Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten
Sicht der SchülerInnen
SchülerInnen wünschen sich LehrerInnen, die in ihrer Rollen-Identität überzeugen, ohne dabei die Dimensionen des Seins außer Acht zu lassen. Im Sinne Böhnischs bedeutet das, dass die LehrerInnen-Rolle in einem ausgewogenen Verhältnis zum LehrerInnen-Sein stehen muss.
Obwohl die Rolle Teil des Seins ist, darf sie das Sein nicht dominieren oder hinter dem Sein zu viel an Bedeutung verlieren. LehrerInnen, denen dieser Balance-Akt gelingt, werden von SchülerInnen mit Respekt belohnt und als Autorität beschrieben.
30.09.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Was erwartest Du von Lehrern?
Torben: Ähm, ja daß sie, sie ähm ja, daß sie interessante Unterricht mache, und auch, auch net einfach des so durchzieh´n unn denne isses scheiß egal, ob mir des versteh´n odder net, wie die Frau Grei zum Beispiel, abber die kennsch Du net, odder?
I: Die Kleine?
Torben: Ja genau.
I: Ich hab´ nur von ihr gehört.
Torben: We´ma sie, sie jetzt frägt, ob sie, ob sie jetzt was erklärt, erklärt sie´s nochmal genauso wie vorher, dann hat niemand was kapiert.
Eine Lehrerin, die auf Nachfrage den gleichen Stoff auf identische Weise noch einmal erklärt, ist im besten Fall phantasielos. Torben unterstellt dieser Lehrerin, dass es ihr egal sei, ob irgendjemand etwas versteht. Er wirft ihr vor, dass sie nicht einmal den Versuch unternimmt von ihren SchülerInnen verstanden zu werden. LehrerInnen sollen Wissen derart vermitteln, dass sie durch ihre Effizienz – will heißen durch den Lernerfolg der SchülerInnen – überzeugen. Die vorliegende Interviewpassage enthält Torbens Wunsch von LehrerInnen nicht übersehen zu werden.
23.09.02 dritte Stunde, BK-Bereich
I: Was würdest Du besser machen, wenn Du was verändern könntest an der Schule?
Anna: Also ähm … also manche Lehrer ähm … würd´ ich, also, weg tun sozusage, weil manche Lehrer, die … ähm könne einfach net so unterrichte, find´ ich, die könne den Lernstoff net so rübberbringe.
I: Und man hat auch keine Möglichkeit des irgendwie … ähm zu verändern?
Anna: Ich denk´ mal manche Lehrer, die hamm des halt jetzt schon immer so gemacht unn so unn die kamma auch nimmer ändern. Unn als Mensche sinn die meischte Lehrer zwar total nett unn so, abber als Lehrer sinn se … is des dann schon was andres, weil dann geh´n se mit den Schülern auch anderschter um und so unn … ja.
Anna stützt Torbens Meinung bezüglich des Versagens einiger LehrerInnen in ihrer LehrerInnen-Rolle. Sie macht auf das Ungleichgewicht von Rollen- und Seins-Ebene aufmerksam: Obwohl viele LehrerInnen als Mensch „total nett und so“ sind, exkludieren sie in ihrer LehrerInnen-Rolle diese Dimensionen vollständig, „abber als Lehrer sinn se … is des dann schon was andres, weil dann geh´n se mit den Schülern auch anderschter um und so unn … ja“. Anna würde solche LehrerInnen am liebsten „wegtun sozusagen“ und hält es für ausgeschlossen, dass eine positive Veränderung für die LehrerInnen noch möglich wäre. Eine interessante Aussage, wenn man bedenkt, dass dieser Mechanismus der Selektion umgekehrt von den LehrerInnen durchaus als wirksame Methode Anwendung findet, indem man SchülerInnen, von denen man vermutet, es sei „Hopfen und Malz“ verloren, von der Schule entfernt.
