Hinweis: Der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Waldschule in A-Stadt: Die Gruppe Ahorn“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Bergschule in B-Stadt: Die Gruppe Zypresse“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Bergschule in B-Stadt: Die Gruppe Lärche“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Bergschule in B-Stadt: Die Gruppe Esche“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Waldschule in A-Stadt: Die Gruppe Platane“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Bergschule in B-Stadt: Die Gruppe Fichte“
- „Mediatisierte Organisationswelten in Schulen – Die Waldschule in A-Stadt: Die Gruppe Birke“
Einleitende Bemerkungen
Die Waldschule ist eine integrierte Gesamtschule mit etwa 1.300 Schülerinnen und Schülern, die in den Jahrgängen 5 bis 10 achtzügig unterrichtet werden. Auf dem Schulgelände befindet sich auch noch die Oberstufe der Waldschule, die aber nicht Teil der Untersuchung war. Die verschiedenen Gebäude verteilen sich über ein relativ großes Gelände. Im Zentrum steht ein zweistöckiger, riegelartig aufgebauter Komplex. Aufgrund der Weitläufigkeit der Schule müssen die Pädagoginnen und Pädagogen häufig relativ lange Wege zurücklegen, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Jeder Jahrgang befindet sich in einem eigenen Gebäudeteil. Dazu kommen weitere separate Gebäude wie die Aula, die Sporthallen und ein kleiner restaurantartiger Betrieb der von Schülerinnen und Schülern geführt wird. An der Schule sind etwa 120 Lehrkräfte inklusive Referendarinnen und Referendaren sowie Sonderschulpädagoginnen und -pädagogen tätig. Dazu kommen eine kleine Gruppe von Sozialarbeiterinnen und -arbeitern, Verwaltungsangestellte, die im Sekretariat der Schule arbeiten und Hausmeister. Die Klassenlehrerinnen und -lehrer eines Jahrgangs treffen sich normalerweise alle zwei Wochen zur Jahrgangskonferenz. Während der Feldphase gab es mindestens einen Jahrgang, dessen Mitglieder sich nur monatlich trafen. Jeder Jahrgang sollte eine Sprecherin oder einen Sprecher wählen, die/der u. a. einen Teil der Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Schulleitung und den Mitgliedern eines Jahrgangs übernimmt. In jeder Klasse unterrichten eine Klassenlehrerin bzw. ein -lehrer sowie eine Co-Klassenlehrerin bzw. ein -lehrer. Jeweils zwei Klassen eines Jahrgangs sind enger miteinander verzahnt und die Schülerinnen und Schüler werden teilweise auch gemeinsam unterrichtet.
Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten
Die Gruppe Buche besteht aus drei Lehrkräften: Herr Jochen, Herr Geber und Frau Distelmann. An einigen Stellen beteiligte sich noch eine weitere Lehrerin an der Diskussion, die zufällig in dem Raum saß, in dem die Gruppendiskussion stattfand. Frau Zimmermann ist etwa im Alter der 59-jährigen Frau Distelmann. Frau Distelmann ist seit 35, Herr Geber seit zwölf und Herr Jochen seit zwei Jahren an der Waldschule tätig. Unter Umständen ist es auch auf diese im Vergleich relativ kurze Schulzugehörigkeit zurückzuführen, dass sich Herr Jochen nur sehr sporadisch an der Gruppendiskussion beteiligt. Die interaktive Dichte der Diskussion sowie die gegenseitige Bezugnahme ist in dieser Gruppe etwas besser als in der Gruppe Ahorn, gleichwohl stehen auch hier die Beiträge der Lehrkräfte über weite Strecken relativ unverbunden nebeneinander. Herr Geber und Herr Jochen sind beide Klassenlehrer im Jahrgang 7, Frau Distelmann im Jahrgang 8.
Die unterschiedlichen Facetten der interpersonalen direkten Kommunikation
Wie in Kapitel 3.1.1 (vgl. Welling, S., Breiter, A., Schulz, A. (2015)) dargestellt, werden die Schülerinnen und Schüler an der Waldschule ab der 7. Klasse teilweise in einem Kurssystem unterrichtet, was die Zahl der Pädagoginnen und Pädagogen, die in einer Klasse arbeiten, deutlich erhöht. Damit steigt für die Klassenlehrerinnen und -lehrer, auch das Ausmaß kommunikativ vermittelter Abstimmungsprozesse über das Handeln der Schülerinnen und Schüler. Frau Distelmann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es vor allem die Aufgabe der Fachlehrkräfte sei, die Klassenlehrerinnen und -lehrer aber auch die Eltern bedarfsweise über das Handeln der Schülerinnen und Schüler zu informieren (Gruppe Buche, Passage „Kommunikation und Abstimmung“).
Herr Geber bestätigt, dass es vor allem in die Zuständigkeit der Fachlehrkräfte falle, bedarfsweise mit den Klassenlehrerinnen und -lehrern sowie den Eltern zu kommunizieren, und merkt dazu an, dass man sich darauf „verlassen“ können müsse, dass die Fachlehrkräfte diese Handlungspraxis bei Bedarf ausfüllen. Frau Distelmann stimmt dem zu. Zwischen den beteiligten Lehrkräften muss ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, das so stark ist, dass vor allem die Klassenlehrerinnen und -lehrer sicher sein können, dass die Fachlehrkräfte diese Verantwortung adäquat ausfüllen. Frau Distelmann zufolge hinge die Art und Weise der Kommunikation, die um eine Klasse herum zwischen den beteiligten Lehrkräften stattfindet, auch davon ab, wie das „Team, das in der Klasse unterrichtet“, „aufgestellt“ sei, was umgehend von Herrn Jochen bestätigt wird. Die Art der Beziehungen zwischen den Lehrkräften, die eine Klasse unterrichten, spielt eine wichtige Rolle für die Qualität der zwischen diesen Personen realisierbaren Kommunikation. Die Lehrerin fährt fort, die Kommunikation in den Teams zu elaborieren. So gebe es „Zufälle“, bei denen „kann man nicht so richtig“, oder die sich auch „nicht melden“. Die Entwicklung der Beziehung zu anderen Lehrkräften lässt sich nicht immer voraussehen. Möglicherweise lässt sich keine funktionierende Beziehung zueinander entwickeln (nicht so richtig können) oder bestimmte kommunikative Praktiken werden nicht enaktiert (nicht melden). Es gebe aber auch „Situationen“, in denen es „richtig gut“ laufe. Die Situation verweist sowohl auf augenblickliche Momente innerhalb eines Teams, als auch auf eine allgemeine Zustandsbeschreibung einer Teamqualität. So oder so ist es unter diesen positiven Voraussetzungen u. a. möglich, auch „zwischen Tür und Angel“, d. h. in flüchtiger Bewegung z. B. auf dem Gang kurz face-to-face, zu kommunizieren. Je höher die Beziehungsqualität innerhalb einer Gruppe von Lehrkräften ist, desto eher kann sie auch auf der Basis kommunikativer Praktiken interagieren, die ansonsten von den Lehrkräften tendenziell eher abgelehnt werden. Aber auch unter diesen günstigen Voraussetzungen bildet die Kommunikation auf dem Gang die Ausnahme („mal´ne Kurzinformation“). So könne man z. B. mitteilen, wenn eine Schülerin oder ein Schüler beim Schreiben einer Klassenarbeit gefehlt hat.
