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Farah Brandt & Jochen Lange:
Ethnographie. Stationen und Fragen praxeologischer Forschung
1. Einleitung
2. Entdeckendes Erforschen: Zur Traditionsgeschichte der Ethnographie
3. Prinzipien und Prämissen der Ethnographie des Alltäglichen
3.1 Präsenz im Alltag des Feldes – Beobachten
3.2 Erlebte Praktiken erlesbar machen – Beschreiben
3.3 Verstandenes um-verstehen – Befremden
4. Stationen des ethnographischen Forschungsprozesses
4.1 Vom Feldzugang zum Forschungsfokus
4.2 Von Feldnotizen zu dichten Beschreibungen
4.3 Von scheinbar Vertrautem zur Entdeckung
5. Beispiel: Drannehmen 2.0 – Bedeutungsverschiebungen einer schulischen Technik?
6. Methodische Reflexion
Literatur
1. Einleitung
Die Ethnographie gilt als „die klassische [Strategie] zur Erforschung der Sozialwelt“ (Thomas 2019, S. 1, Herv. i. Orig.) und ist als solche u.a. in der Schul- und Unterrichtforschung zentral. Studien z. B. zur Leistungsbewertung (u.a. Kalthoff 2000; Zaborowski/Meier/Breidenstein 2011; Rabenstein 2017), Geschlechterdarstellung im schulischen Spiel (Kelle 1999), der Situiertheit von Lernprozessen (Wiesemann 2000), der Verteilung des Rederechts (Budde 2011), zur Wochenplanarbeit (Huf 2008) oder der Materialität des Unterrichts (Röhl 2013; Lange 2017) zeigen die Erkenntnispotenziale ethnographischer Forschung für die Bildungswissenschaften. Das den Studien zugrundliegende empirische Material ist vielseitig und mit verschiedenen Erhebungs- und Analysetechniken verbunden. Es deutet sich hier bereits an, dass sich die Ethnografie nicht als Methode – im Sinne eines standardisierten Verfahrens – bestimmen lässt, welche Forscher:innen strikt befolgen können oder müssen (vgl. Breidenstein et al. 2020, S. 11). Doch was ist die Ethnografie und wie lässt sie sich als Forschungsstrategie nutzen? Der folgende Beitrag widmet sich dieser Frage. Ziel ist es, die Ethnographie als Erkenntnisweg verstehbar zu machen. Adressiert wird also eine Leserschaft, der die Ethnographie tendenziell fremd oder nur in ihren Grundzügen bekannt ist. Die einzelnen Abschnitte des Textes beabsichtigen sich dem Ethnographie-Verstehen mit zirkulierenden Schritten anzunähern. Dabei werden – wie bei einer Feldforschung – bestimmte Aspekte wiederkehrend auftauchen respektive aufgesucht. Sie werden nach einer ersten flüchtigen Begegnung vertieft, neu fokussiert, detaillierter erkennbar, in unterschiedlichen Facetten mit Beispielen exemplifiziert sowie diskutiert. Möglicherweise werden durch die unterschiedlichen Zoomstufen der folgenden Abschnitte auch Aspekte, die man schon verstanden zu haben glaubt, neu befrag- und verstehbar. Thematisiert werden zunächst (Kap. 2) die Linien der Entstehungsgeschichte ethnographischer Forschung, bevor der Beitrag hieran anschließend (Kap. 3) zentrale Prinzipien und Prämissen von heutigen, sozialwissenschaftlichen Ethnographien aufspannt. Mit diesen methodologischen Grundzügen werden verbundene Fragestellungen, Erkenntnispotenziale und Ziele ethnographischer Forschung erkennbar. Nachdem in einem solchen Sinne eine Annäherung an die Frage vollzogen wurde, wie sich ethnographische Forschung charakterisieren lässt, erfolgt mit dem nächsten Schritt (Kap. 4) eine konkretisierende Zuspitzung: Ausgehend von den methodologischen Ausführungen der vorangegangenen Abschnitte steht hier die forschungspraktische Frage im Zentrum, wie man eine ethnographische Forschung (insbesondere im Kontext von Schule) betreiben kann. Der Beitrag geht hierbei auf Herausforderungen und Fragen ein, bevor (Kap. 5) eigenes Datenmaterial und zugehörige Analysen als Beispiel angeboten werden. Abschließend (Kap. 6) werden Grenzen der Feldforschung diskutiert bzw. Fragestellungen charakterisiert, die nicht ethnographisch zu bearbeiten sind.
2. Entdeckendes Erforschen: Zur Traditionsgeschichte der Ethnographie
Einen ersten Hinweis darauf, was die Ethnographie ist und wo ihre historischen Wurzeln liegen, gibt die Wortbedeutung: Die Ethno-Graphie (éthnos ‚Volk‘, graphé ‚Schrift‘) bezeichnet ihrem Wortsinn nach die ‚Beschreibung einer (fremden) Kultur‘ und hat ihren Ursprung in der Ethnologie. Auch wenn Reiseberichte aus dem Zeitalter der Antike bereits als ‚ethnographisch‘ bezeichnet werden können (vgl. Thomas 2010, S. 463), sind die Anfänge der Ethnographie als wissenschaftliche Methode in den anthropologischen Kulturanalysen des 20. Jahrhundert zu verorten und u.a. mit den Arbeiten von Alfred R. Radcliff-Brown (1922), Franz Boas (1888) und insbesondere Bronislaw K. Malinowski (1922) verbunden. In zum Teil mehrjährigen Forschungsexpeditionen begaben sie sich in ferne Länder, um indigene Völker und – aus damaliger westlicher Perspektive – „primitive“ Gesellschaften aus nächster Nähe zu erforschen und dokumentarisch-objektivierte Beschreibungen über sie anzufertigen.
Dieses Vorgehen markierte eine Wende in der ethnologischen Forschungspraxis. Zuvor war es üblich, dass Ethnologen und Kulturanthropologen ihre Studien fernab der Völker durchführten, die Sie zu erforschen beanspruchten. Sie stützten ihre Untersuchungen auf die Reiseberichte und Erzählungen Dritter und verließen für Ihre Forschung nur in Ausnahmefällen den heimischen Schreibtisch oder stellten ihre Beobachtungen – nicht immer nur metaphorisch – von dem „Liegestuhl unter der Veranda einer Missionarshütte“ (Malinowski 1954, S. 146) an.
Diese Distanz zwischen Forscher:in und Erforschten wurde insbesondere von Malinowski kritisiert. Um dem Anspruch ethnologischer Forschung gerecht zu werden, ein „holistisches Gesamtbild einer fremden Kultur zu liefern“ (Bachmann 2009, S. 248), müsse es das Ziel des/der Forschenden sein, „to grasp the native´s point of view, his relation to life, to realise his vision of his world“ (Malinowski 1922, S. 24 f.). Hierfür sei nicht nur die direkte Begegnung des Forschers mit den „Einheimischen“ notwendig, sondern auch seine intensive Teilhabe an deren sozialen Leben. Neben dem Erlernen der Sprache bedeutet dies auch, „to put aside the camera, notebook and pencil and to join […] in what is going on“ (ebd., S. 21).
In Malinowskis methodologischen Überlegungen (u.a. 1922) zeigt sich ein bis dato neues Verständnis der Datenerhebung und der Rolle des/der Forschenden, welches den Grundstein für die Ethnographie als eigenständigen Forschungsansatz legte. Charakteristisch hierfür ist die Distanz zur eigenen Kultur des/der Forschenden durch andauernde (Feld-)Aufenthalte und ein Leben vor Ort, das durch ein Mitmachen gekennzeichnet ist. Die Kombination von Beobachtungen und Teilnahmen kennzeichnete einen Wandel von der sogenannten ‚Lehnstuhlforschung‘ hin zu einer Feldforschung.
