Zu diesem Fall sind alternative bzw. kontroverse Interpretationen vorhanden:

Falldarstellung

In dieser Stunde sollen die Kinder den neuen Buchstaben B lernen. Zunächst wird das Schriftbild und die Schreibmotorik behandelt. Danach fordert die Lehrerin die Kinder auf, Wörter mit B zu nennen. Die Lehrerin schreibt die von den Kindern eingebrachten Wörter an die Tafel. Sämtliche Wörter haben das B im Anlaut oder sind als Wortverlängerungen aus einem solchen entstanden (z. B. Ball, Fußball). Bei einem Wortvorschlag, bei dem sich das B nicht oder nicht nur am Anfang des Wortes befindet, wird das entsprechende Kind danach gefragt, wo sich das B im Wort befindet. Bei Nachfrage nach der Position des B’s war daher bisher „Mitte“ eine erfolgreiche Antwort. Mit Davids Vorschlag „gelb“ ändert sich dies zum ersten Mal:

158 David gelb
159 L sags ma laut
160 David gelb
161 L wo is das b
162 < Ss durcheinander gelb gelb gelb Mitte Mitte in der Mitte
162.1 <S g g g gelb. kein pe
163-
164
L Leute / der einzige den ich gefragt hab dis war der / David , sags ma ganz langsam dann hörst dus
165 David Mitte
166 L sags noch mal
167 David gelb – viele Kinder sprechen mit
167.2 Efrem flüsternd gel p gel p + sich zu Franzi? umdrehend ah / da is (k)ein b drin
168-
170
L gel.b – . wo is das btippt sich dabei auf die Lippen mach ma deine Hand / dein deine Hand vorn Mund und dann sagst gelb mit einigen Kindern im Chor gel.b – wo is das b hinten / Mitte – vorne
171 S vorne
172 L wer hilft dem David
173 Ss durcheinander, immer wieder Mitte Mitte Mitte –
174 L Nicole meldet sich Nicole
175 Nicole murmelnd (? ich will neu)
176 L äh stop . gleich ja / Franzi /
177 S Mitte –
178 Franzi ich weiß wos is
179 L aufgeregt wo is es wie kannste dem David helfen
180 Franzi ich weiß nich . weil gelllllb /.. ja und das g /
181 L tippt sich dabei auf die Lippen b
182 <Franzi gellllg / gelb – das is hinten hinten
183 <L warum –
184-
186
Franzi weil gel /. wenn du jetzt .. dis mit. gel . sagst /. dann fehlt ja . dann haste ja bloß noch ein Buchstaben den de . da hinten . ein das . das des hinsetzen mußt und da hast du . nur noch das b
187 L s richtig David noch mal dazu
188 Franzi alle sagen Mitte Mitte M äh alle sagen Mitte
189 <David ämm hinten
190 <S Mitte
191 L hinten David warum sagst du jetzt hinten
192 David weil ich hab dis gel dis l . in die Mitte gemerkt
193 L das find ich toll und wie haste dis gemerkt
194 David weil ichs gesagt hab
195- 196 L aha dis is nämlich der beste Trick ne / gelb – schreibt das Wort.
prima das is ganz. gibt ja wenig Wörte wo das b . am Ende steht

Interpretation

David nennt mit gelb <158> erstmals ein Wort mit B im Auslaut. Mit wo is das b <159> könnte die Lehrerin zunächst das oben beschriebene Interaktionsmuster erneut initiieren wollen. Denkbar ist auch, dass sie auf die Auslautverhärtung hinweisen möchte. Einige Schüler bringen gleichzeitig Mitte Mitte in der Mitte <162> als bevorzugte Position ein und stützen sich dabei vermutlich auf das bisher immer erfolgreiche Muster. Zwischenrufe, die wahrscheinlich die Auslautverhärtung problematisieren, bleiben offenbar unbeachtet < 162.1; 167.1 >.

