Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Aufhebung der dualistischen Solidarität

17.01.03
In der zweiten Stunde war ich mit Herrn Merkel in der 5ten Klasse – eine Mathematikstunde. Ein paar Mädchen holten Herrn Merkel am Lehrerzimmer ab und redeten auf dem Weg zum Klassenzimmer mit ihm. Während einer Rechenaufgabe – in der Klasse war es absolut ruhig – sagte ein Junge plötzlich: „Der Charly ist gar nicht da. Das merkt man gleich – is´ viel ruhiger“. Die anderen Kinder lachten, nickten mit dem Kopf oder sprachen ihre Zustimmung aus.

Die SchülerInnen dieser 5ten Klasse drücken ihre Antipathie gegenüber ihrem Mitschüler Charly offen – durch Gelächter und Nicken und zustimmende Äußerungen – in Gegenwart von Herrn Merkel aus. Damit heben sie nicht nur die Solidarität zu Charly auf, sondern – indem sie Herrn Merkel ihre antipathische Haltung wissen lassen – auch die Polarität zwischen SchülerInnen und LehrerInnen. Oder anders gesagt: Die Sympathie zu Herrn Merkel bzw. die Antipathie gegenüber Charly, wiegt mehr als das solidarische Gefüge der SchülerInnen.

07.10.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Wie ist die neue Klasse?
Conny: Ähm, also, im Gegensatz zu unserer alten Klasse, isses hab´, isses mehr so, ähm, ich weiß net, da geht´s net mehr so um die Markenklamotten odder so. Weil in meiner alten Klasse war´s so wenn, we´ma so, wie heißt´s?…nein, also we´ma was ang´habt hat, was net so modern war odder so, dann wurd´ ma halt, ähm, so voll fertig gemacht und so und des ist jetzt eigentlich net so, find´ ich.

In dieser Interviewsequenz mit Conny wird deutlich, dass Antipathie auch von bestimmter Kleidung abhängig sein kann. Erfüllt ein Schüler bzw. eine Schülerin also nicht das von der Klasse erwartete Image, das im Tragen bestimmter Marken-Kleidung zum Ausdruck kommt, wird dieses abweichende Erscheinungsbild negativ sanktioniert: „also we´ma was ang´habt hat, was net so modern war odder so, dann wurd´ ma halt, ähm, so voll fertig gemacht und so“. Im Zusammenspiel mit Gruppenzwängen kann Antipathie gegebenenfalls nicht nur das solidarische Gefüge zwischen SchülerInnen zerstören, sondern zuweilen an Mobbing grenzende Verhaltensweisen hervorrufen, die Gruppen gezielt gegen einzelne SchülerInnen vorgehen lassen.

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