Ein weiterer Strang der ethnographischen Feldforschung entwickelt sich in den Sozialwissenschaften der 1920er Jahre im Kontext der Chicago School. Statt vermeintlich „unzivilisierter“ Völker, stehen hier urbane Gesellschaften des Westens im Interesse der Forschung. Statt in die Ferne, zog es die Forschenden „vor die eigene Haustür“ in das Chicagoer Stadtgebiet. Dieses war in den 1920-40er durch rasante Urbanisierungs- und Migrationsprozesse geprägt. Die daraus resultierende Vielfalt von (Sub-)Kulturen machte Begegnungen mit dem kulturell Fremden auch in der eigenen Gesellschaft präsent und offenbarte eine Vielzahl von unerschlossenen Forschungsfeldern. Um diese zu erforschen, bedienten sich die Anhänger:innen der Chicago School dem ethnologischen Blick und fokussierten stadttypische Berufe, Orte und Szenen. Als Begründer und Vertreter dieser „Kulturanalyse im eigenen Land“ (Breidenstein et al. 2020, S. 24) sind William I. Thomas, Ernest Burgess und Robert E. Park hervorzuheben. Zentral ist auch hier die Primärerfahrung des/der Forschenden mit den Erforschten und die Anwesenheit vor Ort. Ethnographische Fall- und Milieustudien dieser Tradition widmen sich bspw. Wanderarbeitern (Anderson 1923), armen und wohlhabenden Stadtvierteln (Zorbaughs 1929, Wirth 1928) oder auch Patient:innen der Psychatrie (Goffmann 1961). Ziel ist die Erschließung sozialer Lebenswelten, die zwar in der eigenen Gesellschaft existieren, jedoch außerhalb der Alltagserfahrung der Forschenden liegen.
Dass sich mit der Ethnographie jedoch auch Felder und Praktiken innerhalb der eigenen Alltagserfahrung explorativ ergründen lassen, zeigt ihre dritte Traditionslinie: Die Ethnographie des Alltags beginnt nicht mit dem Fremden, sondern fokussiert das scheinbar Vertraute und vermeintlich Profane. Vor dem Hintergrund der theoretischen Überlegungen von Alfred Schütz (1972) zum Alltagswissen und Harold Garfinkels (1976) ethnomethodologischen Analysen des alltäglichen Tuns, rückt „das Alltägliche mit seinen innewohnenden Regeln, seinen Ordnungen und Ritualen“ (Wiesemann 2011, S. 167) in den sozialwissenschaftlichen Blick. Um es für die Analyse verfügbar zu machen, muss das Selbstverständliche betrachtet werden, „als sei es fremd“ (Amann/Hirschauer 1997, S. 12). Diese methodische „Befremdung der eigenen Kultur“ (ebd.) bzw. der „befremdende Blick“ (Zinnecker 1995) ist im starken Maße mit dem heutigen Verständnis von sozialwissenschaftlicher Ethnographie verwoben.
3. Prinzipien und Prämissen der Ethnographie des Alltäglichen
Je nach Forschungsinteresse rekurrieren zeitgenössische Studien auf verschiedene Traditionslinien der Ethnographie, mit ihren je spezifischen Perspektiven (auf das Fremde und Eigene) und theoretischen Annahmen. Diese disziplinären und theoretischen Unterschiede zeigen: „Ethnographie ist nicht gleich Ethnographie“ (Thole 2010, S. 29). Ethnographie ist dementsprechend auch keine Methode, sie lässt sich eher als „Denk- und Darstellungsstil“ (Kalthoff 2011, S. 149) oder als ein „Way of Seeing“ (Wolcott 1999) verstehen. Als unterschiedlich akzentuierte Forschungsstrategie kann sie einerseits verschiedene Methoden integrieren (neben Beobachtungen z. B. Foto-, Video-, Dokumenten- und Gesprächsanalysen), beruht jedoch andererseits auf spezifischen Erkenntnishaltungen bzw. spezifischen Forschungsverständnissen. Wie bereits deutlich wurde, zeichnen sich ethnographische Arbeiten zunächst durch die Zielsetzung aus, soziale Lebenswelten zu erkunden, zu beschreiben und zu verstehen (vgl. Hitzler/Gothe 2015, S. 10). Es plausibilisiert sich vor diesem Hintergrund die Nähe von ethnographischer Forschung zu „Wie-Fragen“, die in einem ersten Schritt interessieren: Wie (und nicht ‚wie gut‘, ‚wie oft‘ oder ‚wieso‘) wird etwas gemacht bzw. interaktiv hervorgebracht (z. B. der Klassenrat, das Experimentieren, die Mediennutzung)? Diese grundlegende ethnographische Zielsetzung und Erkenntnishaltung wird von methodologischen Prinzipien und Prämissen bedingt, von denen wir die aus unserer Sicht zentralen im Folgenden charakterisieren.
3.1 Präsenz im Alltag des Feldes – Beobachten
Das explorative Anliegen einer Erkundung setzt in genuin ethnographischer Tradition auf die Anwesenheit vor Ort – auf die Kopräsenz, d.h. die zeitliche und örtliche Synchronizität mit dem Geschehen. Die Orientierung der Forscher:innen im und am Feld ist für Ethnographien entsprechend relevant. Es lässt sich von einem „feldspezifischen Opportunismus“ (Breidenstein et al. 2020, S. 44) sprechen. Auch wenn ethnographische Arbeiten eine Vielzahl facettenreicher Verfahren der Datenerhebung und -analyse integrieren können (vgl. z. B. Hirschauer 2001, S. 431), zeichnen sich diese in ihrer Auswahl und Modifikation doch stets durch eine Feldorientierung aus. Statt einer standardisiert- festgelegten Schrittabfolge, folgen Forscher:innen den Spuren des Feldes und stellen sich auf die spezifischen Anforderungen ein, die das Feld an seine methodische Erschließung und die Forschenden stellt. „Für ein solches Vorgehen, das seine Methoden den Gegebenheiten des Feldes unterordnet, hat sich der Begriff der Ethnographie durchgesetzt.“ (Krüger 2006, S. 96)
Trotz der potenziellen Vielfalt an methodischen Zugangsweisen verwundert es nicht, dass durch das Postulat der Feldpräsenz eine Forschungsmethode besondere Zentralität für ethnographische Arbeiten besitzt: die Teilnehmende Beobachtung. Sie ist vielfach das methodische Kernstück einer Ethnographie, mit ihr werden Ethnograph:innen selbst zu Forschungsinstrumenten (vgl. Amann/Hirschauer 1997, S. 25; Thomas 2019, S. 3). „Teilnehmende Beobachtung bedeutet die Produktion von Wissen aus eigener und erster Hand. Es geht um den zeitgleichen, aufmerksamen und mit Aufzeichnungen unterstützten Mitvollzug einer […] lokalen Praxis und ihre distanzierte Rekonstruktion […]“ (Amann/Hirschauer 1997, S. 21, Herv. i. Orig.). Erst durch diese Teilnahme am Alltag der Akteur:innen werden die Praktiken des Feldes empirisch zugänglich und wird Praxisforschung möglich. Ethnographische Fragen (Wie funktioniert der Klassenrat? Wie gehen Schüler:innen mit Experimentiermaterial um? Wie interagieren sie mit Tabletcomputern?) lassen sich nur beantworten, indem sich Forscher:innen wiederkehrend in die sozialen Situationen begeben, in denen der zu erkundende Alltag praktiziert wird. Hier wird eine Grenzlinie zu anderer qualitativer Forschung sichtbar – etwa zu Interviewforschung, die z. B. mit Lehrer:innen in Cafés oder Videokonferenzräumen betrieben wird. Während ethnographische Forschungsarbeiten das Wie der situierten Praktiken selbst fokussieren, erbringen Interviews (auch wenn sie dezidiert nach Praktiken fragen) Erkenntnisse zu den erzählenden Personen und ihrer retrospektiven Narration, die hinsichtlich ihrer verbal-sprachlichen Struktur oder inhaltlichen Akzentuierung analysiert werden können (Erzählweisen, Perspektiven, Einschätzungen, Relevanzsetzungen, Dramaturgie usw.). Berichte über Praktiken sind als Informationsquelle und Datenmaterial selbstverständlich hoch relevant, dürfen aber nicht mit den Praktiken selbst verwechselt werden. Letztere konstituieren sich im interaktiven Wechselspiel der Feldteilnehmenden auch durch implizites bzw. verkörpertes Wissen, unaussprechliche Motive, vage Gefühle, unbewusste Routinen und Rituale, nonverbale Anteile usw. Es ist die Stärke der Teilnehmenden Beobachtung, diese Erfahrungen in situ und in actu erlebbar zu machen, mitzumachen und für die weitere ethnographische Forschung analytisch nutzbar zu machen. Ein erster analytischer Schritt, der zeitlich und methodologisch dicht mit der Teilnehmenden Beobachtung verwoben ist, ist die Verschriftlichung des Erlebten.
