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Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

In einer qualitativen Untersuchung wurden Studierende des Lehramts Haushaltslehre zu den Zielsetzungen ihres künftigen Unterrichts befragt. In den Antworten hat sich gezeigt, dass die Studierenden die Haushaltslehre als ein „praktisches“ Fach ansehen und dem „Praktischen“ in Studium und Schulunterricht maßgebliche Bedeutung zumessen. Mit den Termini „praktisch“ oder „Praxis“ werden dabei sehr unterschiedliche Vorstellungen und Konzepte verbunden; Studierende äußeren in diesem Kontext u.a. vielfaltige Erwartungen an fachwissenschaftliche, fachdidaktische sowie fachpraktische Studien und deren Verknüpfung.
[…]
Ergiebige Ausführungen zu „Theorie“ und „Praxis“ sowie ihren möglichen Zusammenhängen finden sich weniger in den schriftlichen Äußerungen der Studierenden als in den mündlichen (1). Im Zentrum der Interpretation stehen zunächst Passagen aus dem Interview mit „Pia“ (2) (10. Semester, Lehramt für Realschule). Pia hat sich sehr ausführlich zu „Theorie“ und „Praxis“ in der Haushaltslehre geäußert. Aus ihren Aussagen lässt sich ein „Praxis“- Verständnis rekonstruieren, das verschiedenste Facetten aufweist, von denen einzelne auch in anderen Interviews und Manuskripten wiederzufinden sind. Im Hinblick auf mögliche Relationierungen zwischen „Theorie“ und „Praxis“ an der Hochschule sollen Pias Aussagen noch ergänzt werden durch Äußerungen von „Sandra“ (6. Semester, Lehramt für Realschule).

„…und dann gibt’s irgendwie das praktische Leben. „
Pia ist im 10. Semester und hat im Laufe ihres Studiums zahlreiche Seminare in ihrem Hauptfach Haushalt/Textil belegt; im Nachhinein äußert sie jedoch deutliche Unzufriedenheit:

[a] „Ja, das war so schematisch: Wir haben jetzt ’ne Küche und richten die ein, und dann haben wir jetzt ’n Küchenschrank und ’n Kühlschrank und, was ich dann noch ‚mal interessant fand, war, ja gut, in welche Richtung müssen die Türen geöffnet werden, und dann gibt’s Sicherheitsbestimmungen, die eingehalten werden müssen. Aber das ist halt ’ne sehr theoretische Seite, und dann gibt’s irgendwie das praktische Leben: Wie: Ich hab‘ jetzt Tisch, Schrank, Bett, Stuhl und Schreibtisch und wie kann ich die Sachen einfach sinnvoll verknüpfen?“ (Pia, 11). (3)