23.09.02 vierte Stunde, BK-Bereich I: Äh, was erwartest Du von Lehrern?
Vivienne: Daß se sich für die Schüler eisetze unn hinner der Klasse stehe, falls es Probleme gibt.
I: Würd´st Du Dir auch wünschen, daß die so ´ne Anlaufstelle wär´n, wenn Du persönliche Probleme hättest – irgendwie? Oder kannst Du Dir das gar nicht vorstellen
Vivienne: Nee, also eigentlich net. Da würd´ ich dann eher zu Freunde odder so gehen, weil die mich besser kenne unn dann eher versteh´n.Vivienne erwartet von LehrerInnen Unterstützung, „daß se sich für die Schüler eisetze unn hinner der Klasse stehe, falls es Probleme gibt“. Sie betont damit die Seins-Ebene und die Aufhebung des Dualismus zwischen SchülerInnen und LehrerInnen. Auffällig in diesem Kontext ist Viviennes Aussage, daß sie es sich nicht vorstellen kann bei persönlichen Problemen Hilfe bei LehrerInnen zu suchen. Die Begegnungen von LehrerInnen und SchülerInnen auf der Seins-Ebene sind so selten, daß sich SchülerInnen von LehrerInnen nicht gekannt, geschweige denn verstanden fühlen. Begegnungen auf der Seins-Eben sind selten und eher uncharakteristisch, was von Seiten der LehrerInnen bestätigt wird:
12.11.02
Vor der Besprechung sagte Herr Berger, daß die LehrerInnen die letzten seien, an die sich SchülerInnen wenden, wenn sie – wie zum Beispiel in der 9ten Klasse pubertär bedingte – Probleme haben.
13.11.02 Als ich Herrn Berger sagte, daß ich manchmal richtig guten Kontakt zu den SchülerInnen habe, meinte er: „Du Glückliche.“
Da die Rollen-Identität sowohl von LehrerInnen als auch von SchülerInnen so viel Raum im Alltag der Schule einnimmt, wenden sich SchülerInnen mit persönlichen Problemen, selten oder gar nicht an LehrerInnen. Herr Berger weiß um diese Reduktion der LehrerInnen-Identität und bedauert sie („Du Glückliche“). Nicht nur SchülerInnen wünschen sich also Begegnungen auf der Seins-Ebene. Aber wer kann schon aus seiner Haut – oder aus seiner Rolle.
07.10.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Was erwartest Du von Lehrern?
Manuela: Ich find´, also ich find´ manche Lehrer machen des schon gut, aber die meischten geh´n net richtig auf die Schüler ein. Die wissen eigentlich gar net warum die so sinn, warum die jetzt vielleicht zur Frau Langhans ´n bissel unfreundlicher sinn, wie zu annern, weil vor der hat man kein Respekt, weil wenn die sich vorne hinstellt und…ich weiß es net…des is´ schon gleich des erschte Auftreten, wie die so aufgetreten is´so…Des fand ich net so gut.
I: Also es ist schon wichtig, daß die Lehrer irgendwie ne Autorität darstellen?
Manuela: Ja.
Die SchülerInnen wissen, wie Manuela sagt, selbst gar nicht weshalb sie vielleicht zu Frau Langhans ein bisschen unfreundlicher sind, wie zu anderen. Es liegt jedenfalls am „mangelnden Respekt“ und dieser wiederum am „Auftreten“ der Referendarin. Frau Langhans hat noch nicht ihre Rolle gefunden. Die Klasse hat ihre Verhaltensroutinen und Strategien um vor der Lehrerin bestehen zu können – Frau Langhans hat noch nichts Derartiges – alles was sie aus ihrem Studium mitgebracht hat, ist reines Fachwissen. Manuela wünscht und erwartet – wie die anderen SchülerInnen auch – ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Rollen- und Seins-Identität. Lehrerin und SchülerInnen sollen sich in der Fülle ihrer Identitäten begegnen. Das kann – ohne Übung und Erfahrung – schwerlich gelingen.
