Hinweis – Der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Im Zuge der Arbeit von Martin Lunkenbein werden die Erfahrungen von Studierenden mit Beobachtungsaufgaben im ersten Schulpädagogischen Blockpraktikum innerhalb des Projektes GLANZ (1) erfasst. Ziel ist es, auf diese Weise die Einschätzungen und Vorgehensweisen von Studierenden hinsichtlich obligatorisch zu bearbeitender Praktikumsaufgaben aufzudecken.

Negative Wertung von Beobachtungen
Neben den geäußerten positiven Stellungnahmen zur Beobachtungstätigkeit existieren kritische Einschätzungen. Der hauptsächliche Kritikpunkt, den die Praktikantinnen vorbringen, ist die wahrgenommene Passivität des Beobachtens: „(…)wo man ja nur drin sitzt und schaut, was gemacht wird“ (IN37, 87). Das beobachten kann bei fehlender Destination zum Schauen mutieren. Die analysierende Teilnahme am Unterrichtsgeschehen wirkt als Tätigkeitsfeld nicht anfordernd genug, der Wunsch nach mehr Aktivität ist unverkennbar. Beobachten wird –auch in anderen Aussagen – mit Eintönigkeit, Inaktivität und Langatmigkeit verknüpft.
Demgegenüber stehen Studierende, denen die beobachtete Situation zu vertraut erschien, als dass sie noch Anstöße für Beobachtungsgelegenheiten erhalten konnten: „(…) Das war mal wieder so eine Beobachtungsstunde, wo wir wirklich nicht mehr wussten, was wir jetzt noch beobachten sollen“ (IN39, 125). Das Beobachten erweckt bei wiederholter Durchführung den Anschein als sei es unterkomplex.
Ergänzend dazu kann auch von Überkomplexität ausgegangen werden, wenn uneindeutig bleibt, was beobachtet werden soll: „Dass man nicht genau gewusst hat, was ich jetzt beobachten soll. Deswegen habe ich eben alles mitgeschrieben, was auffällig  war“  (IN11,  165). Als Folge  werden alle Besonderheiten notiert.
Hier wie da scheint die Beobachtung durch Routinisierung in eine gewohnte Handlung übergegangen zu sein. Eine konstatierte Reizüberflutung  kann  mit zunehmender Gewöhnung und Erfahrung im Laufe des Praktikums abgelegt werden. In der Selbstauskunft kann daraus eine Unterforderung resultieren.

Also das fand ich sehr interessant, das war schon, am Anfang hat man halt.. wusste man noch nicht so richtig, was man da schreiben sollte, oder, das war so Reizüberflutung, da war hier was und dort was und dann die Lehrerin vorne noch, also, ich glaube das hat sich dann mit Laufe des Praktikums halt sehr gelegt. (IN26, 45)

Die im Interview IN26 anschaulich geschilderte Komplexität pädagogischer Situationen in einer unbekannten Schule reduziert sich mit zunehmender Zeit und Vertrautheit. Eine derartige Reduktion der Situationskomplexität schildern auch Dreyfus und Dreyfus (1987, 45ff) in ihrem Konzept der fünf Stufen des Fertigkeitenerwerbs. In dieser Klassifikation können Studierende gemäß der obigen Äußerung als fortgeschrittene Anfänger auf Stufe zwei oder als Kompetente auf Stufe drei bezeichnet werden. Damit beginnen sie nach dem Sammeln von ausgedehnten Erfahrungen bedeutungsvolle Elemente wieder zu erkennen, indem sie Ähnlichkeiten wahrnehmen. Die immer weitersteigende Elementeanzahl wird durch Komplexitätsreduktion und selektive Wahrnehmung handhabbar gemacht.
Die geschilderten negativen Bewertungen werden durch ungünstige Rahmenbedingungen hervorgerufen oder verstärkt.

Genau. Also die saßen so vor mir und hier war dann die nächste Gruppe, sodass ich eigentlich, wenn ich die Lehrerin auch im Blick haben wollte, eher nur diese Gruppe gesehen habe und vielleicht die, die mir gegenüber noch waren. (IN27, 41)

Der fehlende Überblick über das Unterrichtsgeschehen begründet sich nach  Einschätzung der Interviewten nicht durch die Komplexität der Situation, sondern durch die Wahl des Beobachtungsstandortes. Dieser Sitzplatz, eventuell organisatorisch-räumlichen Bedingungen geschuldet, hindert an einer umfassenden Aufnahme von Unterrichtssituationen.

Fußnoten:

(1)       Die Interventionsstudie GLANZ (Grundschullehrerausbildung – Neukonzeption) an der Universität Bamberg überprüft die Wirkungen einer Reform der Ausbildung von Grundschullehrkräften

Mit freundlicher Genehmigung der University of Bamberg Press
http://d-nb.info/1058947826/34

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