Hinweis: Der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Waldschule in A-Stadt: Die Gruppe Ahorn“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Bergschule in B-Stadt: Die Gruppe Zypresse“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Bergschule in B-Stadt: Die Gruppe Lärche“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Bergschule in B-Stadt: Die Gruppe Esche“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Waldschule in A-Stadt: Die Gruppe Platane“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Waldschule in A-Stadt: Die Gruppe Buche“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Waldschule in A-Stadt: Die Gruppe Birke“
Einleitende Bemerkungen
Die Bergschule ist eine große Gesamtschule an der zum Zeitpunkt der Datenerhebung rund 1.100 Schülerinnen und Schüler von der 5. bis zur 10. Klasse in jeweils sieben Zügen ganztägig unterrichtet werden. Die Schule befindet sich in einem großen Gebäude mitten im Stadtteil, das auch noch andere Bildungseinrichtungen beherbergt. Die Schule erstreckt sich über drei Etagen. In den ersten beiden Etagen befinden sich u. a. die Klassen- und Fachräume. An die Klassenräume grenzen große Freiflächen, auf denen sich die Schülerinnen und Schüler auch während der Pausen aufhalten. Die Klassen- und Fachräume verteilen sich über die ersten beiden Stockwerke des Gebäudes. Im dritten Stockwerk sind die Mitglieder der Schulleitung und der Schulverwaltung untergebracht. Die einzelnen Etagen sind durch mehrere Treppen und Fahrstühle miteinander verbunden. Einige Lehrkräfte weisen darauf hin, dass man aufgrund der Größe der Schule bei Raumwechseln häufig relativ weite Wege zurücklegen muss, und die dafür notwendige Zeit dann z. B. nicht mehr für die Kommunikation mit Kolleginnen oder Kollegen zur Verfügung steht.
Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten
Die Nutzung der digitalen Medien in der Schule ist aufs Engste mit dem Engagement des Schulleiters Herrn Müllerberg verknüpft. Sein Vorgänger habe laut seiner Auskunft so gut wie gar nicht mit Computern gearbeitet. Herr Müllerberg weist eine sehr große Nähe zu den digitalen Medien auf. Er nutzt seine privaten digitalen Medien (iPhone, MacBook) z. B. auch für seine Arbeit. Auch seine Wahrnehmung von InfoChange zeugt von seiner großen Nähe zu den digitalen Medien. Einmal spricht er von dem SIS als einer „amorphen Gestalt“ und dass das System „lebt“ bzw. es aus ‚einzelnen lebenden Zellen‘ besteht. Außerdem begleitet er gelegentlich auch Kolleginnen und Kollegen in den Unterricht (er selbst unterrichtet u. a. Mathematik), um ihnen bei der Lösung von Problemen beim Arbeiten mit den digitalen Medien zu helfen. Herr Müllerberg geht davon aus, dass bis zu 25 Prozent der Lehrkräfte dem verstärkten Einsatz der digitalen Medien an der Schule eher ablehnend gegenüberstehen. Rund ein Drittel von ihnen zählt er zu den engagierten Nutzerinnen und Nutzern. Herr Müllerberg verzichtet soweit wie möglich auf die Kommunikation mittels papierbasierter Kommunikate. Mit seinem Dienstantritt vor wenigen Jahren hat er verschiedene Aktivitäten angestoßen, um die Nutzung der digitalen Medien an der Schule zu intensivieren. Eine Sonderpädagogin, die seit mehreren Jahren an der Schule arbeitet, bestätigt, dass sich mit dem Dienstbeginn von Herrn Müllerberg in der Schule sehr viel verändert habe. Unter anderem habe er eine Kultur der Anerkennung etabliert und klare Vorgaben geschaffen, die für alle Kollegiumsmitglieder in gleicher Weise gelten, was zu mehr Transparenz in der Schule geführt habe. Auf die digitalen Medien bezogen bemerkt sie, dass der Schulleiter in diese verliebt sei.
Herr Müllerberg gehört auch zu einer, aus vier Personen bestehenden Mediengruppe, die sich bemüht, die Nutzung der digitalen Medien an der Schule kontinuierlich weiterzuentwickeln. Neben dem Schulleiter gehört der didaktische Leiter Herr Nussbaum, der auch der Schulleitung angehört, zu der Gruppe. Beide sind um die 60 Jahre alt und seit rund 30 Jahren im Schuldienst. Herr Nussbaum ist aber bereits seit 25 Jahren an der Bergschule, Herr Müllerberg erst seit Kurzem. Herr Peters und Herr Walther sind um die 50 Jahre alt. Beide arbeiten als Lehrer. Letzterer administriert daneben auch die Schul-IT. Zusammen bilden sie die Gruppe Fichte.
Herr Walther weist während einer Sitzung der Mediengruppe im März 2011 darauf hin, dass an der Schule bereits viele Kommunikationswege angeboten, aber nur einzelne von den Lehrkräften genutzt werden. Es geht bei dem Treffen auch um die Frage des Informationsflusses im Kollegium. Auslöser dafür ist, dass neue Rechner beschafft wurden und in InfoChange bekannt gegeben wurde, welche Software auf den Computern installiert werden soll. Einige Lehrkräfte hätten diese Liste auch kommentiert, es sei aber nicht klar, ob das gesamte Kollegium diesen Vorschlag zur Kenntnis genommen hat. Es steht die allgemeine Frage im Raum, wie die Kolleginnen und Kollegen an ihre Informationen kommen (face-to-face, Postfach, InfoChange, Mitteilungsbuch).
Die allgemeine Nutzung von InfoChange
Die Gruppendiskussion beginnt mit der Frage nach der Art und Weise der letztmaligen Nutzung des SIS InfoChange. Nachdem die vier Männer reihum erzählt haben, wann sie das SIS zuletzt und wofür sie es in der Regel genutzt haben, bemerkt Herr Nussbaum, dass bezüglich der Arbeit mit dem SIS sehr viel geschehen sei (Gruppe Fichte, Passage „InfoChange 1“).
