Aylin Gül war zum Zeitpunkt des Interviews 20 Jahre alt und studierte Lehramt an Gymnasien mit den Fächern Englisch und Deutsch im 5. Fachsemester. Sie wurde in einer Großstadt in Deutschland geboren und gehört zur sogenannten 2. Migrationsgeneration. Ihr Vater kam in den 1980er- und ihre Mutter in den 1990er-Jahren aus der Türkei nach Deutschland.io Aylin wuchs zweisprachig auf: Deutsch und Türkisch lernte sie seit der Geburt mit ihren Geschwistern und im Kindergarten.
Nach der Grundschule ging Aylin auf eine katholische Schule, an die sie sich folgendermaßen erinnerte:
„Die Schule, auf die ich dann gegangen bin später, war ein Gymnasium, das sehr sehr klein war. Also da war ich auch wirklich die einzige muslimische äh Schülerin auf dieser Schule und ähm ja, das war natürlich erst mal, das war auch sogar eine katholische Schule ähm ja, da haben sie sich auch wirklich gewundert, dass überhaupt eine Muslimin dahin kommt, aber es war einfach, also ich muss sagen, ich habe es wirklich immer genossen. Die Schule war einfach perfekt. Man kannte jeden, es war sehr sehr familiär und ich habe mich auch nicht wirklich als Ausländerin so direkt gefühlt, also man war irgendwie so eins, sage ich mal, in der Schule.“
Aylin berichtete positiv über ihre eigenen Schulerfahrungen, aber auch über Vorbilder, die sie bestärkten, später ein Lehramtsstudium aufzunehmen:
„Ja, aber ansonsten habe ich mich IMMER super mit meinen Lehrern verstanden, habe auch heute noch Kontakt zu vielen Lehrern und zu der Schule, äh und das hat mich auch quasi dazu geführt, dass ich auch Lehrerin werden wollte sozusagen, weil also meine Lehrer waren einfach tolle Vorbilder. Wir haben uns so gut mit denen verstanden und ja, ich hatte auch mal eine Lehrerin mit Migrationshintergrund und zwar in Englisch in der fünften, sechsten Klasse. Sie war halt eine Engländerin und man hat einfach gemerkt, man hat so viel gelernt in diesem Unterricht, also ich glaube, weil, ich sage es mal so, ich glaube wirklich, dass wenn da eine deutsche Lehrerin gestanden hätte, dann wäre es vielleicht nicht so effektiv gewesen, aber bei der Lehrerin haben wir zum Beispiel immer Englisch gesprochen, weil man halt irgendwie das Gefühl hatte, irgendwie versteht die nur Englisch, obwohl sie natürlich auch Deutsch kann, aber dann denkt man, naja sie ist Engländerin, ich muss Englisch sprechen und wir haben wirklich sehr sehr viel gelernt bei ihr. Also die hatte ich auch echt gern die Lehrerin, ja und ja diese Vorbilder haben mich quasi auch so dazu gebracht, dachte ich so. Ja ich habe zwar selber einen Migrationshintergrund, aber ich habe in der Schule gesehen, ich habe auch gute Noten bekommen, ich kann das auch, ich bin nicht anders als die anderen und warum sollte ich das nicht auch ausprobieren quasi als Lehrerin. Ja genau, deswegen habe ich mich so dazu entschieden genau, ja.“
Auf die Frage nach dem Umgang mit sprachlicher und kultureller Vielfalt in der Grundschulzeit erinnerte sich Aylin an die folgende Szene:
„Wir haben mal ein Stück eingeprobt, das war ein Lied, und äh das haben wir dann auch auf dem Schulfest vorgetragen und da gab es eben verschiedene Nationalitäten in diesem Lied, die vorgestellt wurden. Da wurde dann jetzt unter anderem zum Beispiel auch die Türkei vorgestellt und gab dann auch türkische Wörter in dem Song und so weiter und dann haben wir uns noch alle dementsprechend gekleidet und jeder hatte quasi so seine Nation und dann haben wir das eben vorgetragen. Das war zum Beispiel, da hat man sich auch irgendwie so geehrt gefühlt, sage ich mal, dass seine Nation dann eben auch irgendwie Repräsentant war auf diesem Schulfest.“
Sie erzählte auf Nachfrage mehr über das Lehramtsstudium, indem sie auf ihre Erfahrungen im Rahmen der Schulpraktischen Studien (SPS 2) einging:
„Also ich mache jetzt noch das SPS2 nebenbei, mein Praktikum, und da bin ich auch immer in einer siebten Klasse, wo auch sehr viele, also was heißt sehr viele, so vier Jungs oder so sind das, die auch äh türkischstämmig sind und äh die mussten natürlich auch direkt schmunzeln als ich meinen Namen gesagt habe und mich vorgestellt habe. Und da ist es auch so eigentlich jedes Mal, wenn ich da bin, fangen die dann an Türkisch zu reden und lachen und drehen sich zu mir um und ähm ich habe jetzt auch einen Schüler vor allem äh, der guckt mich die ganze Zeit an und muss lachen und so, weil ich weiß auch nicht, er denkt irgendwie da die kann Türkisch und so und ja das, die machen sie sich immer, erlauben sich einen Spaß daraus dann plötzlich Türkisch zu reden im Englischunterricht und ja, das ist schon ja, ich weiß nicht wie dann damit umgehen soll, so in dem Moment, weil man kann ja dann auch nicht Türkisch antworten, weil es ist ja Englischunterricht und das ist schon schwierig damit umzugehen, muss ich sagen also.“
