Arbeit hintereinander, dass man da nur ne eins, ne zwo, ;ne drei hat und dann hinten/ also, da haben Sie in Ihrer Handreichung auch Hinweise (Florian: nimm), nur, wenn Sie hier im Churchill was gelesen haben .. und sich jetzt auf ne relativ klare Stelle beziehen, die zwar mit eigenen Worten wieder formulieren und verarbeiten, müssten Sie trotzdem anmerken hier, das bezieht sich auf Churchills Buch so’nso, Seite so’nso (Florian: nimm), ja?

(Beratungsgespräch mit Florian am 6.4.)

Bis zur Endfassung der Arbeit merzt Florian diese Mängel beim Zitieren nicht aus. In der abschließenden Bewertung der Jahresarbeit spielen solche formalen Aspekte jedoch eine nicht unerhebliche Rolle, so dass die Benotung, sehr zum Ärger von Florian, nicht zuletzt wegen der formalen Defizite nicht in den befriedigenden Bereich gelangt. Im Gutachten zur Arbeit heißt es:

„… Die größten Mängel zeigen sich jedoch in formaler und methodischer Hinsicht. Dies ist besonders bedauerlich, da in der Beratung hierauf großer Wert gelegt wurde. Die verwendete Literatur wird weder sorgfältig noch systematisch nachgewiesen. Die Zuordnungen im Inhaltsverzeichnis können nicht in jedem Punkt überzeugen, das Literaturverzeichnis sollte alphabetisch geordnet sein. …“

(Gutachten über Florians Jahresarbeit)

Florian sieht diese Kritik nicht ein. Er meint im Interview nach Abgabe seiner Arbeit und nach Kenntnisnahme der Bewertung, dass es unmöglich sei, wenn er drei Bücher in einem Satz zusammenfasse, dies durch ein Zitat zu kennzeichnen. Er habe alle verwendete Literatur am Ende der Arbeit angegeben und schließlich soll der Text ja als Aufsatz lesbar bleiben und nicht nach jedem zweiten Wort durch eine Klammer mit Literaturverweis unterbrochen sein. Während man dieser Argumentation noch mit dem Hinweis auf die Möglichkeit von Fußnoten begegnen könnte, wird im folgenden Interviewausschnitt das eigentliche Problem erkennbar:

Florian: Die Zitate die hab ich immer schön .. mit/ .. von wem ich’s hab‘, aber auch wenn ich einfach ne Information hatte, das ich das auch zitieren muss…, das ist für mich blöds/ also .. oder find‘ ich falsch. Weil ich mein‘, wenn ich in Gemeinschaftskunde ne Klausur schreib‘ und .. sag da irgendwas, kann ich auch nicht zitieren: laut dem-und-dem Paragraphen und dem Paragraphen und dem Paragraphen .. . Es ist einfach so! Wenn ich schreib, dass zum Beispiel …ähm der Chamberlain am Anfang ne Appeasement-Politik gemacht hat, dann .. find‘ ich das einfach blödsinnig, jetzt noch mal genau zu zitieren, ähm .. woher ich die Information hab‘, es ist einfach so. .. Und ../

Julia: Das haben wir ja vorher im Geschichtsunterricht so gelernt.

Florian: Ja, .. ich mein‘, in ner Geschichtsklausur mach ich’s ja auch nicht so: laut Geschichtsbuch Seite so-und-so. .. Da sag ich einfach, wie’s ist, und da zählt’s ja auch. .. Ich mein‘, das ist einfach .. übertrieben.

(Interview mit Florian und Julia nach dem Abgabetermin)

Hier wird deutlich, dass Florian und Julia beide ein unkritisches – man könnte auch sagen naives – Verhältnis zu Informationen und zu Literatur haben. Das geschriebene Wort ist für sie unumstößlich, unabhängig davon, wer es geschrieben hat, mit welchem Interesse und in welchem Kontext. Die Lehrbücher und der bisherige Unterricht haben offensichtlich bei ihnen ein solches Bild der Geschichte von absoluten Wahrheiten hinterlassen. Das Problem mit dem korrekten Zitieren ist vor diesem Hintergrund dann nicht mehr ein rein formales, sondern ein grundsätzliches im Umgang mit Literatur und mit Quellen. Den beiden Schülern ist im bisherigen Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht und in der Klausurenpraxis, von der Florian mehrfach redet, nicht deutlich geworden, dass die Angabe von Textquellen bedeutet, dass man sich mit dem geschriebenen Wort anderer, mit deren Meinungen, Sichtweisen oder Begründungen kritisch distanziert oder zustimmend auseinandersetzt. Herr Frank setzt jedoch dieses Wissen bei Oberstufenschülern voraus, er verzichtet jedenfalls auf eine inhaltliche Begründung des formalen Anspruchs.

Julia fühlt sich durch diesen Anspruch völlig demotiviert. In ihrer Jahresarbeit möchte sie sich ein eigenes, „wahres“ Bild vom Schulsystem der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik machen, da sie festgestellt habe, dass Ost- und Westdeutsche ganz unterschiedlich das DDR-Bildungswesen darstellen. Sie ist von der Vorstellung geleitet, dass es eine objektive Wahrheit gebe, die ganz mühelos von ihr aufzudecken sei. Als sie Herrn Frank eine erste geschriebene Seite als Einleitung vorlegt, macht der Lehrer auch sie auf die Notwendigkeit des Zitierens aufmerksam. Dies habe sie sehr demotiviert, sagt sie im Interview. Sie möge das nicht, weil man beim Schreiben dauernd so aufpassen müsse. Offensichtlich erkennt Julia gar keinen Sinn im Nachweis verwendeter Quellen, sondern es scheint für sie eine Schikane des Lehrers zu sein.

Spielräume für die Schüler gibt es bezüglich solcher formaler Standards und dem Anspruch des Lehrers, diese bei einer Jahresarbeit einzuhalten, keine. Sie können lediglich zwischen den anerkannten Varianten des Zitierens wählen.

In beiden Fällen gelingt es dem Lehrer nicht, formale Ansprüche – hier das korrekte Zitieren – so zu vermitteln, dass ihn das Ergebnis befriedigen könnte. Die Ursache scheint aber weniger in den direkten Beratungen zu liegen, bei denen die Thematik mehrfach angesprochen wird und Herr Frank Hinweise auf die Handreichung und unmittelbar anhand der vorgelegten Manuskriptseiten gibt. Eher handelt es sich um ein generelles Problem dieser beiden Schüler – inwieweit sie repräsentativ für einen größeren Anteil an Schülern sind, sei dahingestellt – im kritischen Umgang mit Literatur und mit „Wahrheiten“ und allgemeiner mit den nicht nur formalen Seiten wissenschaftlichen Arbeitens. Zu fragen ist allerdings, warum die Beratung in diesem Punkt so wenig Wirkung zeigte. Julia und Florian bräuchten wohl eine nachvollziehbare Begründung, warum für ihr Vorgehen die geforderte Sorgfalt beim Quellennachweis notwendig ist. Dem Lehrer ist dies zu selbstverständlich, so dass er auf eine solche Begründung verzichtet und lediglich die formale Seite bespricht.

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