Hinweis – der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

Schüler diskutieren eine Dilemmageschichte zum Thema Zufall und Notwendigkeit

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

1 L: Kurze Wiederholung. Frau Arm spielt Lotterie. Einzige Hauptgewinnerin. Für sie klar: Gott hat Hand im Spiel. Kinder: Nee, Zufall. Frau bleibt bei ihrer Meinung, Gott hat mir geholfen. Frage: Wer hat recht?

So wie manche Menschen bei der Unterhaltung mit Ausländern in eine rudimentäre Ausdrucksweise verfallen („Ich nix verstehen), verfällt der Lehrer bei der Zusammenfassung des Dilemmatas für seine ‘religiösen Analphabeten’ in einen rudimentären, stenogrammartigen Sprachstil. Unwillkürlich unterstellt er den Schülern, dass sie den Sinn der Dilemmatageschichte nicht erfasst haben und er diesen über das Stenogramm nochmals herausarbeiten muss. Er will sicherstellen, dass das ‘Wesentliche’ der Geschichte gesagt wird. Er hätte auch den Inhalt der Geschichte von den Schülern wiederholen lassen können, um zu überprüfen, ob sie das Dilemmata verstanden haben.

Stenogrammstil erzeugt bei den Zuhörern eine Bindung an den Redenden. Sie müssen konzentriert und aufmerksam zuhören, denn Wiederholungen fehlen. Zugleich ist diese Sprache befehlsorientiert. Es ist vergleichbar mit einem militärischen Sprachduktus, der ja auch zu dieser Art der Kürze und Eindeutigkeit tendiert. Die Bedeutungsoffenheit einer erzählenden Sprache wird zugunsten von klaren Bedeutungszuweisungen und Alternativen geschlossen. Am Ende des Stenogramms bleibt noch die Alternative: Entweder hat die Frau recht oder die Kinder. Nur diese Frage in einem Entweder/Oder-Duktus wird den Schülern zur Entscheidung vorgelegt. Alle anderen Fragen und Möglichkeiten, die in der Dilemmatageschichte evtl. noch enthalten sind, bleiben außen vor. Es werden Informationen im Sinne von richtig/falsch abgefragt: Kurze Frage – richtige/falsche Antwort – Bewertung – Nächste Frage … Damit können keine Erzählungen eingeleitet werden. Man ist an die direkte Beantwortung der Frage gebunden und es fällt schwer, weiterführende oder übergeordnete Aspekte einzuführen, noch schwerer: Gespräche und Reflexionen über die Geschichte zu initiieren.

Gesteigert wird die Bedeutungsgeschlossenheit und die Vorgabe von eindeutigen Regeln durch die eigenwillige Namensgebung der Frau. Im Originaltext ist es eine arme Frau, die hier zu Frau Arm wird. Ihr Name drückt jetzt unmittelbar ihre Armut aus. Sie wird stigmatisiert. Die Frau hat nur noch eine Eigenschaft: Sie ist arm und heißt demzufolge Arm. Armut wird ihr zugeschrieben.

In dem Stenogrammstil ist der folgende Satz für das Verständnis der Geschichte und für die Vorbereitung der Entweder-Oder-Frage eigentlich überflüssig: Frau bleibt bei ihrer Meinung, Gott hat mir geholfen. Warum wird dieser Satz vom Lehrer vorgetragen? Er führt damit eine Intention ein, die für ihn von Bedeutung ist. Dadurch gibt er indirekt schon vor, welche der beiden Alternativen ‘richtig’ ist. Zumindest ist dieser Satz im Kontext des eindeutigen und prägnanten Stenogrammstils eine starke und suggestive Vorgabe für das, was der Sprecher für ‘richtig’ hält. Dies wird erreicht durch Wiederholung an einer Stelle, wo es sonst keine Wiederholungen gibt und zusätzlich durch Expressivität in Form der wörtlichen Rede.

2 Sw: Frau

Eine Schülerin antwortet in der vom Lehrer vorgegebenen Diktion: Entscheidung für eine der beiden Alternativen, wobei die vom Lehrer präferierte Option gewählt wird sowie kurz und prägnant im Stil einer Richtig/Falsch-Antwort.

Die Schüler haben unter diesen Vorgaben keine andere Alternative als zu erraten, was der Lehrer für richtig hält. Eigene Meinungen und Überzeugungen sind nicht gefragt, da es nur richtige und falsche Antworten gibt. Der Lehrer führt ein Unterrichtsgespräch im Stil des Abfragens von Vokabeln oder des Lösens von Rechenaufgaben. Eine eigenständige und kritische Auseinandersetzung mit dem Dilemma durch die Schüler wird dadurch nicht gefördert. Es ist eine Hinführung auf die Richtigkeit von Vorgaben, die die Schüler übernehmen sollen.

Hier zeigt sich eine Verbindung zu der Aussage des Lehrers, dass die Schüler nicht zur „Gottesdienstgemeinde“ gehören. Denn die Zugehörigkeit würde sicherstellen, dass die Schüler sich im Sinne der Frau äußern würden. Das wiederum ist nicht der Fall, zumindest kann der Lehrer aufgrund der fehlenden Zugehörigkeit zur ‘Gottesdienstgemeinde’ nicht davon ausgehen.

Umso erstaunlicher ist es, dass die Schülerin die ‘richtige’ Antwort gibt. Das wiederum könnte in den zuvor genannten Gründen zu suchen sein: Sie passt sich den Wünschen des Lehrers aufgrund fehlender Alternativen an.

3 L Du kannst bestimmt auch sagen, warum.Du meinst, die Frau hat recht?

Der Lehrer fordert die Schülerin zu einer Begründung ihrer ‘richtigen’ Antwort auf. Die Antwort allein reicht nicht aus. Entscheidungen müssen begründet werden, auch wenn schon offensichtlich ist, wer recht hat. Das ‘auch’ hat hier eine doppelte Bedeutung: Erstens als Aufforderung zur Begründung und zweitens als geheime Übereinkunft, dass es der Schülerin genauso wie dem Lehrer klar ist, dass hier nur Gott seine Hand im Spiel haben kann.

4 Sw Ja, weil, weil sie angewiesen ist, und vielleicht wollte er ihr helfen (Schnippen mit den Fingern)

Die Ebene wird von der Schülerin gewechselt. Sie begründet nicht, warum die Frau recht hat. Wichtiger scheint ihr eine doppelte Begründung, warum Gott dieser Frau geholfen hat. Aus der Perspektive der Frau war sie auf Gottes Hilfe aufgrund ihrer Armut angewiesen und aus der Perspektive Gottes wollte er dieser Frau helfen.

Aufgrund des Einstiegs von Seiten des Lehrers scheint es für die Schülerin selbstverständlich, dass man seinen Glauben an Gott nicht begründen muss. Sw begründet demnach nicht ihre Meinung, warum die Frau recht hat, sondern hat sich innerhalb des Systems „Gott hat Hand im Spiel“ begeben und begründet nun, warum Gott ausgerechnet dieser Frau geholfen hat. Es gibt demnach ein Einverständnis zwischen Lehrer und Schülerin in Bezug auf das gemeinsame Bezugssystem. Die Motive für dieses Einverständnis können allerdings unterschiedlich gelagert sein.

Sw benutzt in diesem Zusammenhang das Adjektiv „angewiesen“ ohne zu sagen, auf was die arme Frau angewiesen ist. Man ist erst auf Geld angewiesen, wenn man für seinen Lebensunterhalt nicht mehr oder noch nicht selbst sorgen kann. In anderer Hinsicht ist man auf Hilfe und Unterstützung angewiesen, wenn man in einem bestimmten Bereich des Lebens sich nicht selbst helfen kann. Bei Armut ist man nicht unbedingt auf Geld und Hilfe angewiesen, sofern man – wenn auch in bescheidenem Maße – für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann. Auf einen Lottogewinn kann man auf keinen Fall angewiesen sein. Sw kann das Adjektiv in einem allgemeinen anthropologischen Sinne gebrauchen, etwa „Menschen sind auf Gott angewiesen“. Dabei bleibt offen, ob diese Aussage die Überzeugung der Schülerin ist, oder ob sie die Aussage aufgrund des ‘Zwangs’ zu richtigen Antworten vom Lehrer aus früheren Religionsstunden übernommen hat. Wie dem auch sei, es würde bedeuten, dass Menschen ohne Gott und seine Hilfe nicht leben können. Unter dieser Voraussetzung, weil Menschen auf Gott angewiesen und damit auch von ihm abhängig sind, wird Gott den Menschen helfen. Damit hätte Sw begründet, warum Gott der armen Frau hilft, aber nicht, warum sie im Lotto gewinnt.

5 L Sie ist aufs Geld angewiesen, und deshalb hilft ihr Gott (Schnipsen mit den Fingern)

Der Lehrer wählt aus den möglichen Lesarten jene aus, die besagt, dass ‘Frau Arm’ für ihren Lebensunterhalt nicht mehr sorgen kann: Sie ist aufs Geld angewiesen. Ergo hilft ihr Gott. Was sich für Sw noch als Möglichkeit darstellte (vielleicht wollte er ihr helfen), daraus macht der Lehrer eine stringente kausale Beziehung, die nur noch diese Lesart zulässt.