Aylin legte einen hohen Wert auf den Erhalt ihrer Sprachkompetenzen im Türkischen. Sie sprach Türkisch nicht nur in der Familie und mit ihren türkischstämmigen Freunden, sondern beschloss auch in der WG mit ihren Cousinen mehr Türkisch zu sprechen:
„Jetzt ist es so, dass ich zum Beispiel, meine Cousinen sind jetzt zu mir gezogen seit diesem Semester, ich habe ja jetzt auch ganz viele türkischstämmige Freunde hier, dann ist es auch wieder hochgegangen, sage ich mal, also man redet dann einfach mehr Türkisch und dann ist man auch wieder sicherer drin und wir haben auch letztens noch mit meinen Cousinen darüber geredet, dass wir eben im Türkischen nicht so sicher sind wie im Deutschen, das war wirklich letztens noch ein Thema bei uns und dann haben wir uns gedacht: hey, äh sollen wir nicht zu Hause mal versuchen nur Türkisch zu reden, damit auch unser Türkisch mal wieder besser wird? Das haben wir halt auch überlegt, weil denen liegt halt auch viel daran, dass wir eben unsere Muttersprache nicht verlernen und heutzutage gibt es ja wirklich viele, viele Kinder, die ihre Muttersprache gar nicht sprechen können, also da kenne ich wirklich viele von ähm, wo die Eltern zwar fließend Türkisch sprechen, aber die Kinder kein bisschen und das finde ich halt total schade.“
Die Befragte hatte genaue Vorstellungen davon, in welchen Situationen und mit wem sie im Rahmen der schulischen Arbeit ihre Mehrsprachigkeit einsetzen will. Im Unterricht mochte sie das Türkische nicht einsetzen, da sie der Meinung war, dass der Einsatz des Türkischen die anderen Schüler ausschließen könnte. Sie betonte außerdem, dass sie ihre Sprachkenntnisse in der Elternarbeit definitiv verwenden würde. Sie berichtete von ihren schulischen Erfahrungen im Rahmen der U-Plus-Tätigkeit:
„ähm und wo ich es einsetzen würde auf jeden Fall, wäre natürlich bei Elternabenden oder Elterngesprächen. Da hatte ich ja auch schon die Erfahrung, dass ich eben Elterngespräche übersetzt habe, wodurch man eben auch wirklich ein Vertrauen gewinnt zu den Eltern und auch bei Elternabenden, da weiß ich auch aus eigener Erfahrung, die Leute, die kein Deutsch sprechen, die kommen nicht, ähm das ist meistens so, weil die verstehen ja sowieso nichts und so war es bei mir halt, meine Mutter kann ja auch nicht wirklich Deutsch, deswegen ist immer mein Vater zu Elternabenden und Elternsprechtagen und so weiter gegangen und ähm da würde ich das natürlich auch einsetzen, damit auch die Leute kommen, die eben kein Deutsch können und die sich eben nicht ausgeschlossen fühlen. Dann würde ich versuchen eben alle mit in das Boot zu nehmen sozusagen und einfach ja, denen vielleicht auf Türkisch das noch mal zu wiederholen und auch denen Fragen zu beantworten, die sie vielleicht gar nicht stellen können, weil sie nicht wissen wie. Also ja genau und dann würde ich vielleicht auch sagen irgendwie, hier die Schüler, die jetzt irgendwie Eltern mit Migrationshintergrund haben, die können mich immer anrufen oder so, dass ich dann eben als Ansprechpartner auch wirklich da bin und dass die Eltern wissen: Hey wi- auch wenn wir jetzt kein Deutsch können, äh es ist trotzdem wer für uns da und wir können trotzdem irgendwie Fragen stellen. Genau.“
Aylin berichtete, dass sie sich im Rahmen ihres Studiums noch nicht mit ihren migrationsbedingten Ressourcen – Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit und interkulturelle Sensibilität – beschäftigte. Sie führte folgende Gründe auf:
„Ich habe auch noch NIE eigentlich was dazu gesehen außer eben dieses Semester habe ich eben dieses Seminar gesehen und es hat mich auch direkt angesprochen. Also da habe ich auch alle anderen Seminare irgendwie direkt ausgeblendet und habe mich direkt für das angemeldet, weil es eben auch so eine Seltenheit ist. Also ich hatte es vorher noch nie gesehen und dachte mir, also war wirklich überrascht und auch froh, dass sowas angeboten wird, weil also das hilft mir gerade total auch weiter, weil ich gerade in der Zeit eben auch mit meiner U-Plus-Tätigkeit angefangen habe und auch vor Situationen stand, wo ich nicht wusste, wie ich damit umgehen soll, wie ich jetzt agieren soll und deshalb finde ich dieses Seminar halt wirklich sehr ähm hilfreich und finde es eigentlich sehr schade, dass nicht mehr angeboten wird, weil, wie gesagt, ich habe bisher noch nichts zu diesem Thema belegen können. Und äh man hatte in Englisch mal Intercultural Competence und so, aber das war aber auch mehr auf England bezogen und auf ameri- Amerika und so. Also so was, dass dann wirklich auch äh Leute mit Migrationshintergrund aus Polen oder Russland oder Türkei mit ein- inbegriffen sind, das habe ich halt bisher noch nie gesehen im Studium.“