Herrn Nussbaum zufolge hat sich die Arbeit „mit“ und „in“ dem SIS über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg seiner Wahrnehmung nach weit über dem normalen Maß liegend verändert. Zunächst erscheint die Unterscheidung zwischen der „Arbeit mit InfoChange und in InfoChange“ redundant, da man sich, um mit dem System arbeiten zu können, zunächst anmelden muss, um sich dann in das System zu begeben. Im weiteren Verlauf seiner Erzählung zeigt sich aber, dass die Präposition „mit“ auch auf Praxen verweist, die das Handeln mit dem SIS zwar einschließen, aber nicht zwingend erfordern. So habe man z. B. in der Vergangenheit „sehr viel mehr auch noch analog gearbeitet mit Papier“, sodass das Ausmaß der in der Schule verwendeten papierbasierten Kommunikate zumindest für bestimmte Personen stark zurückgegangen ist. Für Herrn Nussbaum ist die Arbeit mit digitalen Kommunikaten bereits so selbstverständlich, dass er bestimmte Dokumente (z. B. Stoffverteilungspläne und Protokolle) nicht mehr in Papierform entgegennimmt und so eine bestimmte Medienpraxis erzwingt. Die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen würden das mittlerweile akzeptieren, sodass er nur noch vereinzelt papierbasierte Kommunikate erhält. Der Erzählung nach zu urteilen, konnte der Lehrer die veränderte Handlungspraxis nicht ad hoc erzwingen, und offensichtlich übernehmen sie auch nicht alle Lehrkräfte, sodass sie in diesem Kontext über ein erhebliches Maß an Handlungsautonomie verfügen.
Dokumente, die in InfoChange abgelegt werden, seien Herrn Walther zufolge auch „leichter verfügbar“, d. h., es ist weniger aufwendig, sich Dokumente bedarfsweise aus dem SIS herunterzuladen, als sie anderweitig zu beschaffen. Dazu kommt, dass „jedes Fach […] seine Sammlung irgendwie anders organisiert und sortiert“. In den Fachsammlungen werden z. B. Unterrichtsmaterialien und Arbeitsblätter für ein bestimmtes Fach von den ihm angehörenden Fachlehrerinnen und -lehrern gesammelt. Wenn man als fachfremde Lehrkraft etwas aus einer anderen Sammlung benötigt, sei man daher aufgrund der unterschiedlichen Sammlungsstrukturen darauf angewiesen, dass Angehörige des jeweiligen Fachs bei der Suche helfen. Eigenständig kann man diese Kommunikate offensichtlich nicht lokalisieren. Dazu kommt als weitere Erschwernis, dass sich die verschiedenen Sammlungen an unterschiedlichen Orten befinden. Letztlich lässt sich aber nicht sagen, ob Herr Walther seine Ausführungen auf die stofflich-materiellen oder virtuellen Fachsammlungen bezieht. In die gleiche Richtung zeigt, dass in der Schule virtuelle Materialsammlungen in InfoChange („virtuelles Zentrum“) aufgebaut und gleichzeitig die stofflichen Materialsammlungen der verschiedenen Fächer in einem Raum der Schule konzentriert wurden. Diese Praxis wurde von einem der Diskussionsteilnehmer (wahrscheinlich Herr Nussbaum) „vorangetrieben“, d. h., die Praxis wurde als wichtig erachtet und die Enaktierung forciert. Dabei wurden bewusst Parallelstrukturen aufgebaut bzw. eine virtuelle Entsprechung der physischen Materialsammlungen geschaffen.
Im Anschluss an die wiedergegebene Sequenz elaborieren Herr Walther, Herr Nussbaum und Herr Peters weitere Vorteile der Nutzung des SIS. Herr Walther schätzt z. B. sehr die Verfügbarkeit eines jederzeit aktuellen digitalen Kalenders („sehr großen Fortschritt“) und Herr Peters die zentrale Aufbewahrung aller Dokumente, die man für die Arbeit in der Schule benötigt. Das setzt natürlich voraus, dass diese Dokumente zuvor in InfoChange abgelegt wurden. In die gleiche Richtung zielt die anschließende Bemerkung von Herrn Nussbaum, dass das SIS auch „hierarchiefrei“ sei, da man nunmehr z. B. nicht mehr persönlich bei ihm vorstellig werden muss, um bestimmte Kommunikate einzusehen. Stattdessen könne man sich diese einfach aus dem SIS herunterladen, was auch dazu beitrage, die „Kooperation“, d. h. die Zusammenarbeit zwischen den Pädagoginnen und Pädagogen, in der Schule zu stärken. Das, so Herr Müllerberg, könnte zutreffen, sodass dieser Effekt nicht gesichert ist. Auf Nachfrage erklärt er, dass sein Einwand ernsthaft gewesen sei (Gruppe Fichte, Passage „InfoChange 1“).
Herr Müllerberg relativiert die Proposition von Herrn Nussbaum dahingehend, dass es zutreffen könnte, dass die Ablage von Kommunikaten in InfoChange die Kooperation zwischen den Lehrkräften stärkt. Denn „das“ sei selbstverständlich immer auch ein „Stück Utopie“, sodass mit der Nutzung des SIS auch unrealistische und nicht zu verwirklichende Idealvorstellungen verbunden sind. Denn alle Mitglieder der Mediengruppe wüssten, dass das SIS solche Möglichkeiten bietet und sich die „Realität“ diesen auch „bis auf eine bestimmte Rufnähe“ annähe. Die Realität verweist auf die handlungspraktische Aneignung der Nutzungsmöglichkeiten des SIS, die aber offenbar nicht von allen Handelnden vollständig ausgeschöpft werden. Gleichzeitig könne es aber durchaus immer sein, dass einzelne Akteure in der skizzierten Weise handeln.
Anhand von aktuellen quantitativen empirischen Daten, die Herr Müllerberg besitzt („meine Statistiken“), sei aber zumindest die „wachsende Akzeptanz“ des SIS „belegbar“, wenn man als Indikator dafür die Anzahl „neuerer Beiträge“ in der Rubrik „Material“ zugrunde legt. Genau betrachtet ist diese Aussage nur bedingt zulässig, da z. B. die aktiven Nutzerinnen oder Nutzer einfach mehr Kommunikate in InfoChange eingestellt haben könnten als in der Vergangenheit. Diese Daten werden seit mehreren Jahren erhoben, denn daran könne man auch erkennen, dass die Zahl der Veröffentlichungen, abgesehen von den „Jahren sieben und acht“, während der sie relativ gleichgeblieben ist, kontinuierlich zugenommen habe. Das sei zumindest ein „Indiz“ dafür, dass die Nutzung von InfoChange tendenziell zunehme. Herr Müllerberg schwächt die Aussagekraft der verfügbaren Daten dahingehend ab, dass sie zumindest ein symptomatisches Merkmal für die sich abzeichnende Zunahme der Akzeptanz des SIS durch immer mehr Pädagoginnen und Pädagogen seien.