Innerhalb ihres Teams könne man mit der Mehrzahl der Mitglieder „kurz kommunizieren“, d. h., im Modus der spontanen Begegnung lassen sich knappe Informationen zur gemeinsamen Arbeit austauschen. Dem kommt zugute, dass man auch davon ausgehen kann, dass diese Lehrkräfte zumindest regelmäßig im Lehrerzimmer zugegen sind und man sie dort treffen kann, um ggf. zu interagieren. Diese Kommunikation erfolgt face-to-face. Ihre Inhalte i. S. von Kommunikaten werden außerdem auch im Klassenbuch niedergeschrieben, z. B. wann Schülerinnen oder Schüler gefehlt haben. Es kann aber sein, dass der Lehrerin dabei wichtige Kontextinformationen fehlen, z. B. dass an dem Tag auch eine Klausur geschrieben wurde, und das der Grund für das Fehlen gewesen sein könnte. Frau Distelmann fehlen diese Informationen, da sie nicht auf den „Plan“ schaue. Der Plan ist i. d. S. ein Kommunikat, aus dem die angesprochenen Informationen entnommen werden können. Gemeint ist wahrscheinlich die Übersichtskarte, in der Nähe des Lehrerzimmers, auf der alle Klausuren eingetragen werden (vgl. Welling, S., Breiter, A., Schulz, A. (2015). Kapitel 3.1.1). Letztlich kann die Lehrerin aber auch auf diesen Plan verzichten, da sie auch auf anderem Wege erfährt, wenn Schülerinnen und Schüler eine Klausur nicht mitgeschrieben haben.
Im Falle groben Fehlverhaltens durch Schülerinnen oder Schüler könne auch eine „Klassenkonferenz“ einberufen werden, zu der alle Lehrkräfte zusammenkommen, die die betroffene Person unterrichten. Insofern kann ggf. ein spezieller Rahmen mit einer besonderen kommunikativen Qualität geschaffen werden, um wieder auf der Grundlage der interpersonalen direkten Kommunikation über den geeigneten Umgang mit solchen Formen des Schülerhandelns zu beraten. Kleinere Vergehen gegen die schulische Ordnung (z. B. regelmäßiges Zuspätkommen) können dagegen für Herrn Geber längere Zeit unbemerkt bleiben, was laut Frau Distelmann selbstverständlich ist. Alle diese Praktiken werden aber früher oder später augenscheinlich, sodass es letztlich vor allem eine Frage der Zeit ist, bis die Lehrkräfte von auffälligen bzw. nicht regelkonformen Handlungspraxen ihrer Schülerinnen und Schüler erfahren. Im Anschluss an den wiedergegebenen Ausschnitt der Gruppendiskussion beschreibt die Lehrerin die enge kommunikative Abstimmung zwischen den Lehrkräften, wenn in einer Klasse besondere disziplinarische Maßnahmen (z. B. intensive Anwesenheitskontrollen) erforderlich sind. Für diese Art der Kooperation müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein (Gruppe Buche, Passage „Kommunikation und Abstimmung“).
Für das Gelingen der von Frau Distelmann beschriebenen Handlungspraxis sei es von wesentlicher Bedeutung, dass man sich mit der Lehrkraft, mit der man zusammenarbeitet. „auch ganz gut versteht“, d. h., dass ein gutes Verhältnis zu diesen Personen besteht, oder anders formuliert, ein Mindestmaß an geteilten konjunktiven Erfahrungen zwischen den beteiligten Lehrkräften existiert. Wenn man im Gegensatz dazu „irgendwo reinkommt“ – gemeint sein könnte der Eintritt in ein neues Team – und feststellt, dass man mit einer Kollegin oder einem Kollegen ‚überhaupt nicht kann‘, bezweifelt Frau Distelmann, dass die Kommunikation in der von ihr skizzierten Weise verlaufen würde. Das Verb können verweist abermals auf die Bedeutung gemeinsamer Konjunktionen für die Kommunikation. Die Kommunikation zwischen den Lehrkräften ist demnach kein Selbstläufer und auch nicht lediglich Mittel zum Zweck, sondern in ihrer Qualität auch ein Indikator für die Kohäsion zwischen Gruppen von Lehrkräften innerhalb der Schule.
Wenn Frau Distelmann z. B. eine andere Lehrkraft über kritisierenswertes Verhalten ihrer Schülerinnen und Schüler informiert und diese sich desinteressiert zeigt, würde sie solche Informationen nicht wieder weitergeben. Dann würde sich die Lehrerin nur mittels formalisierter Kommunikate direkt an die Eltern der Schülerinnen und Schüler wenden und die zuständige Klassenlehrerin bzw. den -lehrer nur noch formal darüber in Kenntnis setzen. Zumindest für bestimmte Kommunikationen zwischen den Lehrkräften existieren i. d. S. formale Mindestanforderungen. Inwieweit über diese hinausgegangen wird, und ob sich die Kommunikation zwischen ihnen intensiviert, hängt u. a. mit der an die Reziprozität der Kommunikation gebundenen Empathie zusammen. Die Qualität der Reziprozität der Kommunikation mit anderen Lehrkräften bestimmt, welches Qualitätsniveau die Kommunikation im Zeitverlauf erreichen kann. Reicht sie nicht, lassen sich Umfang und Qualität der Kommunikation auf das durch formale Regeln bestimmte Mindestmaß reduzieren. In der Gruppendiskussion wird mehrfach auch über die Qualität der Schule gesprochen, die sich auch entlang der Kommunikation in der Organisation bemisst, die aus einer Vielzahl unterschiedlicher Facetten besteht, wie die folgenden Ausführungen von Herrn Geber illustrieren (Gruppe Buche, Passage „Gute Schule“).
Die Kommunikation innerhalb des Kollegiums wirkt ganz unterschiedlich auf die daran beteiligten Akteure. So ist Herr Geber z. B. „sehr oft […] auch genervt auch von Beiträgen von Kollegen“, da sie ihn nicht interessieren bzw. seinen Neigungen nicht entsprechen. Das könnte u. a. auf Lehrkräfte zutreffen, die andere Fächer als er unterrichten. Als „erwachsener Lehrer“ könne man sich aber „viel rausnehmen“. Ab einem bestimmten Alter kann man sich in einer Weise verhalten, die auch Handlungspraxen einschließt, die eigentlich inakzeptabel sind, im Sinne von sich dreisterweise etwas anzumaßen. So könne man sich z. B. auf einige Sachen „einlassen“, d. h., man beteiligt sich daran (und ignoriert im Umkehrschluss andere), man könne aber auch „weggehen“, d. h., man entzieht sich bestimmten Aktivitäten. Man könne aber auch „zuhören“ und der verbalen Kommunikation anderer Lehrkräfte die eigene Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen. Dabei habe man aber „immer das Gefühl“, dass man auch etwas für sich tue, sodass die Handlungspraxen immer auch an der eigenen Person (und weniger am Kollektiv oder Milieu) orientiert ist, und dieser zugutekommt. Dazu kommt, dass man im Zuge dieser Handlungspraxen auch „in irgend ‘ner Form“ etwas ‚dabei lernt‘, d. h., man erwirbt einerseits Wissen, Kenntnisse oder Fertigkeit. Andererseits entwickelt man auf der Basis von Erfahrungen und Einsichten bestimmte biografische Orientierungen.