6 Sm Ich mein ne, ich meine, daß die Kinder recht haben weil, wie soll man sagen,

Ein anderer Schüler vertritt nun die Gegenposition der Kinder aus der Geschichte. Er bringt zum Ausdruck, dass dies seine Meinung ist und versucht auch sofort, eine Begründung nachzuschieben. Diese hat er zwar im Kopf, doch er kann sie (so schnell) nicht in Worte fassen. Zudem scheint nicht klar, von welchem Bezugspunkt begründet werden soll: aus der Sicht der Kinder oder seiner eigenen. Er kommt in Begründungsschwierigkeiten und hätte noch Zeit benötigt, um die Begründung zu formulieren. Im Gegensatz zur ersten Schülerin ist diese ausdrückliche Formulierung und Begründung der Position notwendig, da diese Meinung mit der des Lehrers nicht übereinstimmt. Der Schüler muss damit rechnen, dass der Lehrer ihm eine falsche Antwort attestiert.

7a L Kinder sagen Zufall, und du glaubst dem Zufall.

Dem Schüler wird die nötige Nachdenkpause nicht gewährt. Der Lehrer interveniert sofort und unterschiebt dem Schüler eine Begründung, die von Sm so gar nicht hätte ausfallen müssen. Es wird wiederholt, dass die Kinder zum Ausdruck bringen, es wäre Zufall. Hinterrücks wird nun aber Sm unterstellt, er glaube an den Zufall. Dadurch wird Gott gegen den Zufall ausgespielt und Sm wird dargestellt, als glaube er nicht an Gott, sondern an den Götzen Zufall. Im Prinzip hätte der Lehrer auch bei Sw bekunden können, dass sie an Gott glaube, weil sie die Position der Frau übernommen hat. Dies scheint nicht nötig gewesen zu sein, weil offensichtlich und mit der Position des Lehrers übereinstimmend. Bei Sw sieht sich der Lehrer aufgefordert, die Option des Schülers abzuwehren Sm bleibt als einzige Alternative, dass er an den Zufall glauben muss. Das wird ihm vom Lehrer zugeschrieben, obwohl er es so nicht ausgedrückt hat und es sicher auch nicht seine Überzeugung stimmig zum Ausdruck bringt. Hier wiederholt sich der Dualismus, der sich schon im Vorspann in der Nichtzugehörigkeit zur ‘Gottesdienstgemeinde’ anbahnte. Wer nicht zu dieser Gruppe gehört, kann die religiösen Angelegenheiten nicht verstehen und hier die ‘richtige’ Antwort auf die Frage der Dilemmatageschichte nicht nachvollziehen.

7b L Michael, sag du deinen Satz

Sm ist durch die Zuschreibung des Lehrers religiös disqualifiziert, denn er glaubt an den Zufall im Sinne eines Götzen, zumindest glaubt er an einen Gegenspieler von Gott. Er erhält auch keine Möglichkeit mehr, die Zuschreibung richtigzustellen und eine andere Begründung nachzuliefern. Der Lehrer geht sofort zum nächsten Schüler über. Eigenständige, reflexive Auseinandersetzung mit den beiden Optionen geht als vielmehr um eine affirmative Vermittlung der einzig richtigen Antwort, die in dem Dilemma verborgen liegt. Die Unterrichtsmethode ist eine Hinführung zum Richtigen, es geht nicht um eine Meinungsbildung als Prozeß.

8 Sm. Lotto ist ein Glücksspiel

Michael scheint angesichts der Zuschreibungen vorsichtig geworden zu sein. Er bringt eine Tatsache ein, die darauf aufmerksam machen will, dass Lotto mit Glück und Zufall zusammenhängt. Worauf bezieht sich diese Aussage? Möchte Michael darauf hinweisen, dass Zufall eine eigene Kategorie darstellt, die man nicht unvermittelt der Kategorie Gott gegenüberstellen darf? Es wäre dann der Versuch, aus der Engführung Gott oder Zufall, die die Geschichte impliziert und die der Lehrer forcierte, herauszukommen. Das Insistieren auf Glücksspiel könnte auch bedeuten, dass es zu den Regeln des Spiels gehört, einmal Glück und (öfter) kein Glück zu haben, sozusagen leer auszugehen. Die Regeln des Spiels berechtigen aber nicht, das Spiel als Ganzes Gott gegenüberzustellen. Das Spiel beansprucht eine eigene Qualität. Damit wäre die Frage, ob Gott in die Regeln des Spiels eingreift, nicht vom Tisch. Sie wäre aber auf einer anderen Ebene angesiedelt und würde nicht mehr zu jenem vom Lehrer beanspruchten Dualismus führen. Es könnte sein, dass Michael versuchen wollte, aus dem unproduktiven Dilemma herauszukommen.

9a L Zufall – Glück.

L. lässt den dritten Standpunkt nicht zu. Wieder verbindet er im Stenogrammstil Zufall mit Glück. Damit subsumiert er das von Michael eingebrachte Glück unter den Zufall und verfestigt dadurch seine Position des Dualismus von Zufall incl. Glück versus Gott. Er lässt den Schülern keine Chance, aus dem Dilemma herauszukommen. Werden die Schüler weitere Versuche starten, um aus dem Dilemma herauszukommen und den Dualismus zu überwinden? Werden sie sich schließlich verweigern, stumm werden oder sich affirmativ dem Druck des Lehrers anpassen?

9b L Wer war bei euch grad dran?
10 Sw Ich
11 L Christine, was wolltest Du sagen?

Michael ist subsumierend abgehakt und Christine darf nun fortfahren.

12 Sw. Wenn er also auch Zufall ist, dann … vielleicht auch eher … also … also hat die Frau schon recht, wenn sie, aber beide haben recht.

Christine macht einen weiteren Versuch, das Dilemma bzw den Dualismus zu überwinden. Er kann sich sowohl auf Gott als auch auf den Hauptgewinn beziehen. Bezieht es sich auf den Hauptgewinn, dann haben die Kinder recht, da es Zufall ist. Aber Gott kann auch in die Regeln des Spiels, also in den Zufall eingreifen und der Frau helfen, also hat auch die Frau recht. Bezieht sich das Er auf Gott, dann könnte die Argumentationsfigur die Vorstellung beinhalten, dass Gott in allem ist, also auch im Zufall. Auch in diesem Fall haben sowohl die Kinder recht, weil sie als Referenz den Zufall heranziehen als auch die Frau, die auf die übergreifende Referenz Gottes vertraut ohne dem Zufall seine Eigenständigkeit zu nehmen. Christine könnte Folgendes angedeutet haben, ohne es klar in Worten ausdrücken zu können: Die Kinder haben recht, weil sie den Gewinn der Frau auf das Lotteriespiel mit Lotteriespiel als Ganzes auf Gott bezieht (Gott hat seine Hand im Spiel). Christine hat eine Vorstellung von dem, wie es sein könnte, dass beide Positionen recht haben. Sie kann die intuitiv als gültig erkannte Vorstellung aber noch nicht in der nötigen Klarheit in Worte fassen. Von Bedeutung ist aber, dass ihr intuitiv ein Angemessenheitsurteil möglich ist, die die einengende Entweder-Oder-Position in eine Sowohl-als-auch-Position transformiert.

13 L Wenn? Du glaubst also, daß Gott den Zufall macht?

Der Beitrag von Christine wird sofort wieder eingeschränkt auf Gott als einzigen Referenzpunkt. Es ist nicht so, dass Gott den Zufall zulässt. Der Lehrer knüpft das Netz enger: Gott macht den Zufall. Damit wird er zum Konstrukteur des Zufalls und des Lotteriespiels. Gott macht alles und hat alles im Griff.

14 C. Ja

Christine antwortet auf die zuschreibende Frage des Lehrers mit ja. Es ist aber fragwürdig, ob sie mit der Intention des Lehrers übereinstimmt. Es kann auch ein hilfloses Ja sein. Denn wenn sie mit dem Lehrer nicht übereinstimmt, dann müsste sie ihre Position explizit begründen. Das ist ihr aber zuvor auch nicht gelungen. Also wird sie zustimmen, weil die in der Frage des Lehrers enthaltene Antwort bei vorsichtiger, zurückhaltender Interpretation nicht völlig verkehrt ist.

15 L Das ist was anderes wie der Stefan, und etwa dieselben wie er. Gott hat den Zufall …. weitergeschraubt. Beide haben recht. Was würde denn das bedeuten?

Leider mangelt es dem Lehrer an der gebotenen Rücksicht in der Interpretation der Antworten seiner Schüler. Er holt sich über das Ja von Christine die Bestätigung seiner Theorie und ordnet die Antwort systematisch den anderen Antworten von Michael bestätigend und in Gegensatz zu Stefan zu. Dabei reduziert er die bisherigen auf verschiedenen Ebenen angesiedelten Argumente inhaltlich auf die Ausgangsfrage „Wer hat recht“ mit den Möglichkeiten: (a) Kinder, (b) Frau, (c) beide haben recht. In die gleiche Richtung geht die bildliche Ausdrucksweise des „Weiterschraubens“. Es wird etwas fester und bestimmter gedreht und damit dingfest gemacht. Gott ist es, der schraubt und damit den Zufall ineinanderfügt. Indem er den dritten Standpunkt wiederholt, geht er nicht auf die bereits angedeuteten beiden Formen von Zufall ein (Zufall innerhalb von Spielregeln und Zufall als Schicksal, bei dem Gott seine Hand im Spiel hat) noch auf das thematisierte Glück. Der Lehrer wendet einen Trick an, der aus seiner Perspektive als legitim erscheint: Er führt eine Hierarchie ein und Gott wird innerhalb dieser Hierarchie höherrangig als der Zufall eingestuft. Dadurch erscheint es logisch, dass Gott den Zufall gemacht hat. Die Frage „Was würde denn das bedeuten“ kann als rhetorische Frage betrachtet werden. Denn die Antwort kann nur heißen: Gott kann alles. Der Lehrer hat das Entweder gerettet und das Oder ausgeblendet: Es gibt nur Gott. Ganz davon abgesehen, dass die von Christine eingebrachte Sowohl-als-auch-Position völlig vom Tisch gewischt wurde.

