Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Einstellungen und Anforderungen

Die bewussten Einstellungen der SchülerInnen zum Prinzip der Produktivität und die Anforderungen, die der Produktionsapparat Schule an sie stellt, werden im Folgenden anhand von verschiedenen Sequenzen erörtert.

23.09.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Und welche Rolle spielt die Klasse beim Lernen – glaubst Du?
Deria: Ähm … keine Ahnung. Ich denk´ mal irgendwie jetzt zum Beispiel in uns´rer Klasse … ähm die machen zum Beispiel alle im Unterricht mit und die stellen sich auch nicht dumm und meine alte Klasse war halt eher so, denen war die Schule einfach egal und wenn der Lehrer rein gekommen ist, hamm halt die einen irgend´ne Hausaufgabe abgeschrieben, die ander´n hamm sich Zettel geschrieb´n, die andere hat mit´m Handy irgendwas gemacht und da hat irgendwie gar niemand im Unterricht aufgepaßt, außer so zwei, drei Streber unn dann hat man auch irgendwie keine Lust mehr auf Schule und dann paßt man sich so der Klasse halt an.

Derias Aussage verdeutlicht, welche große Bedeutung der Klasse als Ganzes und der durch sie geschaffenen Lernatmosphäre zukommt. Die gruppendynamischen Prozesse innerhalb der Klasse, die Zwänge und Notwendigkeiten, die für den Einzelnen aus der Situation entstehen, eben in diese Klassengemeinschaft eingebunden zu sein, haben wesentlichen Einfluss auf Derias Lernverhalten.
Weil in Derias vorheriger Klasse „außer so zwei drei Strebern“ niemand den Unterricht aufmerksam verfolgte, hatte Deria „auch irgendwie keine Lust mehr auf Schule“. Ihr mangelndes Interesse am Unterricht begründet sie mit ihrer Assimilation an die Klasse: „dann paßt man sich so der Klasse halt an“. SchülerInnen als weitgehend passive Rezipienten der Lehrveranstaltung erleben die Notwendigkeit sich verschiedenen Bedingungen anpassen zu müssen. Einerseits ist da der Lehrer und sein Lehrplan, andererseits ist da aber auch die Klasse, die einen freien Umgang mit diesem Angebot nicht zulässt, sondern ihrerseits Erwartungen an den Einzelnen und dessen Verhalten stellt.

30.09.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Welchen Stellenwert hat Schule in Deinem Leben?
Torben: Also schon, eigentlich schon, ähm, de´ erschte Platz eigentlich, weil des ja des wichtigschte is´.
I: Und warum?
Torben: Weil´s für´s spätere Lebe wichtig is´. Ausschlag gebend halt. Also, was ma´ zum Beispiel, was ma später mal erreiche´ kann, weil wenn ma hier, ähm, we´ma hier schlecht is´ , dann hat ma´ ja nur begrenzte Möglichkeite, also ma´ kann sich eigentlich hier sein, ähm, hier die…ähm, die Chance, daß ma´ später mal sicherlich ä Arbeit hat.
I: Mmh, weiß Du schon, was Du mal werden willst?
Torben: Ähm, eigentlich net. Eigentlich net direkt.
I: Sondern, indirekt?
Torben: Ähm, ähm mein, also mein Onkel, ähm, der is´ Betriebswirt, odder s…, der is Betriebswirt odder so – ich weiß net ganz genau, der arbeitet irgendwo bei Heidelberg, odder so, ich denk´ schon, daß ich da bei dem irgendwo in de Firma mal, bei dem also… könnt´ ich mir vorstelle.
I: Was ist das für eine Firma?
Torben: Ähm, ich weiß net, ähm, die sinn so für Zustellungen unn´, unn ähm Werkzeug odder so Arbeitsmaterialie sinn die zuständig und ähm… ja gut, ähm, keine Ahnung, ich weiß net genau odder net richtig, was er da macht, abeer. Er guckt halt, daß des alles richtig läuft, bestellt die Sache unn so. Unn er verdient net schlecht, des is des wichtigste eigentlich.