3.2 Erlebte Praktiken erlesbar machen – Beschreiben
Die Arbeit des Beschreibens ist das Kerngeschäft ethnographischer Forschung (vgl. Geertz 1987 [1973], S. 28), es gilt: „Ethno-Graphie treiben ist eine vielschichtige Schreibpraxis“ (Amann/Hirschauer 1997, S. 29). Ethnograph:innen müssen sich dabei der literarischen Aufgabe stellen, einen Text zu entwickeln, der letztlich die „Mobilisierung von Erfahrungen“ ermöglicht (ebd., S. 30). Die beobachtete, erlebte und ggf. mitgemachte Situation muss eine entsprechend angebrachte textliche Repräsentanz finden – samt ihrer konstitutiven Handlungen, Gespräche, materiellen und immateriellen Bedingungen, Stimmungen usw. Auch subjektive Wahrnehmungen dürfen hier nicht ausgeklammert werden, da soziale Interaktionen nicht ohne stetige Sinnstiftungen der beteiligten (und ebenfalls einander beobachtenden) Subjekte funktionieren können. So lässt sich mit einem prominenten Beispiel verdeutlichen, wie sich das Anliegen einer „dichten Beschreibung“ (Ryle 1971; zitiert nach Geertz 1987 [1973]) verstehen lässt: Aus der dünnen Beschreibung eines schnellen Lidschlags einer Person wird noch nicht ersichtlich, ob es sich um ein ungewolltes biologisches Zucken oder um ein beabsichtigtes kulturelles Zeichen handelt. Für sich betrachtet sind die Bewegungsvorgänge gleich – ohne dass in der Situation für die beteiligten Akteur:innen ein Zweifel an der Bedeutung des Lidschlag entsteht. Die dichte Beschreibung trägt diesem Umstand Rechnung und verknüpft als analytische Leistung beobachtetes Tun mit situativer Bedeutung (vgl. ebd, S. 10 ff.). Durch die dichte Beschreibung muss die beschriebene Situation für Leser:innen erlebbar werden (vgl. Amann/Hirschauer 1997, S. 30). Es ist daher nicht „sinnvoll“, subjektive Bedeutungszuschreibungen (der eigenen Person und der Beobachteten) zu vermeiden, sie müssen vielmehr als solche verschriftlicht, analysierbar und ggf. revidierbar gehalten werden.[1] Der/Die Ethnograph:in bringt schreibend etwas (Wahrgenommenes) zur Sprache, das vorher nicht sprachlich war, fokussiert und formuliert wird die „Schweigsamkeit des Sozialen“ (Hirschauer 2001), geleistet wird dabei mehr als ein schlicht technisch verstandenes Aufzeichnen von flüchtigen Daten (vgl. Hirschauer 2001, S. 429 f.). Die in anderen Forschungsstilen übliche Trennung von Datenerhebung und Datenanalyse ist für ethnographische Forschung endsprechend weniger strikt. Spätestens mit der Vertextung beginnt die analytische Arbeit von Ethnograph:innen (vgl. Amann/Hirschauer 1997, S. 30), mit der es um ein vertiefendes Verständlich-machen geht.
3.3 Verstandenes um-verstehen – Befremden
Wie aufgezeigt wurde, rückt die sozialwissenschaftliche Feldforschung heute statt „fremder“ Kulturen die „eigenen“ Alltagskulturen in den Fokus, u.a. Schul-, Berufs- und Kindheitskulturen. Einher gehen anders gelagerte Anforderungen an die Analyse. Es gilt, „nicht eine Fremdheit des Gegenstands zu überwinden, sondern eine Fremdheit des Beobachters herzustellen.“ (Breidenstein et al. 2020, S. 35) Ziel ist es, über explorative Befremdung (vgl. Amann/Hirschauer 1997; Zinnecker 1995) Neues im vermeintlich Bekannten zu entdecken: „Es ist ein befremdender Blick, der auf die praxeologischen Selbstverständlichkeiten des Handelns und Wissens von Pädagogik und Kindern trifft und diese reflexiv verfügbar macht.“ (Zinnecker 1995, S. 21). Verbunden mit dieser Herstellung einer methodisch-reflektierte Fremdheit gegenüber dem Vertrauten ist z. B. die Bereitschaft, Beobachtetes neu zu durchdringen und als „frag-würdig“ aufzufassen (vgl. Beck/Scholz 1995, S. 13; Amann/Hirschauer 1997, S. 12). Diese empirisch-analytische Frag-würdigkeit ist im eigentlichen Wortsinn zu verstehen und von einer normativen Fragwürdigkeit zu unterscheiden, mit der die beobachteten Praktiken bewertet werden. Bewertungen stehen der Entdeckungsabsicht und der Befremdung im Weg, da sie auf bereits vorhandene Wissensbestände rekurrieren und diese als evaluierende Schablone an empirische Praxis anlegen. Die Frage, wie sehr sich ein (wie auch immer definiertes) Ideal als bekannter Soll-Zustand im Alltag wiederfindet, ist prüfend und nicht explorativ: Man weiß schon, was einen in der Praxis eigentlich zu erwarten hat, man sieht nichts anderes oder versucht, das Fehlende zu attestieren. Die Bereitschaft, sich vom Feld überraschen zu lassen, wurzelt hingegen in einer wiederkehrenden Herstellung von Offenheit, die eine distanzierende Neu-Perspektivierung von Praktiken ermöglicht. Mit dieser kann z. B. aufgezeigt werden, dass es sich mit den Praktiken in ihren komplexen Wechselwirkungen und unausgesprochenen Handlungslogiken doch ganz anders verhält, als man es bisher zu wissen glaubte. Konkretisierende Beispiel für verbundene Entdeckungen werden mitsamt den Stationen und Hürden auf dem Weg zu ihnen im folgenden Kapitel angeboten.
4. Stationen des ethnographischen Forschungsprozesses
Wie macht man eine Ethnographie? Auch wenn auf die Frage angesichts der beschriebenen konzeptionellen und methodischen Abhängigkeit der Ethnographie zum jeweiligen Feld keine Schritt-für-Schritt-Anleitung zu erwarten ist, so muss sie nicht unbeantwortet bleiben. Basierend auf den genannten Prämissen und Forschungstätigkeiten organisiert sich der ethnographische Forschungsprozess entlang zentraler Stationen, die mit bestimmten forschungspraktischen Herausforderungen und Fragen einhergehen.
4.1 Vom Feldzugang zum Forschungsfokus
Teilnehmende Beobachtungen ermöglichen dem/der Forschenden, mit geringen technischen Voraussetzungen vielseitiges Datenmaterial zu generieren – vorausgesetzt er oder sie erhält Zugang zu relevanten Beobachtungssituationen. So steht zu Beginn einer jeden Ethnographie die Frage: „Was ist mein Feld und wie erhalte ich Zugang zu diesem?“.
Was ist mein Feld? Für Auswahl und Zuschnitt eines geeigneten Feldes muss zunächst das Forschungsinteresse formuliert werden. Im Gegensatz zu quantitativen Zugängen stehen am Beginn des ethnographischen Forschungsprozesses keine unumstößlichen Forschungsfragen oder Hypothesen, deren Überprüfung den weiteren Forschungsverlauf strukturiert. Ethnographisch entwickelt sich der Fokus und demnach auch die exakte Forschungsfrage im und durch das Feld. Zu komplexe, geschlossene, am Schreibtisch elaborierte Forschungsfragen laufen Gefahr, dass sie den Blick im Feld zu stark kanalisieren und Entdeckungen im Wege stehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Forscher:innen ohne Forschungsfragen oder theoretische Vorüberlegungen an das Feld herantreten. Im Gegenteil: Diese sind für die Auswahl und den Zuschnitt des Feldes essentiell. Hilfreich sind hier die bereits erwähnten Wie-Fragen, die zunächst vergleichsweise schlicht erscheinen und wenig voraussetzungsreich sind. Sie navigieren jedoch den Blick des/der Ethnograph:in (zunächst grob) auf spezifische Bereiche und ermöglichen so in einer Vielzahl von Feldeindrücken die Optionen für den weiteren Forschungsfokus zu generieren und zu erproben.
Wie komme ich ins Feld? Ist ein für das Forschungsinteresse geeignetes Feld konkretisiert, sieht sich der/die Ethnograph:in mit Fragen rund um den Feldzugang konfrontiert. Auch für den Feldzugang gibt es „kein Patentrezept“ (Wolff 2005, S. 336). Die Wege ins Feld sind fallabhängig, entsprechend vielseitig und nicht selten mit fordernder Zugangsarbeit verbunden. Denn sowohl Institutionen als auch informelle Gruppierungen zeigen sich vielfach als geschlossene Systeme, die sich über spezifische Mitgliedschaften, Zugangsbedingungen und Grenzziehungen konstituieren. Ist das interne Geschehen üblicherweise gut gegen den neugierigen Blick Externer geschützt, reagiert das Feld auf die (offen formulierten) Beobachtungsabsichten mit Sorge, Skepsis und einer abwehrenden Haltung. Wolff (2005) hat bspw. typische „Immunreaktionen“ von Organisationen auf ethnographische Zugangsbemühungen festgehalten:
- Hochzonen: Das Forschungsvorliegen wird zur Prüfung an eine höhere Instanz weitergereicht.