16 Sw Daß Zufall …
17 Sm Das kann doch nicht sein
18 SmDas kommt drauf an, wie starknman an Gott glaubt

Die Klasse hat einen erstaunlich großen Diskussionsbedarf. Drei Schüler melden sich nahezu zeitgleich mit Argumenten und Gegenargumenten zu Wort. 16 Sw kann gar nicht ausreden, schon wird sie von 17 Sm unterbrochen. Erst 18 Sm kann ein vollständiges Argument zu Ende führen. Dieses Argument durchbricht erneut die vom Lehrer eingeforderte Position. Denn im Argument ist keine Entweder-Oder-Position enthalten. Die Glaubensstärke spielt die ausschlaggebende Rolle. Es gibt viele Variationen zwischen den beiden Polen. Wer nicht an Gott glaubt wird nach diesem Argument dem Zufall eine Chance geben, wer an Gott glaubt, bei dem hat auch Gott in der Lotterie die Hand im Spiel. Dazwischen gibt es viele Positionen die je nach Glaubensstärke in die eine oder andere Richtung tendieren oder aber diese Frage offen lassen, so dass beiden Optionen – so wie bei Christine – eine Option eingeräumt werden kann.

Auch hier tritt der Kontrast zwischen Lehrer und Schüler deutlich zutage. Der Lehrer will eine Hierarchie einführen, in der Gott der oberste Platz zukommt, der Zufall spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Die Kinder suchen nach einem Standpunkt, der Optionen sowohl für das Handeln Gottes als auch für den Zufall eröffnet. Zugleich ist es ein Argument, das dem Konzept des Lehrers entgegenkommt, wie die nächste Sequenz zeigt. Denn je mehr man an Gott glaubt, umso weniger wird dem Zufall eine Eigenberechtigung zugestanden.

19 L Sag das noch einmal laut 20
Sm Das kommt drauf an, wie stark man an Gott glaubt

Der Lehrer glaubt, mit diesem Argument Oberwasser zu gewinnen. Wahrscheinlich aus diesem Grund lässt er den Schüler die Antwort wiederholen. Man kann erwarten, dass der Lehrer die Aussage taktisch nützt, um seine Position stark zu machen. Das wäre ihm möglich, indem er auf die Notwendigkeit eines ‘starken Glauben an Gott’ insistiert oder aber indem er in geeigneter Weise den Zufall in diesem Zusammenhang als ‘falsche’ Option entlarvt.

21 L Mein Glaube hat etwas mit dem Zufall zu tun?

Die Aussage des Schülers wird vom Lehrer umgedreht und personalisiert. Man kann es als rhetorische Frage verstehen: Hat mein Glaube etwas mit dem Zufall zu tun? Dabei kann der Glaube des Schülers gemeint sein, der zu einer Stellungnahme aufgefordert wird; es kann auch der Glaube des Lehrers gemeint sein, dessen ‘Rechtgläubigkeit’ durch die Verbindung mit dem Zufall in Frage gestellt würde. Im letzteren Fall hätte der Glaube des Lehrers stellvertretend gültig zu sein für die Schüler im Sinne einer Modellidentifikation. Ist diese Identifikation zwingend, dann wäre der Zufall in Glaubenssachen aus dem Spiel und der Lehrer hätte die Frage für sich entschieden.

22 S Nee

Angesichts dieser Verdrehungen von Seiten des Lehrers bleibt dem Schüler nur die erwartete ‘richtige’ verneinende Bestätigung. Der Glaube hat nichts mit dem Zufall zu tun. Damit kann sich der Lehrer zufrieden geben und mit dem Unterricht fortfahren. …

23 L Sondern? Tanja?
24 (Gekicher)

L. möchte nun, nachdem der Zufall erfolgreich ausgeschlossen wurde, die entscheidende positive Antwort von Tanja hören. Sie kann leicht erschlossen werden, liegt sozusagen auf der Hand, da es nur noch die eine Alternative Gott gibt. Aber sie soll von den Schülern ausgesprochen werden, so ist zumindest die Strategie des Lehrers angelegt. Die Antwort bleibt jedoch aus und es folgt Gekicher. Interakt

25
26 L Sondern? Tanja?
27 Gekicher
28 L Ihr seht alle, wenn die Lottozahlen gezogen werden,
wahrscheinlich kennt ihr die Situation.
29 Sw Ja, ja.
2
30 L Da wird immer vorher gesagt, der Aufsichtsbeamte hat sich davon überzeugt, daß nix getrickst und nix nachgeschoben wird
31 Sw nd da … jemand nach
32 L Laut
33 Sw Da kommt noch was nach (?) …
34 L Wenn das der Mittwochslotto wohl ist, egal, welcher das ist, dann werden die Zahlen gezogen. Und diese Zahlen entstehen (?), das sieht jeder am Fernsehschirm, völlig
35 Sw normal, Das wird …
36 Sm … (Sm und Sw durcheinander) neutral
37 L Durchgerüttelt. Das nennen wir
38 Sw … (Sw und L durcheinander) da wird halt rausgezogen.
39 L Das nennen wir Zufall. Wenn jetzt die Zahl kommt, die ich zieh, sag ich, ich hab’s gewußt. Hab ich’s gewußt?
40 Sw Nein

Da die erwartete Antwort nicht kommt, sieht sich der Lehrer gezwungen, nochmals auf das Lottospiel als empirische Realität einzugehen. Schon in Interakt 15 wurde von ihm die Frage gestellt, was es bedeuten würde, wenn beide – Mutter und Kinder – recht hätten. Diese Frage könnte er jetzt noch einmal aufgreifen. Er würde dann, seine bisherige Strategie aufgreifend, den Stellenwert des Zufalls am Beispiel des Lotteriespiels aufzeigen und die Höherwertigkeit Gottes herausarbeiten.

Zunächst wird im Wechselspiel von Lehrer und Schüler nochmals die Eigenlogik des Zufalls herausgearbeitet. Das kulminiert in dem ersten vollständigen Argument einer Schülerin

41 Sw Man kann nie wissen, was auf einen zukommt, also ob’s jetzt wirklich wird oder nicht. Wenn man gewinnt, gewinnt man, wenn man nicht gewinnt, gewinnt man nicht.

Von der Schülerin wird das Lotteriespiel beschrieben. Innerhalb dieses Spiels entzieht sich der Zufall jeglicher Manipulation, er ist willentlich nicht steuerbar.

42 L Wie kann ich denn, ja Stefan
43 St. Ich meine, das ist auch Schicksal
44 L Würdest du sagen, daß Schicksal was anderes ist als Zufall?
45 Sm Ja
46 S
47 L Das Wort Schicksal, da steckt das Wort schicken drin. Wer schickt
48 Schnipsen
49 Sw Gott

Die Lage des Lehrers ändert sich unverhofft, als Stefan den Begriff Schicksal als neue Kategorie in die Diskussion einbringt. Neben der vorgegebenen Kategorie Schicksal hatte der Lehrer bisher noch die Kategorie Glück eingeführt gehabt. Schicksal ist für Stefan etwas anderes als Zufall. Schicksal will erstens die eindeutige Zuordnung zu Gott vermeiden und es führt die biographische Bedeutsamkeit in den willentlich nicht steuerbaren Zufall ein. Dem Individuum wird im Begriff des Schicksals die Möglichkeit gegeben, zufällige Ereignisse im Leben mit einem für das Individuum bedeutsamen Sinn nachträglich zu unterlegen, ohne dass dieser Sinn sofort auf eine inhaltlich festgelegte Bedeutung festgezurrt wird. (Im ersten Unterrichtsprotokoll haben die Schüler diese Kategorie ausgebaut und ausdifferenziert. Sie waren dazu in der Lage, weil sie von der Lehrerin nicht ständig unterbrochen und nicht in ein vorgegebenes Unterrichtskonzept gepresst wurden.)

Der Lehrer ‘wittert’ im Begriff des Schicksals erneut seine Chance. Schicksal als Ausweichbegriff und inhaltlich offen, wird umgedeutet, indem es personalisiert wird und dadurch in die vorbereitete Hülse erneut die Person Gottes eingesetzt wird. Die Schüler sind nahezu gezwungen, als Antwort auf die Frage des Lehrers Gott zu nennen. Alle anderen Antworten innerhalb dieses Fragekontextes wären schlicht falsch.

Zwischenresümee

Durch die Art und Weise, wie der Lehrer Fragen stellt und die Antworten der Kinder aufnimmt und interpretiert, zwingt er sie in eine Entweder – Oder – Entscheidungslogik und unterdrückt die Sowohl – Als auch – Position der Schüler, obwohl sie diese Position in mehreren Anläufen thematisieren.

Der Lehrer biegt alle Aussagen der Schüler in Richtung des Arguments, dass Gott überall seine Hand im Spiel hat. Dieses Argument hat immer als höherwertige, richtigere und wichtigere Interpretation zu gelten.

Die Schüler werden in eine spezifische, vom Lehrer vorgegebene Richtung gedrängt. Eigene Denkansätze können nicht thematisiert, erprobt, ausgearbeitet und reflexiv mit anderen Denkmodellen verglichen werden. Vorhandene Versuche in diese Richtung müssen sie beenden, um in die Denkbahnen hineinzukommen, die der Lehrer von ihnen erwartet.