Auf die Frage welchen Stellenwert Schule im Leben der SchülerInnen hat, verwiesen die Antworten der SchülerInnen in Interviews immer wieder auf ihr zukünftiges Berufsleben bzw. diesbezüglich vielfältige Möglichkeiten und daraus resultierende finanzielle Sicherheit. Für Torben beispielsweise bedeutet Schule: „die Chance, daß ma´ später mal sicherlich ä Arbeit hat“. Oft zeigt sich diese Tendenz zu Arbeitsplatzsicherheit auch in Hinsicht auf die Berufsvorstellungen der SchülerInnen. Torben weiß gar nicht genau, was sein Onkel eigentlich genau macht, aber er kann sich vorstellen, dort auch zu arbeiten. Der Grund hierfür ist, dass sein Onkel dort „net schlecht verdient, des is des wichtigste eigentlich“. Schule ist wichtig aus Torbens Perspektive, aber nicht in dem Sinne, dass er sich für seine persönliche, ihn direkt berührende Lebenswelt oder Entwicklung etwas erwartet oder verspricht, sondern ausschließlich, weil schulischer Erfolg von ihm als Zugangsbarriere für eine wirtschaftlich gesicherte Existenz gesehen wird. Hier besteht offensichtlich ein breiter Konsens zwischen LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern.

14.10.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Welchen Stellenwert hat Schule in Deinem Leben?
Boris: Ähm ich hätt´n gern zimmlich hoch – sage ma´s mal so. Ich hätt´n gern an oberschter Stelle, abber ich krieg´s net ganz fertig, weil ich halt ne faule Sau bin. An oberschter Stelle wär er mir halt zimmlich wichtig, weil ich brauch´n für´s spätere Lebe brauch ich…die Schule.
I: Weißt Du, was Du mal machen willst später?
Boris: Nee, des noch net, abber da ich´s eben noch net weiß, will ich gugge, daß ich mir später jede Möglichkeit offe halte kann.

Auch für Boris sind die Möglichkeiten, die sich den SchülerInnen durch Schule bzw. den Schulabschluss eröffnen, von zentraler Bedeutung. Obgleich er nicht weiß, in welche Richtung er sich beruflich orientieren will, weiß er um die Wichtigkeit des Schulabschlusses: „weil ich brauch´n für´s spätere Lebe“.

07.10.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Welchen Stellenwert hat Schule in Deinem Leben?
Manuela: Also en ziemlich hohen, weil ich denk´ ohne Schule, dann is´ de Rescht vom Lebe is´eigentlich… ja ich weiß net, wenn ma so dumm is´ odder so, dann kriegt ma´ gar kei´ g´scheite Arbeit odder so unn dann will ich später dann auch net irgendwie als Müllmann irgendwo hocke odder so, des is´ dann schon scheiße.

Auch Manuela verweist auf die Bedeutung von Schule in Hinblick auf berufliche Möglichkeiten. Ihre Aussage belegt die Einstellung der SchülerInnen, dass man nicht um seiner selbst willen zur Schule geht und lernt, sondern aufgrund der sich daraus ergebenden beruflichen Chancen. Denn „wenn ma so dumm is´ odder so, dann kriegt ma´ gar kei´ g´scheite Arbeit“. Die Vermutung drängt sich demnach auf, dass Intelligenz bzw. Dummheit nur in Bezug auf berufliche und somit finanzielle Sicherheit relevant sind.

23.09.02 dritte Stunde, BK-Bereich
I: Welchen Stellenwert hat Schule in Deinem Leben?
Anna: Ähm … also zimmlich weit obe, weil ich denk´… ähm die Schule is ausschlaggebend für´s spätere Lebe unn so.
I: Weil?
Anna: Ähm, ich mein´ ma braucht ja schon än gute Abschluß, wenn man was erreiche will unn so.
I: Ähm, was ist des Wichtigste in Deinem Leben?
Anna: Ähm, Freunde und so. Und Familie.

Dieser Interviewausschnitt zeigt sehr deutlich, dass die Schule einen Lebensbereich betrifft, der sich völlig unterscheidet von dem was Anna in ihrem persönlichen Leben für bedeutungsvoll hält. Schule ist auch hier eine Investition in die berufliche Zukunft. Sie hat einen hohen Stellenwert, weil die wirtschaftliche Zukunft wichtig ist – sogar „ausschlaggebend“. Die klassischen Bildungsideale, die eine innere Beteiligung der Menschen am Bildungsgeschehen notwendig voraussetzen, könnten so – zumindest im Fall von Anna – nur im Raum der Familie und Freunde ihren Platz finden. Für die Schule haben sie – trotz Religions- oder Ethikunterricht – ihre Bedeutung – zumindest im Bewusstsein Annas – vollständig verloren.