Pia bezieht sich auf eine Veranstaltung zur „Wohnökologie“, in der offensichtlich eine aus ergonomischer Sicht angemessene Einrichtung der Küche thematisiert wurde. Zunächst mag der von Pia entworfene Dualismus zwischen „Theorie“ und „Praxis“ an dieser Stelle überraschen, da Regeln bzw. Ratschläge, die sich auf die Einrichtung von Küchen beziehen, keineswegs „theoretisch“ im Sinne von ‚abstrakt‘ erscheinen, sondern als „praktisch“ im Sinne von konkret und lebensnah. Pia kritisiert die Inhalte bzw. die Art ihrer Darstellung als „schematisch“. An späterer Stelle wird „schematisch“ mit der ,,theoretische(n) Seite“ gleichgesetzt und mit dem ,,praktische(n) Leben“ kontrastiert. „Schematisch“ und „theoretisch“ gehören zusammen und gelten als Gegenpole zu ‚alltags- oder lebensnah‘. Nach dem Duden (1996) ist „schematisch“ mit „routinemäßig“ und „mechanisch“ zu umschreiben und jene Erklärung kam auf eine mögliche Lesart für Pias Bedeutungskonstruktionen hinweisen.
Diese Lesart verknüpft den Terminus „schematisch“ mit dem wiederholt im Zitat angesprochenen „müssen“ und versteht ihn im Sinne des Dudens als Synonym für „mechanisch“: Gemäß Pias Vorstellung ist ein Teil der in der Veranstaltung präsentierten fachwissenschaftlichen Inhalte mit einem Regelkatalog gleichzusetzen, der im Alltag exakt und mit einer gewissen Sturheit angewandt werden „muss“. Der Ausdruck „müssen“ beinhaltet den Zwang, den Pia mit fachwissenschaftlichen Inhalten assoziiert (4). Pias Deutung impliziert den vorgeblichen Anspruch der Fachwissenschaft, bei der Einrichtung einer Küche oder einer Wohnung seien unzählige Regeln wortgetreu zu beachten. Aber auch aus fachwissenschaftlicher Sicht würde dieser Anspruch an die Grenzen alltäglicher Machbarkeit, zur Überforderung der Beteiligten und zu unangemessenen Resultaten führen: In alltäglichen Problemsituationen wäre jeweils eine Vielzahl möglicher Normen tangiert, deren vollständige Erfüllung nahezu ideale Bedingungen voraussetzte. Aus der Perspektive der Fachwissenschaft sind folglich jeweils Transformationsprozesse im Sinne von Abwägungen, Modifikationen, Kompromisse etc. fachwissenschaftlicher Inhalte vorzunehmen, um den spezifischen Anforderungen der Situation gerecht zu werden. Solche Veränderungen zieht Pia tendenziell nicht in Betracht; sie neigt dazu, von enggeführten Anwendungsvorgängen auszugehen und lehnt fachwissenschaftliches Wissen vor diesem Hintergrund eher ab. Im Kern richtet sich ihre Kritik also gegen den vorgeblichen Zwangscharakter eines Regelwerkes, dessen Umfang und Anspruch ihr im Alltag als wenig sinnhaft erscheint.
Eine zweite Lesart fokussiert das Ende des Zitats: Gemäß Pias Erfahrung geht es im ,,praktische(n) Leben“ darum, einzelne vorhandene Möbelstücke „einfach sinnvoll (zu) verknüpfen“. Im Alltag ist es nach Pias Ansicht also nicht ausschlaggebend, sich bei der Einrichtung einer Wohnung an bestimmte Regeln zu halten, sondern es gilt, zu experimentieren und verschiedene Varianten zu erproben, bis ein Ergebnis erreicht wird, welches den Ansprüchen der Betroffenen genügt. Fachwissenschaftliche Regeln wirken hierbei hinderlich, sie widersprechen in Pias Augen dem gesunden Menschenverstand und verkomplizieren „einfache“ Problemlösungsprozesse in unnötiger Weise. Pia hat nicht im Blick, dass es gerade in der Absicht von Regeln oder Ratschlägen liegen könnte, „sinnvolle“ d.h. begründete Problemlösungen zu ermöglichen und hierzu auf vielfaltige Aspekte hinzuwiesen, die im Laufe solcher Prozesse nicht übersehen werden sollten. Sie scheint nicht zu erwägen, dass fachwissenschaftliche „Theorie“ im Alltag als Erklärungs- oder Orientierungswissen angesehen werden kann.
Neben den beiden skizzierten ist noch eine dritte Lesart in Betracht zu ziehen. Sie setzt ebenfalls an der Gegenüberstellung von „Theorie“ und „Praxis“ an und vergleicht die jeweils angedeuteten Vorgehensweisen: Im Rahmen der von Pia konstruierten ,,theoretische(n) Seite“ wird von einer leeren Wohnung bzw. Küche ausgegangen und empfohlen, welche Einrichtungsgegenstände zu beschaffen und wie sie anzuordnen sind. Im „praktischen Leben“ hingegen ist nach Pias Erfahrung ein anderes Vorgehen üblich: Die Einrichtungsgegenstände sind bereits vorhanden und die Wohnungsinhaber/innen müssen sich mit diesen arrangieren und sie bestmöglichst kombinieren. Pia hat dabei möglicherweise die Situation im Auge, die sie selbst zu Beginn des Studiums erlebt hat: Studierende (oder Auszubildende), deren Familien und soziale Netzwerke über bereits benutzte und nicht mehr benötigte Gebrauchsgegenstände verfügen, dürfen/müssen sich aus einem vorhandenen Fundus bedienen und in diesem Rahmen ihre Wohnung gestalten. Ob Pias Konstrukt mit Blick auf ihre künftige Klientel an der Realschule tatsächlich realitätsnäher ist, kann nicht beurteilt werden. Aber auch unter den von Pia anvisierten Umständen erwiese es sich als hilfreich, fachwissenschaftliche Aspekte zu berücksichtigen und sie, gegebenenfalls situationsadäquat zu modifizieren.
Alles in Allem legen die verschiedenen Lesarten ein Verständnis von fachwissenschaftlicher „Theorie“ nahe, das diese, obwohl es sich um konkrete Ratschläge handelt, aus verschiedenen Gründen als wenig anwendungstauglich erscheinen lässt. „Praxis“ wird mit Alltags- oder Lebensnähe gleichgesetzt.