Die Lehrerin weist die Lösung des Problems durch Zwischenrufe zurück und überanträgt zunächst nochmals explizit David die Aufgabe, die Position zu nennen <163>. Sie gibt ihm dazu zahlreiche Hilfestellungen, die auf genaues Sprechen und Hören rekurrieren (<163,164,166,168-170>) und schränkt damit auch die Möglichkeit ein, dass gar kein B im Wort vorhanden ist. Schließlich formuliert sie die explizite Frage hinten / Mitte – vorne < 170>. Damit ist „gelb“ als zulässiges Wort evaluiert, jedoch ist die Begründung durch die Benennung der richtigen Position noch zu liefern.

Das Gespräch öffnet sich jetzt für andere Kinder wer hilft dem David < 172>. Wie schon in <162> stabilisiert sich in den Zwischenrufen Mitte als Lösungsangebot <173,177>. Diese Zwischenrufe bleiben jedoch von der Lehrerin offensichtlich unbeachtet. Auch vertröstet sie Nicole auf einen späteren Zeitpunkt, die mit der vermuteten Äußerung (? ich will neu) <175> wohl nicht auf die beschriebene Lehrerinitiation eingehen möchte. Die Reaktionen der Lehrerin lassen sich dahingehend interpretieren, dass für das Wort gelb die Position des gesuchten Lautes noch nicht bestimmt ist und diese Aufgabe 1. nicht durch Zwischenrufe geklärt werden kann und 2. keinen Aufschub erlaubt.

Schließlich wird Franzi aufgerufen, die weiß, wo das B ist <178>. Wie schon in <171> betont die Lehrerin jedoch, dass lediglich eine Hilfe für David gefordert ist, nicht die Lösung. David wird damit zu einer erhöhten Aufmerksamkeit beim Zuhören verpflichtet.

Franzi spricht zunächst das zur Diskussion stehende Wort mit Betonung auf L gelllb / <180>. Eventuell möchte sie hervorheben, dass die von vielen Kindern bevorzugte Wortmitte für B schon von einem L belegt ist. Sie könnte nun mit und das g <180> versuchen wollen, das Wort sukzessive abzusuchen. Auch ihre weiteren Ansätze nach Unterbrechungen durch die Lehrerin lassen sich als Versuche deuten, das Wort sukzessive nach dem gesuchten Laut zu durchsuchen und ihn dabei von den anderen Konsonanten zu diskriminieren (<182,184-186>). Diese Argumentation basiert auf dem „Wissen“, dass ein B im Wort vorhanden ist und da hast du . nur noch das b < 186>.

David wird von der Lehrerin nochmals zu einer Stellungnahme aufgefordert <187>. Dieser schien gleichsam verpflichtet, der Argumentation als aufmerksamer Zuhörer zu folgen. Seine erste Antwort in <165> zielte auf die Wortmitte. Er muss nun über die Benennung der richtigen Position hinaus – die wohl auch als Bystander geleistet werden könnte – seine Meinungsänderung begründen <191>. Er verweist auf das L in der Wortmitte <192> und greift damit Franzis Argumentation auf: Bei „gel“ hört man am Ende ein L, das B in „gelb“ kann nur noch nach dem L kommen, somit nur noch hinten stehen.

Schon bei Franzis Erklärungsversuch erinnert die Lehrerin daran, dass man den gesuchten Laut an der Lippenstellung erfühlen kann <181>, Und auch nach Davids Ausführungen wird das „Erkennen“ von Lauten nochmals problematisiert. Erst nachdem David den Trick verraten hat, dass man Buchstaben durch Sagen merken kann <177-178>, schreibt die Lehrerin das Wort an die Tafel. Somit wird hier von der Lehrerin wiederholt eine Verbindung zwischen Graphem und Phonem hergestellt: Durch „Sprechen/Sagen“ kann man „Buchstaben“ hören oder fühlen (siehe auch ihre Hilfestellung für David in <163-170>).

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