Die beschriebene Entwicklung, so Herr Nussbaum weiter, sei teilweise auch sprunghaft, was Herr Meierberg verifiziert. Er exemplifiziert diesen Hinweis anhand der Entwicklung im „Bereich Spanisch“. Dort habe es eine Kollegin gegeben, die „wenig digitale Zugänge hatte“, was zur Folge gehabt habe, dass „man natürlich auch nichts in der Fachvertretung“ fand. Besagte Lehrerin scheint die Fachleitung für das Fach Spanisch innegehabt zu haben und hätte offenbar dafür sorgen müssen, dass auch in der „Fachvertretung“ Kommunikate abgelegt werden. Im Sinne ihres persönlichen Zugangs zu den digitalen Medien scheint die Lehrerin eher ein distanziertes Verhältnis zu diesen Medien gehabt zu haben, sodass sie offenbar keine Veranlassung sah, entsprechend tätig zu werden. Nun gebe es eine neue Lehrkraft, die, ohne die Rolle der Fachvertretung innezuhaben, das „betrieben hat“. Aus der vorausgegangenen Erzählung kann gefolgert werden, dass damit die Bereitstellung von Kommunikaten für das Fach Spanisch in InfoChange gemeint ist. Da die Lehrerin nicht per Rollenzuschreibung zur Bereitstellung der Materialien aufgefordert ist, scheinen hier entsprechende biografische Orientierungen den Ausschlag für die Handlungspraxis zu geben. Die Veränderung habe zur Folge, dass sich „die Dinge“ nunmehr „ziemlich dynamisch“ „entwickeln“. Durch das Engagement einer einzelnen Person haben sich die Voraussetzungen für die Arbeit mit digitalen Kommunikaten im Fach Spanisch deutlich verändert. Diese Veränderung erfolgte aber mehr oder weniger zufällig. Im Gegensatz dazu scheint an dieser Stelle z. B. die Setzung einer entsprechenden Regel keine Option zu sein.
Das Problem der Akzeptanz der digitalen Medien
Herr Walther gibt vor diesem Hintergrund zu bedenken, dass sich die Mitglieder der Mediengruppe bislang vor allem mit den Nutzerinnen und Nutzern des SIS in ihrer Rolle als diejenigen, die in InfoChange abgelegte Kommunikate abrufen, befasst haben (Gruppe Fichte, Passage „InfoChange 1“).
Bislang haben die Mitglieder der Mediengruppe vor allem die „Bereitstellungsseite“ betrachtet, sodass sie sich primär mit Fragen befasst haben, die mit der Zurverfügungstellung von Informationen über das SIS zusammenhängen. Dabei habe man immer versucht, die Nutzerperspektive einzunehmen, sodass zumindest der Versuch einer Perspektivenübernahme stattfand. Die Benutzerinnen und Benutzer des SIS unterteilt der Lehrer in zwei Gruppen. Zum einen gebe es eine „relativ kleine Gruppe“, die „sehr aktiv“ sei und u. a. „aktiv Beiträge liefert und Sachen einstellt“. Ob es sich dabei um zwei unterschiedliche Formen von Kommunikaten handelt, die in das SIS geladen werden, bleibt offen. Der Rest der Lehrkräfte gehört zur zweiten Gruppe, die InfoChange nutzen könnt, das aber offensichtlich nicht oder nur sehr eingeschränkt tut. Man versuche aber herauszufinden, wie die Lehrkräfte nutzen, was ihnen von der Mediengruppe angeboten wird. Herr Nussbaum differenziert die letzte Aussage von Herrn Walther dahingehend, dass die Nutzung von InfoChange auch mit der in der Schule verfügbaren Netzinfrastruktur zusammenhänge, was von Herrn Walther bejaht wird. Im weiteren Verlauf der Sequenz weist die Gruppe darauf hin, dass man das SIS prinzipiell überall nutzen könne, wo ein Internetzugang zur Verfügung stehe. In der Schule beschränkt sich dieser aber auf bestimmte Orte. In den Computer- und Fachräumen mit Computerausstattung können die Geräte eigentlich nur während des Unterrichts genutzt werden. Ansonsten besteht im Infozentrum die Möglichkeit zur Nutzung des SIS an den für die Lehrkräfte bereitgestellten Computerarbeitsplätzen. Neben den eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten findet Herr Müllerberg es auch problematisch, dass vielen Lehrkräften offenbar nur eingeschränkt bewusst ist, dass sie die in InfoChange bereitgestellten Materialien auch für ihre Unterrichtsvorbereitung nutzen könnten (Gruppe Fichte, Passage „InfoChange 1“).
Neben den technisch bedingten Limitierungen des Zugangs zum SIS in der Schule habe man („wir“) „auch das Problem der inhaltlichen Akzeptanz“. Es mangelt den Lehrkräften demnach an Zuspruch für die in InfoChange abgelegten Kommunikate, bzw. nehmen sie diese nicht an. Das, so vermutet der Schulleiter, sei darauf zurückzuführen, dass die Pädagoginnen und Pädagogen „noch gar nicht so im Kopf haben“, dass sie die über InfoChange verfügbaren Materialien auch für ihre „Unterrichtsvorbereitung“ nutzen könnten. Anders formuliert mangelt es den Lehrkräften noch an (berufs-)biografischen Orientierungen, die ausgeprägt genug sind, um eine korrespondierende Handlungspraxis zu fundieren. Diese Situation sei „sicher entwicklungsfähig“, sodass sich Herr Müllerberg eine Veränderung der Akzeptanz wünscht. Er geht davon aus, dass sich die Nutzung erheblich verändern würde, wenn die Lehrkräfte an jedem Ort in der Schule auf InfoChange zugreifen könnten. Das sei aber lediglich eine „These“, die man zumindest momentan noch nicht überprüfen könne. Wenn sie stimmt, würde es reichen, die technischen Zugangsvoraussetzungen zu verbessern, um die Nutzung des SIS erheblich zu intensivieren, sodass diese Argumentation in letzter Konsequenz stark technik-de- terministisch ist.
Laut Herrn Peters habe die Mediengruppe auch schon festgestellt, dass man das ganze System „an einigen Stellen durchaus aktiv optimieren“ könne. Der Begriff des Systems steht entweder als Platzhalter für das SIS oder für die gesamte IT-Infrastruktur in der Schule mit dem SIS als einem Bestandteil. So oder so kann die Mediengruppe aber selbsttätig Verbesserungen herbeiführen, um die bestmögliche Beschaffenheit zu erreichen. Diese Argumentation ist ebenfalls technik-deterministisch. In die gleiche Richtung zeigt auch, dass man sich unsicher gewesen sei, welches Ziel die Mediengruppe mit ihren Aktivitäten erreichen will. Einen Bezugspunkt liefert die „Realität“. Die Wirklichkeit bzw. die tatsächlichen Gegebenheiten werden durch den Alltag an der Bergschule repräsentiert. Nach Herrn Peters Dafürhalten – und darüber wurde auch schon in der Mediengruppe diskutiert – ist das SIS auch „ein Abbild der Realität draußen“. Insofern handelt es sich um ein digitalisiertes Abbild des Schulraums und der darin eingebetteten Handlungspraxen. In der ‚realen‘ Schulpraxis gebe es auch „Abnehmer“ und eine „kleine Gruppe von Menschen, die etwas anbieten“. Die Gruppe derjenigen, die für ihre Kolleginnen und Kollegen Informationen bereitstellen, ist demnach kleiner, als die derjenigen, die diese Informationen rezipieren. Diese Rollenverteilungen findet man auch innerhalb des SIS wieder, sodass sich die Handlungspraxen in beiden Sphären ähneln. Konsequenterweise könne man auch nicht erwarten, dass zukünftig alle Lehrkräfte u. a. Materialien über InfoChange zur Verfügung stellen werden. Abschließend weist Herr Peters noch einmal darauf hin, dass man die Diskussion über die Ziele, die man mit dem Einsatz von InfoChange in der Schule verfolgen will, noch nicht abgeschlossen habe. Der Hinweis auf die Verschiebung von Prozentsätzen als Äquivalent für die Zunahme der Nutzung ist stark rationalistisch geprägt und schließt an die hohe Relevanz quantitativer empirischer Daten für die Entscheidungsfindung des Schulleiters an. Unklarheit herrscht auch über die Frage, ob man gezwungen ist, „an bestimmten Stellen“ zu ‚steuern‘ oder ‚Einfluss zu nehmen‘, um die Nutzung von InfoChange bewusst weiterzuentwickeln.