Die beschriebenen Qualitätsdimensionen hängen zum einen mit der Größe der Schule, dem damit einhergehenden relativ großen Kollegium und der damit zusammenhängenden Diversität dieser Gruppe zusammen. Zum anderen komme dabei aber auch „Pluralität“ zum Tragen. Diese Vielfältigkeit spiegelt sich in den verschiedenen Gruppen, die an der Schule tätig und anhand ihres professionellen Status unterscheidbar sind. Das sind u. a. Gymnasial- und Sonderschullehrerinnen bzw. -lehrer, aber auch Zivildienstleistende sowie Referendarinnen und Referendare. Diese repräsentieren wiederum verschiedene Schwerpunkte, deren Handeln auch ermüdend und strapaziös ist, denn „jeder verteidigt seinen Schwerpunkt mit Klauen“. Ein Schwerpunkt markiert ein Arbeitsgebiet, das mit bestimmten (berufs-) biografischen Orientierungen verbunden ist. Diese existieren in der Schule zwar nebeneinander, es bedarf aber offenbar der kontinuierlichen Abgrenzung gegenüber anderen und der Behauptung des eigenen Arbeitsgebiets. Herr Geber exemplifiziert das anhand eines Beispiels: So nehme sich z. B. der „Kunstfachbereich […] auch extrem wichtig“, und auch der „Musikfachbereich“ scheint aus seiner Sicht eine elaborierte Stellung einzunehmen. Im Fokus stehen demnach nicht einzelne Lehrkräfte, sondern Gruppen, die in Fachschaften organisiert sind. Die beiden genannten Fachbereiche sind aber eher klein und haben gegenüber Hauptfächern wie z. B. Mathematik oder Englisch oft einen schweren Stand. In der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Fächern werden „natürlich immer Lösungen gefunden“, d. h. Schwierigkeiten zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Fächer (oder Professionen) werden selbstverständlich ohne Ausnahme bewältigt. Alle Gruppen müssen in Kauf nehmen, dass solche Konflikte nicht immer zu ihrem Vorteil ausgehen, aber alle immer irgendwann von der Lösung einzelner Konflikte profitieren.
Wohl auch vor diesem Hintergrund sei die Schule sowohl für einen „jungen Menschen“, gemeint sind wahrscheinlich die Schülerinnen und Schüler, als auch für die Lehrkräfte „sehr lebendig“, sodass der Schulalltag dynamisch und schwungvoll ist. Prägend dafür sind die Praxis des ‚Streits‘ und Emotionen wie „Wut und Enttäuschung, aber auch das andere“. Zumindest was die genannten Beispiele betrifft, scheint die Interaktion an der Schule häufiger konflikthaft zu sein, und es stehen eher negative Emotionen im Zentrum. Wofür das „andere“ an dieser Stelle steht, exemplifiziert der Lehrer nicht, sodass nur vermutet werden kann, dass damit positiv konnotierte Praxen und die daraus resultierenden Gemütszustände angesprochen sind. Eine längere Pause signalisiert, dass das Thema damit für Herrn Geber abgeschlossen ist. Weder Frau Distelmann noch Herr Jochen gehen auf die Beschreibung ihres Kollegen ein. Abermals stehen die individuellen Orientierungen relativ unverbunden nebeneinander.
An verschiedenen Stellen wurde bereits deutlich, dass die Organisation des Schulalltags auch auf vielen institutionalisierten Abstimmungsprozessen basiert. Dazu gehören u. a. die regelmäßigen Zusammenkünfte der Angehörigen eines Jahrgangs. Treffen für die Lehrkräfte, die eine bestimmte Klasse unterrichten, scheinen dagegen eine Ausnahme zu sein (Gruppe Buche, Passage „Kommunikation und Abstimmung“).
Frau Distelmann berichtet von einer Kollegin, die Klassenlehrerin im Jahrgang 6 ist und zu Beginn des neuen Schuljahres alle Lehrkräfte, die in ihrer Klasse unterrichten, zu sich nach Hause eingeladen hat. Die Lehrerin hat eine informelle, in ihrer privaten Sphäre gelegene Gelegenheit zur beruflich orientierten Face-to-Face-Kommunikation geschaffen. Als Klassenlehrerin nutzt sie diese Gelegenheit, um die anderen Lehrkräfte insbesondere darüber zu informieren, was sie versucht hat, um Schülerinnen und Schülern ihrer Klasse mit besonderem Unterstützungsbedarf zu helfen. Darüber hat es dann offenbar eine äußerst intensive und umfassende Diskussion („alles durchgekaut“) zur weiteren Arbeit mit den Lernenden gegeben. Die kommunikative Verständigung unter den Lehrkräften dient als Vorbereitung für den bevorstehenden Unterrichtsbetrieb und zur Schaffung einer gemeinsamen Basis. Frau Distelmann bekam auf diese Weise auch einen genaueren Eindruck von den Schülerinnen und Schülern, die sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht besonders gut kannte. Das Treffen beschreibt sie als „gemütliches Beisammensein“. Die Zusammenkunft fand in einer angenehmen sowie behaglichen Atmosphäre statt und war ungezwungen und gesellig. Dazu kommt, dass die Klassenlehrerin ihre Kolleginnen und Kollegen in ihre private Sphäre eingeladen hat, was auch ein Indikator für ein hohes Maß an Vertrautheit und Offenheit innerhalb dieser Gruppe ist und was die Kommunikation scheinbar begünstigt hat. Abschließend weist sich noch darauf hin, dass sie diese Form der Zusammenkunft im Grunde („eigentlich“), d. h. trotz eventueller Restzweifel, positiv fand. Im 8. Jahrgang, in dem Frau Distelmann offensichtlich auch unterrichtet, finden solche Zusammenkünfte nicht statt (Gruppe Buche, Passage „Kommunikation und Abstimmung“).
Im 8. Jahrgang ist der Beschreibung von Frau Distelmann zufolge die Kommunikation zwischen den Lehrkräften sehr intensiv („massiv“). Herr Geber verifiziert das. Diese Kommunikation findet vor allem innerhalb des „Hauptteams“ statt, das sind die Klassenlehrerinnen und -lehrer sowie die Lehrkräfte, die Hauptfächer unterrichten. Die Intensität der Kommunikation adressiert vor allem deren Qualität, denn die Handlungspraxis der Lehrkräfte im Jahrgang sei „inzwischen schon so eingespielt, dass man gar nicht mehr so viel machen muss“. Insofern ist hier ein Organisationsmilieu entstanden, in dem der Unterricht des 8. Jahrgangs organisiert wird. Entsprechend basiert die begleitende Praxis vor allem auf handlungsentlastenden inkorporierten Routinen, die nur bedingt der kommunikativen Abstimmung bedürfen. Das ist u. a. darauf zurückzuführen, dass alle Lehrkräfte wüssten, welche Schülerinnen und Schüler erhebliche Probleme haben oder bereiten und man im Umkehrschluss entsprechend darauf reagieren kann. Das schließt aber nicht aus, dass der Umgang mit bestimmten Schülerinnen und Schülern fallweise einer umfangreicheren Handlungspraxis bedarf, zu der teilweise auch Mitglieder der Schulleitung hinzugezogen werden. Einen kritischen Faktor innerhalb des beschriebenen Praxiskontextes bildet die dafür erforderliche Zeit. Handlungsentlastende Routinen sind insofern auch eine Voraussetzung, um über den regelmäßigen Betrieb hinausgehende Anforderungen kommunikativ zu bearbeiten.
Auf die letzten Jahre und ihre Arbeit in anderen Klassen zurückblickend, kann sich Frau Distelmann „eigentlich nicht beklagen“, d. h., sie hat an und für sich keinen Grund unzufrieden mit der Kommunikation innerhalb des Kollegiums zu sein, da diese beständig ist. So habe man permanent ohne Verzögerungen über die „wichtigsten Dinge“ kommuniziert, selbst wenn dies nur im Rahmen spontaner Begegnungen im Modus der Face-to-Face-Kommunikation („zwischen Tür und Angel“) möglich war. Eine wichtige Rolle spielten in diesem Kontext auch papierbasierte Kommunikate, die die interpersonale direkte Kommunikation begleiteten oder fortführten, wenn benötigt Kommunikate z. B. vervielfältigt und über die persönlichen Postfächer an die einzubindenden Lehrkräfte verteilt wurden. Die Vervielfältigung und Weitergabe papierbasierter Kommunikate ist ungebrochen relevant für die innerschulische Kommunikation, gerade wenn es darum geht, zu entscheiden, wie man weiter mit schwierigen Schülerinnen und Schülern verfährt. Hinzu kommt, dass Frau Distelmann davon ausgeht, dass alle Lehrkräfte an der Schule genug Erfahrung besitzen, um die angedeuteten Probleme zu lösen, außer die Schwierigkeiten sind so groß, dass man externe Institutionen wie z. B. das Jugendamt hinzuziehen muss. Die Lehrkräfte verfügen über ausreichende, durch wiederholte Praxis erlangte Kenntnisse, um eine Vielzahl durch Schülerinnen oder Schüler ausgelöste Probleme unter Einsatz eines überschaubaren Maßes an Zeit zu lösen. Nur bei außergewöhnlichen Schwierigkeiten ist man gezwungen, zur Lösung spezialisierte Institutionen außerhalb der Schule hinzuzuziehen.