07.10.02
In Ethik diskutierte die Klasse heute darüber, was Jugend ausmacht. Für die SchülerInnen war das vor allem Liebe, Sex, Drogen, Schönheit und Klamotten. Als Herr Mayer fragte, wie es denn mit Bildung und Ausbildung aussieht, sagten die SchülerInnen, daß es zu früh sei, sich Gedanken zu machen – schließlich gehe man ja noch 4 Jahre zur Schule.

Solange Schule nicht das individuelle Interesse, die Talente und Besonderheiten der einzelnen SchülerInnen berücksichtigt, wird die Orientierung für eine spätere Berufswahl erschwert. Einerseits wird Schule als Aufgabe verstanden, die es als Zugangsvoraussetzung für einen wirtschaftlich interessanten Beruf zu bewältigen gilt, andererseits sehen SchülerInnen inhaltlich keinen großen Zusammenhang zwischen diesen Bereichen. Nur so ist auch die Aussage der SchülerInnen verständlich, „daß es zu früh sei, sich Gedanken zu machen – schließlich gehe man ja noch 4 Jahre zur Schule“. An die reine Konsumption von prüfbarem Wissen gewohnt, sehen die SchülerInnen nicht weshalb sie sich kreative Gedanken machen sollten, wohin ihre Neigungen eigentlich gehen. Was ihr Leben bzw. ihre Jugend vor allem ausmacht, sind „Liebe, Sex, Drogen, Schönheit und Klamotten“.

18.10.02
Die Französischarbeit fiel sehr schlecht aus. Herr Berger sagte später zu mir, daß er erstaunt war, daß die Klasse die für ihn schockierende Klassenarbeit so gelassen hingenommen habe. Auch als die Klasse ein paar Wochen später einen ebenso schlechten Test mit dem Durchschnitt 4,5 zurück bekam, war keiner der Schüler schockiert. Herr Berger schon. Er sagte, das Schlimmste sei, daß aus dem Test das Fehlen wichtiger Grundlagen ersichtlich sei.

In der Gelassenheit der SchülerInnen über die schlechte Französisch-Klassenarbeit spiegelt sich die Einstellung zur Aufgabenverteilung zwischen SchülerInnen und LehrerInnen wider. Aus Sicht der SchülerInnen ist der schlechte Notendurchschnitt ein Indiz dafür, dass der Lehrer seine „Moderationsaufgabe“ nicht zufriedenstellend geleistet hat. Warum sollte sie das schockieren? Sie lernen sowieso nicht, weil der Lehrplan sie interessiert, sondern weil sie am Ende des Schuljahres versetzt werden möchten. Es gilt den Weg zum Abitur zu überstehen, die Noten sind dabei – zumindest für die SchülerInnen der 9ten Klasse – nicht sonderlich von Bedeutung. Lerninhalte sind demzufolge von LehrerInnen vorgehaltenes Wissen, das in Ansätzen verstanden und in Klassenarbeiten derart wiedergegeben werden muss, dass die Benotung schließlich zur Versetzung in die nächste Klasse und somit einen Schritt weiter in Richtung Abitur führt. Diese Einstellung tritt auch in Viviennes Aussage zu Tage, die einfach nur für sich selbst spricht, ohne einer weiteren Interpretation zu bedürfen:

23.09.02 vierte Stunde, BK-Bereich
I: Welchen Stellenwert hat Schule in Deinem Leben?
Vivienne: Hm, also ich denk´ Schule is schon wichtig, abber mir persönlich is eigentlich so mei Freizeit unn so eigentlich ä Stück wichtiger unn so, also ich find´ Schule is net alles. Unn ma muß ja net, ma.. also ich find´ es reicht, we´ma durchschnittlich is´ , ma muß net besonders toll, gut sei so.
I: Lernst Du in der Freizeit auch noch?
Vivienne: Also, we´ma nix uffkrigt habbe odder so, dann net. Also ich lern´ immer uff Arbeite unn Teschts unn so, odder wenn mir Vokabeln ähm abg´hört werre odder so, also dann uff jeden Fall, abber so daß ich mich dann mol so in de Ferie odder so freiwillig hinsetz unn dann was lern´, des is eher selte.

20.09.02 dritte Stunde, neue Aula
I: Und welchen Stellenwert hat Schule in Deinem Leben?
Fabienne: Also, ich muß ja hingehen @(.)@
I: Pflicht?
Fabienne: Ja, abber in der Ferie da merkt ma dann schonn daß ma gern widder hingehen würde.
I: Und warum?
Fabienne: Ja, weil ma da halt alle trifft, wo ma kennt unn die sieht ma in de Ferie dann net.