Medienpraxen zwischen Innovation und Tradierung
Der Schulleiter geht im Kontext der im letzten Abschnitt wiedergegebenen Sequenz nicht darauf ein, inwieweit die Mediengruppe oder die Schulleitung verfügbare Steuerungsinstrumente nutzen kann oder soll, um die Medienintegration in eine bestimmte Richtung zu steuern. Stattdessen lenkt er die Gruppendiskussion auf eine weitere Medienpraxis, die er mit dem Begriff der „Meinungsbildung“ beschreibt (Gruppe Fichte, Passage „InfoChange 1“).
Der Schulleiter, Herr Müllerberg, spricht von der „Meinungsbildung“ als einer weiteren Möglichkeit, das SIS zu nutzen, der er ein „hohes Potenzial“ zuschreibt, d. h., mit der Handlungspraxis gehen umfangreiche Möglichkeiten einher. Sich eine Meinung zu bilden, zielt entweder darauf ab, persönliche Ansichten, Überzeugungen oder Einstellungen zu etwas zu entwickeln oder aber eine im Bewusstsein der Allgemeinheit (vor)herrschende Auffassung hinsichtlich bestimmter Sachverhalte zu entwickeln. Insofern trägt die Praxis dazu bei, individuelle oder kollektive Orientierungen zu entwickeln. Im Gegensatz dazu sei es am „einfachsten“ gewesen, „Termine“ zu lösen. Gemeint ist der im InfoChange hinterlegte Terminkalender, der von allen Lehrkräften der Bergschule online eingesehen werden kann. Diese Praxis hat am wenigsten Mühe verursacht, da man in diesem Kontext „sämtliche Vorteile des Medium nutzen“ kann, sodass die Handlungspraxis ein sehr hohes Rationalisierungspotenzial aufweist. In dem SIS kann man außerdem auch „Materialien“ ablegen. Materialien stehen u. a. als Platzhalter für Dokumente zur Unterrichtsdurchführung. Das sei „vom Prinzip her klar“, sowohl was die „Zielrichtung“ als auch die „Nutzungsmöglichkeiten“ betrifft, d. h., aus der Sicht des Schulleiters ist die Art und Weise, wie Materialien über InfoChange zur Verfügung gestellt und genutzt werden können, bekannt. Insofern bestehen auch keine Zweifel darüber, wie die damit einhergehenden Praxen enaktiert werden können. Auch das mit diesen Praxen zu verfolgende (Teil-)Ziel lässt sich in diesem Fall (anders als oben) benennen. Die Praxis ist für Herrn Müllerberg auch insofern unproblematisch, als dass die tradierten Kommunikate nunmehr nicht mehr nur in Papier-, sondern auch in digitaler Form vorliegen. Es sei „zunehmend Usus“ über solche Informationen in digitaler Form zu verfügen, d. h., es handelt sich um eine verstärkt gewohnheitsmäßige Praxis. Hier finde laut Herrn Müllerberg aber kein „Medienbruch“ statt, und man könne auch nicht von einem „Paradigmenwechsel“ sprechen, sondern nur von einem „Medienwechsel“, d. h., es verändern sich lediglich die Medien, mit denen bestimmte kommunikative Praxen realisiert werden. Ein solcher Wandel ändert demnach nichts an den grundlegenden Mustern bzw. den Regelsystemen, die dieser Form der kommunikativen Praxis zugrundeliegen.
Im Gegensatz dazu verändert die Möglichkeit, mit Hilfe eines Chats innerhalb des Kollegiums in schriftlicher Form Meinungen auszutauschen, das schulische Regelsystem, sodass in diesem Kontext laut Herrn Müllerberg ein Paradigmenwechsel gegenüber „der bisherigen Kommunikationswelt“ stattfindet. Diese Veränderung ist paradigmatisch, da es eine solche Form der Kommunikation früher in der Schule nicht gab. Da man vor der Verfügbarkeit solcher digitalen Medien prinzipielle Möglichkeiten der auf analogen Medien basierenden asynchronen Kommunikation, wie dem Schreiben von Briefen, nicht genutzt habe, sei die „persönliche Kommunikation“ „immer“ „das einzige Mittel“ gewesen. Damit wird abermals die zentrale und lange Zeit auch technisch nicht ersetzbare Relevanz der interpersonalen direkten Kommunikation für die kontinuierliche Konstituierung der Schule als Organisation deutlich.
Die Möglichkeit, in InfoChange zu chatten, werde laut Herrn Müllerberg gelegentlich genutzt. Verglichen mit der Nutzung des Terminkalenders und der Möglichkeit, Materialien bereitzustellen und abzurufen, sei diese Form der Nutzung am weitesten entfernt von jeglicher Form der Verstetigung, d. h. der regelmäßigen Nutzung durch das Kollegium. Dazu kommt als weitere Erschwernis, dass es auch an einer „sinnvollen Ausgestaltung“ mangelt, sodass diese Medienpraxis bislang in keinen zweckmäßigen Nutzungskontext eingebettet wurde, bzw. ein solcher Kontext aus der Praxis heraus bisher nicht entstanden ist. Auch der Schulleiter kann sich nur erinnern, dass diese Möglichkeit zur Kommunikation lediglich im Rahmen einer Schulinspektion in geringem Maße genutzt wurde („bisschen Betrieb“). Herr Walther bestätigt das. Das sei aber während dieser „Phase“ auch „normal“ gewesen, d. h., die Handlungspraxis entspricht etablierten Erfahrungswerten für einen frühen Abschnitt der Verbreitung eines solchen Mediums. Herr Walther honoriert darüber hinaus, dass überhaupt Lehrkräfte bereit waren, auf diesem Wege zu kommunizieren. Dabei stellt er gleichzeitig eine Analogie zum Mitteilungsbuch her, das an der Schule zweifelsohne zu den etabliertesten und meistgenutzten Medien gehört (vgl. auch Welling, S., Breiter, A., Schulz, A. (2015). Kapitel 3.2.1) (Gruppe Fichte, Passage „InfoChange 1“).