Variierende Nutzung von E-Mail in den Jahrgängen
Neben der interpersonalen direkten und der Kommunikation über das traditionelle Postfach nutzen die Lehrkräfte aus der Gruppe Buche auch E-Mail. Die Nutzung unterscheidet sich aber offensichtlich zwischen den Angehörigen verschiedener Jahrgänge (Gruppe Buche, Passage „E-Mail“).
Im Jahrgang 8 von Frau Distelmann ist die Nutzung von E-Mail sehr ausgeprägt. Umfangreiche „Vorschläge“ und „Unterrichtseinheiten“ werden damit im Kollegium verteilt. Herr Jochen erlebt die Wahl der Medien für die Kommunikation in seinem Jahrgang als eher „ausgewogen“, sodass sich die Nutzung papierbasierter und per E-Mail versendeter Kommunikate in etwa die Waage halten. Es komme aber auch vor, dass Kommunikate zunächst mittels E-Mail distribuiert werden und danach noch eine Zusammenfassung dieser Kommunikate in die traditionellen Postfächer der Adressatinnen und Adressaten verteilt wird. Offenbar wird das digitale Kommunikat reduziert, bevor es in die papierbasierte Form überführt wird, die i. d. S. auch als Filter fungiert, der den quantitativen Umfang der Kommunikate, die im Jahrgang kursieren, reduziert. Die damit einhergehende Dopplung von Kommunikaten betrachtet der Lehrer als positiv, da sie der Verfügbarkeit der Kommunikate ein höheres Maß an Sicherheit verleiht („doppelt gemoppelt hält besser“). Selbstverständlich komme es in diesem Kontext auch zu Aufmerksamkeitsverlusten, die darauf zurückzuführen sein könnten, dass man nicht mehr allen Kommunikaten die gleiche Beachtung zuteilwerden lässt. Herr Jochen rezipiert die ihm übermittelten Kommunikate gelegentlich auch nicht zeitnah, sondern erst kurz bevor er die darin enthaltenen Informationen benötigt. Wenn er das papierbasierte Kommunikat nicht in einen Aktenordner abgeheftet hat und nicht kurzfristig darauf zugreifen kann, durchsucht er sein E-Mail-Postfach nach der digitalen Entsprechung. Im Zentrum seiner biografischen Orientierungen steht jedoch der Umgang mit den papierbasierten Kommunikaten.
Frau Distelmann unterbricht Herrn Jochen und weist darauf hin, dass man auch in ihrem Jahrgang E-Mail häufig für die Kommunikation verwendet. Neben der Weitergabe von Informationen, wird dort auch in reziproker Form über bestimmte Anlässe kommuniziert. Dabei wird offenbar regelmäßig bei jeder Antwort die vorausgegangene Kommunikation immer wieder mitgesendet, sodass man diese in ihrer Gänze mitverfolgen kann und aufgrund ihrer Länge auch gar nicht „überlesen“ könne. Die Situation im Jahrgang von Herrn Jochen stellt sich anders dar. Er verneint die Darstellung von Frau Distelmann und erwidert, dass er „bisher“ „noch Glück“ gehabt habe, er also froh darüber ist, dass E-Mail für die Kommunikation in seinem Jahrgang noch keinen mit der Beschreibung von Frau Distelmann vergleichbaren Stellenwert erreicht hat. Auch diese Äußerung spricht dafür, dass die (berufs-)biografische Relevanz von E-Mail für die schulorganisatorische Kommunikation für Herrn Jochen eng bemessen ist. Frau Distelmann sieht sich offenbar aufgefordert, die Kommunikation in ihrem Jahrgang genauer zu elaborieren. Diese Form des Vereinbarens von Terminen sei „sehr informativ“, d. h., sie eröffnet weitreichende Einblicke, ist extrem erhellend und aufschlussreich. Da die Lehrkräfte einen Teil ihrer Termine per E-Mail vereinbaren, müssten sie sich auch seltener treffen, da sich so die Notwendigkeit bestimmter Absprachen im Modus der Face-to-Face-Kommunikation verringert. Diese Kommunikation sei außerdem für alle Beteiligten nachvollziehbar, sehr transparent und verbindlich, da sie in digitaler Form dokumentiert ist und allen an der Kommunikation Beteiligten vorliegt.
Mit der E-Mail-Nutzung durch die Schulleitung lenkt Herr Geber die Gruppendiskussion auf einen weiteren Aspekt des angesprochenen Themas. Deren Mitglieder würden das Medium kaum für die Kommunikation mit den Lehrkräften nutzen. Lediglich Herr Westernhagen weise regelmäßig per E-Mail auf stattfindende Fortbildungsveranstaltungen hin. Laut Frau Distelmann habe man gelegentlich auch E-Mails vom Schulleiter erhalten. Es sei aber selbstverständlich, dass sich der Umfang dieser Form der Kommunikation in engen Grenzen bewegt, ohne das deutlich wird warum. Die Wahrnehmung der E-Mail-Kommunikation durch den Schulleiter entspricht der eher geringen Orientierungsrelevanz, die das Medium für ihn im Kontext der kollegialen Kommunikation besitzt (vgl. Welling, S., Breiter, A., Schulz, A. (2015). Kapitel 3.1.3.1).
Der Wandel der Kommunikation im Zeitverlauf – das Beispiel der Zeugniskonferenzen
Der durch die digitalen Medien induzierte Medienwandel hat die Kommunikation an der Waldschule teilweise signifikant verändert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Vergabe der Schülernoten im Rahmen von Konferenzen (Gruppe Buche, Passage „Kommunikation und Abstimmung“).
Ein weiterer Anlass zu dem sich die Lehrkräfte regelmäßig treffen, ist die „Notenbesprechung“. Herr Geber erzählt, dass man vor der Einführung von OrgaTec eine „Liste von allen Schülern“ besaß. Aus der Beschreibung geht nicht hervor, in welcher Form diese Aufstellung vorlag. Es liegt aber nahe, dass es sich um ein papierbasiertes Dokument handelte. Tatsächlich wurde während der Konferenz „jeder Schüler besprochen“, d. h., die Lehrkräfte verständigten sich über die Beurteilung aller Schülerinnen und Schüler face-to-face. Dieses Prozedere habe sehr viel Zeit in Anspruch genommen, was prinzipiell kritisch zu bewerten ist, gehört Zeit doch generell zu den notorisch knappen Ressourcen des Lehreralltags. Die Konjunktion „aber“ verdeutlicht in diesem Fall aber, dass die Zeit in diesem Fall gut eingesetzt war, da man während der Konferenz exklusive Informationen über Schülerinnen und Schüler erhalten habe, z. B. wie andere Lehrkräfte bestimmte Schülerinnen oder Schüler beurteilen. Der Lehrer fährt fort, dass es „jetzt“ OrgaTec sei. Offenbar wurde die Praxis unter Einsatz des SIS verändert und u. a. auch die Dauer der Konferenzen begrenzt, sodass z. B. für die Notenkonferenzen der jüngeren Schülerinnen und Schüler nur noch rund 20 Minuten eingeplant sind. Die Konferenzen folgen nunmehr einer klar vorbestimmten zeitlichen Gliederung, der Prozess wurde rationalisiert und die Qualität der dort stattfindenden Kommunikation gemindert. Ein paar Tage vor der Konferenz, so Herr Geber weiter, hingen „Listen“ im Lehrerzimmer aus, in denen die Namen der Schülerinnen und Schüler, ihre Fachnoten sowie die „Quersumme vom Sozialverhalten“ festgehalten sind. Der letzte Aspekt wirft Fragen nach dessen Konnotation auf. Dem Wortsinn nach zu urteilen wird hier die Qualität des Verhaltens der Schülerinnen und Schüler zueinander und zum pädagogischen Personal quantifiziert, indem man es anhand von Zahlen bewertet. Zumindest auf der kommunikativen Ebene macht die Bildung einer Quersumme für die Bewertung des Sozialverhaltens über ein Schuljahr hinweg wenig Sinn, handelt es sich doch um die Addition der einzelnen Werte. Eher würde man die Bildung eines Durchschnittswerts erwarten. Unabhängig davon weist diese Form der Bewertung ebenfalls in Richtung einer verstärkten Rationalisierung schulischer Handlungspraktiken.