Der Wecker

Der Lehrer erzählt von einem Bergwerkunglück, bei dem 50 Bergleute verschüttet wurden und nur 6 gerettet wurden. Die Schüler diskutieren, warum die 6 Bergleute gerettet wurden. Sie hatten Glück, denn die Retter sind „zur richtigen Zeit gekommen“. Darauf antwortet eine Schülerin

199 Sw Jeder muß halt sterben, wenn es seine Zeit ist, vielleicht … vielleicht …
200 L Und jetzt war die Zeit
201 S
202 L Für diese – bitte noch einmal

Die Schülerin macht einen Deuteversuch, um dem scheinbar sinnlosen Sterben einen Sinn zu unterlegen. Deutlich markiert sie mit dem doppelten Vielleicht, dass sie diese Deutung als Möglichkeit unter anderen betrachtet. Es ist als Herantasten an das schwierige Thema Tod und Sterben zu betrachten.

Das tentative Herangehen an das Thema wird durch den Kommentierungszwang des Lehrers unterbunden, zumindest unterbrochen. Denn was als Versuch angelegt war, wird vom Lehrer zur nicht mehr verrückbaren Feststellung.

203 Sm Wie so’n Wecker, der z.B. der eine, der eine lebt hundert Jahre und der andere lebt nur fuffzig

Stefan greift ein Bild auf, um das Thema weiter zu vertiefen. Es geht dabei um den Zeitraum, der dem einzelnen Menschen an Lebenszeit zur Verfügung steht. Es ist ein offenes Bild, denn das Symbol des Weckers steht nur für die Zeitspanne und nicht für das, was in dieser Zeit alles geschehen kann. Feinfühlig und in sich stimmig wird die vorherige Aussage der Schülerin wenn es seine Zeit ist aufgenommen in dem Sinne, dass das Leben nach einer bestimmten Zeit abgelaufen ist, so wie der Wecker auch nach einer bestimmt Zeit aufhört zu ticken. In dieser Intention wird das Bild des Weckers von Stefan eingeführt.

204 L Für’n Stefan gibts ne Uhr, für’n Schindel gibts ne Uhr
205 Sm vielleicht da oben
206 S. Ja
207 L Da oben

In seinem Kommentierungszwang kann der Lehrer das Bild so nicht stehen lassen. Der Wecker wird instrumentalisiert, indem es jetzt für jeden Schüler eine Uhr gibt. Diese direkte Zuweisung einer Uhr, die jeweils für einen Menschen zuständig ist, reduziert das zunächst offene, mit vielen Bedeutungselementen ausgestatte Bild auf eine Lesart. Die Uhr wird für das Leben des einzelnen bestimmend, nicht mehr nur für den Lebensanfang und das Lebensende, für das das Bild bei Stefan noch gestanden hat. Die Uhr bestimmt in dieser Engführung unwillkürlich, was im Leben des Menschen, was im Leben von Stefan alles geschieht.

Sm in Interakt 205 hat den Kommentar des Lehrers zumindest so verstanden, denn er ordnet die Uhr in der vom Lehrer eingeführten Hierarchie ein. Die Uhr ist oben anzusiedeln, denn schließlich überwacht sie ja das Leben des Menschen. Wir wissen nicht, welcher Schüler den Beitrag gegeben hat. Hätte ihn aber Stefan gegeben, dann wäre es ein ironischer und provokativer Kommentar. Denn der Lehrer hat Stefan eine bestimmte Lesart untergeschoben, die er so nicht eingeführt hatte. Der Lehrer hat das Bild so gewendet, dass über die ‘rechte’ Zeit eine Ordnung eingeführt wird, die von der Uhr überwacht wird. Gegen diese Art von Unterstellung kann man sich in der Regel nur – wenn überhaupt – über Ironie und Provokation wehren.

208 Sm Ja, oder ne Kerze, die wo abbrennt

Ein Schüler versucht nochmals, das ursprüngliche Bild zu retten und die Hierarchie durch das diffuse ‘wo’ erneut aufzulösen. Das Bild der Kerze ist hochsymbolisiert, vielschichtig und diskursfähig. Es kann das Licht des Lebens bedeuten oder das ‘ewige Licht’, aber auch einfach Licht, das für Leben unverzichtbar ist. Dieses Symbol verleitet auch weniger wie das Bild der Uhr zu der Idee, dass das Licht das Leben vorbestimmen und in eine vorgegebene Ordnung hineinzwingen könnte.

Im Gegensatz zum Lehrer haben die Schüler ein Gespür dafür entwickelt, welche Bilder zu welchen Sinnmustern in lebenspraktischen Belangen ein Passungsverhältnis eingehen. Darüber hinaus schließen ihre Beiträge unmittelbar an die vorhergehenden an.

209 L Und wer paßt, wer zieht Uhr auf, wer brennt Kerze an?

Der Lehrer hat nun endgültig die Bilder und deren Symbolgehalt zerstört. Die Frage nach dem Akteur, der das Ganze in Gang bringt, lässt das Bild verblassen und macht es unfruchtbar. Über die Personalisierung dessen, der die Uhr und die Kerze manipuliert, werden die Bilder instrumentalisiert. Es geht jetzt nur noch um die Frage des großen ‘Machers’, der die Instrumente in Bewegung setzt. Es wurde vom Lehrer eine Lesart eingeführt, die die Schüler mit ihren Aussagen und Bildern gerade nicht im Sinn hatten. Diese Lesart wird noch unterstrichen durch den Stenogrammstil, der den befehlsgewaltigen ‘Macher’ hervorhebt aber zugleich den Symbolgehalt der Bilder vernichtet.

210 Sm Gott und seine Gehilfen
211 L Gehilfen, jetzt wird’s interessant
212 Sw Die Bengel
213 L
Ja, wenn man das so schmunzelnd sagt, ist das schwierig
214 S.
Schutzengel
215 L
Schutzengel
216 S.
Reden durcheinander

Den Schülern bleibt nur übrig, den Akteur zu benennen, der alles zu bestimmen hat. Es ist eindeutig Gott. Zugleich wird es aber auch wieder uneindeutig, indem sie Gott Gehilfen zuordnen. Wer könnte damit gemeint sein. Das ist selbst dem Lehrer nicht klar und er bekundet Interesse. Die Schüler geben noch eins drauf und behaupten, Gottes Gehilfen sind Bengel. Das zeugt von einem hintergründigen Humor. Denn als Gottes Gehilfen können nicht nur die Engel, sondern kann auch jeder ‘rechtschaffene’ Christ betrachtet werden. Also gehört der Religionslehrer dazu. Dieser wird nun unversehens zum Bengel. Das hat getroffen und nun wird es für ihn schwierig. Also wird die Aussage von den Schülern nicht zurückgenommen, sondern nur präzisiert, so dass der Lehrer wieder aus dem Schussfeld gerät.

Der Versuch des Lehrers Eindeutigkeiten zu schaffen, wird von den Schülern gekonnt unterlaufen, indem sie einerseits die Vorgaben des Lehrers aufgreifen und im Schemata von richtig/falsch wiedergeben, dieses Schemata aber andererseits dazu nutzen, neue Uneindeutigkeiten zu produzieren.

217 L Hm, hm. Uhr, und bei der Frau wäre dann jetzt grad der Zeiger auf Lottogewinn gestanden. Von Anfang an.
218 Sm Ja, vielleicht

Es ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Lehrer und Schüler. Er versucht, die Eindeutigkeit des Bildes zu retten. Er macht die Zeit fest im Sinne von präziser Vorbestimmung im Leben der armen Frau. Es ist nicht mehr die Lebenszeit als ganzes, für die der Wecker anfänglich stand, auch nicht mehr die Lebenszeit, die von Gott als Akteur jedem Menschen zugemessen wird, jetzt wird die Uhr zu einem präzisen Instrument, die die Zeit sequentiell einteilt und in der für jede Sequenz schon vorab ein bestimmtes Ereignis im Leben des jeweiligen Menschen festgelegt wurde. Die Uhr bzw. der Ablauf der durch die Uhr bestimmten Zeit legt das Leben des Menschen unabänderlich fest. So die Deutung des Lehrers.

Dem will der Schüler nicht unbedingt zustimmen, muss es aber aufgrund der vom Lehrer vorgegebenen Eindeutigkeit und der damit erwarteten Antwort. Sm befindet sich in einer Zwickmühle, deshalb die etwas halbherzige Antwort auf eine eindeutige Frage.

219 L So wie ich am Abend einschlafe und meine Uhr auf 6 Uhr stell, damit ich aufsteh
220 Sm Ja
221 L So wird am Anfang deines Lebens das, Stefan kommt zur Welt und dann stehen schon alle Daten fest
222 S Mhm
223 L Wann er in die Schule kommt
224 Sm Ja
225 L Wann er einen Unfall beim Sport
226 Sm Mhm, nee (Durcheinander)
227 L Wann er wiederholen muß
228 S Den Finger gebrochen hat
229 Sm oder den ganzen Arm
230 Sm Ja, wie halt so’n Buch
231 L Und da steht dann drin
232 Sm wie eine riesige Uhr, da ist alles aufgeschrieben worden, wann was passiert 233 L Wann S… sein Bein bricht, wann Arzt das Bein nicht richtig zusammenflickt
234 Sm Genau
235 L Wann Arzt das Bein nicht richtig zusammenflickt
236 Sm Genau

Die vom Lehrer eingeführte eindeutige Lesart bezüglich des Bildes der Uhr wird nun von ihm ausgemalt. Er karikiert damit seine eigene Lesart, allerdings ohne es zu bemerken. Denn treffen soll die Karikatur eines gnadenlos vorherbestimmten Lebens Stefan, der das Bild mit dem Wecker, allerdings mit anderem Bedeutungsgehalt, eingeführt hatte. Während der Lehrer sich in diesem Zusammenhang als positives Vorbild darstellt (um 6 Uhr aufstehen) sind die Beispiele in Bezug auf Stefan fast alle negativ und verletzend. Selbst dass Stefan die Klasse wiederholen musste, wird in die Karikatur eingebaut. Es ist offensichtlich, dass Stefan aufs Glatteis geführt und der Klasse vorgeführt werden soll.