Herrn Walther erinnert die „Diskussionsstrategie“ an die „Eintragungen im Mitteilungsbuch“, was von Herrn Müllerberg validiert wird. Das Buch repräsentiere aber eine „ganz andere Erlebensform“, d. h., die Wahrnehmung und damit auch die Nutzung beider Medien unterscheiden sich fundamental voneinander. Herr Müllerberg verifiziert auch diesen Aspekt und ergänzt, dass sich diese Differenzen auch nicht auflösen werden, sodass es sich um zwei grundlegend divergente Medien handelt, die i. d. S. einen maximalen Kontrast konstituieren.
Erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Medien bestehen z. B. Herrn Walter zufolge bei der Kommentierung von Beiträgen. Dabei sind nicht nur die mit dem Kommunikat verbundenen Inhalte („das reine geschriebene Wort“) relevant, sondern auch „die Art und Weise“, wie etwas geschrieben wird, d. h., wie der Kommentar zum kommentierten Beitrag positioniert wird. Außerdem sind auch die verwendeten Satzzeichen und Symbole (z. B. Emoticons) zu beachten. Sie sind auf einer eigenen Bedeutungsebene angesiedelt, haben ebenfalls einen wichtigen Anteil an der Kommunikation über das Mitteilungsbuch und besitzen keine Entsprechung im Zuge der computervermittelten Kommunikation. Auffällig ist, dass Herr Walther nicht die ursprünglichen Textbeiträge im Mitteilungsbuch in das Zentrum seiner Betrachtung rückt, sondern deren Kommentierungen. Diese bilden einen informellen Subtext zur eigentlich dienstlichen Kommunikation, der sozial-unterhaltsam geprägt ist. Diese Form der Kommunikation lasse sich in InfoChange nicht abbilden, d. h., es gibt keine digitale Entsprechung für die Kommunikation mit Hilfe des Mitteilungsbuchs.
Medienwahl im Wandel
Neben dem SIS nutzen natürlich auch die Mitglieder der Mediengruppe E-Mail für ihre Kommunikation. Herr Nussbaum beschließt seine Erzählung, wie er Beiträge, die er zur Diskussion eines bestimmten Themas per E-Mail von anderen Lehrkräften erhalten hat, kopiert und in InfoChange veröffentlicht hat (wahrscheinlich in einem Online-Forum) mit der Feststellung, dass noch nicht genügend Nutzerinnen und Nutzer erreicht wurden, um eine zumindest der Form halber angemessene Diskussion zu initiieren. Herr Peters stellt daraufhin die Frage, ob auf diesem Wege überhaupt genügend Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreicht werden können (Gruppe Fichte, Passage „E-Mail“)
Auf die Äußerung von Herrn Peters hin, dass E-Mail auch eine „Konkurrenz“ sei, sodass im übertragenen Sinne eine Rivalität um den Einsatz bestimmter Medien zur Realisierung gleicher kommunikativer Absichten existiert, differenziert Herr Nussbaum seine Aussage dahingehend, dass das „noch“ so sei. Insofern könnte sich die kommunikative Praxis in der Zukunft auf ein anderes Medium verlagern. Für Herrn Peters wirft die aktuelle Situation häufig die Schwierigkeit auf, dass er sich unsicher ist, ob er z. B. ein Kommunikat über das Medium InfoChange senden muss oder ob er es auch mittels seines privaten E-Mail-Accounts verbreiten kann. Zumindest in den beschriebenen Bereichen ist die kommunikative Praxis noch nicht habitualisiert, bzw. wirft sie offene Fragen nach der adäquaten Medienwahl sowie dem Ort der Medienpraxis auf. Im weiteren Verlauf der Beschreibung wird deutlich, dass es hier nicht nur um die singuläre Medienwahl geht, sondern um die generelle Frage, wie man mit seinen Kolleginnen und Kollegen kommuniziert. Während das angesprochene Herangehen im physischen Sinne deutlich auf die materiellen Anteile der Interaktion verweist, ist die Kommunikation insofern variabler, dass der Grad der Materialität mit der Wahl des Kommunikationsmediums variiert. Am Vorabend habe er z. B. mit Herrn Walther telefoniert. Diese Kommunikation weist aufgrund ihrer Synchronität deutlich höhere materielle Anteile auf, als z. B. die Kommunikation per E-Mail. Die an Herrn Walther adressierte Hoffnung, dass dieser deswegen hoffentlich nicht „böse“ gewesen sei, hat rhetorischen Charakter. Sie macht aber zugleich auch deutlich, dass nicht auszuschließen ist, dass die Adressatin oder der Adressat eines Kommunikates verärgert sein könnte, wenn zur Übermittlung ein Medium genutzt wurde, das nicht den Erwartungen entsprach. Herr Peters erklärt, dass er mit seiner Beschreibung lediglich deutlich machen wollte, dass es „immer noch Alternativen“ gebe. Jede kommunikative Situation erlaubt insofern die Wahl zwischen mindestens zwei Medien, um zu kommunizieren, verbunden mit der Frage, welches jeweils am adäquatesten ist.
Lachend wirft Herr Walther daraufhin ein, dass man „sogar miteinander sprechen“ könne, fast so, als hätte die direkte interpersonale Kommunikation vor dem Hintergrund der mediatisierten Kommunikation ihre Bedeutung zumindest für die Mitglieder der Mediengruppe schon so weit eingebüßt, dass man sie explizit erwähnen muss. Herr Nussbaum verifiziert das und Herr Walter fährt fort, dass das „eigentlich auch schön“ sei, und es dem Wortsinn nach wohlgefällig und angenehm ist. Herr Nussbaum erwidert darauf, dass man das auch noch ‚hinkriege‘, d. h., dass die Lehrer trotz der hohen Relevanz mediatisierter Kommunikation noch zur Face-to-Face-Kommunikation in der Lage sind. Dann übernimmt wieder Herr Walther das Wort und erläutert Grenzen der computervermittelten Deliberation. Anschließend weist er darauf hin, dass E-Mail inzwischen im Kollegium als Medium etabliert sei und sich die Nutzung normalisiert habe. Und trotz einiger struktureller Nachteile könne man E-Mail z. B. auch nutzen, um Diskussionen zwischen mehreren Beteiligten zu führen. Herr Nussbaum antwortet darauf mit der wiederholten Frage nach der adäquaten Medienwahl Gruppe Fichte (Passage „E-Mail“).