Während die Listen im Lehrerzimmer aushängen, können die Pädagoginnen und Pädagogen zum einen ihre Notenvergaben noch einmal überprüfen. Zum anderen können sie in den Listen handschriftlich vermerken, wenn sie über bestimmte Schülerinnen oder Schüler sprechen wollen. Während der Konferenz werde ausschließlich über diese Personen gesprochen, sodass diese, wenn kein Beratungsbedarf erklärt wurde, „schon nach fünf Minuten zu Ende ist“, was laut Herrn Jochen aber die Ausnahme sei. Meistens gebe es aber keinen Beratungsbedarf. Insgesamt habe sich aber die Dauer dieser Zusammenkünfte erheblich verkürzt. Herr Geber wiederholt noch einmal, dass diese teils sehr viel Zeit in Anspruch genommen haben, dafür aber zumindest teilweise auch „interessant“ gewesen seien, d. h. aufschlussreich und unterhaltsam. Dazu kommt noch, dass die Konferenzen auch „harte Verhandlungssache“ waren, wenn es z. B. um Abschlüsse ging. Insofern kam es dabei auch zu intensiven Interaktionen auf der Grundlage interpersonaler direkter Kommunikation.
Die Veränderung der Praxis geht laut Frau Zimmermann auf den Wechsel der Stufenleitung zurück, d. h. der Lehrkraft, die die leitende Verantwortung für den Unterricht in der Jahrgangsstufe trägt. Lehrkräfte mit Leitungsfunktion können insofern erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Kommunikation in den ihnen zugeordneten Organisationsbereichen nehmen. Herr Geber bestätigt, dass das ein Grund sei. Die Veränderung der Kommunikation sei aber auch auf „die Medien“ zurückzuführen. Denn früher habe man nur Informationen über die Benotung der Schülerinnen und Schüler in den eigenen Fächern gehabt und erst am Tag der Notenkonferenz erfahren, welche Noten die anderen Lehrkräfte vergeben hatten. Jetzt könne man sich darüber bereits im Vorfeld anhand der ausgehängten Listen informieren. Genau genommen hat sich der Zeitpunkt der Verbreitung bestimmter Informationen verändert. Es ist aber letztlich egal, in welcher Form diese Kommunikate erstellt werden und digitale Medien als neue Medien sind in diesem Kontext nicht zwingend erforderlich. Unabhängig davon beeinflusst die Verfügbarkeit von Informationen die Form und den Verlauf der Kommunikation in der Schule. Frau Distelmann beschreibt, wie damals die Noten erstellt wurden (Gruppe Buche, Passage „Abstimmung und Kommunikation“).
Frau Distelmann gibt zu bedenken, dass den Lehrkräften die Listen vorlagen, in die sie ihre Noten eingetragen haben und wo man „ja gesehen“ habe, „was normalerweise da ablief “. Sie widerspricht ihrem Kollegen dahingehend, dass man durchaus im Vorfeld der Zeugniskonferenz Informationen über die Notenvergabe anderer Lehrkräfte erhalten konnte. Das Ausmaß der verfügbaren Informationen wird aber davon abhängig gewesen sein, wann man die Listen bekommen hat, d. h., wie viele Noten dort bereits eingetragen worden waren. Heute treffen sich insbesondere Lehrkräfte, die in den unteren Klassen unterrichten, häufiger im Teamkontext zu Beginn eines Schuljahrs oder wenn größere Schwierigkeiten auftreten, um über einzelne Schülerinnen oder Schüler zu sprechen. Damit haben die Lehrkräfte ein neues Forum geschaffen, um sich im Modus interpersonaler direkter Kommunikation über die Lernenden zu verständigen. Die Face-to-Face-Kommunikation über das Verhalten und die Leistungen der Heranwachsenden ist demnach von großer (berufs-)biografischer Relevanz. Im Anschluss an die wiedergegebene Sequenz macht sie außerdem noch deutlich, dass sie als Fachlehrerin die zeitliche Verkürzung der Notenkonferenzen uneingeschränkt befürwortet, da sie in ihrem Jahrgang an den Konferenzen aller Klassen teilnehmen muss, da sie in allen unterrichtet. Die beschriebenen Veränderungen haben die Zeit, die sie für Notenkonferenzen aufwenden muss, erheblich reduziert. Schwierigkeiten mit einzelnen Schülerinnen oder Schülern könne man auch an anderer Stelle bearbeiten. Das, so die Lehrerin weiter, gelte besonders für solche, die sie gar nicht unterrichtet, sodass sie deren Handlungspraxis auch nicht sinnvoll beurteilen kann.
Der Schulserver – Kommunikation ohne Struktur
Ein wichtiger Aspekt der schulorganisatorischen Kommunikation ist der Austausch von Unterrichtsmaterialien. Die digitalen Medien spielen dabei für die Mitglieder der Gruppe Buche so gut wie keine Rolle (Gruppe Buche, Passage „Public“).
Der Interviewer weist darauf hin, dass zu einem früheren Zeitpunkt in der Diskussion bereits der öffentliche Ordner angesprochen wurde, und möchte wissen, ob die Lehrkräfte „viel Material“ tauschen. Herr Geber wirft lachend dazwischen, dass das „kein Thema“ sei, woraus aber nicht geschlossen werden kann, ob der Austausch von Materialien selbstverständlich ist oder nicht. Offenbar haben er und Herr Jochen erst am Vortag etwas ausgetauscht, dafür aber zumindest keine digitalen Medien eingesetzt. Die Praxis habe sich außerdem „so ergeben“, d. h., sie erfolgte spontan. Herr Jochen fährt fort, dass er im Verlauf der Gruppendiskussion „schon an den Publisher gedacht“ habe. Bezüglich des Namens des für alle Lehrkräfte öffentlichen Ordners auf dem Schulserver scheint hier eine Verwechselung mit dem Softwareprogramm gleichen Namens vorzuliegen. Dafür, dass dem Lehrer die offizielle Bezeichnung des Ordners nicht bekannt ist, spricht auch sein Hinweis, dass er nicht wisse, wie man dort Dateien ablegt. Außerdem habe er auch schon gehört, dass jemand etwas in dem Ordner abgespeichert habe und die Datei am nächsten Tag nicht mehr dagewesen sei. Er kommt nicht mehr dazu zu erzählen, warum die Daten verschwanden, die Erzählung deutet aber darauf hin, dass der Ordner nicht sicher ist. Frau Distelmann spricht dazwischen, dass sie bislang nur Dateien aus dem öffentlichen Ordner heruntergeladen habe, ohne i. S. einer Gegenleistung dort auch schon Dateien abgelegt zu haben. Herr Jochen hat dort ebenfalls noch keine Dokumente bereitgestellt. Von einer eventuellen Ausnahme abgesehen, nutzt Herr Geber den Ordner überhaupt nicht. Zumindest die Bereitstellung digitaler Unterrichtsmaterialien über den Schulserver hat für alle drei Lehrkräfte keine (berufs-)biografische Relevanz.