„…wie können wir das denn überhaupt anwenden in der Praxis…? „

[b] „Und was ich beim Studium auch wichtig find‘, das, sind, oder was was mir hilft, sind einfach auch diese Hinweise, da wird’s, da gibt’s in der Pr, in der Praxis Probleme, und achte da drauf, und hier ist vielleicht auch ~ne Möglichkeit, ‚mit umzugehen, das ist noch lang keine Lösung, kein Patentrezept, das find‘ ich gut. Was interessiert dann die Kinder in den verschiedenen Altersstufen? Also in Mathe wird da da ist es so klar einfach, man baut so klar aufeinander auf. Ja, und bei dem in der Klasse ist dann des und des Problem, wie können wir das denn überhaupt anwenden in der Praxis, was machen wir denn jetzt mit dieser Rechnerei? Wo macht das überhaupt Sinn? HW* ist ja wirklich was Lebensnahes eigentlich. Da kann man dann auch immer wieder in der Theorie drauf zurückzugreifen, ah ja, das machen wir jetzt mal höchst fachwissenschaftlich und dann können wir das in der Schule wiederholen, das kann man noch für- die Schule gebrauchen.“ (Pia, 32).

Wie in der Einleitung erwähnt, wünschen sich zahlreiche Lehramtsstudierende ein „praxisnahes“ Studium, wobei der Terminus „Praxis“ in der Bedeutung „Unterrichtspraxis“ benutzt wird. Auch Pia spricht hier diese Erwartung aus. Sie erhofft sich „Hinweise“ auf die Unterrichtsgestaltung und möchte hierbei u.a. über mögliche Schwierigkeiten bei der unterrichtlichen Transformation fachlicher Inhalte informiert werden sowie über potentielle Interessenlagen bzw. Motivationen der Schülerinnen und Schüler. Pia ist sich im Klaren darüber, dass von Seiten der Hochschullehrenden bzw. der Fachdidaktiken keine „Patentrezepte“ zu vergeben sind und dass didaktisches Handeln immer wieder neu situationsspezifisch generiert werden muss. Nichtsdestotrotz wünscht sie sich Hilfestellungen, und die Erfahrungen mit ihrem zweiten Fach, der Mathematik, bestätigen für sie die Berechtigung ihrer Erwartung: Hier hat sie offensichtlich bereits solche „Hinweise“ erhalten. Allerdings scheint dies auch mit der Mathematik als Fach zu tun zu haben: „Man baut so klar aufeinander auf“. Von fachwissenschaftlicher Seite aus sind die Inhalte nach Pias Überzeugung hier eindeutig strukturiert, linear und chronologisch geordnet, so dass die unterrichtliche Inszenierung sich eng daran anlehnen kann.
Außerdem demonstrieren Veranstaltungen der Mathematikdidaktik aus Pias Sicht offensichtlich, mit welchen Sinngebungen ihre Inhalte in Studium und Unterricht verknüpft werden können. Die „Rechnerei“ erscheint den Lernenden bedeutsam, wenn sie deren lebenspraktische Nützlichkeit einsehen. Nach Pias Meinung böte „eigentlich“ gerade die prinzipielle Lebensnähe der Haushaltslehre ergiebige didaktische Chancen. Doch dieses Potential bleibt in ihren Augen, wie schon im vorstehenden Zitat moniert, wenig genutzt. Aus Pias Sicht würde sich ein zweischrittiges Vorgehen anbieten, um fachwissenschaftliche Themen „sinnvoll“ an Studierende zu vermitteln und die Kluft zwischen „Theorie“ und „Praxis“ zu überwinden: In einem ersten Schritt sollten die fachwissenschaftlichen Inhalte dargestellt und in einem zweiten dann Möglichkeiten ihrer schulischen „Umsetzung“ aufgezeigt werden. Bei der unterrichtlichen Transformation sei wesentlich, dass die Alltagsrelevanz der Inhalte für die Schülerinnen und Schüler einsichtig werde.
In diesem zweiten Zitat benutzt Pia die Bezeichnung „Theorie“ als Synonym für fachwissenschaftliche Inhalte im Allgemeinen und spezifiziert sie nicht näher. „Praxis“ wird, anders als in der vorigen Textpassage, mit der künftigen Unterrichtspraxis als Lehrerin gleichgesetzt. Die Forderung nach „Praxisnähe“ ist in Zitat [b] folglich zunächst mit anderen Erwartungen verknüpft als in [a]. Danach aber werden beide „Praxis“-Bedeutungen miteinander kombiniert: Die lebensnahe „praktische“ Ausrichtung des Faches Haushaltslehre erlaubt auch die motivierende „praktische „ Umsetzung fachlicher Inhalte im Unterricht.