18.11.02 Die zweite Stunde – katholische Religion – begann damit, daß Frau Hepperle Marcus aufforderte sich umzusetzten. Marcus antwortete: „Des is aber das letztemal – ich setzt mich doch net laufend um.“
Marcus nimmt Frau Hepperle nicht als Autorität ernst, verhält sich ihr gegenüber respektlos, indem er ihre Aufforderung sich umzusetzen mit der Aussage entkräftet: „Des is aber das letztemal – ich setzt mich doch net laufend um“. Frau Hepperles fehlende Autorität widerlegt aus Marcus Sicht ihre Lehrerinnen-Identität. Deswegen spricht er zu ihr nicht wie zu einer Lehrerin bzw. einem Lehrer, sondern wie zu MitschülerInnen.
30.09.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Wie findest Du die Frau Biedermann?
Torben: Ja, ich weiß net, irgendwie isch se irgendwie komisch. Also am Anfang fand ich schon, in der erschten Stunde schon ganz nett, also nett find ich se schon, abber ich weiß net die isch irgendwie zu labil, find´ ich, für de Unterricht. (…)
I: Was sagst Du zum Herrn Behringer?
Torben: Naja, der geht eigentlich.
I: Woher weiß man, also ich mein´ ihr habt schon von der ersten Stunde an, habt ihr genau gewußt wie ihr Euch bei welchem Lehrer benehmen sollt?
Torben: Ja manche, manche hamm ja auch… ich hab´ jetzt zum Beispiel nen Cousin hier und der kennt de Herr Behringer schon und der hat mir auch schon… so öfters was von demerzählt halt. Man merkt´s eigentlich schon nach de erschte paar Minutte, daß der Herr Behringer… über den macht ma sich eher luschtig, wie daß ma dem zuhört. Des tun die meischte zumindescht.
Auch in Torbens Beschreibung von Frau Biedermann wird das Ungleichgewicht ihrer LehrerInnen-Identität offensichtlich. In ihrem Sein erfüllt sie Torbens Erwartungen („ ganz nett, also nett find ich se schon“), aber in ihrer Rolle als Produktionsleiterin versagt sie („die isch irgendwie zu labil, find´ ich, für de Unterricht“). Fehlende Autorität und mangelnder Respekt sind die Konsequenz.
Ebenso wie Frau Langhans ist auch Frau Biedermann Referendarin. Und ebenso wie diese hat sie Schwierigkeiten in ihre Lehrerin-Rolle zu finden. Andererseits besteht ein wichtiger Unterschied auf der Seins-Ebene, da Frau Biedermann hier besser angenommen werden kann. Auch Herr Dr. Behringer wird nicht als Autorität wahrgenommen und ist in seiner Lehrer-Identität für die SchülerInnen nicht überzeugend („über den macht ma sich eher luschtig, wie daß ma dem zuhört. Des tun die meischte zumindescht.“). Ob ein Lehrer oder eine Lehrerin Autorität (d.h. ein Gleichgewicht zwischen Rolle und Sein) besitzt, bemerken SchülerInnen meist schon nach wenigen Minuten, spätestens aber nach der ersten Unterrichtsstunde bei diesem Lehrer oder dieser Lehrerin. Hierbei darf man natürlich nicht vergessen, dass jedem Lehrer oder jeder Lehrerin auch immer schon sein bzw. ihr Ruf vorauseilt.
Nutzungsbedingungen:
Das vorliegende Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, bzw. nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt – es darf nicht für öffentliche und/oder kommerzielle Zwecke außerhalb der Lehre vervielfältigt, bzw. vertrieben oder aufgeführt werden. Kopien dieses Dokuments müssen immer mit allen Urheberrechtshinweisen und Quellenangaben versehen bleiben. Mit der Nutzung des Dokuments werden keine Eigentumsrechte übertragen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an.