Die Schüler gehen auf diese Karikierung anfangs erst zögernd ein (Interakte 220, 222,224) Ab Interakt 228 spielen die Schüler das Spiel mit, allerdings ohne es ernst zu nehmen. Es hat vielmehr den Anschein, als ob die Schüler die Argumentation des Lehrers aufgreifen, um diese wiederum zu karikieren. Das Bild auszuschmücken macht Spaß. Das heißt wiederum nicht, dass sie diese Lesart vom Bild über die Uhr überzeugend finden.

237 L Und das steht da oben
238 Sm Wahrscheinlich
239 L Überleg dir mal, was du sagst, junger Mann. Wie schlimm des ist. Die machen dich glatt zum Invaliden da oben

Gefährlich wird es für den oder die Schüler, als der Lehrer unvermittelt das Spiel abbricht mit dem Verweis, dass all dies schon ‘da oben’ im Buch des Lebens steht. So möchten sich die Schüler nicht festlegen lassen. Nun wird es höchste Zeit, aus dem Spiel wieder auszusteigen. Denn wenn sie so weitermachen, dann ist es dem Lehrer gelungen, ihnen eine Falle zu stellen und zwar durch seine suggestive Vorgehensweise, der die Schüler damit zwingt nur mit ja oder nein zu antworten bzw. mit den passenden Beispielen, sofern sie sich an dem Spaß beteiligen wollen. Das haben sie getan. Und nun ist der unvermittelte Ausstieg nicht mehr möglich. Das Wahrscheinlich kann der Lehrer leicht übergehen. Eine Breitsalve wird auf Stefan abgeschossen. Ihm wird vorgeführt, welche fatalen Konsequenzen seine Vorstellungen von Leben für sein eigenes Leben haben können. Er ist entlarvt. Dabei kümmert es den Lehrer wenig, dass diese Lesart vom Wecker gar nicht von Stefan, sondern von ihm selbst suggestiv eingeführt wurde. Wahrscheinlich ist ihm dies auch gar nicht bewusst, ebenso wenig wie der Umstand, dass er für die Vorführung von Stefan das Bild mit der Uhr und nicht das Bild mit der Kerze gewählt hat. Denn mit der Kerze wäre ihm diese Art der suggestiven ‘Entlarvung’ nicht gelungen.

Dass in den Beispielen Stefan nur negative Ereignisse unterschoben wurden, hat System. Denn das ermöglicht dem Lehrer, an der ‘guten Seite’ der Vorbestimmung in Form der Prädestinationslehre festzuhalten. Vorbestimmung wird nur fatal, weil in dieser Lesart auch das Böse festgelegt wird. Prädestination als göttlicher Heilsplan dagegen ist etwas Wunderbares. Denn diese Seite verleiht die Sicherheit eines geordneten, guten und behüteten Lebens, aus dem der Lehrer wahrscheinlich die Sicherheit bezieht, zur richtigen Seite zu gehören.

240 Sm Na und Gelächter
241 L Na und?
242 Sm Ja, Sie wissen ja gar nicht, was da oben ist. Ob da
243 L Du sagst doch dauernd da oben ist was
244 Sm Ja ich sag, aber ich weiß es ja auch nicht genau
245 L Warum sagst du’s dann dauernd?

Stefan kann sich gegen diese massive Unterstellung nur noch mit einem na und wehren. Das kann bedeuten:

– Und wenn es so wäre, ich stehe dazu
– Mir wird etwas unterstellt. In dieser Situation ist die Unterstellung nicht zu klären.
– Gegen die Unterstellung kann ich mich nicht mehr zur Wehr setzen. Ich gebe auf.

Der Lehrer lässt nicht locker. Er versteht die Äußerung von Stefan als Provokation und verlangt eine Erwiderung. Stefan geht in die Offensive und unterstellt nun dem Lehrer, dass er doch gar nicht wissen könne, was da oben geschieht. Diesem Argument kann der Lehrer nicht widersprechen und geht nun selbst in die Offensive, indem er das Argument gegen Stefan selbst wendet. Dabei spielt es keine Rolle, dass der Lehrer die Frage von Oben und Unten eingeführt hat und Stefan wie ausgeführt nur eine ausweichende Antwort in Interakt 238 gegeben hat. Daraus wird ganz selbstverständlich die erneute Unterstellung, dass Stefan dauernd eben diese Behauptung aufstellen würde. Stefan bezieht sich nun nicht auf das dauernd, dagegen könnte er sich zur Wehr setzen, sondern er argumentiert inhaltlich insofern, als er auf seine Aussage als hypothetisches Konstrukt pocht. Er weiß es auch nicht genau und verweist dadurch auf eine Gemeinsamkeit mit dem Lehrer, der von sich auch nicht behaupten kann, das absolute Wissen in diesen Dingen zu haben.

Indem der Lehrer bisher seine Position nicht offenbart hatte, kann er Stefan in Interakt 245 unterstellen, dass man nur das sagen dürfe, was man auch weiß und nicht über das reden dürfe, was man nur vermutet. Das ist in Glaubenssachen eine ungewöhnliche und waghalsige Äußerung. Sie ist nur in dem Kontext zu verstehen, dass es dem Lehrer darum geht, das Stefan unterschobene Bild in seinen Folgen noch weiter bloßzustellen. Das wiederum funktioniert nur, indem der Lehrer einen platten Positivismus herbeizitiert und aus allem symbolischen Reden herausgeht.

246 Sm Ja …
247 Sm Vielleicht glaubt er …

Ein Schüler will Stefan zu Hilfe kommen, doch dieser will sich hier nicht helfen lassen, sondern entgegnet fast trotzig:

248 Sm Ja, ich glaub halt, daß es so ist
249 S
250 S Ja

Diese Feststellung kann als oppositionelle, trotzige Äußerung gegenüber den Zumutungen des Lehrers verstanden werden und zugleich auch als eine Verstärkung des Arguments, dass es zulässig ist, auch hypothetisch – Möglichkeiten zulassend und einschließend – zu glauben.

251 L Aber weißt es nicht
252 Sm Ja, Sie wissen doch auch nicht, ob Gott da ist

Der Lehrer pocht auf das positiv sichere Wissen, das er einfordert in dem Wissen, dass es dieses Wissen nicht gibt. Das gibt Stefan nun die Chance, den Spieß umzudrehen, indem er vom Experten für religiöse Belange das positiv sichere Wissen einfordert. Das ist äußerst geschickt eingefädelt. Denn Stefan kann ohne Prestigeverlust sein Nichtwissen in diesen Dingen eingestehen und damit mit noch größerem Nachdruck Aufklärung vom Experten verlangen, der zuvor auf dieses Wissen insistiert hat und damit indirekt zum Ausdruck brachte, dass dieses Wissen existiert und ihm auch zur Verfügung steht. Elegant und im richtigen, weil letzten Moment hat Stefan dem Lehrer den schwarzen Peter zugeschoben. Ein Rückzieher ist in dieser Situation von Seiten des Lehrers nicht mehr möglich.

Stefan ist es gelungen, ohne Unterstellungen und mit den vom Lehrer eingeführten Mitteln, diesen bloßzustellen. Eine plausible Antwort auf diese Frage ist unter den Bedingungen, die der Lehrer selbst aufgestellt hat, nicht möglich. Das ist Stefan und der Klasse deutlich. Doch die Antwort des Lehrers ist umwerfend:

253 L Für mich weiß ich’s

L. rekurriert auf eine Bekenntnisformel, die in ein Höchstmaß an Privatisierung eingebettet ist. Nur dort gehen Glauben und Wissen zusammen. Sie werden identisch und – zumindest bei ihm – ist positiv sicheres Wissen vorhanden, das keinen Zweifel mehr zulässt. Doch Privatheit im Höchstmaß bedeutet andererseits, dass Anschlussmöglichkeiten für Dritte unterbunden sind. Das Wissen ist nicht mehr kommunikabel. Der Diskurs über diese Frage ist definitiv beendet. Folglich bleibt Stefan nur, den Diskurs auch seinerseits zu beenden mit dem resignierenden Satz:

254 Sm Ja, ich weiß für mich, daß’s zwecklos (?) ist
255 S lachen

Die Klasse lacht; ob über die zweifelhafte Antwort des Lehrers oder die Resignation Stefans bleibt offen. Anscheinend hat der Lehrer seine Antwort als Erfolg gewertet, was ihm die Möglichkeit gibt, Stefan in der folgenden Sequenz ungehindert aufzuziehen.