Auch für Fabienne ist Schule in erster Linie eine Art Pflichtveranstaltung. Das einzig Positive, was sie der Schulkultur abgewinnen kann, ist deren Funktion als soziale Begegnungsstätte, „ weil ma da halt alle trifft, wo ma kennt unn die sieht ma in de Ferie dann net“.

23.09.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Mmh. Welchen Stellenwert hat Schule in Deinem Leben?
Frank: Gute Frage. Eigentlich schon zimmlich hoch. Also meischtens sind´s natürlich sechs Stunde am Vormittag unn dann halt noch, was ich mittags so mach´, abber ich geb´s mir eigentlich schon, versuch´ zumindescht mir Mühe zu gebbe, weil ich will einfach än gute Abschluß krigge, des is mir wichtig.
I: Und warum isses Dir wichtig?
Frank: Äh, ich sag´, wenn ich kei Luscht hätt uff irgendwie lang´ in die Schule zu gehe, dann könnt´ ich auch auf die Hauptschule gehe, dann wär dies Jahr mei letschtes Schuljahr, dann kann ich anfange zu schaffe. Ich will einfach än gute Abschluß unn dann wahrscheins a noch studiern, daß ich einfach irgendwie genug Möglichkeite hab´ in de Zukunft was zu mache, weil mit Hauptschule, was will ich´n do groß mache? Do gibt´s eigentlich wirklich net mehr viel Berufe, die wirklich Zukunft hamm. Also, vielleicht uff de Bau gehen unn so, zum Inascht, abber also, des möcht ich net so unbedingt.
I: Weißt Du mal, was Du mal werden willst?
Frank: Ich… also, äh, die ganz Zeit wollt´ ich also mehr so in die Richtung von meim Vadder, Programmierer odder so was werde, abber jetzt streb´ ich mehr so Manager, Mamagement so mäßig an. Weil ich denk´ Manager wer´n immer gebraucht, bei irgendwelche Firme oder so odder überhaupt, wer´n eigentlich auch benöticht unn des is eigentlich auch än Job, der fordert einen zwar auch viel, da muß ma viel arbeite unn sich viel drum kümmern, abber, ich denk´ ma verdient gutes Geld unn es is eigentlich a, es macht eigentlich, denk´ ich mal, a Spaß, wenn man do so ä gewisse Position hatt in de Firma, oder so. Stell´ ich mir einfach gut vor.

Frank hebt ebenfalls die in Dependenz zueinander stehenden Faktoren Schulabschluss, berufliche Möglichkeiten und finanzielle Sicherheit hervor. Franks Augenmerk ist auf einen guten Schulabschluss ausgerichtet, der wiederum berufliche Möglichkeiten eröffnet, um sich finanziell abzusichern. Für den Beruf an sich scheint dasselbe Prinzip wie für Schule zu gelten: Die Leistungsvorstellung ist ausschließlich an eine Zielvorstellung geknüpft – im Falle des Berufs an den Verdienst – vor dem eigentlichen Interesse an der Tätigkeit. Ob sich Frank für den Job des Managers tatsächlich interessiert ist offen, für ihn sind diesbezüglich vor allem die Faktoren Arbeitsmarktlage („ wer´n eigentlich auch benöticht“) und der Verdienst („ma verdient gutes Geld“) von Bedeutung. Den Spaßfaktor nennt er lediglich in Zusammenhang mit einer hierarchisch übergeordneten Stellung innerhalb der Firma („es macht eigentlich, denk´ ich mal, a Spaß, wenn man do so ä gewisse Position hatt in de Firma“), abgesehen von der Tatsache, dass er den Eindruck vermittelt nicht wirklich zu wissen, was eigentlich zu dem Aufgabengebiet eines Managers gehört.

13.11.02
Herr Hofstätter wollte von der 9b wissen, was sie über die Pläne zur Ganztagsbetreuung denkt. Die SchülerInnen waren aber nicht sehr mitteilungsfreudig. Torben sagte am Montag nach der Besprechung über die Ganztagsbetreuung im BK Unterricht bei Herrn Guppi: „So kriegt man die Stunde auch rum.“ Während Herr Hofstätter also das Gespräch suchte, machten die SchülerInnen Hausaufgaben, schrieben Zettel, spielten auf dem Handy unter den Tischen Spiele etc.