Herr Nussbaum fasst die Ausführungen von Herrn Walther dahingehend zusammen, dass „es“ letztlich „alles unterschiedliche […] Kommunikationsformen“ seien. Er geht dabei von einem Modus absichtsvoller Kommunikation aus, an deren Anfang die Entscheidung für ein bestimmtes Medium steht. Klar sei in jedem Fall, dass man die Adressatin oder den Adressaten mit dem gesendeten Kommunikat erreichen wird. Damit ist aber zunächst nur der Prozess der Übermittlung angesprochen i. S. eines Empfangens, das die Rezeption des Kommunikats erst möglich macht. Man muss aber auch noch das jeweils adäquate Medium wählen, da die Medien unterschiedliche Funktionalitäten besitzen. Das können z. B. „unterschiedliche Distanzen“ oder variierende „persönlichen Ebenen“ sein. Der Begriff der Funktion verweist auf die Aufgabe und den Wirkungsbereich eines Mediums, die zum einen technisch bedingt sind (mit einem Brief kann ich z. B. nicht telefonieren), zum anderen aber auch sozial konstruiert sind. Wenn es z. B. innerhalb eines Kollegiums verpönt ist, bestimmte Informationen per E-Mail weiterzugeben, eignet sich das Medium nicht dafür. Distanzen verweisen auf die Fremdheit und Vertrautheit mit einem Medium. Wer ein Medium oder die damit realisierbare Kommunikation ablehnt, der oder die hält es auf Distanz. In die gleiche Richtung zeigt auch der Aspekt der persönliche Ebenen.
Herr Nussbaum fährt fort, dass eine „Plattform ‘ne Weiterentwicklung“ sei, die „weniger umständlich im dienstlichen Bereich“ sei als die Verwendung von E-Mail. Die Plattform steht synonym für das SIS InfoChange. Im Sinne der Weiterentwicklung integriert das SIS die Funktionalitäten der E-Mail und reicht darüber hinaus. Deutlich weniger umständlich ist gleichzeitig weniger aufwändig, sodass die schulisch konnotierte Kommunikation mittels des SIS für Herrn Nussbaum weitaus größere positive Rationalisierungseffekte ermöglicht als per E-Mail. Einschränkend gibt er aber zu bedenken, dass die Kommunikation mit dem SIS „weniger persönlich“ sei, d. h., die individuelle Adressatenorientierung wird eingeschränkt, u. a. weil man bei dieser Form der Kommunikation auf die „Anrede“ und die „Schlussformel“ verzichte, sodass dem Kommunikat bestimmte personifizierende Elemente fehlen. Gleichzeitig erreiche man aber auch „mehr Leute“, d. h., man kann mehrere Personen mit einem einzigen Kommunikat adressieren. Der Vergleich von Herrn Nussbaum ist eingeschränkt gültig, da man z. B. auch einen Brief an das ganze Kollegium schreiben und über die persönlichen Postfächer an die Lehrkräfte adressieren könnte. In diesem Fall würde man wahrscheinlich aber auch nicht auf eine Anrede und eine Schlussformel verzichten. Gleichzeitig könnte man ein solches Kommunikat gleichen Inhalts auch in InfoChange veröffentlichen, sodass zumindest der Vergleich bezüglich der Form keinen Bestand hat. Anders ist es nur, wenn sich Herr Nussbaum für seine Kommunikation in InfoChange von bestimmten für die Kommunikation mit anderen Medien etablierten Konventionen, wie z. B. der persönlichen Anrede und der Schlussformel, verabschiedet und sie nicht mehr verwendet.
Herr Walther gibt zu bedenken, dass er davon ausgehe, dass die Entscheidung für die Nutzung eines bestimmten Mediums nicht von dessen „Funktion“ oder „Funktionalitäten“ abhänge, sondern von der „Bequemlichkeit“. Entscheidend für die Aneignung eines Mediums ist demnach erstens die Frage, wie angenehm oder behaglich die Praxis ist. Daran knüpft ein zweites Charakteristikum der Nutzung im Sinne von Trägheit oder Gewöhnung an und drittens die Frage, wie passend oder tauglich die Nutzung ist. Damit einher geht die Einfachheit der Praxis, d. h. die Frage, welcher Aufwand erforderlich ist, um das Wissen zu erwerben und in eine korrespondierende Handlungspraxis zu überführen. Herr Müllerberg und Herr Peters verifizieren die Ausführungen von Herrn Walther, weisen aber darauf hin, dass es noch weitere zu elaborierende Gründe gibt (Gruppe Fichte, Passage „E-Mail“).
Herr Müllerberg führt das Wort weiter und validiert die Ausführungen von Herrn Nussbaum, denn „der Mensch“ überlege zunächst einmal „insgeheim“, in welche kommunikative Situation er sich begibt. Da der Mensch so aber „nicht denkt“, handelt es sich nicht um einen willentlich kognitiv gesteuerten Akt, sondern um eine habitualisierte Handlung, die der oder dem Kommunizierenden nicht bewusst ist („insgeheim“). Herr Walther und Herr Peters verifizieren das. Dazu kommt, dass die „klassische Form von E-Mail wieder kein Medienbruch“ sei. Indem sie den Brief ersetzt, finde aber ein „Medienwechsel“ statt. Im Allgemeinen markiert der Medienbruch Friktionen im Zuge des Medienhandelns, die auftreten, wenn verschiedene Medien zur Realisierung der kommunikativen Absicht eingesetzt werden müssen, die, wenn alle an der kommunikativen Situation beteiligten Akteure mit den gleichen Medien handeln würden, nicht aufträten. Das ist z. B. der Fall, wenn ich eine E-Mail erhalte mit der Bitte, die enthaltenen Informationen an eine andere Person weiterzugeben und diese Person E-Mail nicht nutzt, sodass ich das Kommunikat z. B. ausdrucken muss, um es ihr geben zu können. Vor diesem Hintergrund bleibt offen, was der Schulleiter hier als Medienbruch bezeichnet. Ein „Medienwechsel“ werde dagegen durch den „Ersatz des Briefes“ markiert, aber nicht durch den „Ersatz der Diskussion“. Im weiteren Verlauf der Erklärung wird deutlich, dass es darum geht, ob sich E-Mail auch zum Führen von Diskussionen eignet. Die Antwort auf diese Frage gibt der Schulleiter selber. Denn so wie Herr Walther, wie von ihm kurz vorher erzählt, gemerkt habe, dass sich selbst ein Chat ab einer bestimmten Menge an Teilnehmenden sowie ab einer gewissen Intensität der Kommunikation nicht mehr zum Diskutieren eigne, sei das Medium E-Mail für diesen Zweck noch sehr viel ungeeigneter. Man denke nur allein an den für die Darstellung der Diskussion erforderlichen Platz. Ein solcher Praxisverlauf entspricht nicht den etablierten Erwartungen, die man normalerweise an den Verlauf einer Diskussion hat.