- Nachfragen: Der/Die Ethnograph:in erhält immer wieder neue Fragen zum Forschungsvorhaben und -vorgehen.
- Abwarten: Die Forschungsanfrage wird nicht beantwortet.
- Angebote machen: Das Forschungsvorhaben wird akzeptiert, es werden jedoch eigene Daten angeboten oder Methoden vom Feld vorgegeben.
- Zuweisen: Das Forschungsvorhaben wird akzeptiert, jedoch nur mit starken Einschränkungen.
- Eingemeinden: Das Forschungsvorhaben wird akzeptiert, der/die Ethnograf:in jedoch für Auseinandersetzungen oder Aufträge des Feldes eingespannt. (vgl. Wolff 2005, S. 343)
Solche Abwehrreaktionen und Absagen sind kein Grund für einen Studienabbruch, sondern sind als Selbstaussagen des Feldes zu betrachten. Zugangsbedingungen und Ablehnungsbescheide können so als forschungsrelevante Daten in die Analyse einbezogen werden (vgl. Amann/Hirschauer 1997, S. 19 f.). Die Aufnahme von Feldkontakten und Zugangsbemühungen sind daher nicht der notwendige Schritt vor der Datenerhebung, sondern bereits Teil dessen. Dennoch sollten sich die Ethnograph:innen auf solche Abwehrreaktionen einstellen und ihnen bereits mit der Organisation des Feldzugangs begegnen. Folgende Fragen können dabei der Orientierung dienen:
Ist eine offene oder verdeckte Beobachtung sinnvoll? Im Gegensatz zu einer offenen Beobachtung ist der/die Ethnograph:in bei einer verdeckten Beobachtung nicht als solche erkennbar. Dies kann von Vorteil sein, da hier z. B. mögliche Abwehrreaktionen vermieden werden können. In manchen Bereichen, bspw. an öffentlichen Orten, sind verdeckte Beobachtungen selbstverständlich. Viele Orte sind jedoch für Nicht-Mitglieder ohne Zugangserlaubnisse schlicht nicht passierbar (z. B. Operationssaal oder Klassenraum), was es notwendig macht, die Beobachtungsintention offen zu kommunizieren. Zum anderen ist es gerade die offene Teilnahme, welche die Intensivierung der Beobachtung, z. B. durch Aufzeichnungen und Informantenwissen, ermöglicht. Dementsprechend ist die Identifizierung und Kontaktierung von Ansprechpartner:innen in vielen Ethnographien unvermeidbar.
Wer ist geeigneter Ansprechpartner, um Zugang zu erhalten? In vielen Fällen ist der Zugang nur über sogenannte Gatekeeper möglich. Hierbei handelt es sich um Personen, die aufgrund ihrer Position im Feld den Zutritt der Ethnograph:innen erlauben und sicherstellen können (z. B. verwaltungsbehördliche Aufsichts- und Dienstleistungsdirektionen der Schulen, Schulleitungen, Klassenlehrer:innen). Die Identifizierung von solchen ‚Türstehern‘ erfordert bereits vor der Kontaktaufnahme eine Recherche über das Feld, denn es ist nicht immer offensichtlich, wer Zustimmungen erteilen kann.
Was sind vielversprechende Möglichkeiten der Kontaktaufnahme? Welches Medium zur Kontaktaufnahme genutzt wird, muss feldspezifisch abgewogen werden. Grundsätzlich scheint es naheliegend, dass für Beobachtungen in offiziellen Institutionen der formelle Weg über Brief und E-Mail angemessen ist, wohingegen andere Gruppierungen (z. B. Paare, Obdachlose) vermeintlich informelle Wege, wie das Telefonat oder das persönliche Gespräch, erfordern. Dennoch kann es mit Blick auf Schule auch ratsam sein, über bestehende Kontakte (aus dem Praktikum, über Kolleg:innen und Bekannte usw.) den Kontakt zu suchen – im dicht gefüllten Schulalltag haben Briefe von interessierten Feldforscher:innen ggf. nicht die größte Priorität und laufen Gefahr unterzugehen. E-Mails lassen sich zudem oft nicht gezielt an ausgewählte Lehrer:innen adressieren usw.
Ob in Briefen, E-Mails, Telefonaten oder persönlichen Gesprächen: Die Ethnograph:innen möchten das Gegenüber von ihrer Seriosität und Vertrauenswürdigkeit überzeugen. Hierfür kann es sinnvoll sein, bereits im Zuge der Kontaktaufnahme auf den datensensiblen Umgang aller Informationen zu verweisen und die Anonymität der Beteiligten zu garantieren. Neben der Kommunikation von Qualitätsstandards ethnographischer Forschung kann auch deren analytisch-deskriptive Erkenntnishaltung betont werden: Es geht nicht um die Bewertung von Personen oder Vorgehensweisen, sondern um eine wertfreie Exploration alltäglicher Praktiken, die nicht für die Feldforscher:innen inszeniert werden müssen. Insbesondere an Schulen wird eine Beobachtung häufig mit einer Bewertung assoziiert („Unterrichtsbesuch“ als kategorische Prüfungssituation) und es bestehen vielfach entsprechende Bedenken, sich in die Karten blicken zu lassen.
Die Angabe eines ungefähren Zeitrahmens kann zeigen, dass die Ethnograph:innen nur Gäste im Feld sind und die Dauer der Beobachtung absehbar ist. Weiterhin kann darauf verwiesen werden, dass der/die Forscher:in nicht störend in die Abläufe eingreifen möchte. Ein Vergleich mit Rollen, die dem Feld bekannt sind, kann ggf. hilfreich sein (Praktikant:in, Hospitant:in usw.). Breidenstein et al. (2020, S. 64) empfehlen darüber hinaus ein unverbindliches und persönliches Kennenlernen anzubieten, in dem die Ethnograph:innen dem Feld Rede und Antwort stehen.
Allerdings ist es unter Umständen nicht ratsam, das Forschungsinteresse und methodische Hintergründe im letzten Detail darzulegen. Dies kann verschiedene Gründe haben. Es geht weniger darum, dass bestimmte Forschungsinteressen für das Feld heikel sein und abschreckend wirken könnten (bspw. Bewertungspraktiken, Konflikte). Vielmehr könnte die zu detaillierte Darlegung des Themas einerseits dazu führen, dass das Feld seine Praktiken anpasst, da es den Ethnograph:innen passende Einblicke bieten möchte. Andererseits könnte die Teilnahme auch abgelehnt werden, da vermutet wird, keine passenden Einblicke bieten zu können. Wolff (2005, S. 346) zitiert hierzu Taylors und Bogdans (1998) Faustregel: „Sei vertrauenswürdig, aber vage und ungenau“.
Das Schaffen und Aufrechterhalten von Vertrauen „ist eine Anforderung, die den gesamten Forschungsprozess begleitet“ (Breidenstein et al. 2020, S. 60), denn idealerweise wird der/die Forschende vom Feld nicht nur geduldet, sondern integriert und informiert. Da eine langfristige Teilnahme notwendig ist, um Details zu entdecken und Beobachtungen zu intensivieren, gilt es also nach einem erfolgreichen Zugang, erfolgreich im Feld zu bleiben.
Die Forschung kann hierbei mit zunehmender Etablierung der eigenen Person im Feld ausgeweitet werden. Ist z. B. der Einsatz von Audio- oder Videoaufzeichnungsgeräten angestrebt, kann es ratsam sein, dies nicht bereits im Zuge der ersten Kontaktaufnahme zu forcieren, sondern erst nach einiger Zeit im Feld zu erfragen. Der Start mit einer klassischen „Paper und Pencil“-Ethnographie ist insbesondere im Kontext von Schule zumeist niedrigschwelliger zu realisieren – im Kontrast zu Videographien stößt es bei Schüler:innen, Eltern sowie Lehrer:innen auf wenig Skepsis und lässt sich zudem meist leichter behördlich genehmigen. Während das Notizbuch in anderen Feldern als „Symbol des Fremden“ tituliert wird (vgl. z. B. Schoneville et al. 2006, S. 232) ist das (Auf)Schreiben in der Schule eine omnipräsente Praxis.
Hat man Zugangsproblematiken überwunden und ist im Feld angekommen, stehen Ethnograph:innen vor der nächsten Herausforderung: Eine Vielzahl von Feldeindrücken zeigt die Gleichzeitigkeit und Schnelllebigkeit sozialer Situationen und drängt die Frage auf: Wo soll man zuerst hinschauen? Wo soll ich mich positionieren?