Das Interesse der SchülerInnen, Schule lediglich zu überstehen und die Stunden auszusitzen, erklärt ihre mangelnde Teilnahme an dem Gespräch über Pläne zur Ganztagsbetreuung, das Herr Hofstätter mit ihnen sucht. Diese Einstellung der SchülerInnen wird durch Torbens Aussage „so kriegt man die Stunde auch rum“ verstärkt. Unterrichtsinhalte jeglicher Art sind aus Sicht der SchülerInnen nebensächlich. Es gilt, möglichst schonend den Schulalltag zu „überleben“, was sich auch in der nächsten Feldnotiz dokumentiert:

22.11.02
In der 5ten Stunde Biologie herrschte große Langeweile, weil Herr Dr. Behringer einen Film zeigte, den die Klasse schon einmal gesehen hatte. Aber er bemerkte den Irrtum nicht. Den SchülernInnen kam das sehr gelegen, so konnten sie sich einfach 45 Minuten auf ihre Tische legen und mußten gar nichts tun. Sie klärten den Irrtum nicht auf.

Anstatt den Irrtum Herrn Dr. Behringers aufzuklären und dadurch die Chance zu erhalten, Neues zu lernen, freuen sich die SchülerInnen über eine Auszeit von 45 Minuten, in denen sie nichts tun müssen. Außerdem freuen sie sich an ihrem überlegenen Wissen, gegenüber Herrn Dr. Behringer – eine Art Schadenfreude, um die sie sich selbst gebracht hätten, wenn sie dem Lehrer gegenüber den Irrtum aufgeklärt hätten.

02.12.02
Torben sagte in Musik zu mir: „Wenn man sich überlegt, was man in der Zeit alles sinnvolles hätte tun können.“

Da der aktive Teil im alltäglichen Unterricht von LehrerInnen gestaltet wird, liegen die an die SchülerInnen gestellten Anforderungen vor allem im Zuhören, Mitschreiben und eher selten in ihrer Mitarbeit durch Meldungen oder Aufgerufen werden. Diese Unterrichtsform ermüdet SchülerInnen mit der Zeit, die Konzentration schwindet und viele der „vor sich hinduselnden“ ZuhörerInnen erleben den Unterricht, den sie nicht mehr verstehen als sinnlos und langweilig. Gerade in Fächern, die für einen erfolgreichen Schulabschluss keine große Bedeutung haben, wie beispielsweise in Musik, BK etc., zeigen SchülerInnen häufig nur wenig Begeisterung. Wo sie kein echtes Interesse an den angebotenen Inhalten aufbringen können und die Lernmotivation ausschließlich durch die Gefahr, nicht versetzt zu werden, erzeugt wird, bricht der Lerneifer zwangsläufig in Fächern ein, die in dieser Hinsicht keine große Gefahr darstellen.

24.01.03
Vor der vierten Stunde wurde Herr Hofstätter noch von Herrn Fuchs wegen der Versetzung von Jan aus der 9b angesprochen. Auf dem Weg zum Klassenzimmer der 8d meinte Herr Hofstätter dann zu mir, daß die 5er in Musik, BK und Geschichte mehr über Jans Lernverhalten aussagen, als die 5 in Latein.

LehrerInnen, die ja nicht umsonst gerade die Fächer, die sie unterrichten, ausgewählt haben, bringen die Tatsache, dass sich SchülerInnen für diesen – aus ihrer Sicht sehr spannenden – Unterrichtsstoff nicht per se interessieren, wenig Verständnis entgegen. Es spielt daher natürlich keine Rolle, ob es sich um ein Haupt – oder Nebenfach handelt, es ist ihr Fach. Wenn Jan in einem Haupt- und drei Nebenfächern die Note Fünf hat, dann zeigt das, dass ihm jede Art von Motivation fehlt. Herr Hofstätters Aussage, Jan nehme die Schule nicht ernst genug, bedeutet, dass Jan die grundlegenden Spielregeln nicht akzeptiert: Wenn schon die Lerninhalte selbst nicht interessieren, dann muss der Schüler zumindest die Frustrationstoleranz und Selbstdisziplin mitbringen, die es ihm erlaubt, trotzdem das „Produktionsziel“ zu erreichen.