„…dass dann im Theorieteil die Leute abschalten und im Praxisteil dann von dem Theorieteil nur noch die Hälfte wissen… „

[c] „Vielleicht anders kochen mit den Kindern und Jugendlichen. Also sie auch mehr in den Prozess mit einbeziehen: Was wollen wir denn kochen? Gut, ob das jetzt in der Praxis nachher dann wieder so funktioniert, ist die Frage. Und mit was sie überfordert sind und was nicht. Aber dass es weniger vorgesetzt ist, dass dann im Theorieteil die Leute abschalten und im Praxisteil dann von dem Theorieteil nur noch die Hälfte wissen, also da muss es ’ne andere Verzahnung geben. Dann, dann. Und so war hat’s hier auch stattgefunden. Erst die theoretische Besprechung und dann gehen wir in die Praxis und in der Praxis stellt man einfach fest, so klappt’s nicht (…) Beim Kochen ist’s halt ’n ganzes Essen, dann schon wieder zuzubereiten, da kann man nicht sagen, so jetzt braten wir mal die Zwiebeln an, dann rennen wir jetzt wieder in ’n andern Raum, machen da noch mal die Theorie für die für Paprika und so weiter“ (Pia, 26£).

Pia formuliert Ideen zur künftigen Unterrichtsgestaltung, v.a. zur Nahrungs-zubereitung in der Haushaltslehre.
Einer ihre Vorsätze besteht darin, „dass es weniger vorgesetzt ist“: Pia sieht eine Möglichkeit zur didaktischen Innovation des Unterrichts darin, die Schülerinnen und Schüler stärker an diesem zu beteiligen. Solche Beteiligung der Heranwachsenden ist grundsätzlich auf zwei verschiedene Weisen denkbar: Sie könnte sich auf mehr Mitbestimmungsrechte der Lernenden beziehen oder auf eine stärkere Aktivierung während des Unterrichts. Die Fortsetzung des Satzes und der folgende Text lassen die letztgenannte Interpretation naheliegend erscheinen; Pia spielt vermutlich auf die, ihrer Meinung nach, passive Rolle der Schülerinnen und Schüler während des „Theorieteils“ an und möchte ihre Lerngruppe stärker aktivieren.
Für Pia gibt es offensichtlich eine strenge organisatorische Trennung zwischen „Theorieteil“ und „Praxisteil“. Sie sind zeitlich und sogar räumlich voneinander separiert. Während die in der Küche stattfindet, erfolgt die „Theorie“ in einem anderen Zimmer.
Der „Theorieteil“ ist außerdem als „theoretische Besprechung“ charakterisiert. Prinzipiell könnte dies bedeuten, dass Lehrende und Lernende sich im Gespräch austauschen – Pia aber geht von einer ganz und gar einseitigen Kommunikation aus, an der sich die Schülerinnen und Schüler nicht beteiligen: Sie „schalten ab“. Der technische Ausdruck verdeutlicht, dass sie keinerlei Aktivität auf Seiten der Heranwachsenden erwartet. Letztere ähneln einer abgeschalteten Maschine, die von der Außenwelt abgeschlossen und lediglich äußerlich anwesend ist.
„Theorieteil“
und „Praxisteil“ folgen aus Pias Blickwinkel zeitlich aufeinander. Diese Organisation korrespondiert für sie mit der Annahme, dass die verbalen Informationen aus der „Theorie“ in der späteren „Praxis“ handlungsleitend werden könnten. Sie selbst hat jedoch erfahren, dass dies nicht zutrifft und die Jugendlichen einen großen Teil der bereits „besprochenen“ Kenntnisse vergessen haben. Angesichts des Umstands, dass sie in Pias Augen vorher nur rein körperlich anwesend waren, erstaunt es, dass die Schülerinnen und Schüler immerhin noch „die Hälfte“ wissen. Pia ist damit unzufrieden und möchte eine andere „Verzahnung“ erreichen. Wiederum nutzt sie einen Terminus aus dem technischen Bereich und stellt sich die Verbindung von „ Theorie“ und „Praxis „ als ein Ineinandergreifen von zwei Zahnrädern vor: Auf einen knappen „Theorie „-Input sollte dessen sofortige Anwendung folgen, um dann einen zweiten Input zu lancieren usw. Statt „Theorie “ und „Praxis „ als zeitlich längere Einheiten jeweils „am Stück“ zu realisieren, sind also knappe „ Theorie“- und „ Praxis „-Bausteine beabsichtigt, die abwechselnd unmittelbar aufeinander folgen.