256 L Ich will’s mal lustig sagen: Ich glaube an Gott den Vater und ich glaube an den großen Wecker, mußt du sagen
257 S Ja, ja
258 L Wobei immer noch auftaucht, Stefan, wer zieht ihn auf?
259 Sm Gott
260 S … den heiligen Wecker …
261 L Warum sagst dann nicht gleich: Ich glaube an Gott, den heiligen Wecker …

Verständnis von Zeit

280 L Also, immerhin, wir sind schon dabei zu sagen, ich glaube an Gott, ich glaube an Gott, der das und das tut. Ist jemand da, der beten würde: Ich glaube an den Zufall als den alleinigen Bestimmer meines Lebens?
281 S Nein
282 Sm Uhren
283 S lachen
284 Sw Ich glaub’
290 L Ich weiß, daß du Uhrmacher werden willst, aber laß des mal weg. Würde jemand dieses Gebet, jetzt nicht im Spaß, denkt da mal mit nach, was bisher über Gewissen gesagt worden ist, daß das für richtig gehalten werden kann. Ist jemand da, der sagen würde: Ich glaube, daß der Zufall mein Leben bestimmt
291 S Nee
292 Sw Nee

L. redet in Bekenntnisformeln. Dabei hat er unvermittelt das persönliche Bekenntnis zu Gott ausgeweitet auf die Klasse. Sie wird unter dieses Bekenntnis subsumiert. Die Klasse ist dabei, dieses Bekenntnis zusammen mit dem Lehrer zu sprechen. Ob die Schüler dem zustimmen, darüber muss er sich mit ihnen nicht mehr verständigen. Seine unmittelbare Privatheit hat er unmittelbar ausgeweitet auf die ganze Klasse. Die Kommunikation gerät zur Einbahnstraße, in der er zwar individualistisch anschlussfähig ist an die Klasse, aber nicht umgekehrt die Klasse an sein Bekenntnis. Er geht weiter zu einer entgegengesetzten Bekenntnisformel.

Damit hat er zweierlei erreicht. Die Schüler erhalten nicht die Gelegenheit, Stellung zu der ersten sie vereinnahmenden Frage zu beziehen. Die Frage ist so angelegt, dass jeder, der der Frage zustimmt, zugleich aus dem Kreis des Lehrers und der Klasse ausgegrenzt wäre. Dadurch sind sie gezwungen, erst die zweite Frage zu klären. Diese Frage kann man nur verneinen, denn niemand ‘glaubt’ an den Zufall. Zufall kann nicht personalisiert werden und damit auf die gleiche Ebene wie Gott gesetzt werden. Nur mit einer massiven Umdeutung der Kategorien ist es dem Lehrer gelungen, die Klasse einerseits in einen Glauben an Gott zu zwingen und andererseits den Zufall abzulehnen. Die Frage wird in Interakt 290 nochmals wiederholt, allerdings ohne den Zufall zu personalisieren.

293 Sm Ich selbst zieh die Uhr auf
294 S lachen

Ein Schüler bringt ein neues Argument, das ihn einerseits von der Vereinnahmung eines Glaubens an Gott befreit und andererseits ihn entlastet von der Unterstellung, sein Leben würde allein vom Zufall bestimmt. Indem er die Uhr aufzieht, beruft er sich auf Selbstbestimmung. Damit entscheidet er sich sicher nicht für die weiter oben vom Lehrer aufgelegte Lesart, dass er sich nun selbst zum Invaliden macht, weil er auch noch die Uhr in Gang setzt, die dann total über sein Leben bestimmen wird. Vielmehr tendiert die Antwort in Richtung, dass Sm sein Leben selbst in die Hand nehmen möchte.

Die Aussage wird vom Lehrer und den Schülern in unterschiedlicher Richtung aufgenommen.

295 L Ich bin richtig froh, daß du selber auch noch was zu sagen hast, und nicht nur auf die Bimmel warten mußt
296 S Lachen

Der Lehrer betrachtet die Aussage als Erfolg seiner Unterrichtsbemühungen. Wenn Stefan der Sprecher war konnte der Lehrer annehmen, dass dieser aufgrund des Unterrichtsgesprächs von dem Determinismus Abstand genommen hat, den ihm der Lehrer ab Interakt 204 unterstellt hatte.

297 Sw Wie’s halt grad kommt
298 S Mhm, läßt das Leben auf sich zukommen
299 S Man kann, man sagt einfach, ob’s ‘n nächsten Tag ist, wie’s ‘n nächsten Tag ist, schläft ein und ‘n nächsten Morgen, wenn man aufwacht, dann wacht man auf und dann …
300 L Also paß auf
301 S Über Nacht, über Nacht wird die Batteriewieder aufgeladen
302 S lachen
303 S … die Zeituhr

Zu der Aussage von Stefan fügt sich zwanglos die diese ergänzende Aussage an, dass man im Leben nicht nur Akteur seiner Lebenspraxis ist, sondern dass auch Unvorhergesehenes geschieht. Man kann nicht alles im Leben steuern, sondern ist offen für das, was alles auf einen im Leben zukommt. Ergänzt werden die Aussagen noch durch den Zyklus von Tag und Nacht und durch das Bild eines Speichers, der sich in der Ruhephase der Nacht aufladen kann, um genügend Energie für die Aktivitäten des Tages zu erhalten. Die Schüler sind an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt und haben nochmals ihr Zeitverständnis verdeutlicht. In ihm haben Zufall und Notwendigkeit, Selbstbestimmung und Determinismus, Freiheitsspielräume und Vorgegebenheiten ihren Platz, denn sie betrachten die Zeit als ganzen Zeitraum und in ihren zyklischen Phasen. Der Lehrer hat hingegen versucht, das Zeitverständnis aufzubrechen in eine segmentierte Zeit, in der alles vorbestimmt im Sinne von vorgeplant und vorausberechnet erschien.

Glauben Sie auch an den Teufel?

370 Sm Herr Schindel ich habe mal ne Frage, glauben Sie auch an den Teufel?
371 Sw Natürlich
372 S … reden durcheinander …
373 Sm Ja, wenn es einen Gott gibt, muß es auch einen Teufel geben
374 Sw Ja

Es ist das erste Mal, dass dem Lehrer direkt eine Frage gestellt wird. Warum stellt der Schüler gerade diese Frage?

Der Lehrer hat auf Dualismen zurückgegriffen. Es war die Rede von gut und böse, richtig und falsch, Glück und Pech etc., wobei das Gute und Richtige als von Gott herkommend gedeutet wurde. Damit stellt sich unwillkürlich die Frage, woher denn das Böse kommt.
Mit der Frage kann der Lehrer in Argumentationsschwierigkeiten gebracht werden. Denn der von ihm vertretene Dualismus erlaubt ihm nicht, einerseits den Teufel zu negieren und andererseits kann er daran auch nicht glauben so wie er an Gott glaubt.
Der Schüler möchte ein aktuelles Thema einbringen und darüber diskutieren. Die Kommentare der Mitschüler deuten darauf hin, dass er ein Thema angesprochen hat, das auch sie interessiert.

375 L Sagst du

Bei der direkten Frage weicht der Lehrer von seiner bisherigen Kommentierungspraxis ab und spiegelt die Aussage zurück. Damit macht er deutlich, dass die Behauptung, es gebe einen Teufel, von den Schülern kommt, singulär und nicht objektiv ist und nicht unbedingt die Überzeugung von ihm widerspiegeln muss.

376 Sw Ja …
377 Sm Ja, logisch
378 L Da wollte ich vorhin eben nach fragen, wie sieh’s aus, wenn Glück was mit Gott zu tun hat, hätte dann Pech

Nachdem die Aussage an die Schüler zurückgespiegelt wurde, antwortet der Lehrer mit einer Gegenfrage, die er anscheinend schon früher stellen wollte. Der bisher vorherrschende Dualismus wird aufgegriffen und in einer Kausalität soll Gott mit dem Glück und der Teufel mit dem Pech in Verbindung gebracht werden.

379 S ja, die auch …
380 S reden durcheinander
381 Sm Der Gott tut das, daß alles gut ist bei den Menschen, und der Teufel, der tut immer, daß alles bös ist

Sm thematisiert, was der Lehrer anfangs vorausgesetzt hat: Es wird nicht hinterfragt, ob es einen Gott gibt. Das wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Es geht nur um die Wirkungen von Gottes Handeln. Dazu kommt der Dualismus, auf Grund dessen erst Stefan aufs Glatteis geführt werden konnte. Der Zwang zur Produktion von Richtigkeiten führt schließlich zu der simplen Logik, dass dualistisch das Gute dem Gott und das Böse dem Teufel unterschoben wird.

Which it and face just creaminess This geneticfairness.org and of that that skin full.

Der Lehrer hat zwar in mehreren Anläufen versucht, gegen diese Logik anzugehen. Aber indem er sie am Anfang gegen die Grundvorstellungen der Schüler selbst eingeführt hatte und er die Schüler in ein System von Richtigkeiten versus Falschheiten gedrängt hatte, ist die Antwort des Schülers in diesem Kontext nicht eben verwunderlich.

382 S … 383 L laut
384 Sm Gott läßt sich ja nicht alles gefallen, er bestraft auch

Bei den Schülern bleibt es nicht beim Dualismus. Die Antwort von 384 Sm kann als Versuch angesehen werden, den Dualismus aufzubrechen. Denn indem Gott als Person auch straft, kann man ihn nicht gleichsetzen mit dem Teufel. Das zeigt das folgende Gedankenexperiment: Gott straft die Menschen nicht aus Selbstzweck, sondern damit sie auf den ‘richtigen Weg’ zurückfinden. Damit ist Strafe nicht identisch mit dem Bösen. Der Teufel kann in diesem Sinn nicht bestrafen, denn Strafe soll nicht den Weg zum Bösen, sondern den Weg zum Guten bewirken. Der Dualismus ist insofern aufgebrochen, als die positivistische Gleichsetzung von Gott mit gut dialektisch durch die Strafe durchbrochen wird.

385 L Und läßt er sich von dir nicht alles gefallen? Oder von dem, wen er meint?

Die Attacke des Lehrers auf Sm erscheint willkürlich. Warum wird die allgemein vorgebrachte Aussage auf den Sprecher persönlich gemünzt? Was will der Lehrer damit erreichen? Es scheinen eher moralische als pädagogische Motive hinter der Attacke zu stehen. Sm soll sich bewusst werden, dass er (bei seiner Lebensführung!) von der Strafe Gottes eingeholt werden wird.