Grundsätzlich passen sich die Forscher:innen den Interaktionsverläufen des Feldes an, variieren Position und ggf. auch den Partizipationsgrad. Der Blick ist zunächst breit, das Interesse offen. Folgende Fragen können den ethnographischen Blick schulen und lenken: „Wie wird tatsächlich gehandelt? Wie ist die Situation zu beschreiben? Welche Situationsmerkmale definieren den (Handlungs-)Kontext?“ (Thomas 2010, S. 467), oder kurz: „What the hell is going on here?“ (Geertz 1987 [1973]). Breidenstein et al. schlagen vier Strategien zur Beobachtungsintensivierung vor:
- Wiederholung: Der/Die Forschende sucht das Geschehen wiederholt und ggf. zu verschiedenen Zeitabschnitten (bspw. unterschiedlichen Tageszeiten, Schulstunden oder Dienstschichten) auf.
- Mobilisierung: Der/Die Ethnograph:in wird mobil, wechselt die Beobachtungsposition und folgt Akteur:innen durchs Feld. Möglich wäre z. B. der Lehrperson bis in das Lehrerzimmer zu folgen.
- Fokussierung: Mit fortschreitendem Forschungsverlauf konkretisiert und zentriert der/die Beobachtende seine Wahrnehmung zunehmend auf einen bestimmten Fokus. Dieser kann zeitlich, thematisch, räumlich und personell bestimmt sein. Denkbar wäre z. B. die Fokussierung auf den Unterrichtsbeginn oder einen bestimmten (außerschulischen) Lehrort sowie die Begleitung der Schulleitung.
- Perspektivenwechsel: Der/Die Forschende fokussiert verschiedene im Feld vorkommende Perspektiven bzw. versucht sie im Wechsel einzunehmen. (vgl. Breidenstein et al. 2020, S. 88-92)
Im weiteren Forschungsverlauf wird der Blick somit selektiver, Forschungsfragen werden zunehmend spezifischer: Das Vorgehen entwickelt sich von einem anfänglichen ‚nosing around‘ (Lindner 1990, S. 11) zu fokussierten Beobachtungen und letztendlich zu konkret-spezifischen Analysen. So lässt sich der ethnographische Forschungsprozess als Trichter beschreiben, „der mit einer großen Unbestimmtheit beginnt und bei der Analyse ganz spezifischer Phänomene endet, wobei die Selektionen dieser Phänomene wesentlich vom Feld mitbestimmt werden“ (Breidenstein et al. 2020, S. 44).
4.2 Von Feldnotizen zu dichten Beschreibungen
Das Schreiben zwingt den/die Ethnograph:in zum einen zur Reflexion über das Feld, das Geschehen und die eigene Rolle im Feld. Zum anderen werden Beobachtungen, Erfahrungen und „stumme“ Abläufe oder Artefakte durch die Verschriftlichung für die Analyse verfügbar gemacht – sie werden zu Daten. Ethnograph:innen bedienen sich verschiedener Schreibstrategien und -arten, die sich hinsichtlich ihres Detaillierungsgrads sowie ihrer Funktion und Stadien unterscheiden lassen.
Feldnotizen
In Feldnotizen (siehe Abb 1 unten) halten Ethnograph:innen erste Eindrücke (nach Möglichkeit bereits während der Feldsituationen) in knapper Ausführung fest. So werden Schreibblock und Stift zu ständigen Begleitern im Feld – trotz ggf. möglichen Video- und Tonbandaufzeichnungen. Auch wenn Aufnahmegeräte eingesetzt werden, was zweifelsfrei nützlich sein kann, sollte auf das Verfassen von handschriftlichen Notizen nicht verzichtet werden. Diese können eine wertvolle Gedächtnisstütze für eine spätere Rekonstruktion des Erlebten sein, indem sie den Blick auf „Erinnerungswertes“ lenken. Zudem können viele Aspekte der Situation, die sich Ton- und Bildaufnahmen entziehen, problemlos Eingang in die Notizen finden. Das können neben ersten Beobachtungen Kontextinformationen, wie zeitliche Angaben und Anmerkungen zum Setting, den Teilnehmenden und der Atmosphäre im Raum sein. Kergel (2018, S. 93) empfiehlt für Feldnotizen (und anschließende Protokolle) die Angabe des Beobachtungsfelds (Wo wird beobachtet?), der Beobachtungseinheit (Was wird wann beobachtet?) und der Beobachtungsteilnehmer:innen (Wer beobachtet wen wie?). Weitere Erfahrungen und Hinweise zum Handwerk des notierenden Schreibens finden sich z. B. bei Lofland/Lofland (1999) sowie bei Emerson/Fretz/Shaw (1995).
Falls das Setting oder die Involvierung des Forschenden in das Geschehen keine passenden Gelegenheiten des Notierens zulässt, ist es ratsam, Pausen zu schaffen und diese für das Verfassen von Feldnotizen zu nutzen. Ist bspw. das Notieren im Sportunterricht oder in der Schulmensa nur schwer möglich, empfiehlt sich ggf. ein regelmäßiger Rückzug – z. B. auf die Toilette oder in den Flur vor der Tür.
Beobachtungsprotokolle und -beschreibungen
Im Anschluss an die Feldsituation werden die kryptischen Kritzeleien der Feldnotizen, die oft nur von den jeweiligen Verfasser:innen zu entschlüsseln sind, zu detailreichen Fließtextprotokollen ausgearbeitet. Dies sollte ebenfalls zeitnah geschehen, da Notizen schnell unverständlich werden und das Beobachtete in Vergessenheit geraten oder durch eigene Vorannahmen verfärbt werden kann. Eindrücke und Erfahrungen werden zu Beschreibungen ausformuliert, die die beobachteten Abläufe, Handlungen und Phänomene rekonstruieren und für nicht-anwesende Leser:innen aufbereiten.
Was in dem Protokoll (siehe Abb. 2 unten) wie zur Sprache kommt, ist im hohen Maße von dem Forschungsfokus aber auch der Beobachtungsphase abhängig. So ist es gerade in der explorativen Phase zu Beginn der Feldforschung förderlich für Entdeckungen, das Geschehen in möglichst sachlichen Beschreibungen festzuhalten und verschiedene Handlungen des Feldes detailliert in Worte zu fassen. Besonders interessant für gezielte und ausführliche Beschreibungen sind Situationen, die den/die Forschende:n entweder irritiert haben oder immer wiederkehren, also typisch für das Feld zu sein scheinen (vgl. Kergel 2018, S. 91).
Grundsätzlich sollten sich ethnographische Beschreibungen an der Maxime orientieren: „Details statt Zusammenfassungen, konkrete Eindrücke statt Generalisierungen“ (Breidenstein et al. 2020, S. 115). So werden Protokolle zur Grundlage von ersten Konzeptionalisierungen, Strukturierungen, und weiteren Fokussierungen, indem sie den Blick auf Analysewürdiges lenken. Sie sind gleichzeitig Reflexionsinstrument und Distanzierungsmethode, indem sie die Konfrontation mit Fragen ermöglichen. Forscher:innen werden in den Beobachtungsprotokollen keineswegs als Verfasser:innen oder Teilnehmer:innen unsichtbar. Vielmehr sollen Empfindungen und Praktiken der Forschenden reflektierend-schreibend aufgenommen werden (z. B. Wo zeigen sich in den Beschreibungen Interpretationen? Welche Werturteile des Beobachters/der Beobachterin stehen zwischen den Zeilen? Welche anderen Les- und Schreibarten sind denkbar?). „Das Qualitätskriterium für die Verschriftlichung von Beobachtungen liegt einerseits in der Ausführlichkeit und Detaillierung des Schreibens und andererseits in der Reflexion und zunehmenden Fokussierung und analytischen ‚Verdichtung‘ des Schreibens.“ (Breidenstein 2012, S. 33).