Die „Theorie für die Paprika“ befasst sich höchstwahrscheinlich mit Arbeits- bzw. mit Zubereitungstechniken, so dass „Theorie“ wiederum keineswegs abstrakt oder anwendungsfern gedacht wird. Wie in Zitat [a] handelt es sich vermutlich um verbale, vielleicht auch bildhafte, Regelungen und Normen – und sobald dies der Fall ist, scheint es für Pia angebracht, von „Theorie “ zu sprechen.
Wenn fachwissenschaftliche Informationen und „ Praxis “ eng „verzahnt“ sind, kann letztere gesteuert werden, ohne dass Schüler/innen Informationen vergessen oder Fehler machen. Die „Theorie“ ist für das fachpraktische Tätigsein streng handlungsleitend. Weil Pia die Vorstellung hat, dass in der Nahrungszubereitung üblicherweise eine vollständige Mahlzeit zubereitet wird und folglich zahlreiche Arbeiten nebeneinander oder unmittelbar nacheinander zu erledigen oder zumindest zu beaufsichtigen sind, ist eine solche „Verzahnung“ zu ihrem Bedauern nicht realisierbar: Unter diesen Bedingungen scheint es ihr unmöglich, einen „Theorie „-Baustein in den „Praxisteil“ einzufügen – zumal die „Theorie“ in einem separaten Raum stattfindet. Dass die Nahrungszubereitung möglicherweise auf die Herstellung von nur einer Speise zu begrenzen wäre oder dass knappe Reflexions- bzw. Kommunikationsanteile während der Zubereitung einer Speise eingeschoben werden könnten, zieht Pia nicht in Erwägung.
Die zuvor angesprochene Beteiligung der Lernenden spielt bei dem technischen Modell der „Verzahnung“ keine Rolle mehr: Vermutlich würde diese Vorgehensweise sogar eine besonders enge Führung durch die Lehrperson mit sich bringen. Pias Hintergrundannahme ist, dass das fachpraktische Agieren zu „klappen“ hat und sich strikt an den fachwissenschaftlichen Informationen ausrichtet. Mit dem Wunsch nach einem reibungslosen Ablauf ohne Störungen lässt sich eine stärkere Schülermitbeteiligung indes nur schwerlich vereinbaren (5).
Ganz offensichtlich taucht in dieser Passage eine weitere Nuance des „Praxis“-Verständnisses auf: Der Terminus wird im Sinne von unterrichtlicher Fachpraxis benutzt, die in diesem Textbeispiel in Gestalt der Nahrungszubereitung stattfindet; „Theorie“ meint fachwissenschaftliche anwendungsbezogene Inhalte.

Pia steht vor dem Problem, Unterricht „anders“ gestalten zu wollen als sie es selbst während der Praktika oder/und während der fachpraktischen Studien an der Hochschule erfahren hat – sie kann an dieser Stelle aber keine aussichtsreichen Alternativen entwickeln. Ihr in dieser Passage formulierter Vorwurf gegenüber den Hochschullehrenden („Und so war hat ’s hier auch stattgefunden „) deutet an, was sie sich von Veranstaltungen zur Fachpraxis erhofft: Sie möchte vorbildhafte Modelle sehen, die demonstrieren, wie fachwissenschaftliche Normen in die Fachpraxis zu übertragen sind. Zugleich sollen die Dozierenden vermutlich aber auch den Beweis führen, dass eine solche Übertragung überhaupt möglich ist. Während Pia im Kontext der fachdidaktischen Studien weiß, dass sie keine „Patentrezepte“ für den Unterricht erwarten kann, möchte sie solche Rezepte zur Anwendung von Fachwissenschaft im Rahmen der Fachpraxis durchaus erhalten. Ihre in Passage [a] geäußerte Kritik, fachwissenschaftliche Informationen würden an der Hochschule häufig „schematisch“ präsentiert und taugten nicht für die von ihr intendierte präzise Umsetzung im Alltag, wird im Textausschnitt [c] also ergänzt durch den Vorwurf, dass die Anwendung in der schulischen Fachpraxis ebenfalls nur schwer realisierbar sei.
Die Verknüpfung von fachwissenschaftlichen und fachpraktischen Studien an der Hochschule ist nach Pias Meinung verbesserungswürdig. Auch Sandra spricht diesen Aspekt an und präsentiert eine Idee zur Modifikation.