23.09.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Und die Schule, welchen Stellenwert hat die in Deinem Leben?
Deria: Für mich ist die Schule, also war´s sie´s erst sehr, sehr wichtig und ich war immer so, zum Beispiel in der Grundschule voll die kleine Streberin unn dann in der fünften Klasse hat´s dann angefangen: Mathe schlechter geworden und dann so in der 8ten Klasse bin ich dann richtig schlecht geworden, weil ich halt falsche Freunde hatte und so. Schule ist eigentlich schon echt wichtig, weil für die Zukunft und alles.
I: Mmh. Meinst Du es war einfach auch, weil mit der fünften Klasse Du einfach auch andere Interessen hattest und des eben in der Schule eben nicht erfüllt wird?
Deria: Mmmh. Und… ich weiß nicht, als ich hier auf die Schule gekommen bin in der Fünften, war´s so, da hamm se einen gleich wie so ´nen Erwachsenen behandelt und ich war erst 10 und da is man noch ´n Kind. Und in der Grundschule war des immer noch so… hah ganz schön und lustig und auf einmal muß man sich anstrengen und lernen und darf man keinen Fehler machen und…des war halt schon irgendwie komisch.

Wie die anderen SchülerInnen im Interview, weist auch Deria auf die bereits mehrfach genannte Bedeutung von Schule für die eigene Zukunft hin. Im Vergleich zur Grundschule, wo es „ hah ganz schön und lustig“ war, empfand sie die an sie gerichteten Anforderungen am Gymnasium als anstrengend. Zehnjährige Kinder werden dort wie „Erwachsene behandelt“. Den Übergang von der Grundschule auf das Gymnasium erlebte Deria aus diesem Grund als starken Umbruch: „auf einmal muß man sich anstrengen und lernen und darf man keinen Fehler machen. Was das Gymnasium von der Grundschule also hauptsächlich unterscheidet, ist die plötzliche Allgegenwärtigkeit einer Leistungs-Orientierung, die sich in der Forderung „keine Fehler machen“ zu dürfen manifestiert. Der Spaß ist vorbei, der Ernst beginnt!

14.10.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Was bedeutet Schule für Dich?
Micha: Arbeit…also auf manche Tage freu´ ich mich halt, weil ich da denk´, ja gut da muß ma net so viel arbeite jetzt, abber an manche Tage will ich eigentlich gar net in die Schul, weil ich weiß daß mir voll die anstrengende Fächer habbe.

Wie Deria empfindet auch Micha den Schulalltag am Gymnasium als anstrengend. Er beklagt den Arbeitscharakter, der die unangenehmen Schultage seines Erachtens auszeichnet. Seine Freude an der Schule steht in umgekehrter Korrelation zum Grad der Anstrengung, die er zu leisten hat. Demzufolge will er an Tagen mit anstrengenden Fächern, „eigentlich gar net in die Schul“. Micha erlebt den Schulalltag überwiegend als „produktionsorientiert“ und freudlos. Nur auf Tage, an denen er „net so viel arbeite“ muss, kann er sich freuen.

20.09.02 dritte Stunde, neue Aula
I: Gut. Und ansonsten, wie die Schule funktioniert, also mit den Stunden und so, findest Du das sinnvoll? Ich mein´ so wie am Montag zum Beispiel, als Du das Gefühl hattest, ihr habt den ganzen Tag nix gelernt.
Charlotte: Haja, ich mein vier Nebenfächer, wo eh nur keine gscheiten Lehrer irgendwie drin sinn unn, ähm, dann zwei Hauptfächer am Ende – des bringt´s auch net. Also dann schläft man die erschten vier Stunden unn dann in der fünften Stunde wacht man so langsam auf unn in der sechsten Stunde is man dann erscht so halber wach unn dann is die Schule auch schonn widder vorbei – also des bringt´s auch irgendwie net.

Die Verbindung von Nebenfächern und „keine gscheiten Lehrer“ erscheint Charlotte besonders unattraktiv. Nachdem sie vier Stunden lang den Unterricht der Nebenfächer „verschlafen“ hat, kommt sie auch in den letzten beiden Stunden nicht mehr so richtig in Form. Die oben angesprochene Einstellung gegenüber Haupt- und Nebenfächern findet sich auch hier bei Charlotte. Nebenfächer sind von vornherein nicht besonders interessant – völlig unabhängig davon, wovon sie inhaltlich handeln. Eine etwas größere Rolle spielt hier noch der unterrichtende Lehrer. Koindiziert das Nebenfach jetzt mit einem „gscheiten“ Lehrer, kann es für Charlotte nur noch darum gehen, den langweiligen Vormittag irgendwie zu überstehen.

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