Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten
Aufhebung der dualistischen Solidarität
Die Kategorie der Sympathie ist deswegen so bedeutungsvoll, weil sie in der Lage ist, die anderen durch Polarität zwischen SchülerInnen und LehrerInnen gekennzeichneten Kategorien außer Kraft zu setzen. Nachfolgende Feldbeschreibungen veranschaulichen dies:
29.11.02
Nach der Mathematikstunde redeten Charlotte, Beatrice und Lena mit Herrn Hofstätter, weil in der Biologie-Arbeit ein Begriff vorkam (Plasmolyse), den die Klasse nie zuvor besprochen hatte. Die Frage zur Plasmolyse machte zudem punktemäßig ein Viertel der ganzen Arbeit aus. Herr Hofstätter hörte genau an, was die Mädchen berichteten und ließ sich die Situation erklären. Er versprach den Schülerinnen, mit Herrn Dr. Behringer darüber zu reden.
Obgleich Charlotte, Beatrice und Lena um die LehrerInnen-Solidarität wissen, wenden sie sich mit einer Beschwerde über Herrn Dr. Behringer und seine Fragestellung in der Biologie-Arbeit an Herrn Hofstätter. D.h. die Sympathie zu Herrn Hofstätter überwiegt mögliche Zweifel. Herr Hofstätter wiederum weiß um den Wert des ihm entgegengebrachten Vertrauens, was sein Zuhören und Nachfragen zeigt. Mit dem Versprechen, mit Herrn Dr. Behringer zu reden, d.h. den Mädchen helfen zu wollen, belohnt er das Vertrauen der Mädchen und bekundet gleichzeitig seine Sympathie.
07.02.03
In der zweiten großen Pause kamen Charlotte und Beatrice zu Herrn Hofstätter und beschwerten sich über Conny. Sie sagten, daß sie es schon versucht haben nett zu ihr zu sein etc., daß Conny aber immer „scheiße“ zu ihnen sei. Als Beatrice in der letzten Woche nach drei Tagen Fehlen wegen einer Krankheit am vierten Tag wieder in der Klasse gewesen sei, habe Conny gesagt: „Da isse ja wieder die Schlampe.“
In dieser Feldnotiz dokumentiert sich, dass Sympathie, die SchülerInnen LehrerInnen entgegenbringen, auch das solidarische Gefüge der SchülerInnen aufheben bzw. überwinden kann. Charlotte und Beatrice „verraten“ Conny an Herrn Hofstätter, liefern sie – in Kategorien von Macht, Solidarität und Dualismus denkend – der Gegenseite aus. Die Sympathie, die Charlotte und Beatrice für Herrn Hofstätter empfinden, ist stärker als die für Conny. Sie wenden sich an Herrn Hofstätter, weil sie sich im Umgang mit Conny überfordert fühlen. Obschon sie „versucht haben nett zu ihr zu sein“, ist Conny „immer „scheiße“ zu ihnen“. Dass sich Beatrice und Charlotte wieder an Herrn Hofstätter wenden, spricht für die Kontinuität des Vertrauensverhältnisses. D.h. Herr Hofstätter konnte durch seine vorhergehenden Reaktionen auf das ihm entgegengebrachte Vertrauen dieses festigen und verstärken, sonst hätten sich Beatrice und Charlotte nicht ein weiteres Mal an ihn gewandt.
11.02.03
Obwohl Herr Hofstätter von Herrn Fuchs schon „Druck“ wegen des Abgabetermins bezüglich der Abiturlisten (welche Disziplin die SchülerInnen des Sport-LKs beim praktisch Teil des Abiturs wählen) bekommen hatte, setzte er sich für drei weitere Tage Zeit ein, um am Freitag mit den SchülerInnen aus dem Sport-LK ins Stadion zu gehen, so daß jeder Schüler/jede Schülerin sich für seine/ihre beste Disziplin entscheiden kann.
Herr Hofstätter zeigt auch in diesem Beispiel Verständnis und Sympathie für die SchülerInnen. Trotz des solidarischen Gefüges, das ihn eigentlich zum Handeln im Sinne Herrn Fuchs drängt, stellt er sich auf die Seite der SchülerInnen. Er fühlt sich mehr seinen SchülerInnen gegenüber verpflichtet, ihnen Gelegenheit zu geben die bestmögliche Disziplin für ihre praktische Abiturprüfung zu bestimmen, als der Solidarität mit Herrn Fuchs, dem Schuldirektor.
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