„Ich würd’s weniger, aber praxisbezogener und intensiver machen.“

[d] „Ich würd’s weniger, aber praxisbezogener und intensiver machen. (…) …also ich hab doch viele Sachen belegt, wo ich mir nachher gedacht hab, das war total unwirksam. Ich hab‘ gar nichts draus gezogen. Wo einfach Pflicht waren, bei Technologie der Werkmaterialien zum Beispiel, wo man Messer bespricht oder Töpfe und ich mein‘, das kann man dann wirklich besser einbinden, wenn man die Sachen behandelt im, beim Kochen. Ich mein‘, da hat man die Töpfe vor sich, dann kann man da geschwind noch drauf eingehen, welche, welcher ist jetzt besser oder so, oder auf was legt man Wert. So Sachen sind einfach dann für mich Zeitverschwendung gewesen, muss ich ganz ehrlich sagen“ (Sandra, 12).

Sandra möchte fachwissenschaftliche Informationen, wann immer es sich anbietet, in den fachpraktischen Kontext an der Hochschule „einbinden“. Mittels der didaktischen Verflechtung fachwissenschaftlicher und -prakti-scher Studien will sie erreichen, dass fachwissenschaftlichen Informationen „praxisbezogener“ präsentiert werden können; eine unmittelbare Verbindung mit der Nahrungszubereitung als Fachpraxis zeigte ihren Sinngehalt und forderte effizientes Lernen. Nach Sandras Auffassung erhielten solche Veranstaltungen eine große inhaltliche Dichte und hohen Motivationscharakter. Die geforderte Reduktion der Pflichtveranstaltungen geht für Sandra also mit einer Qualitätsverbesserung einher.
Anders als Pia kann sich Sandra durchaus vorstellen, wie „Theorie“ und „Praxis“ zu kombinieren sind, und in ihren Augen ist es kein Problem, diese Kombinationen im Rahmen der Fachpraxis situationsbezogen zu realisieren. Sandras Äußerung, „dann kann man da geschwind noch drauf eingehen“ spricht zum einen die Möglichkeit zur Zeitersparnis an und impliziert zum anderen die Vorstellung eines sehr unkomplizierten Vorgehens. Ihrer Meinung nach ergeben sich anwendungsbezogene fachwissenschaftliche Inputs unmittelbar aus dem Kontext des Tätigseins; eine Separierung zwischen fachwissenschaftlichen und fachpraktischen Themen erscheint ihr im Studium an vielen Stellen nicht nur unnötig und langweilig, sondern auch künstlich.
Während Pia über die Verknüpfung von „Theorie“ und „Praxis“ vor allem mit Blick auf ihren künftigen Unterricht spricht, geht es Sandra an dieser Stelle darum, fachwissenschaftliche Inhalte an der Hochschule in fachpraktische Veranstaltungen einzubinden, um das Studium in ihrem Sinne zu innovieren. Sandra bringt eine weitere Nuance von „Praxis“ zum Ausdruck, indem sie die fach“praktischen“ Veranstaltungen der Hochschule fokussiert.

 *HW = Abkürzung für Hauswirtschaft

Fußnoten:
(1)  Wie bereits erwähnt, richtet sich die Fragestellung der Studie auf Zielvorstellungen der Lehramtsstudierenden mit Blick auf den Haushaltslehre-Unterricht. In ihren schriftlichen Äußerungen haben sich die Studierenden enger an diese Vorgabe gehalten, in den Interviews im Ganzen offener und ausführlicher erzählt
(2)  Die Interviewpartnerinnen erhielten von mir fiktive Vornamen und werden mit diesen zitiert.
(3)  Zugunsten der besseren Lesbarkeit sind Transkriptionszeichen, Interjektionen und gefüllte Pausen aus den Textabschnitten entfernt worden. (…) bedeutet, dass ich Auslassungen im Zitat vorgenommen habe; // gibt den Seitenumbruch im Transkript an. Wenn Stellen im Interview nicht verständlich waren, wird dies mit … angezeigt.
(4)  Andere Passagen bestätigen diese Aussage.
(5)  An späterer Stelle entwickelt Pia dann noch weitergehende Ideen zur Mitbeteiligung der Schülerinnen und Schüler im Unterricht.

Mit freundlicher Genehmigung des Springer Verlages

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