Frau Distelmann hat im öffentlichen Ordner aber schon einige Unterlagen zu den von ihr unterrichteten Fächern gefunden, die auch „interessant“ gewesen seien, d. h. für sie relevant und nützlich. Herr Jochen unterbricht sie mit der Kritik, dass „es […] noch nicht mal systematisiert“ sei, also dass dem Ordner ein planmäßiger und logischer Aufbau fehlt und damit eine systematische und zeiteffiziente Suche unmöglich ist. Seine Kritik erfolgt unabhängig von der Qualität der Materialien, sodass im Umkehrschluss auch qualitativ hochwertige Materialien nur eingeschränkt zweckmäßig sind, wenn man sie nicht findet. Frau Distelmann geht auf diese strukturelle Kritik nicht ein und fährt fort, dass die Bereitstellung von Materialien über den öffentlichen Ordner sie überfordere, d. h., sie sieht sich nicht in der Lage, die Anforderungen zu erfüllen, die notwendig sind, um etwas in den Ordner hineinzustellen. Dazu kommt, dass ihre Unterrichtsmaterialien alle in papierbasierter Form vorliegen, sodass sie, selbst wenn sie wollte, keine Materialien über den Ordner bereitstellen kann.
Über längere Zeit hinweg ist Herr Jochen davon ausgegangen, dass der Public- Ordner eine digitale Entsprechung des öffentlichen Fachs im Lehrerzimmer sei, in dem man nach Fächern untergliedert digitale Unterrichtsmaterialien zur freien Nutzung für das gesamte Kollegium ablegen kann. Auf eine „Empfehlung“ hin habe er das Verzeichnis ausprobiert. Auslöser ist der Hinweis einer Kollegin bzw. eines Kollegen. Sein Versuch, entsprechend zu handeln, mündete in einen Zustand vollständiger („total“) Verunsicherung („irritiert“). Auslöser dafür ist, dass er in dem Ordner keinerlei Struktur entdecken kann („wahlloses Durcheinander“) und es z. B. Ordner gibt, auf denen lediglich ein Name steht und man daraus keine konkreten Rückschlüsse auf deren Inhalt ziehen kann. Eine zweckrational motivierte Handlungspraxis lässt sich so nicht entwickeln. Frau Distelmann verifiziert diese Kritik. Trotz der beschriebenen Schwierigkeiten hat Herr Jochen seine Handlungspraxis nicht abgebrochen, vielleicht in der Hoffnung, dass sich die mit der oben angesprochenen Empfehlung verbundenen Erwartungen noch erfüllen. Er habe sich „da durch alles geklickt“ und davon profitiert, dass das Angebot an Materialien offenbar noch überschaubar war, sodass zumindest der zeitliche Aufwand noch vertretbar war. Insgesamt bedauert er das unzureichende Angebot an digitalen Materialien, da es sich um ein „vernachlässigtes Ressort“ handele. Am Begriff des Ressorts orientiert, ist der Austausch von Materialien zwischen den Lehrkräften eigentlich ein fest umrissener Aufgabenbereich in der Schule, dem jedoch offensichtlich nicht die erforderliche Aufmerksamkeit zuteilwird. Frau Distelmann stimmt abermals zu. Herr Jochen fährt fort, dass der Austausch von Materialien häufig offenbar nach dem Zufallsprinzip erfolgt, wenn sich z. B. zwei Lehrkräfte auf dem Gang treffen und man sich erkundigt, ob der andere Unterrichtsmaterialien für die Arbeit mit einer Jahrgangsstufe in einem bestimmten Fach besitzt und weitergeben kann. Auf dieser Basis des sehr informellen Austausches würden sich dann, wenn vorhanden, Materialien „zugeschoben“. Das Zuschieben steht für eine informelle Praxis, die nur eingeschränkt wahrnehmbar und wenig transparent ist. Folglich kann man von dieser Praxis selbst nur profitieren, wenn man der sich so austauschenden Gruppe angehört.
Laut Frau Distelmann habe man in der Vergangenheit auch schon „Materialbörsen“ durchgeführt, in deren Verlauf die Mitglieder eines Jahrgangs Materialien für bestimmte Fächer an die Lehrkräfte im Jahrgang darunter weitergegeben haben, damit diese damit im neuen Schuljahr weiterarbeiten können. Der Verwendung des Plurals nach zu urteilen, fanden solche Börsen häufiger statt In diesem Kontext könnte eine informelle Regel bestanden haben, auf deren Grundlage Materialien zwischen den Lehrkräften weitergegeben wurden. Es scheint dabei aber auch Unterschiede zwischen den Angehörigen verschiedener Unterrichtsfächer zu geben. So fand der Austausch von Materialien offenbar vor allem zwischen Lehrkräften des Faches „GL“ statt. Frau Distelmann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „die anderen kommunizieren noch’n bisschen anders“, sodass sich die kommunikativen Praktiken zwischen den Lehrkräften anscheinend auch entlang ihrer Fachzugehörigkeit unterscheiden.
Die nachhaltige Veränderung kommunikativer Praktiken durch die digitalen Medien Auch die drei Lehrkräfte aus der Gruppe Buche nutzen OrgaTec in der an der Schule etablierten Weise zum Eintragen ihrer Noten sowie zur Erfassung von Fehlzeiten. Herr Geber und Frau Distelmann schätzen u. a., dass sie z. B. auch zu Hause auf das SIS zugreifen und dort ihre Noten eintragen können (Gruppe Buche, Passage „Flexibilität“).
Frau Distelmann schätzt an der häuslichen Nutzung von OrgaTec zum einen, dass sie dort die benötigte Ruhe vorfindet, um die Noten einzutragen, an der es in der Schule häufig mangele. Abseits des Unterrichts – nur dann kann sie die Noten in der Schule eintragen – sei es zu laut und lebhaft, um Zensuren zu erfassen. Zum anderen dauert es in der Schule zeitweise sehr lange, bis man sich an den dortigen Computern angemeldet hat, um das SIS zu nutzen. Zu Hause herrscht dagegen ein Höchstmaß an Ruhe und sie kann die Annehmlichkeit der Situation noch durch den Verzehr von Getränken steigern. Mit Hilfe von OrgaTec könne sie alle erforderlichen Arbeitsschritte durchführen, um ihre Noten zu erfassen. Auf diese Weise erzielt sie gegenüber der früheren Verfahrensweise einen enormen positiven Rationalisierungseffekt („unheimliche Arbeitserleichterung […] find ich gut“).
Zu Hause kann sie außerdem bedarfsweise weitere Medien hinzuziehen und z. B. mit Kolleginnen oder Kollegen telefonieren, wenn diese vergessen haben, ihre Noten einzutragen. Früher mussten die Noten dagegen in papierbasierten Listen erfasst werden, und sie war sehr lange damit befasst, Kolleginnen oder Kollegen ausfindig zu machen, wenn diese ihre Noten noch in Frau Distelmanns Listen eintragen mussten. Manche hätten ihre Noten auch erst im Verlauf der jeweiligen Zeugniskonferenzen preisgegeben. Für die Notenerfassung mit OrgaTec existiert dagegen ein begrenzter Zeitraum, sodass die Praxis standardisiert wurde. Trotzdem läuft die Praxis in der Regel („eigentlich“) reibungslos, sodass sie offensichtlich von den meisten Lehrkräften akzeptiert wird.
