Zu diesem Fall sind alternative bzw. kontroverse Interpretationen vorhanden:

Falldarstellung

Die Lehrerin eröffnet den hier sogenannten „Fachunterricht“, indem sie sagt so \ . ich . bin mal gespannt was die Kinder sagen und dann dreizehn Kugeln einer Rechenkette, die insgesamt aus zehn weißen und zehn schwarzen Kugeln besteht, in die Höhe hält. Die verbleibenden sieben schwarzen Kugeln sind in ihrer rechten Hand verborgen. Nachdem die Anzahl der Kugeln (13) geklärt ist, schlagen die Kinder die Zerlegungen 10+3, 3+10 und 11+2 vor, die nicht weiter kommentiert und/oder begründet werden. Sodann bietet Jarek als Antwort sieben minus null <112> an. Hiermit beginnt der Transkriptausschnitt:

Interpretation

Jarek bietet als Antwort sieben minus null <112> ohne ersichtliches Zögern. Er wirkt hier und auch in seinen weiteren Beiträgen sehr sicher. Diese Antwort entspricht offensichtlich nicht der sich zuvor etablierten Antworterwartung „Zerlegungen der Zahl 13“ und ist für den Interpreten somit überraschend und nur schwer deutbar. Dieses Moment des Unerwarteten scheint seine Antwort auch für die Beteiligten zu haben: Die Lehrerin wiederholt seinen Vorschlag mit Stimmhebung zum Ende der Äußerung <113>, was als Ausdruck des Zweifels oder Erstaunens gedeutet werden kann. Einige Kinder reagieren mit Zwischenrufen, die wohl ebenfalls Erstaunen bzw. Zweifel ausdrücken <114-115>. Die Lehrerin fordert nun Jarek auf, seine Lösung vorne vorzuführen. Mit dieser Demonstration soll er sich nicht nur an sie, sondern auch an den Rest der Klasse wenden dreh dich mal zur Klasse um damit die Kinder das sehen können <119-120>. Er wird darauf verpflichtet, seine Lösung an der Rechenkette vorzuführen, und darüber hinaus auch noch darauf festgelegt, als erstes die Zahl Sieben zu zeigen <119>. Von der Lehrerin wird offenbar nicht in Erwägung gezogen oder für wünschenswert erachtet, dass Jarek eventuell zur Begründung seines Lösungsvorschlags in einer anderen Weise (oder gar nicht) mit der Rechenkette umgehen möchte. Es entsteht der Eindruck, dass im Gespräch zwischen Jarek und der Lehrerin mit Hilfe der Rechenkette die Unstimmigkeit der Antwort stellvertretend demonstriert werden soll (weitere Äußerungen, die diese Sichtweise unterstützen: <116-117> und <126-131>).

Jarek führt offensichtlich sehr sicher und zügig eine Verknüpfung des Zahlensatzes „7-0=13“ mit der Rechenkette vor <123-125>. Er zählt dabei die sieben schwarzen Kugeln von dem schwarzen Kettenende her ab. Dies lässt vermuten, dass er wohl schon in <112> auf die bei der Lehrerin in der Hand verborgenen sieben schwarzen Kugeln rekurriert hat und ihm bekannt ist, dass die Rechenkette aus zwanzig Perlen besteht. Den Zwischenraum zwischen den sieben schwarzen und restlichen 13 Kugeln scheint er als Null zu verstehen. Er zerlegt somit die Zahl 20 bzw. die ganze Kette. Mathematisch könnte man seine Äußerung als 20-7-0=13 rephrasieren, was einer Zerlegung von 20=13+7+0 entspräche. Aufgrund der strikten Vorgaben durch die Lehrerin bleiben dennoch Zweifel, ob diese Demonstration dem ursprünglichen Ansatz von Jarek entspricht.

Die Lehrerin wiederholt seine Demonstration und betont hier u. a. die Abweichung zu ihrer Standardvorstellung zur Anwendung der Perlenkette: der hat von dieser Seite angefangen <129,130>. Sie hinterfragt damit seine Handlungsweise und trägt dieses Problem mit ihrer Frage in die Klasse zurück. Die Kinder reagieren zunächst mit Zwischenrufen, die tendenziell eine Ablehnung des Vorschlages erkennen lassen <133-140>. Diesem „Abstimmungsvorgang“, dem sich auch Schüler anschließen können, die das Geschehen als Bystander verfolgen, setzt die Lehrerin die Forderung nach expliziter Begründung entgegen <141,142> und schränkt damit den Kreis der Kinder, die dazu im folgenden beitragen können, auf den Kreis der aufmerksamen Zuhörer ein.

Zunächst wird die sich meldende Schülerin Carola aufgerufen <142>. Sie beruft sich darauf, dass man einen Teilterm wie die Aussage „7 -“ als ein Wegnehmen von der Sieben zu verstehen hat. Insgesamt kann Carolas Äußerung als eine Ablehnung von Jareks Vorschlag verstanden werden. Carola wird nun aufgefordert, diese Argumentation „vor der Klasse“ zu demonstrieren, wobei auch hier die Lehrerin die Aktionen vorstrukturiert <145-147>. Carola hat hier wie vorher bereits Jarek nur eine eingeschränkte Wahl hinsichtlich des Veranschaulichungsmediums wie auch hinsichtlich der Verwendungsweise dieses Hilfsmittels. Die von ihr stellvertretend vorgeführte Darstellung „7-0=7“ mit Hilfe der Rechenkette <148-149> wird von der Lehrerin bestätigt <150>. Hiermit kommt gleichsam ein „formaler“ Kritikpunkt an Jareks Aussage zum ratifizierten Abschluss: Aufgrund der von Carola vorgeführten formatierten Argumentation an der Rechenkette kann 7-0 nur 7 und niemals 13 sein.

Im folgenden bringt die Lehrerin ihre momentane Deutung von Jareks Demonstration an der Rechenkette zur Sprache: von welcher Zahl hat Jarek nämlich sieben weggenommen \ .. damit dreizehn rauskommt … ich mach das mal vor \ < 150,151>. Fortfahrend zählt sie von dem schwarzen Ende der Rechenkette sieben Kugeln ab und erhält auf diese Weise die 13 Kugeln ihrer Ausgangsfragestellung. Dies entspricht arithmetisch der Aufgabe 20-7=13. Demzufolge stellt sie die Frage nach dem Minuenden Zwanzig <150>.

Die Zeilen <154-161> werden von uns als Phase einer gewissen Ratlosigkeit gedeutet. Die Lehrerin hält dabei demonstrativ die vollständige Rechenkette mit 20 Perlen hoch. Erst Robert kann die gestellte Frage beantworten: sieben von zwanzig <164>. Auch er soll anschließend seine Antwort vor der Klasse demonstrieren. Der Lehrerin scheint es erneut sehr wichtig zu sein, dass er sich mit der hochgehaltenen Rechenkette für die restlichen Schüler gut sichtbar postiert. In <170> beginnt Robert offenbar noch einmal seine Äußerung aus <164> darzustellen: Er zählt sieben Kugeln der Rechenkette ab. Die Lehrerin bestätigt Roberts Demonstration <170.1> und führt dann selbst noch einmal diesen Gedanken ausführlicher an der Rechenkette vor <170.1-170.4>.

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