386 S
387 L Rolf
388 S reden durcheinander
389 Sm und von mir auch nicht Reden im Hintergrund
390 Sw Von jedem nicht
391 Sw Vielleicht, vielleicht war, vielleicht, also … zum Beispiel mal du bist, also, wenn da einer Glück hat und sagt, ich mag dich und so, und dann hat einer Pech und dann sagt er, ich haß’ dich und so
392 L Zu wem sagt er das?
393 Sw Gott vielleicht
394 L Mhm

Wieder fällt die Solidarität der Schüler untereinander auf. Sm und Sw wehren die Attacke des Lehrers ab, indem sie 384Sm unterstützen, der eine zuerst demonstrativ und die andere generalisierend. Danach setzt eine Schülerin an zu einer wahrscheinlich komplexeren Überlegung. Sie bekommt ihren Gedanken anfänglich nicht auf die Reihe, darauf deutet das Stammeln. Dann wiederholt sie den Dualismus aus der Perspektive des Menschen, kann den Gedanken aber nicht zu Ende bringen, weil sie vom Lehrer unterbrochen wird. Die Eindeutigkeit der Frage veranlasst sie wiederum, nur sehr vage das Objekt der Liebe bzw. des Hasses zu benennen. Im Anschluss an den Interakt 384 könnte Sw eine Erklärung versucht haben, warum Gott auch straft. Dahinter stände ein Gottesbild, das Gott als Person betrachtet. Man kann nicht beliebig Gott lieben, wenn man Glück hat und Gott hassen, wenn man Pech im Leben hatte. Das würde einem Automatismus gleichkommen, der ja in sozialen Beziehungen so auch nicht praktiziert werden kann. In dieser Lesart hätte Sw keinen neuen Dualismus produziert, sondern es wäre der Versuch, anhand verbindlicher sozialer Beziehungen das Handeln Gottes einschließlich der Möglichkeit zur Strafe zu deuten.

Des Weiteren könnte die Schülerin versuchen, die beiden angesprochenen Themen Gott/Teufel und Glück/Pech zusammenzubringen. Dieser Versuch wird dadurch unterbunden, dass der Lehrer das Thema wieder an sich bindet und seinerseits zu einer Kommentierung ausholt.

396 L Nun wird ja gerad’ auch bei uns in K. gewiß sehr viel vom Teufel geredet uns gesagt und getan, ne? Die Kids sind überall dabei und machen ihre Scherzchen damit. Die biblische Geschichte kennt sehr viele Geschichten, wo ein Teufel vorkommt oder wo der Teufel oder der Böse oder der Satanas oder was weiß ich, wie sie alle heißen, vorkommen und Gott eine Rolle spielt. Könntet ihr euch vorstellen, wer in diesen Geschichten gewinnt?
397 S Gott, was?
398 S… Das ist ja wie im Fernsehen

In Kontrastierung zu dem Gerede in K. und den ‘Scherzchen’ der Kids rekurriert L auf die Bibel. Er sagt damit nicht, dass er an den Teufel glaubt, insofern beantwortet er die Frage nicht direkt. Indem er aber auf die Bibel als Referenzrahmen verweist, macht er deutlich, dass für ihn aufgrund dieser Geschichten der Teufel als Ausdruck des Bösen in der Welt sehr wohl existent ist. Das wird als Tatsache hingestellt, die keines persönlichen Glaubensbekenntnisses bedarf. Der Teufel wird eingeführt als der Gegenspieler Gottes, was unmittelbar zu der Frage von Macht im Sinne von Sieg und Niederlage führt. Es geht also nicht um die Frage der Existenz des Teufels an sich, so wie das bei Gott der Fall ist, es geht gleich um die Frage, wer den Sieg davontragen wird, das Gute oder das Böse. Damit hat er sich um eine Schwierigkeit herumgemogelt, die theologisch darin besteht, dass Menschen zwar an Gott glauben können im Sinne von ihm vertrauen, nicht aber dem Teufel. An ihn kann man nicht glauben, weil ihm nicht zu trauen ist. Trotzdem ist der Teufel in der Bibel ein Faktum, das nicht zu negieren ist. Was man umgangssprachlich sehr wohl mit der Frage nach dem ‘Glauben an Gott und Teufel’ ausdrücken kann, ist bei genauerer Ausführung theologisch zu präzisieren. Diese Differenzierung hat der Lehrer mit seinem Rekurs auf die Bibel versucht einzuführen, ohne begrifflich den verschieden gelagerten Glauben zu klären. Indem er vorschnell auf die Frage von Sieg und Niederlage ausweicht, entbindet es ihn doch nicht von der uneingelösten Hypothek der Frage nach dem Glauben an Gott und Teufel.

Wenn dieser Lehrer eine Frage so stellt, dann kann es für die Schüler nur Gott sein. Das ist die richtige Antwort. Deshalb die etwas saloppe Antwort von S Gott, was?, die nicht unbedingt die Überzeugung dieses Schülers widerspiegeln muss. Es geht auch gar nicht um die Frage, ob Gott oder der Teufel gewinnen wird. Von Bedeutung ist die Frage, warum Gott gewinnt.

399 L Weißt du auch, warum Gott gewinnen kann?
400 Sw … weil er, der hat eine solche … Machtstellung. Das ist mit dem Herzen …
401 L Gott gewinnt, weil er gut ist, habe ich das richtig verstanden?
402 S Das Böse ist … eben hier
403 L Hier mag es einem manchmal schon so vorkommen, als ob die Bösen die Stärkeren wären, und wenn ich lese und höre, daß Gott gewinnt, Stefan
404 Sm Ja
405 L dann regt mich der Teufel nicht mehr auf.

Nachdem der Lehrer wieder eine dualistische Sichtweise aus den Antworten der Schüler herausgehört hat, wird er in Interakt 402 von S korrigiert. Er versucht, das Gespräch wieder auszuweiten, indem er allgemein über das Böse philosophiert. Das Böse wird zu einer eigenständigen Kategorie, das konstitutiv ist für die Welt und das sich nicht unbedingt in Gegenüber zu einem Guten reproduzieren muss.

Diese Ausweitung gelingt nicht, denn die Erwiderung des Lehrers führt in eine Engführung, die so für den Gesprächsgang nicht notwendig gewesen wäre. Es hat den Anschein, als ob der Lehrer den Einwand des Schülers gar nicht zur Kenntnis und noch weniger verstanden hätte. Er steigert die Engführung noch, indem er das Böse personalisiert in die Bösen.

Allerdings gelingt ihm nun über diese Engführung eine Antwort auf die ihm direkt gestellte Frage, ob er an den Teufel glaube. Er muss an ihn nicht glauben, obwohl auch für ihn existent, denn Gott hat den Teufel besiegt. Das ist die alles entscheidende Tatsache. Gott ist stärker, also muss an die Macht des Teufels nicht geglaubt werden.

Mit der Engführung auf den Dualismus der Macht handelt sich der Lehrer allerdings Schwierigkeiten in Bezug auf die eindeutige Option Gottes ein. Er kann nicht in jedem Fall begründen, zudem dann, wenn an der Macht Gottes gezweifelt wird, warum er sich dann noch für Gott entscheidet. Das merken auch die Schüler sehr schnell, wie die weiteren Interakte zeigen werden.

406 Sm Und was, wenn der Gott gewinnt? Regt sich der Teufel auf!

Die rhetorische Frage bezweckt zweierlei. Erstens wird offengelassen, ob Gott tatsächlich gewinnt. Das ist noch eine Hypothese. Zweitens ist damit der Machtkampf nicht beendet, denn es provoziert eine Gegenreaktion des Teufels.

Aus der Sichtweise des Gleichheitsprinzips und einer dualistischen Denkweise kann Gott nicht allein gedacht werden. Notwendigerweise muss immer der Gegenpart dazugedacht werden. Das bedeutet, dass beide Parts, dass beide Prinzipien in der Balance gehalten werden müssen. Es wird gefährlich, wenn eine der beiden Seiten die Oberhand gewinnt. Erst die Balance nivelliert den ewigen Streit um Sieg und Niederlage. Diese Sichtweise kann zu zwei verschiedenen Lösungsversuchen führen:

Die radikale Lösung wäre der endgültige Sieg einer Partei über die andere, in dem die unterlegene Partei ausgelöscht wird. Diese Lösung liegt dem Konzept des Lehrers zugrunde.
Die magische Lösung wäre eine Indifferenz gegenüber dem Guten und Bösen. Denn wer sich um Gott zu sehr kümmert, reizt den Teufel und stärkt das Böse – oder umgekehrt. Es geht darum, das Böse und das Gute in der Balance zu halten. Diese Lösung könnte hinter der Frage des Schülers stehen bzw. er könnte mit dieser Frage auf die Konsequenz dieser rein dualistischen Sichtweise aufmerksam machen.

414 Sw Was ist jetzt dann – mit dem Unglück
415 Sst
416 Sw Was ist jetzt, wenn wir umgekehrt denken … zum Beispiel daß der sagt, der Teufel, daß wir denken, der ist gut und Gott ist bös’, daß man falsch denkt, … falschen Glauben aufgenommen hat, wenn man … der Teufel ist gut, der Gott ist bös’ und so, und wenn man Glück hat, dann sagt man, der Teufel hat das gemacht, oder so, daß man im Lotto gewinnt oder so.