An ihre insgesamt positive Beurteilung der computerunterstützten Notenerfassung anknüpfend, differenziert Frau Distelmann diese dahingehend, dass es auch „Ausnahmen“ gebe, diese aber „immer weniger“ würden. Denn zu Beginn der Arbeit mit OrgaTec konnten „viele“ Lehrkräfte das SIS nicht bedienen, einhergehend mit generellen Schwierigkeiten der Computerhandhabung. Offensichtlich mangelte es vielen Lehrkräften an ausreichender Medienkompetenz. Mit seinem Hinweis, dass diese Lehrkräfte „aussterben“ würden, gibt Herr Geber zu erkennen, dass er davon ausgeht, dass die angesprochene Kompetenzproblematik intergenerationell ist, vor allem ältere Lehrpersonen betrifft, und diese zumindest teilweise auch nicht bereit sind, diese Kompetenzen zu erwerben oder sie im schulischen Kontext in eine korrespondierende Handlungspraxis zu überführen. Frau Distelmann fährt fort, die Kompetenzen der angesprochenen Lehrkräfte genauer zu beschreiben. Sie besäßen lediglich rudimentäre Bedienkompetenzen („wo’n Computer angeht, wussten sie dann noch“) und hätten daraus auch keinen Hehl gemacht, sodass in der Schule keine formalen Regeln existieren, die bestimmte Medienpraxis zwingend erfordern.
Auch das Festhalten von Fehlzeiten mit Hilfe von OrgaTec ermöglicht Frau Distelmann als Klassenlehrerin erhebliche positive Rationalisierungseffekte inklusive einer reduzierten Arbeitsbelastung. Für sie ist es unverständlich, warum viele Lehrkräfte davon keinen Gebrauch machen, u. a. auch weil sie dann nicht merkt, wenn Schülerinnen oder Schüler aus ihrer Klasse dem Unterricht fernbleiben. Diese Weigerung verweist auch auf das Unterleben der Organisation und illustriert Rahmeninkongruenzen zwischen Frau Distelmann und einigen ihrer Kolleginnen und Kollegen. Es ist für sie auch unverständlich, wenn diese ihr „Fehldaten reinlegen“ mit dem Hinweis, dass sie es nicht eintragen können. Hier werden offensichtlich schriftliche Notizen zu Fehlzeiten in das traditionelle Postfach der Lehrerin gelegt. Der Hinweis, dass man es nicht eintragen könne, wird von Frau Distelmann als fehlende Kompetenz übersetzt. Da sie aber nicht mit den Accounts anderer Benutzerinnen oder Benutzer arbeiten kann, ist eine Übernahme dieser Tätigkeit ausgeschlossen. Abschließend weist sich noch einmal darauf hin, dass sie nicht verstehe, warum manche Lehrkräfte die Fehlzeiten nicht mit Hilfe des SIS erfassen, da die Kompetenzerfordernisse für diese Praxis insgesamt sehr gering sind. Herr Geber schließt direkt an seine Vorrednerin an, bemüht mit der Flexibilisierung bestimmter Handlungspraxen, die durch die Nutzung der digitalen Medien begünstigt wird, aber einen neuen inhaltlichen Aspekt der Medienpraxis (Gruppe Buche, Passage „Flexibilität“).
Herr Geber betrachtet es als einen ‚generellen Vorteil‘ von „E-Mail“ bzw. von „Technik“, dass man innerhalb „eines gewissen Toleranzzeitraums“ bestimmen kann, wann man auf das übersendete Kommunikat reagiert. Demnach wirkt es sich für die handelnde Person gegenüber anderen günstig aus, bzw. kann sie einen Nutzen daraus ziehen, wenn sie nicht sofort auf die initiierte Kommunikation reagieren muss. Diese Form der Flexibilität beschränkt sich auch nicht auf die Nutzung von E-Mail, sondern ist aus der Sicht des Lehrers ein generelles Charakteristikum von Techniknutzung. Bei „allen anderen Sachen“ sei man dagegen „gezwungen, direkt zu reagieren“, d. h., für die Nutzung anderer Medien, wie z. B. das Telefon oder über das traditionelle Postfach übersendete Kommunikate, gelten andere Konventionen. Wenn man z. B. einen Anruf nicht entgegennimmt und ihn ein Anrufbeantworter aufzeichnet, wird gemeinhin erwartet, dass man kurzfristig reagiert und den Anruf erwidert. Auf in dem persönlichen Postfach hinterlegte Kommunikate muss der Lehrer kurzfristig reagieren, da die Lehrkräfte der Waldschule seit einem Jahr von der Schulleitung verpflichtet sind, zwei Mal pro Tag ihr Postfach auf neu eingegangene Kommunikate hin zu überprüfen und das Fach am Ende des Tages zu leeren. Die von der Schulleitung neu aufgestellte formale Regel soll die Lehrkräfte zu einer bestimmten Handlungspraxis veranlassen. Obgleich nicht alle Lehrkräfte, Herrn Geber eingeschlossen, diese Regel permanent befolgen, ist diese Form der Kommunikation, und Gleiches gilt auch für das Telefonieren, „unmittelbarer“ und i. d. S. direkter als die Kommunikation per E-Mail. Denn man kann bei der Kommunikation über das Postfach oder das Telefon z. B. nicht vorgeben, dass man ein Kommunikat übersehen oder keine Zeit gehabt hat, um darauf zu antworten. Im Gegensatz dazu habe man nach dem Erhalt einer E-Mail ca. zwei Tage Zeit, um darauf zu reagieren. Diese Praxisunterschiede lassen sich nicht auf originäre Eigenschaften der erwähnten Medien zurückführen. Ausschlaggebend für die Praxis sind die daran Erwartungen, was auf die initiale Kommunikation zu folgen hat. Insofern mangelt es, gerade was die Nutzung der digitalen Medien betrifft, auch an formalen Regeln.
Herr Jochen gibt zu bedenken, dass man, wenn man „überall hin“ telefonieren könne auch jederzeit erreichbar sei. Auch diese an eine technische Eigenschaft des Mediums geknüpfte Handlungspraxis folgt einer bestimmten Erwartung, die an die Praxis gebunden ist. Herr Geber weist darauf hin, dass das auch der Tenor seiner vorausgegangenen Aussage gewesen sei. Dem gegenüber eröffne das Medium E-Mail eine größere Zeitspanne, innerhalb derer man entscheiden könne, wie man auf das übersendete Kommunikat reagiert. Die Erzählungen und Beschreibungen der Gruppendiskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer zeigen deutlich, dass die digitalen Medien die schulorganisatorische Kommunikation zumindest partiell nachhaltig verändern. An etwas späterer Stelle der Gruppendiskussion versucht Frau Distelmann diese Veränderungen rückblickend zu paraphrasieren (Gruppe Buche, Passage „Gute Schule“).
Frau Distelmanns Beschreibung nimmt Bezug auf die dieser Passage zugrundeliegenden Ausgangsfragestellung nach der Veränderung der Kommunikation an der Waldschule. Ihre Beschreibung beginnt mit der Bemerkung, dass durch den Einsatz „der Computer“ bzw. der Software-(„Programme“) „einfach alles viel genauer geworden“ sei. Danach sind alle Handlungspraxen heute gründlicher und gewissenhafter ins Einzelne gehend als früher. Im Sinne der Mediatisierung kommt es also nicht nur zu einer Veränderung von Medienpraxen, sondern der gesamten handlungspraktischen Basis der Schule. Man könne außerdem auch „expliziter arbeiten“, d. h., die zweckgerichtete geistige Tätigkeit der Lehrkräfte ist durch den Einsatz der digitalen Medien ausdrücklicher und deutlicher geworden und hat insofern auch an Verbindlichkeit gewonnen. Die Lehrerin fährt fort, dass es „natürlich vorher viel chaotischer“ gewesen sei. Dieser Logik folgend ist es selbstverständlich, dass das Arbeiten in der Schule ohne den Einsatz der digitalen Medien ungeordnet war. Das müsse „man einfach so sagen“, d. h., man erreicht durch den Einsatz der digitalen Medien quasi automatisch ein höheres Maß an Ordnung in der Arbeit, und damit auch der schulischen Kommunikation. Das gilt allein schon für den Wunsch, jemanden zu erreichen bzw. mit ihr oder ihm in Kommunikation zu treten („überhaupt an jemand ranzukommen“). Insofern erweisen sich die digitalen Medien bereits in der Phase der Praxisanbahnung als Erleichterung und ermöglichen Rationalisierungseffekte. Gleichwohl zeigen die von der Lehrerin entfalteten Automatismen auch eine technikdeterministische Färbung.