Im Verlauf des Forschungsprozesses werden Protokolle zunehmend durch analytische Anreicherungen zu dichten Beschreibungen (Ryle 1971; Geertz 1987 [1973]) weiterverarbeitet. „Dicht“ sind die Beschreibungen in zweifacher Weise: Zum einen sind die Beschreibungen „dicht“ am beobachteten Interaktionsgeschehen, indem sie detailliert beschreiben, was in welcher Weise vor sich geht. Sie lenken so den Blick auch auf scheinbar banale Situationen. Zum anderen zeigt sich ihre „Dichte“ durch die Verknüpfung von Beobachtungen mit Bedeutungsinterpretationen (vgl. Wiesemann 2011, S. 177). Beide Verdichtungen sind mit- und füreinander verflochten. Über das dicht beschriebene Wie der Verläufe und Praktiken können sich Bedeutungsinterpretationen zeigen und Sinnzuschreibungen plausibilisieren. Hilfreich für die Realisierung von Verdichtungen können folgende Überlegungen sein: Das beschreibende Heranzoomen an das Wie von Praktiken braucht als Mikroskopierung Raum auf dem Papier. Es verlangt nach Details, die sich z. B. durch wiederkehrendes Beobachten, das Hinzuziehen von Felddokumenten, Fotos von Artefakten, Audio- und Videoaufnahmen stützen und verschriftlichen lässt. Es lässt sich die Passung von Adjektiven sowie Verben überdenken und nach (Verständnis-)lücken im beschriebenen Situationsverlauf suchen, die den mit dem Feld vertrauten Forscher:innen auf den ersten Blick nicht mehr auffallen. Das Schreiben, die reflexive Auseinandersetzung mit dem Geschriebenen sowie dessen kontinuierliche Weiterentwicklung und Überschreibung ermöglichen eine Distanzvariation zum Erlebten.
4.3 Von scheinbar Vertrautem zur Entdeckung
Für das oben beschriebene Entdeckungsanliegen der Ethnographie über die verbundene Befremdung lassen sich verschiedene Strategien der analytischen Distanzierung nutzen. Für erfolgreiche Explorationen braucht es zunächst eine grundlegende Bereitschaft, Neues im vermeintlich Bekannten entdecken zu wollen. Bestehende Wissensbestände, Normen und Thesen müssen eingeklammert bzw. mit einem Fragezeichen versehen werden: „Wenn das Überraschende, Unerwartete einmal ausbleibt – also alles so ist, wie man es erwartet hat – so würde dies nur anzeigen, dass es der teilnehmenden Beobachterin misslungen ist, sich in ihren Vorannahmen verunsichern zu lassen.“ (Breidenstein et al. 2020, S. 44) Dies ist insbesondere für Lehramtsstudierende, die sich als Forscher:innen in das schulische Feld aufmachen, eine gewisse Herausforderung: Nicht nur sind sie ‚selbstverständlich‘ selbst lange zur Schule gegangen, auch haben sie schon viel über (guten) Unterricht, Sozialformen, Methoden und Medien gelernt – man glaubt zu wissen, wie Schule funktioniert bzw. laufen soll. Dies kann die ethnographische Analyse von schulischen Mikroprozessen erschweren (vgl. Heinzel 2010, S. 39 ff.). Weiß man z. B. schon, dass der konzeptionell verankerte Sitzkreis, der jeden Montagmorgen in einer Grundschulklasse durchgeführt wird, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Kinder sowie ihre narrativen und rezeptiven Kompetenzen steigern soll, übersieht man schnell, dass er in der Praxis vielleicht (noch) ganz andere Rollen spielt. So kann ggf. bei genauer Betrachtung ersichtlich werden, wie die Erzählungen der Kinder von Lehrer:innen intuitiv genutzt werden, um normative Vermittlungen von guter und schlechter Freizeitgestaltung an Wochenenden anzustreben – Erzählungen von am Sonntag gelesenen Büchern werden ausführlich ausgebreitet und gewürdigt, Erzählungen von gespielten Computerspielen werden übergangen oder beendet (vgl. Leßmann 2016)[1]. Ist diese erste Entdeckung gemacht (und nicht als pädagogische Selbstverständlichkeit abgetan), lässt sich eine „analytische Distanz“ (Breidenstein 2012, S. 31) zum eigenen Alltagswissen weiter ausbauen bzw. das Herstellen einer „fremde[n] Nähe“ (Fuhs 2011, S. 62) weiter forcieren. Beobachtete Situationen können z. B. gedanklich aus ihrem (schulischen) Beobachtungskontext herausgelöst werden. Im Rahmen eines „So tun als ob“: Welche Reaktionen wären in anderen Settings und Institutionen erwartbar, wenn man eine (ggf. erwachsene) Person fragt, ob sie am Wochenende denn wirklich nichts anders gemacht hat, als das, wovon sie freimütig berichtet? Derartige Gedankenexperimente – die schnell an Garfinkels Krisenexperimente erinnern – sind in der Lage, die unausgesprochene Spezifik von bestimmten Feldern analytisch herauszustellen: Fragen in der Schule haben z. B. deutlich andere Funktionen als Fragen im außerschulischen Alltag. Für das Aufdecken sowie Verstehen dieser ‚Besonderheiten und Merkwürdigkeiten‘ kann es auch hilfreich sein, sich die Frage zu stellen, wie das Geschehen auf jemanden wirken könnte, der nie eine (deutsche, staatliche, reformpädagogische, gegenwärtige usw.) Schule von innen gesehen hat. Welche Fragen würde er/sie sich stellen? Worüber würde er/sie stolpern? Was würde ihn/sie wundern? Für derartige Perspektivierungen kann zudem die Beschäftigung mit Literatur und Theorie dienlich sein, die mit dem empirischen Material konfrontiert wird. In diesem Zuge kann auch mit historischen Dekontextualisierungen und sich wandelnden Diskursen bzw. Normvorstellungen gespielt werden: Was würde bspw. ein besorgter Autor, der die Diskussionen um die „Lesesucht“ im 18. Jahrhundert mitprägte und Romane als neue Medien verdammte, zu einem Morgenkreis sagen, in dem das Verschlingen von Büchern gelobt wird? Und was verrät uns das zu den bewertenden Einsortierungen der neuen Medien unserer Zeit?
Jenseits solcher hypothetischen Fragen kann es aufschlussreich sein, auch empirisch dem Fremden im Vertrauten nachzugehen. Man kann sich z. B. dem Schulanfang zuwenden, um zu sehen, wie die Sozialisation vom Kind zum Schüler abläuft. Welche Fallstricke und Anforderungen, auf die man selbst gedanklich nicht (mehr) gekommen wäre, finden sich beobachtbar auf dem Weg? Wie bewegt man sich als Neuling erfolgreich und fähig in der Institution Schule? Welche kleinen Probleme, Krisen oder Entgleisungen sozialer Situationen lassen sich ausmachen und was verraten uns diese über ungeschriebene Schulordnungen bzw. die situativen Anforderungen, die jenseits von formalisierten Schulfähigkeitstests liegen? Auch kontrastive Beobachtungen aus der Kindertagesstätte oder der weiterführenden Schule können diesbezüglich nützlich sein.
Nicht nur derartige biographische Übergänge der Feldteilnehmer:innen können produktiv sein, um die eigene Vertrautheit mit dem Feld zu brechen. Verschiedenste Anlässe und Situationen mit denen Neues in das Bekannte eingeführt wird können über die Präsenz der Forschenden erkenntnisreich werden . Schule ist ein Feld stetiger (wenn auch manchmal träger) Reformen, Entwicklungen und Erneuerungen. Diese werden teils „top-down“ verordnet oder „bottom up“ von engagierten Lehrpersonen in eine (ggf. widerständige) Praxis getragen. Wie reagiert das Feld z. B. auf das interaktive Whiteboard im Kontrast zur analogen Tafel? Wie etabliert sich dieses Neue und wie wird es integriert? Welche Störungen, Umgangsweisen, Umnutzungen und Workarounds zeigen sich? Und was verrät uns das mit Blick auf die sozio-technische Funktionsweise von Medien im Unterricht?
Eine weitere gängige Möglichkeit der analytischen Distanzierung bietet die Grounded Theory (Glaser/Strauss, 1967; Strauss/Corbin 1996), die im Rahmen von ethnographischer Feldforschung häufig genutzt wird. Neben der schon mehrfach angeführten Suche nach Kontrasten und Varianten, die auch für die Kodierschritte der Grounded Theory Relevanz besitzt, bietet sich insbesondere das Theoretical Sampling (vgl. Strauss/Corbin 1996, S. 150) für die zirkuläre Phasierung des Forschungsprozesses an. Es baut darauf, dass sich Phasen der (Feld-)Forschung wiederkehrend mit Phasen der Auswertung am heimischen Schreibtisch abwechseln. Durch diese Rückzugsphasen wird der Frage Raum gegeben, was man eigentlich – mit Abstand betrachtet – beobachtet hat und wie dies die zukünftigen Beobachtungen im Feld refokussieren könnte. Auch wenn Ethnographie und Grounded Theory prinzipiell einen theoriegenerierenden und weniger einen theorieprüfenden Anspruch formulieren, lassen sich jenseits einer radikal induktivistischen Lesart der Grounded Theory die Schreibtischphasen auch nutzen, um in der Beschäftigung mit Literatur anschlussfähige Theorien als analytische Linsen auszumachen, mit denen sich auf die Beobachtungen blicken lässt. So lassen sich Anschlüsse des empirischen Materials an verschiedene Theorien diskutieren, die als mögliche und unterschiedlich fokussierte Optiken genutzt werden. Zentral ist dabei das „(kreative) Aufeinander-Beziehen theoretischer Konzepte und empirischer Daten“ (Kalthoff 2014, S. 870). Dies kann sowohl neue Lesarten der empirischen Beobachtungen generieren als auch die Beobachtungen für Irritationen und Weiterentwicklungen der Theorie nutzbar machen (siehe auch Hirschauer/Kalthoff/Lindemann 2008).