Mit einem Gedankenexperiment wird der Lehrer mit seinen eigenen Waffen geschlagen. Die Schülerin nimmt die eingeführten Kategorien von richtig und falsch auf, vertauscht aber innerhalb dieses Systems die Zuständigkeiten von gut und böse. So wie der Lehrer die Frage nach Gott und die Frage nach gut und böse eingeführt hat, ist dies ohne Schwierigkeiten möglich. Was für den Lehrer Gewissheit, daran zweifelt die Schülerin, allerdings sehr vorsichtig noch mit dem Attribut falsch versehen. Es sei zwar falsch anzunehmen, dass der Teufel das Gute und Gott das Böse verkörpere, aber man könnte ja einmal annehmen, dass dem so sei. Welche Konsequenzen hätte dies? Damit macht Sw auf die Schwierigkeit aufmerksam, die Problematik ausschließlich funktional aus der Perspektive der Macht zu betrachten. Denn das würde bedeuten, dass ich mich wie ein Wendehals immer auf die Seite des Stärkeren schlagen muss, um zu überleben. Wer die größte Macht hat ist beliebig. Wichtig ist nur, dass ich mich auf der richtigen Seite befinde. Und wenn dem so ist, dann kann ich mir auch nie ganz sicher sein, wer wirklich in dem Kräftespiel als Sieger hervorgehen wird. Ich muss Vorkehrungen treffen, um notfalls rechtzeitig den Absprung auf die andere Seite zu schaffen.

Indirekt wird damit der Lehrer gefragt: Bist Du immer auf der Seite des Siegers? Was wäre, wenn Gott verlieren würde? Würdest Du dann auf die Seite des Teufels wechseln? Sw kritisiert die einseitige Bindung an die Macht unter Ausblendung der Person. Indem sie den Dualismus des Lehrers aufnimmt und die Seiten verkehrt, zeigt sie dessen Absurdität auf.

417 L Grad’ wollt ich sagen, wende das auf die Geschichte an, daß ich im Lotto gewonnen habe, hängt daran, daß
418 Sw daß … der Teufel das gemacht hat
419 L weil ich vorher – alles Mögliche getan habe, um den Teufel anzubeten.
420 S Ja

Es scheint eine Strategie des Lehrers zu sein, alle entscheidenden Argumente zu subsumieren. Es ist ihm schon alles bekannt, er kann nur nicht alle Argumente auf einmal ausführen. Damit hat er einen scheinbaren Vorsprung gewonnen und muss auf das Gedankenexperiment von Sw nicht angemessen eingehen, sondern braucht es nur auf das Dilemma anwenden. Dass er damit den Vergleichspunkt nicht trifft, – denn es geht ja um den Seitenwechsel von Gut und Böse an den jeweils anderen Gegenpart und nicht darum, dass die arme Frau die Seiten gewechselt hätte, – ficht ihn nicht an. Wichtig ist, dass seine Position gerettet ist, denn es liegt auf der Hand, dass man durch die Beschwörung des Bösen erst auf die Idee kommt, gut und böse zu vertauschen und damit den Teufel zum Zuge kommen zu lassen. Der Lehrer beruft sich auf christlich-religiöse Selbstverständlichkeiten. Denn welcher Christ käme auf die Idee, so seitenverkehrt zu denken und zu handeln. Am Kern des klugen Einwands der Hauptschülerin zielt er allerdings vorbei. Es gelingt ihm aber eine Diffamierung des Satanskults, der sich diese Verdrehung zu eigen gemacht hat.

Deutlich wird in dieser Sequenz, dass ein Dualismus die Tendenz zu magischen Vorstellungen fördert. Welcher Art von religiösen Deutungen sind in der Lage, einen anderen Weg einzuschlagen?

421 Sm Dürfte vielleicht …
422 l Andreas
423 Sm Das Böse ist …
424 L Laut noch einmal, ich hab das nicht verstanden
425 Sm Das Böse ist ausgekochter, also
426 S klüger
427 S besser organisiert

Die Schüler verstärken die Argumentation von Sm in I 416 und bringen den Lehrer damit noch mehr unter Druck. Die schlichte Argumentation des Lehrers reicht nicht aus, denn das Böse sei mächtiger, nicht im Sinne von nackter Gewalt, sondern es stellt sich raffinierter dar. Es ist anspruchsvoller, dieses gut organisierte Böse zu erkennen, im Gegensatz zu plumper Gewalt, die sich nicht verbergen kann.

428 L Aha, wir reden im Religionsunterricht meist von Gott, von guten Dingen. Stefan meinst du, wir sollten im Religionsunterricht auch von den anderen Dingen reden?
429 S Ja
430 Sm Von den bösen
431 Sm Ja, logisch
432 Sw Nein
433 Sm So mal Aufklärung
434 S Ja genau, das wär’s
435 Sw

Zwei Lesarten sind in diesen Interakten enthalten:

Es wird im RU immer nur über das Gute und von Gott geredet. Es gibt in der Welt aber auch das Böse. Die Schüler haben den Wunsch, über das Ganze der Welt, zumindest auch über die andere Seite zu diskutieren und darüber informiert zu werden. Dazu tendiert I 433 So mal Aufklärung
Die Schüler wollen Informationen über das Wissen Eingeweihter. Das kann bis zu dem Wunsch gehen, selbst in die Geheimnisse des Bösen eingeweiht zu werden. Das wird von der Schülerin in I 432 abgelehnt.

436 L Nicht so. Wenn ich hier im Religionsunterricht viel hier von Gott erzähle – jetzt schon seit 7 Jahren –
437 S Oh Gott
437 S Mhm, mhm
438 L wo erfährst du denn etwas über das Andere, meinetwegen jetzt über das, was du Teufel nennst, und das Böse

Der Wunsch der Schüler wird abgewehrt. Denn auf der dualistischen Folie von Gut und Böse betrachtet ist es nicht die Aufgabe des RU, über das Böse zu reden. Über das Böse wird an anderer Stelle geredet und es wird auch an anderer Stelle erfahren. Der Lehrer hat die zweite Lesart aus den Aussagen der Schüler gewählt und macht deutlich, dass der RU nicht dazu beitragen soll, das Böse noch weiter zu verbreiten, weder mit Hilfe von Insiderwissen noch über Aufklärung. Damit hat ihn die weiter oben von den Schülern thematisierte Balance zwischen Gut und Böse selbst eingeholt. Aus Angst vor der Übermacht des Bösen muss dieses vermieden und verschwiegen werden, damit das Gute – zumindest in abgesteckten Räumen und Bezirken – erhalten bleibt.

440 Sm Nirgends
441 L Wo holst du dir die Informationen, Gertrud, du weißt doch einige
442 Sw Ja, wo ich’s herhab, es spricht sich ‘rum und so und da gibt’s doch auch so’n Buch Gerücht und Vorhersagungen, so Wahrsager …
443 l Ich glaube Gelächter
444 L an das Böse oder ich glaube an das Gute
445 S reden im Hintergrund
446 L Ich wünsche mir, ich wünsche mir schon, daß wir eher sagen würden, nicht nur ich, sondern ihr auch: Ich glaube an das Gute …

Die Sortierung in gut und böse wird vorgeführt, indem Gertrud aufgefordert wird, von ihren Informationen über Okkultismus zu berichten. Dem Lehrer muss bekannt sein, dass Gertrud über einschlägige Informationen und wahrscheinlich auch eigenen Erfahrungen diesbezüglich verfügt. Die Antwort der Schülerin erlaubt ihm, nochmals zwischen dem Glauben an das Gute und dem Glauben an das Böse zu trennen. Die Intention der Aussage legt im bisherigen Kontext der Unterrichtsstunde nahe, das Gute in der Person des Lehrers und das Böse bei Gertrud zu suchen.

Die Schüler wollten dem Lehrer nahelegen, dass der eindeutige Dualismus nicht funktioniert. Der Lehrer geht aber über diesen Dualismus nie hinaus. Zweifel werden eliminiert und Andersdenkende diffamiert. Denn wer an der Mächtigkeit Gottes zweifelt, der ist auf der falschen Seite und wird an das Böse glauben. Deshalb gerät ihm die Formulierung seines Unterrichtsziels zu einem frommen Wunsch: Ich glaube an das Gute.

Der einfache Dualismus zieht sich durch den Unterricht, verbunden mit pädagogischer Schlichtheit, die sich in der Aneignung von Richtigkeiten ausdrückt. Wenn auf die Fragen von den Schülern eingegangen wird, dann über ein dualistisches Fragemuster und im Duktus des Abfragens von Richtigkeiten.

Korrespondenz von Weltbild und pädagogischer Kompetenz

Als Persönlichkeit scheint der Lehrer von einem dualistischen Glauben überzeugt zu sein, frei von Zweifeln und von Mehrdeutigkeiten. Er scheint außerstande, eine Gegenposition einzunehmen und einen Sachverhalt aus dieser anderen Perspektive zu betrachten.

Es gibt für ihn zwar nicht nur das Gute, aber er steht immer auf der Seite des Guten. Das macht ihn frei von Zweifeln. Diese Position unterscheidet sich grundlegend von jener des pädagogischen Ethos, bei der ja gerade der Zweifel und Perspektivenwechsel, das Übernehmen der Rolle des Anderen konstitutiv dazugehört.

Die Schüler sind in dieser Beziehung viel näher an einem naturwüchsigen pädagogischen Ethos. Ihre Fragen und ihre Erwiderungen auf die Zumutungen des Lehrers eröffnen eine Perspektive, die eine Überwindung des Dualismus ermöglicht. Dabei sind sie sehr wohl in der Lage, die grundlegenden Kategorien für Zufall und Notwendigkeit – so wie die Schüler in der ersten Fallanalyse – zu entwickeln. Sie können sie jedoch nicht entfalten, da der Lehrer diese durch seine Kommentierung und Rückführung in einen Dualismus systematisch stört.

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