Dokumentarische Methode

3. Anwendungsbereiche in der Schul- und Unterrichtsforschung

In der Schul- und Unterrichtsforschung kommt die Dokumentarische Methode (Bohnsack 2003) in unterschiedlichen Gegenstandsbereichen zum Einsatz:
1. Schülerforschung: Da die dokumentarische Methode ursprünglich im Bereich der Jugendforschung entwickelt wurde (vgl. Bohnsack 1989) ist sie als Auswertungsmethode qualitativer Daten naheliegend, wenn schulisches Lernen und Leben aus der Perspektive der Schüler und Schülerinnen oder der Zusammenhang von Peerkultur und Schule untersucht werden soll (vgl. z.B. Streblow 2005; Asbrand 2006, Asbrand 2008 a,b).
2. Unterrichtsforschung: Hier liegt das Potenzial der dokumentarischen Methode in der Möglichkeit, Interaktions- und Lernprozesse in komplexen Situationen rekonstruieren zu können. Da die dokumentarische Methode an den Konstruktionen und dem Wissen der Alltagspraxis interessiert ist, eignet sie sich nicht nur, um in Interviewsituationen erhobenes empirisches Material zu analysieren, sondern auch um (audioaufgezeichnete oder videographierte und anschließend transkribierte) Alltagskommunikation wie beispielsweise Unterrichtsinteraktion zum Gegenstand der Analyse zu machen (vgl. Wagner-Willi 2005, 2007a,b; Tesch 2008).
3. Schulentwicklungs- und Lehrerforschung: Sowohl bei der Erforschung von Prozessen der Schulentwicklung auf der Ebene der Einzelschule kommt es darauf an, implizites habitualisiertes Wissen (von Lehrkräften) bzw. implizite Strukturen (von Schule als Organisation) der empirischen Analyse zugänglich zu machen. Die dokumentarische Methode ermöglicht es, kollektive Prozesse der Konstruktion von theoretischem und handlungspraktischem Wissen in Gruppen und Organisationen zu rekonstruieren. Damit kann die gemeinsame Handlungspraxis von Lehrern und Lehrerinnen daraufhin empirisch untersucht werden, inwiefern und unter welchen Bedingungen Schulentwicklungsprozesse im und mit dem Kollegium gestaltet werden, und wie handlungspraktisches Wissen, welches in der Schulpraxis angeeignet wird, einerseits und theoretisches Wissen andererseits – beispielsweise die Bezugnahme von Lehrkräften auf Konzepte der Schul- oder Unterrichtsentwicklung – im Lehrerhandeln zusammenwirken (vgl. Asbrand/Bergmüller 2008).

Literatur

Asbrand, Barbara (2006): Orientierungen in der Weltgesellschaft. Eine qualitativ rekonstruktive Studie zur Konstruktion von Wissen und Handlungsorientierung von Jugendlichen in schulischen Lernarrangements und in der außerschulischen Jugendarbeit. Habilitationsschrift Universität Erlangen-Nürnberg.

Asbrand, Barbara (2008a): Der konjunktive Erfahrungsraum Schule – Fall 1: Die Gruppe Mango I. In: http://www.uni-kassel.de/fb1/heinzel/fallarchiv/store_faelle/asbrand_mango.htm, 12.03.2009

Asbrand, Barbara (2008b): Der konjunktive Erfahrungsraum Schule. Fall 2: Die Gruppe Apfel. In: http://www.uni-kassel.de/fb1/heinzel/fallarchiv/store_faelle/asbrand_apfel.htm, 12.03.2009

Asbrand, Barbara (2008c): The Meaning of Peer-Culture for the Learning at School. The Example of a Student Company. In: International Journal on Development Education and Global Learning Vol. 1, No.2 (accepted).

Asbrand, Barbara/Bergmüller, Claudia (2008): Unterrichtsentwicklung und Lehrerprofessionalität. Dokumentarische Evaluationsforschung im Feld der Lehrerfortbildung. In: Bohnsack, Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris (Hrsg): Dokumentarische Evaluationsforschung. Opladen & Farmington Hills (im Druck).