Letztlich geht es im Rahmen der Verwendung ethnographischer Beobachtungen um verschiedene Wege eines notwendigen „Wechsel zwischen Nähe und Fremdsein“ (Kergel 2018, S. 83). Gelingt dies, lassen sich vielfältige Entdeckungen machen. Etwa, dass es identifizierbare Spielarten und Strategien des Meldens gibt, die praktiziert werden, um ein „Drangenommenwerden“ zu vermeiden (vgl. Budde 2011, S. 137; siehe auch Kalthoff 1997, S. 90). Dass Schüler:innen beim Experimentieren weniger nach Naturphänomenen forschen, als vielmehr nach der hinter dem Experiment liegenden schulischen Aufgabenlogik, die dem fachlichen Lernen ggf. im Wege steht (vgl. Wiesemann/Lange 2014, S. 56 ff.). Dass Schüler:innen ein stark geschultes Gespür für das haben, was beim Demonstrationsexperimentieren gesehen werden soll und was nicht (vgl. Röhl 2013, S. 79 ff.). Oder dass die interaktive Praxis des Klassenrats – jenseits eines partizipatorisches Geschehens – von Kindern zur Pflege von Peer-Beziehungen und Image (um)genutzt wird (vgl. de Boer 2006, S. 203 ff.).
Ein ausführliches Beispiel, das die bisherigen Ausführungen des Beitrags weiter konkretisieren soll, schließt sich im Folgenden an.
5. Beispiel: Drannehmen 2.0 – Bedeutungsverschiebungen einer schulischen Technik?
Das hier vorgestellte Datenmaterial stammt aus einem Forschungsprojekt, das sich dem Einsatz von Avataren im Grundschulunterricht zuwendet. Avatare sind Telepräsenzroboter, die Schüler:innen die Partizipation am Unterrichtsgeschehen aus der Ferne ermöglichen. Ist die körperliche Anwesenheit in der Schule bspw. aufgrund einer (Langzeit-)erkrankung oder Quarantäne nicht bzw. nur eingeschränkt möglich, kann das Kind im Klassenzimmer durch den Avatar teilnehmen. Der in dem Forschungsprojekt eingesetzte Roboter ist ausgestattet mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher. Er befindet sich im Klassenzimmer, während sich das Kind zuhause über ein mobiles Endgerät mit dem Avatar verbinden, den Unterricht per Live-Stream verfolgen und u.a. die Ausrichtung der Kamera steuern, das Gesagte hören und eigene Wortbeiträge leisten kann. Darüber hinaus kann sich der Avatar u.a. „melden“: Durch ein weiß leuchtendes Licht zeigt der Avatar bei Bedarf den Redewunsch des Kindes an.
Techniken des Meldens und Drannehmens geraten mit der folgenden Beobachtung in den Blick. Die Situation ist alltäglich und erscheint auf den ersten Blick bekannt: Schüler:innen können sich durch Aufzeigen für das Erlangen des (temporären) Rederechts bewerben. Allerdings stellen Schüler:innen durch Meldungen lediglich ein „Selektionsangebot an den Lehrer“ (Kalthoff 2000, S. 437). So kann es vorkommen, dass man nicht drangenommen wird, obwohl man sich gemeldet hat. Ebenso kann die Auswahl eines Schülers/einer Schülerin durch die Lehrperson auch dann erfolgen, wenn diese/r sich nicht gemeldet hat. Die Vergabe des Rederechts wird dann zum Auferlegen einer Redepflicht. Ein Beispiel hierfür zeigt die folgende Beobachtungssequenz. Sie ist im Rahmen einer Fragerunde entstanden, indem bereits behandelter Stoff zu Beginn der Unterrichtsstunde wiederholt bzw. abgefragt wird: Es geht um „Leonardo da Vinci“. Neben den zehn anwesenden Kindern ist Simon über den Avatar zugeschaltet.
Die Lehrerin fragt: „Wisst ihr denn auch, was sein berühmtestes Gemälde war? Das weiß der Simon, da bin ich mir sicher. Simon, was sagst du?“. Ein Großteil der anwesenden Schüler und Schülerinnen meldet sich. Die Lehrerin wählt jedoch keines der Kinder vor Ort aus, sondern fordert von Simon eine Antwort, obwohl dieser durch den Avatar keinen Redewunsch signalisiert: Das Meldelämpchen blinkt nicht und der Avatar ist stumm und starr, den Kopf in Richtung Fenster und nicht zur Lehrerin ausgerichtet. „Ist er schon wieder weg?“, fragt sie, nachdem nicht sofort eine Antwort kommt. Sie versichert sich, dass der Avatar noch verbunden ist, was die leuchtenden Lampen bestätigen. Sie muss dafür ein paar Schritte zurück gehen, da der Avatar neben dem Pult positioniert ist. Sie winkt vor der Kamera mit ihrer Hand: „Halloooo […]. Bist du da?“. Die Aufmerksamkeit der gesamten Klasse ist auf den Avatar gerichtet.
Nach ein paar Augenblicken, einem kurzen (Ab-)Warten auf eine Reaktion, stößt die Lehrerin ein ratloses, abschließendes „Hm.“ aus und richtet sich wieder in Richtung der anwesenden Schüler und Schülerinnen. Daraufhin schnellen die Arme von einigen Schülerinnen und Schülern, die zuvor mit der Auswahl von Simon gesenkt wurden, wieder in die Höhe. Auch Marie meldet sich, die von der Lehrerin nun mit einem „Okay Marie, dann du.“ drangenommen wird. Marie setzt zur Antwort an, wird aber von Simon unterbrochen und übertönt, der sich nun doch zu Wort meldet: „Die Mona Lisa!“ schallt es laut aus dem Lautsprecher des Avatars. Marie nimmt die Unterbrechung durch Simon wortlos hin und scheint hiervon nicht verärgert zu sein. Die Lehrerin bestätigt die Richtigkeit der Antwort: „Ah, da bist du ja wieder. Richtig, die Mona Lisa. Und was ist das Besondere an ihr?“. Sofort wird mit Leon der nächste, sich meldende Schüler drangenommen. Die Fragerunde zu Leonardo Da Vinci wird noch ein paar Frage-Antwort-Sequenzen fortgeführt, bevor die Lehrerin die Besprechung und Kontrolle der Hausaufgaben einleitet.
Das Drannehmen eines Schülers, der sich nicht gemeldet hat, ist auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich, sondern gängige Unterrichtspraxis, die mit verschiedenen Absichten verbunden sein kann. So soll die Auswahl bspw. die Beteiligung von zurückhaltenden Schüler:innen provozieren (vgl. Budde 2011, S. 140; Kalthoff 2000, S. 437) oder den Fortgang des Unterrichtsgesprächs sichern, z. B. wenn sich niemand eigeninitiativ meldet (vgl. Kalthoff/Falkenberg 2008). Zudem wird das Drannehmen als Disziplinierungsmaßnahme genutzt, um Unaufmerksamkeiten abzustrafen und zu unterbinden (Budde 2011, S. 140 f.).