Wenn man etwas diskutieren wolle, so der Schulleiter weiter, beteilige man in der Regel eine größere Gruppe, deren Umfang aber nicht festgelegt sei und z. B. zwischen vier und 100 Personen schwanken könne. Das sei „nämlich genau der andere Auswuchs“, der aber eventuell nicht sofort „offensichtlich“ sei. Eine auswachsende Praxis nimmt Formen an, die nicht mehr der ursprünglichen Absicht entsprechen und tendenziell nicht mehr zu kontrollieren ist. Außerdem steht der Auswuchs für eine ungesunde Übersteigerung. Mit diesen offensichtlichen Risiken der Kommunikation ist der Schulleiter öfter konfrontiert. So müsse er z. B. die Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter häufig davon abhalten, eine E-Mail an alle Kolllegiumsmitglieder zu schreiben, um diese z. B. an zu erledigende Aufgaben zu erinnern. Im Sinne der von Herrn Müllerberg bemühten „Kehrseite“ gehört es zu den negativen Ausprägungen der E-Mail-Nutzung, dass alle Nutzerinnen und Nutzer mit dem Medium Kommunikate an eine beliebige Anzahl potenzieller Rezipientinnen und Rezipienten senden können. Der Schulleiter vergleicht diese Form der Kommunikation mit dem ‚Loslassen‘ einer „Flut“. Sie besitzt insofern zerstörerische Kraft, als dass er davon ausgeht, dass die Lehrkräfte zumindest die E-Mail-Kommunikation aus dem Umfeld der Schulleitung ignorieren würden, wenn sie zu umfangreich wäre. Im Umkehrschluss muss Herr Müllerberg sie regulieren. Dazu kommt als weiterer Einwand des Schulleiters, dass der schulische Medienwandel ein kontinuierlicher Prozess sei und die Kollegiumsmitglieder sich die verschiedenen Medien ganz unterschiedlich aneignen. Mitunter ist dieser Prozess beschwerlich und mühsam (Gruppe Fichte, Passage „E-Mail“).
Wer sich mit erheblichem Aufwand ein Medium angeeignet hat, möchte dieses, wie der Schulleiter Herr Müllerberg erläutert, auch über einen längeren Zeitraum hinweg nutzen. Diese Personen sind dann auch nicht bereit, die Nutzung dieses Mediums zu Gunsten eines anderen, das mindestens den- oder dieselben Zweck(e) erfüllt, aufzugeben. Herr Nussbaum ergänzt dazu, dass der Umgang mit einem Medium auch von „Distanzen“ geprägt werde. So gebe es z. B. an der Bergschule Kolleginnen oder Kollegen, die man „auch in irgendeiner Form persönlich noch erreichen kann“, d. h., man kann unmittelbar mit diesen Personen face-to-face kommunizieren. Insofern könne man dann auch wählen, ob man diesen Personen z. B. eine E-Mail schreibe oder warte, bis man ihnen begegne, um dann mit ihnen zu kommunizieren.
An späterer Stelle der Gruppendiskussion thematisiert der Schulleiter noch einmal die unmittelbaren Folgen des Medienwandels in der Schule. Er bemüht dafür den laufenden Austausch der Kreidetafeln gegen Interactive Whiteboards. Auch wenn dieses Medium nicht der Kommunikation zwischen den Lehrkräften dient, werden anhand dieses Beispiels die Herausforderungen des Medienwandels, die auch die Veränderung von Kommunikationsmedien betreffen, gut deutlich (Gruppe Fichte, Passage „E-Mail“).
Herr Müllerberg weist darauf hin, dass es eine „Erfahrung“ sei, wenn die herkömmlichen Tafeln gegen IWBs ausgetauscht werden. Zunächst bleibt offen, welche Kenntnisse bzw. Einsichten mit dieser Veränderung einhergehen. Aufgrund bestimmter Begebenheiten („zwangsläufig“) handele es sich aber um eine „Übergangszeit“, während der „Friktionen auftreten“. Die Einführung der IWBs geht mit einer Periode einher, die von Widerständen und Unstimmigkeiten begleitet wird. In ihrer maximalen Kontrastierung reichen diese von vollständiger Zustimmung zu der beschriebenen Veränderung bis hin zu kompletter Ablehnung. „Die große Masse“ befinde sich aber „dazwischen“, d. h., die Orientierungen der Lehrkräfte bezüglich des neuen Mediums enthalten sowohl ablehnende als auch zustimmende Anteile. Gemeinsam sei den Lehrkräften, dass sie „‘nen Stück weit […] überfordert“ seien „von heute auf morgen“ ‚den Schalter umzulegen‘ und ad hoc von der Nutzung der Kreidetafel zur Arbeit mit dem IWB überzugehen. Sie können nicht ohne Weiteres eine etablierte Handlungspraxis (das Arbeiten mit der Kreidetafel) zu Gunsten einer neuen aufgeben. Die Perspektivenübernahme fällt dem Schulleiter leicht. Aufgrund der Überbeanspruchung und Belastung, denen die Lehrkräfte ausgesetzt seien, könne man nicht erwarten, dass sie die Möglichkeit finden, sich auf eine solche Veränderung adäquat vorzubereiten. Erschwerend kommt hinzu, dass auch noch nicht überall die gewünschten technischen Voraussetzungen für die Arbeit mit den IWBs vollständig geschaffen werden konnten und z. B. nicht für alle Geräte die erforderlichen Computer zur Verfügung stehen.
Solche Einschränkungen müssen die Lehrkräfte akzeptieren („mit der Situation muss man leben können“), sodass sie ein integraler Bestandteil der Medienintegration sind. Der Schulleiter vermutet, dass sich diese Einschränkungen über den Zeitraum von ca. einem halben Jahr erstrecken werden. Die angesprochenen Computer befinden sich offenbar sogar schon in der Schule, scheinen aber noch nicht in Betrieb genommen worden zu sein. Das, so Herr Müllerberg weiter, seien „Sachen“, die zur Folge haben, „dass man wieder so zurückgeworfen“ werde, sodass die Mediengruppe bei der Verfolgung eines bestimmten Planes hinter den schon erreichten Stand zurückfällt. Herr Müllerberg liefert dazu auch eine Erklärung. Alle Mitglieder der Mediengruppe haben auch einen „ganz normalen anderen Job“. Die Arbeit an der Medienintegration in der Bergschule ist damit eine Aufgabe, die die vier Lehrer neben ihrer eigentlichen Arbeit als Schulleitungsmitglieder bzw. Lehrkräfte leisten. Erschwerend kommt hinzu, dass es im Kollegium auch nur noch eine weitere Person gibt, die bei den anfallenden Arbeiten im Zuge der Verbesserung der Mediennutzungsmöglichkeiten in der Schule sicher helfen kann.
