Zu diesem Fall sind alternative bzw. kontroverse Interpretationen vorhanden:

Falldarstellung

Die Lehrerin eröffnet den hier sogenannten „Fachunterricht“, indem sie sagt so \ . ich . bin mal gespannt was die Kinder sagen und dann dreizehn Kugeln einer Rechenkette, die insgesamt aus zehn weißen und zehn schwarzen Kugeln besteht, in die Höhe hält. Die verbleibenden sieben schwarzen Kugeln sind in ihrer rechten Hand verborgen. Nachdem die Anzahl der Kugeln (13) geklärt ist, schlagen die Kinder die Zerlegungen 10+3, 3+10 und 11+2 vor, die nicht weiter kommentiert und/oder begründet werden. Sodann bietet Jarek als Antwort sieben minus null <112> an. Hiermit beginnt der Transkriptausschnitt:

Interpretation

Jareks Argumentation für „7 minus 0 ist 13“ <112 117-132>:
Jareks Argumentation wird hier so verstanden, dass er von der Gesamtzahl

der 20 Kugeln an der Rechenkette ausgehend zunächst sieben und dann null abzählt. In der Interaktionsanalyse wurde herausgearbeitet, dass es sich hierbei bereits um eine an das von der Lehrerin vorgegebene „Argumentationsmittel“ Rechenkette angepasste Version seiner eigentlichen Lösungsgenerierung handeln könnte. In dem Toulmin’schen Layout entstünde somit folgendes Bild:

Man erkennt, dass Jareks Argumentation eine gewisse „Tiefe“ und eine gewisse „Breite“ besitzt, da er zum einen in sichtbarem Handlungsvollzug zwei Garanten generiert und zum anderen einen Schluss aufbaut, der auf einer Zwischenkonklusionen basiert. Beide hervorgebrachten Garanten haben den Charakter einer visuellen Demonstration:

  • Garant a beruht auf der hohen Überzeugungskraft des visuell expliziten Vor-Zählens
  • Garant b bezieht seine Plausibilität aus dem visuell vorgeführten Vorgang des Zwischen-zwei-Perlen-Fassens und der damit einhergehenden verbalen Formulierung minus null.

Die Gegenargumentationen <132-170>:
Zwei zusätzliche Argumentationsstränge lassen sich ausmachen. Zum einen trägt Carola ein Gegenargument vor <143,144,148,149>. Zum anderen wird von Robert unter Anleitung der Lehrerin ein weiterer Grund angeführt, warum Jareks Antwort nicht akzeptiert werden kann <150-153,163,164,170>. Carola bringt hierbei eine Begründung für die bereits mehrfach eingeworfenen Ablehnungen (nein <134-140>) hervor. Es handelt sich hier um ein Argument, das im Wesentlichen arithmetisch orientiert ist, und das auf der „Standardauffassung“ (Garant) basiert, dass der Teilterm „-0“ als ein „Nichts Wegnehmen“ verstanden werden kann.

In der hierauf aufbauenden zweiten Gegenargumentation <150-153,163,164,170> versucht die Lehrerin, Jareks Antwort mit der Rechenkette in Verbindung zu bringen: von welcher Zahl hat Jarek nämlich sieben weggenommen .. damit dreizehn rauskommt <150-151>. Sie führt dann die Rechenaufgabe 20-7=13 an der Rechenkette deutlich vor und möchte diese als Rechensatz formuliert hören. Sie rekurriert dabei auf die Möglichkeit, dass man den fehlenden Minuenden 20 an der Rechenkette durch genaues Hingucken erkennen kann. Robert kann die gesuchte Zahl 20 nach einer gewissen allgemeinen Ratlosigkeit „erblicken“ <165-166>. Die Stützung, die auch auf der Anforderung „kann man sehen“ aufbaut, wird von der Lehrerin in der nun mit Robert gemeinsam vorgeführten erneuten Demonstration genannt.

Fasst man die Konklusionen von Carola und Robert zusammen, erhält man eine umfassende Argumentation, warum Jareks Lösung so nicht ‚akzeptabel’ ist; dabei werden jeweils Rechensätze formuliert und argumentativ gestützt, die im Widerspruch zu Jareks Aussage stehen.

Der Rezipientenstatus
Im Rahmen der Argumentationsanalyse wurde ein Zyklus mit drei Argumentationssträngen dargestellt, die Jareks unerwartete Äußerung „7-0“ stützen bzw. widerlegen. Während des gesamten Zyklus sind mehrere Kinder aktiv an der Diskussion beteiligt. Ihnen allen kann man den Status aufmerksamer Zuhörer zuweisen:

  • Zunächst wird Jarek aufgefordert, sich zu seiner Lösung vorne bei der Lehrerin zu äußern. Es bleibt in diesem Moment für den Beobachter unklar, ob sich nun eine Art Dialog zwischen der Lehrerin und Jarek anbahnen soll, in dem ihm eine individuelle Hilfestellung gegeben wird und der Rest der Klasse gleichsam in den Status von Zuhörern mit ungeklärtem bzw. wechselhaften Aufmerksamkeitsgrad versetzt wird (Bystander), oder ob dieser Dialog den Charakter einer Podiumsdiskussion haben soll, in der die beiden Diskutanten vor aufmerksamen Zuhörern wichtige Gesichtspunkte einer Themenentfaltung (Unstimmigkeit in Jareks Vorschlag) erörtern. Diese Spannung löst sich schnell zugunsten einer Podiumsdiskussion auf (z. B. <117,119,120,127-132>). Jedoch löst Jarek in dieser wohl nicht die Erwartungen der Lehrerin ein, seine ursprüngliche Antwort zu widerlegen.
  • Die sich anbahnende Abstimmung über Jareks Argumentation per Akklamation, an der auch Bystander teilnehmen können, wird durch die explizite Begründungsaufforderung abgebrochen. Es entspinnt sich im folgenden ein Gespräch zwischen den Mitgliedern des Podiums (Lehrerin mit Viola und Robert) und der Gruppe der aufmerksamen Zuhörer aus dem Rest der Klasse (Franzi, Nicole und Jarek sowie abgesehen von ihren Podiumsbeiträgen Carola und Robert). Die restlichen Schüler verweilen wohl im Status des Bystanders.

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