Frau Distelmann weist aber unter Bezugnahme auf Herrn Geber darauf hin, dass sie nie zu einer Gruppe von Lehrkräften gehört habe, die sich auch „untereinander […] getroffen“ haben. Sie spricht in diesem Zusammenhang von „festen Gruppierungen“, die u. a. zusammen Karten gespielt oder andere Dinge unternommen hätten. Demnach haben die Lehrkräfte auch Teile ihrer Freizeit zusammen verbracht, sodass es zu einer Vermischung von privater und beruflicher Sphäre kam. Sie selbst könne das aber nicht „nachvollziehen“, da sie während dieser Zeit primär mit der Erziehung ihrer Kinder befasst war und keine Zeit hatte, an derartigen außerschulischen Aktivitäten teilzunehmen. Da sie dabei in der Vergangenheit spricht, kann vermutet werden, dass sie davon ausgeht, dass es derartige Aktivitäten heute nicht mehr gibt. Ähnlich äußert sich Herr Geber, indem er die Ausführungen seiner Kollegin bestätigt. Neben diesen Formen der direkten interpersonalen Interaktion finde sie, dass ihr die verschiedenen zur Verfügung stehenden digitalen Medien wie E-Mail oder Telefon ein „relativ angenehmes Arbeiten“ ermöglichen. Gemessen an den Umständen, die die verschiedenen Medienpraxen mit sich bringen, erweisen sie sich für die Lehrerin als wohltuend. Dazu kommt, dass sie sich nicht gezwungen sieht, im Falle einer anzubahnenden Kommunikation ausnahmslos in den Modus der interpersonalen direkten Kommunikation einzutreten. Diese ist zwar offensichtlich auch für Frau Distelmann von hoher (berufs-)biografischer Relevanz, aber doch, zumindest gelegentlich, zugunsten anderer Medienpraxen verzichtbar.
Zusammenfassung
Auch in der Gruppe Buche ist die interpersonale direkte Kommunikation von ungebrochen hoher (berufs-)biografischer Relevanz für die (Re-)Produktion der schulischen Organisation. Die Kommunikation zwischen den Lehrkräften ist aber nicht nur Mittel zum Zweck, sondern deren Qualität ist auch ein Indikator für die Kohäsion zwischen Gruppen von Lehrkräften. Diese Qualität definiert sich entlang von (vor allem tätigkeitsbezogenen) Subgruppen innerhalb des Kollegiums, zwischen deren Mitgliedern ein bestimmtes Maß an Beziehungsqualität besteht, das u.a. durch das Ausmaß gemeinsamer Konjunktionen bestimmt wird (z. B. in Fachgruppen). Die Möglichkeit zur Bildung solcher Gruppen korrespondiert mit der Größe der Schule, an einer kleinen Schule wäre sie in dieser Form nicht möglich. Diese Subgruppen bilden eigene Zentren innerhalb des Kollegiums und werden zusätzlich aufgewertet durch ihre Funktion als berufsbezogene Reproduktionsräume.
Welches Qualitätsniveau die Kommunikation zwischen den Lehrkräften erreichen kann, hängt u. a. von deren Reziprozität ab. Wo die Gruppenkohäsion hoch ist, kann z.B. auch auf Kommunikationsformen zurückgegriffen werden, die tendenziell eher abgelehnt werden, wie das spontane Reden auf dem Gang. Reicht die Reziprozität nicht aus, lassen sich Umfang und Qualität der Kommunikation auf das durch formale Regeln bestimmte Mindestmaß reduzieren. Formale Regeln sind aber auch bis zu einem gewissen Grad auf der Basis von in Organisationsmilieus entstehenden informellen Regeln rearrangierbar. In korrespondierender Weise reduziert sich dann z. B. auch die Notwendigkeit kommunikativer Abstimmungsprozesse im Jahrgang umso mehr, je stärker die Arbeit dort auf handlungsentlastenden inkorporierten Routinen basiert. Daneben sind papierbasierte Kommunikate, die die interpersonale Kommunikation begleiten oder fortführen, von ungebrochen hoher Relevanz für die Lehrkräfte. Einen besonderen Gruppenzusammenhang bilden die in einer bestimmten Klasse tätigen Lehrkräfte. Das Beispiel von Frau Distelmann illustriert die Möglichkeiten der Klassenlehrerinnen oder -lehrer, einen besonderen Kommunikationsrahmen zu schaffen (dort innerhalb der privaten Sphäre), der besonders intensive und vertrauensvolle interpersonale direkte Interaktion ermöglicht.
Im 8. Jahrgang wird offensichtlich häufig per E-Mail kommuniziert. Man tauscht Informationen aus, trifft Absprachen und vereinbart Termine. Im Jahrgang 7 scheint sich die Kommunikation dagegen stärker auf digitale und papierbasierte Kommunikate zu verteilen. Insgesamt hat der insbesondere unter Nutzung digitaler Medien induzierte Medienwandel die Kommunikation an der Waldschule deutlich verändert. Die Notenvergabe konnte z. B. mit Hilfe des SIS erheblich verkürzt und transparenter gestaltet werden. Ansonsten werden das SIS und der Schulserver von den Gruppenmitgliedern kaum genutzt. Letzterer scheint zum einen schlecht strukturiert zu sein, sodass dort abgelegte Kommunikate nur schwer auffindbar sind. Zum anderen besitzt der so geartete Austausch von Materialien für die Gruppenmitglieder keine Relevanz. Das SIS InfoChange wird von der Gruppe zum Erfassen der Noten sowie der Fehlzeiten der Schülerinnen und Schüler genutzt. Beim Fehlzeitenerfassen verfahren die Mitglieder der Gruppe unterschiedlich, Grund zur Auseinandersetzung ist das aber nicht, die Praxen stehen gleichberechtigt nebeneinander.
Der Versuch von Frau Distelmann, zum Ende der Gruppendiskussion hin die Folgen des schulischen Medienwandels zusammenzufassen, illustriert anschaulich die Reichweite dieses Wandels. Das gilt z. B. wenn schulisch konnotierte Handlungspraxen im Allgemeinen im Zuge ihrer Durchdringung mit digitalen Medien als gründlicher und gewissenhafter ins Einzelne gehend erlebt werden. Im Sinne der Mediatisierung kommt es nicht nur zu einer Veränderung von Medienpraxen, sondern der gesamten handlungspraktischen Basis der Schule, die gleichzeitig natürlich immer stärker auch auf Medienpraxen gegründet. Die zweckgerichtete geistige Tätigkeit der Lehrkraft ist durch den Einsatz der digitalen Medien außerdem ausdrücklicher und deutlicher geworden und hat insofern auch an Verbindlichkeit gewonnen. Das Arbeiten in der Schule ohne digitale Medien war dagegen selbstverständlich ungeordneter und man erreicht quasi automatisch ein höheres Maß an Ordnung in der Arbeit, und damit auch der schulischen Kommunikation durch den Einsatz der digitalen Medien.
Mit freundlicher Genehmigung des VS Verlages.
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