Das habe zur Folge, dass man sich „irgendwann“ an einer „Grenze zwischen den Möglichkeiten und der Realität“ befinde. Früher oder später wird im Zuge der schulischen Medienintegration ein Punkt erreicht, an dem prinzipiell verschiedene Mediatisierungsszenarien denkbar wären, die Umsetzung und Etablierung der damit jeweils verbundenen Medienpraxen lassen die tatsählichen Begebenheiten in der Schule aber nur in begrenzten Rahmen zu.
Gleichzeitig, so der Schulleiter weiter, müsse man „auf dem inhaltlichen Wege „[…] ‘ne Zeit lang noch ‘n dickes Fell“ haben. Im übertragenen Sinne bedeutet das, dass man über einen längeren Zeitraum hinweg unempfindlich sein müsse. Der Schulleiter gibt aber zu bedenken, dass diese Einschätzung „zu abfällig“ sein könnte. Im diesem Sinne kann die geforderte Unempfindlichkeit als Ignoranz gegenüber Beschwerden und/oder Klagen der Lehrkräfte in Bezug auf die Abschaffung der Kreidetafeln zu Gunsten einer mindestens technisch nicht optimalen Alternative gelesen werden. Die Aussage kann aber auch dahingehend interpretiert werden, dass der Schulleiter erwartet, dass die Lehrkräfte die angedeuteten Einschränkungen während der Übergangszeit schlichtweg ertragen. In diese Richtung zeigt auch, dass man akzeptieren müsse, dass es eine „Übergangszeit“ gebe, während der ein „neues System“ eine „Experimentierphase“ durchläuft, die Herr Müllerberg auch als „positiv“ bewertet. Von den Lehrkräften wird insofern erwartet, dass sie bereit sind, sich das neue Medium im Modus des Ausprobierens anzueignen. Gleichwohl steht diese Aufforderung im latenten Widerspruch zur vorausgegangenen Attestierung eines zunehmend verdichteten Arbeitsalltags, der bei genauerer Betrachtung kaum Raum lässt, etwas auszuprobieren.
Zusammenfassung
Die vier Mitglieder der Mediengruppe tragen die Hauptverantwortung für die Medienintegration an der Bergschule. Entsprechend groß ist ihre Nähe zu und Vertrautheit mit den digitalen Medien. Diese geht so weit, dass sich nicht nur Herr Walther in seiner Rolle als Systemadministrator handlungspraktisch um Fehlerbehebung, Wartung und Ausbau der IT-Infrastruktur der Schule bemüht, sondern auch die anderen drei Mitglieder ihn aktiv dabei unterstützen. Ihr Engagement geht so weit, dass sie z. B. Computer für den Betrieb von IWBs installieren und aufstellen. Dabei sind sie weitgehend auf sich allein gestellt. Die Orientierungsmuster der Gruppenmitglieder sind insgesamt stark technisch geprägt. Seinen paraphrasierenden Widerhall findet diese Orientierung in Herrn Walthers Hinweis, dass man sich bezüglich der Intensivierung der Nutzung des SIS InfoChange bisher primär mit der „Bereitstellungsseite“ befasst habe, d. h., die Gruppe versucht, insbesondere die Zugangsmöglichkeiten zu den digitalen Medien in der Schule zu verbessern.
Das trägt dazu bei, dass es mindestens partiell an deutlichen Orientierungsschemata mangelt, die zum einen den Mitgliedern der Mediengruppen, zum anderen aber auch – und das ist aus der Perspektive der schulorganisatorischen Kommunikation als kollektiver Praxis deutlich wichtiger – dem Kollegium ein ausreichendes Maß an Orientierung geben können, um die digitalen Medien in bestimmter Weise für die schulorganisatorische Kommunikation zu nutzen. Aufgrund ihrer großen Nähe zu den digitalen Medien sind die Mitglieder der Gruppe gleichzeitig auch relativ offen für neue Formen der computerbasierten, schulorganisatorischen Kommunikation, erkennen aber, dass diese innerhalb des Kollegiums keinen ausreichenden Zuspruch finden.
Die von den Gruppenmitgliedern identifizierten Probleme der inhaltlichen Akzeptanz bestimmter Formen der schulorganisatorischen Kommunikation (hier u. a. auch auf die Nutzung des SIS bezogen) verweisen auch auf (moderate) Orientierungsdiskrepanzen zwischen den Mitgliedern der Gruppe Fichte und dem Kollegium. Dabei bleibt es mehr als fraglich, ob die gedankenexperimentell entwickelten Lösungsansätze der Gruppe geeignet sind, die identifizierten Schwierigkeiten zu beheben. Insofern gelingt es der Gruppe Fichte zwar, die Schwierigkeiten der Kommunikation im Kollegium zu benennen, sie besitzt darauf aber keine Antwort i. S. einer Lösungsstrategie, bzw. sind die entwickelten Ansätze stark technik-determiniert. In die gleiche Richtung zeigt die streckenweise in der Tendenz heuristische Argumentation des Schulleiters zur Nutzung des SIS auf Basis von automatisch generierten Nutzungsdaten. Trotz aller Schwierigkeiten, sind sich die Mitglieder der Mediengruppe aber darin einig, dass der Anteil der computervermittelten Kommunikation am Gesamtvolumen der schulischen Kommunikation in der jüngsten Vergangenheit erheblich zugenommen habe.
Darüber hinaus sehen sie sich immer wieder mit der Frage nach der im jeweiligen kommunikativen Kontext adäquaten Medienwahl konfrontiert, ohne darauf eine zufriedenstellende Antwort zu haben. Damit wird auch anhand dieser Gruppe erstens deutlich, dass in der Schule viele kommunikative Situationen nicht (mehr) auf routinisierten kommunikativen Praktiken basieren und darum eine gezielte Medienwahl erfordern. Zweitens fehlen formale Regeln für die Kommunikation mit digitalen Medien. Prinzipiell müssten die Mediengruppe bzw. die Mitglieder der Schulleitung solche Regeln festlegen. Für viele Formen der Kommunikation mit digitalen Medien in der Schule ist das aber gar nicht möglich bzw. ließen sich solche Regeln nicht durchsetzen. Insofern erhofft man sich z. B. von den Verbesserungen der infrastrukturellen Voraussetzungen der Nutzung der digitalen Medien in der Schule eine Intensivierung dieser Praxen. Für die an alle Kollegiumsmitglieder gerichtete Kommunikationen stellt sich außerdem die Frage nach deren Kontrolle, die nicht nur inhaltlicher, sondern auch technischer Natur ist. Der Schulleiter muss sicherstellen, dass die verfügbaren digitalen Medien so eingesetzt werden, dass die Akzeptanz im Kollegium gewahrt bleibt.
Mit freundlicher Genehmigung des VS Verlages.
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-03677-5_3
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