Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Vorteil SchülerInnen

16.09.02
Torben ißt, Manuela hört Walkman, Charlotte und Lena riechen an Pritt-Stiften, manche trinken und die Jungen in der ersten Reihe husten nach einem Versuch absichtlich.

Eines der wichtigsten Instrumentarien der SchülerInnen ist die Möglichkeit den Geräuschpegel zu bestimmen. Dass die Jungen in der ersten Reihe nach einem Versuch absichtlich husten, zeigt, dass sich SchülerInnen dieses Instrumentariums durchaus bewusst sind und es gegebenenfalls auch gezielt einsetzen. Es wird ersichtlich, dass sie ihre zahlenmäßige Überlegenheit und die der Situation immanente Unmöglichkeit des Lehrers bzw. der Lehrerin ausnutzen, die Aufmerksamkeit auf alle SchülerInnen gleichermaßen zu lenken, indem sie heimlich durch die Hausordnung Verbotenes tun, wie zum Beispiel essen, trinken, Walkman hören, Hausaufgaben machen etc.

15.11.02
In einer Biologiestunde kam die Klasse irgendwie darauf zu sprechen, daß Bananen Beeren sind. Herr Dr. Behringer griff das Thema auf. Die SchülerInnen nannten daraufhin ca. fünfzehn Minuten lang irgendwelches Gemüse oder Früchte (Lychee, Kaktusfrucht, Kürbis etc.) und Herr Dr. Behringer erteilte Auskunft über ihre Zugehörigkeit (Steinfrucht, Beere etc.). Die SchülerInnen fragten immer weiter, blickten auf ihre Uhren, lachten und tuschelten.

Ihre zahlenmäßige Überlegenheit eröffnet den SchülerInnen Nischen der Macht. Im vorliegenden Beispiel heucheln sie erfolgreich Interesse, um Zeit zu schinden, d.h. die Unterrichtsstunde mit ihren Fragen zu füllen, so dass keine neuen Lerninhalte mehr thematisiert werden können. Sie freuen sich an ihrer List, was durch das Lachen und Tuscheln zum Ausdruck kommt, das Herr Dr. Behringer in diesem Moment gar nicht bemerkt. Die SchülerInnen übernehmen die Gestaltung des Unterrichts, was üblicherweise Vorrecht des Lehrers bzw. der Lehrerin ist und es gefällt ihnen offensichtlich, dass der Lehrer seinen Kontrollverlust gar nicht bemerkt.
Da Macht ein duales System benötigt, d.h. auf der einen Seite die Mächtigen und auf der anderen Seite die Untergebenen, treffen wir auch im Lehrer-Schüler-Verhältnis auf diese systemisch bedingte Aufteilung. Die Sequenzen dichter Beschreibung haben gezeigt, dass sich SchülerInnen und LehrerInnen im Klassenzimmer als Antagonisten gegenüber stehen. Ihre jeweiligen Möglichkeiten zur Ausübung von Macht beziehen die Parteien aus unterschiedlichen Quellen. Die LehrerInnen, ausgestattet mit der Hausordnung und ihrer Legitimation haben offiziell „das Sagen“. Sie sind diejenigen, die Kraft ihres Amtes und der damit einhergehenden Sanktionsmöglichkeiten das Unterrichtsgeschehen bestimmen sollten. Allerdings sind diese Sanktionsmöglichkeiten beschränkt und die Rebellion gegen die Autorität der LehrerInnen scheint für viele SchülerInnen buchstäblich eine „befreiende“ Wirkung zu haben. Auffallend ist es in jedem Fall, dass beide Seiten von einem grundsätzlichen Gegeneinander ausgehen. In diesem Punkt besteht großes Einvernehmen.

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