Die in der protokollierten Szene beobachtete Praktik des Drannehmens scheint allerdings auf keine der genannten Strategien zurückzuführen. Jenseits einer Prüfung von Simons Wissens („Das weiß der Simon, da bin ich mir sicher“), scheint sich vielmehr eine für den Unterricht mit Avataren spezifische Funktion der Auswahl ohne Meldung zu zeigen, die durch die fehlende körperliche Kopräsenz des Kindes und die technischen Gegebenheiten des Avatars geprägt ist. Durch die einseitige Videoübertragung des Mediums, nämlich vom Klassenzimmer ins Kinderzimmer, entzieht sich das Kind dem prüfenden Blick der Lehrperson. Der Körper des Schülers als „Zeichenträger“ und Informationsvermittler fehlt (vgl. Kellermann/Wulf 2011, S. 28), was mit ungewohnten Ungewissheiten einhergeht. Diese betreffen das „Dabei-Sein“ des Schülers. Möglicherweise beobachten wir, wie die Praxis des Drannehmens die Funktion einer Kontrolle von An- und Abwesenheit übernimmt. Denn während das Schweigen der körperlich anwesenden Schüler:innen z.B. als Nicht-Wissen interpretiert werden kann, verweist das Schweigen von Simon bzw. dem Avatar auf die Möglichkeit einer technischen Störung, durch die Simon aus der Situation im Klassenraum geworfen wurde. Indem die Lehrperson Simon zum Sprechen auffordert, kann nicht nur kontrolliert werden, ob Simon kognitiv dabei ist. Es wird auch unausgesprochen gefragt, ob er technisch überhaupt noch da ist – und somit eventuell Handlungsbedarf auf Seiten der Lehrerin besteht. Zugleich beobachten wir, wie das Ausbleiben einer Antwort die Akteure auf eine Probe stellt. Das Schweigen des Avatars kann noch nicht eindeutig interpretiert werden: Wie lange soll man warten? Was verraten die LEDs? Ist das Kind oder das Gerät verantwortlich für die Sprechpause? Kann der Schüler die Frage nicht beantworten oder findet er den Sprechknopf nicht? Ist er abgelenkt oder sitzt gar nicht mehr vor dem Gerät? Der Bruch bzw. die Krise wird von der Lehrerin zunächst dadurch gelöst, dass sie das Rederecht (in bekannter Weise) an das nächste Kind übergibt und die Situation somit wieder in gewohnte Bahnen bringt. Vielleicht – das könnten weitere Beobachtungen zeigen – hätte sie sich später dem ausgemachten Problem zwischen Simon und dem Avatar intensiviert zugewendet.
Jenseits der Frage, ob die Anwesenheitsprüfung die Intention der Lehrerin war (von der sie in einem Interview berichten würde) wird erkennbar, wie neue Medien und tradierte schulische Techniken im Wechselspiel neue Bedeutungskonnotationen, Möglichkeitsräume und Handlungsprobleme entstehen lassen können. Es zeichnet sich ab, wie sich Praktiken vermischen, verlagern, neu akzentuieren, aktualisieren und überschreiben können. Als Spur kann diesen Praktiken (hier dem Drannehmen) weiter im Feld mit zukünftigen Beobachtungen gefolgt werden. Eine Möglichkeit der Re-Fokussierung zeichnet sich ab: War die Forschung zunächst offen von der Frage „Wie wird Unterricht mit Avataren gemacht?“ geleitet, fordert die oben beschriebene Beobachtung dazu auf, einer spezifizierten Frage zu folgen: „Wie wird Melden und Drannehmen im Rahmen des interaktiven Klassengesprächs mit anwesenden und abwesenden Teilnehmern praktiziert?“. Mit den weiteren Unterrichtsbesuchen kann dieser Frage nachgegangen und das bereits angedeutete Verhältnis von neuen und gewohnten Praktiken weiter forciert und in Konfrontation mit weiteren Unterrichtsroutinen auf die Probe gestellt werden. Derartige Re-Fokussierungen, Spuren und Entdeckungen offenbaren sich vielfach am heimischen Schreibtisch im Zuge analytisch-distanzierter Auseinandersetzungen mit dem Beschriebenen. Voraussetzung und Bedingung ist die hinreichend dichte Beschreibung. Das Datenmaterial wird so auf Basis erster analytischer Dimensionierungen zum Ausgangspunkt für neue Fokussierungen und gibt ggf. Hinweise auf noch „dünne“ Flecken im Text, die die Weiterarbeit an der vorliegenden oder an den zukünftigen Beschreibungen bzw. Beobachtungen orientieren. Mögliche weitere Verdichtungen des Beispiels betreffen z. B. Maries Meldesequenz. Ist hier das Datenmaterial bereits durch Bedeutungszuschreibungen verdichtet – nämlich, dass Marie durch die Unterbrechung von Simon nicht verärgert ist – es bleibt offen, wie die Ethnographin zu diesem Schluss kommt. Ergänzende Beschreibungen bspw. zu ihrer Mimik können die Sequenz dahingehend plausibilisieren – oder ggf. neue Entdeckungen offen legen.
In diesem Sinne möchte das hier dargelegte empirische Beispiel den Lesenden erstens einen Eindruck vermitteln, wie sich in Beobachtungsprotokollen neue Perspektiven, Fährten und Erkenntnisse aufspüren lassen und zweitens die Zirkularität ethnografischer Erkenntnisprozesse verdeutlichen.
6. Methodische Reflexion
Die Ethnographie hat sich mit ihrer explorativen Forschungshaltung, ihrer starken Feldorientierung und den damit einhergehenden vielseitigen Erkenntnispotenzialen über die Grenzen der Disziplinen hinweg als methodische Forschungsstrategie etabliert. Dennoch haben ihre Einsatzgebiete Grenzen. Zunächst ist die Ethnographie aufgrund ihres explorativen, offenen Vorgehens weniger für die kanalisierte Überprüfung von kausalen Zusammenhängen und Hypothesen geeignet. Hiermit geht jedoch keine streng induktive Verortung einher. Vielmehr ist die Ethnographie prädestiniert für eine „Empirische Theorie“ (Hirschauer/Kalthoff/Lindemann 2008), mit der es um das wechselseitig-irritierende Aufeinander-Beziehen von Theorie und Empirie geht. Ermöglicht wird „Erklärung ohne Kausalität und Generalisierung ohne Vorhersage.“ (Kalthoff 2014, S. 870; Herv. i. Orig.). Mit einem so akzentuierten Anspruch geht es um das Verstehen von Praxis in situ, einschließlich zugrundeliegender Feldordnungen und Sozialität. Auch wenn Narrative und sprachliche Handlungen der Akteur:innen relevanter Teil der Feldbeobachtungen sind, entfernt sich eine exklusive Bezugnahme auf diese vom Anliegen der Ethnographie. Die Sequenzialität von Sprachhandlungen, der Verlauf von Kommunikationsströmen bzw. Diskursen oder die Fokussierungen des einzelnen Subjektes (mit seiner Biographie, seinen Einschätzungen und Selbstaussagen) lassen sich trefflich mit anderen einschlägigen Ansätzen der qualitativen Sozialforschung ergründen. Evaluativ-normative Fragen (bspw. nach Lernerfolgen der Schüler:innen) legen selbstredend eher den Einsatz messender, quantitativer Verfahren nah.
Abseits methodologischer Limitierungen werden der Teilnehmenden Beobachtung auch Grenzen durch das Feld gesetzt. Stark eingeschränkte Zugänge, aber auch zeitliche und finanzielle Ressourcen des/der Forschenden sind dabei hervorzuheben. Bestrebt das Feld vollständig zu durchdringen, ist der/die Ethnograph:in sich doch bewusst, dass er/sie trotz intensiver Feldteilnahme und detaillierter Beschreibungen das Feldgeschehen immer nur selektiv erfassen kann.
Die starke Abhängigkeit zum Feld fordert darüber hinaus Flexibilität, breite Methodenkenntnisse und Kreativität von den Forschenden. Dies macht die Ethnographie zu einem „abenteuerlichen und anspruchsvollen Forschungsverfahren“ (Friebertshäuser & Panagiotopoulou 2013, S. 302), welches jedoch vielfältige Erkenntnisse und lohnenswerte Impulse verspricht – auch für die Schulentwicklung und Lehrer:innenbildung. Denn der befremdende Blick der Ethnographie vermag tradierte und starre Sichtweisen auf Schule und Unterricht zu kontrastieren. Es können so neu gefundene Perspektiven auf Bildungskontexte eröffnet werden und letztlich auch neue Diskurse bezüglich der Frage angestoßen werden, was Schule ist und soll.
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[1] Die Be- und Zuschreibungen vermögen so auch etwas über den Ethnographen/ die Ethnographin zu verraten und können für zukünftige Feldaufenthalte Hinweise zur refokussierten oder vertieften Beobachtung geben.
[2] Das Datenmaterial ist im Rahmen einer studentischen Forschungsarbeit erhoben, analysiert und auf der Homepage der „Ethnografischen Forschungswerkstatt Kindheit und Schule“ der Universität Siegen (https://efo.uni-siegen.de/) veröffentlicht worden. Hier finden sich weitere ethnografische Studienprojekte, die Lesarten und Analysemöglichkeiten von Beobachtungsprotokollen aufzeigen.
(Abb. 1 – Feldnotizen, Bsp.)
(Abb. 2 – Beobachtungsprotokoll, Bsp.)