Bohnsack, Ralf (1989): Generation, Milieu und Geschlecht. Ergebnisse aus Gruppendiskussionen mit Jugendlichen. Opladen.

Bohnsack, Ralf (2001): Typenbildung, Generalisierung und komparative Analyse. Grundprinzipien der dokumentarischen Methode. In: Bohnsack, Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arnd-Michael (Hrsg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Forschung. Opladen, S. 225 – 252.

Bohnsack, Ralf (2003): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 5. Aufl. Opladen. (7. Aufl. 2007)

Bohnsack, Ralf (2005): Standards nicht-standardisierter Forschung in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 8. Jg., 4. Beiheft (Standards und Standardisierungen in der Erziehungswissenschaft), S. 63 – 81.

Bohnsack, Ralf (2008): Qualitative Bild- und Videointerpretation. Opladen & Farmington Hills.

Bohnsack, Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arnd-Michael (Hrsg.) (2001): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Forschung. Opladen.

Bohnsack, Ralf/Przyborski, Aglaja/Schäffer, Burkhard (Hrsg.) (2006): Das Gruppendiskussionsverfahren in der Forschungspraxis.

Loos, Peter/Schäffer, Burkhard (2001): Das Gruppendiskussionsverfahren. Opladen.

Mannheim, Karl (1964): Beiträge zur Theorie der Weltanschauungsinterpretation. In: Mannheim, Karl: Wissenssoziologie. Berlin/Neuwied, S. 91 – 154.

Mannheim, Karl (1980): Strukturen des Denkens. Frankfurt am Main.

Nentwig-Gesemann, Iris (2001): Die Typenbildung der dokumentarischen Methode. In: Bohnsack, Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arnd-Michael (Hrsg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Forschung. Opladen, S. 275 – 300.

Nentwig-Gesemann, Iris/Streblow, Claudia/ Bohnsack, Ralf (2005): Schlüsselerlebnisse und Lernprozesse Jugendlicher in zukunftsqualifizierender Projektarbeit. Eine programmübergreifende Analyse. In: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (Ed.): Jung. Talentiert. Chancenreich? Beschäftigungsfähigkeit von Jugendlichen fördern. Opladen, S. 47-90.

Nohl, Arnd-Michael (2006): Interview und dokumentarische Methode. Anleitung für die Forschungspraxis. Wiesbaden.

Panofsky, Erwin (1975): Sinn und Deutung in der bildenden Kunst. Köln.

Przyborski, Aglaja (2004): Gesprächsanalyse und dokumentarische Methode. Qualitative Auswertung von Gesprächen, Gruppendiskussionen und anderen Diskursen. Wiesbaden.

Streblow, Claudia (2005): Schulsozialarbeit und Lebenswelten Jugendlicher. Ein Beitrag zur dokumentarischen Evaluationsforschung. Opladen.

Tesch, Bernd (2008): Klasse 10 b: „Umfrage in der Pausenhalle“. In: http://www.uni-kassel.de/fb1/heinzel/fallarchiv/store_faelle/tesch_pausenhalle.htm, 12.03.2009

Wagner-Willi, Monika (2005): Kinder-Rituale zwischen Vorder- und Hinterbühne. Der Übergang von der Pause zum Unterricht. Wiesbaden.

Wagner-Willi, Monika (2007a): „Rituelle Interaktionsmuster und Prozesse des Erfahrungslernens im Mathematikunterricht“. In: Wulf, C. u.a. (Hrsg.): Lernkulturen im Umbruch. Rituelle Praktiken in Schule, Medien, Familie und Jugend. Wiesbaden, S.59-62.

Wagner-Willi, Monika (2007b): „Rituelle Interaktionsmuster und Prozesse des Erfahrungslernens im Mathematikunterricht“. In: Wulf, C. u.a. (Hrsg.): Lernkulturen im Umbruch. Rituelle Praktiken in Schule, Medien, Familie und Jugend. Wiesbaden, S.66-69.