Dilan Celik war zum Zeitpunkt des Interviews 21 Jahre alt und studierte Sport und Mathematik auf Lehramt an Haupt- und Realschulen im 7. Semester. Als er 8 Monate alt war, flohen seine Eltern aufgrund negativer Erfahrungen im Herkunftsland, aus der Türkei nach Deutschland. Dilan wuchs mehrsprachig auf: Zu Hause sprach er Arabisch, Türkisch und Kurdisch und im Kindergarten lernte er Deutsch. Er hat zwei Schwestern.
Von der Flucht nach Deutschland erzählte der Befragte Folgendes:
„Mein Vater hat immer gesagt über Saudi-Arabien nach Deutschland ist einfacher, weil die Saudis damals einfacher nach Deutschland also reindurften, das war diese Arbeiterwelle aus der Türkei, die dann gestoppt wurde, deswegen wurden die Flüge aus der Türkei relativ oft kontrolliert. Wir sind ganz gut durchgekommen in A-Großstadt dann äh (lacht) ja, wurden wir quasi kurz vor dem Ausgang erwischt, sagen wir mal, wir waren eine Nacht lang in der Zelle, also saß ich schon als als Baby auf, also ich war acht Monate alt, als wir nach Deutschland gekommen sind, war ich als Baby quasi schon im Gefängnis, meine Mutter und meine zwei Schwestern, ja.“
Nach der Grundschule konnte Dilan auf ein Gymnasium gehen. Er erinnerte sich an die Unterstützung seitens seines Onkels bei dem Übergang auf ein Gymnasium:
„Nach der Grundschule, das war auch eine Sache, es gab lange Diskussionen, meine Grundschullehrerin wollte mich nicht auf das Gymnasium schicken, also keine keine Berechtigung geben, ja und dann hat mein Onkel angerufen, der ist schon länger in Deutschland, der hat dann gesagt, das kann nicht sein und so, nur weil die das sagt, verunsichere den Jungen nicht, dann habe ich natürlich acht Jahre, G8 hatte ich auch acht Jahre dann durchgezogen, hat äh problemlos geklappt, mein Abitur gemacht, bin dann direkt zur Uni auch.“
Dilan erzählte außerdem von seiner Motivation, Lehrer an Haupt- und Realschulen zu werden:
„Ja vor kurzem hatte ich mein SPS in D-Mittelstadt am A-Gesamtschule fünf Wochen lang, ähm ich weiß auf jeden Fall, dass ich an die Schule möchte, weil das war eine überragende Zeit einfach. Ich wollte schon gar nicht mehr zurück zur Uni also (lacht), vielleicht hätte ich auch einfach so mal ein ein Arbeitsverhältnis aufnehmen sollen zu den, also das war wirklich, wirklich toll, also es ich kann mich eigentlich gar nicht beschweren, das war, das war Wahnsinn. Es waren schwere Kinder dabei und deswegen studiere ich auch Haupt- und Realschule, weil ich einfach mit schweren Kindern auch arbeiten möchte. Ich habe eine Gymnasialklasse auch gehabt, das ist eine Gesamtschule, bei der Gymnasialklasse, da kommt man herein, dann fragen die Kinder halt äh hier hier nach Aufgaben, die sind motiviert. Dann kommt man in Haupt- und Realschulklasse, ist halt anders, weil die Kinder halt eher weniger Lust haben auf die Schule und so was. Das ist halt ganz normal, das Niveau ist halt anders, aber mit solchen Kindern muss man arbeiten, denke ich, weil das genau die sind, die die Hilfe brauchen. Und ich habe mir auch immer vorgestellt, wenn ich, also ich, seit seit der zehnten Klasse möchte ich Lehrer werden und ich habe mir immer auch gedacht entweder Grundschullehrer, weil ich auch gerne mit Kids arbeite, oder aber Haupt- und Realschule, vielleicht auch in einem Brennpunkt.“
Aufgrund fehlender Deutschkenntnisse kamen die Eltern von Dilan nicht zu den Elternabenden. Ab und zu war sein Onkel, der der deutschen Sprache mächtig war, auf den Elternabenden in der Schule. Aus diesem Grund möchte Dilan als zukünftiger Lehrer die Eltern seiner SchülerInnen stärker in das Schulgeschehen einbeziehen:
„Dann dachte ich mir entweder Grundschule oder halt ich werde so Haupt- und Realschullehrer und versuche das Bindeglied zwischen Schule und Eltern zu sein, weil ähm, wenn man einfach mit jemanden spricht, der vielleicht die gleiche Haarfarbe, die gleiche Hautfarbe und die gleiche Kultur hat, dann ist das ein anderes Thema als wenn ein deutscher Lehrer vor einen steht und sagt ihr Kind erbringt keine Leistung, dann fangen die erst mal an zu fragen: Was für eine Leistung, also was was macht er denn? So und dann ist es vielleicht auch einfacher die Schüler zu verstehen, wenn man beide Seiten kennt, oder auch die Eltern zu verstehen und ähm da kann man sich auch vielleicht äh oder man kann vielleicht dann auch heraushören oder herausfinden, was die Eltern sich erhoffen aus der Schule, was sie, was sie wollen, was das Kind lernt oder vielleicht kriegen sie dann auch mal ein bisschen mehr einen Einblick in den Lehrplan, was sie sch- was Lehrer auch machen müssen und sowas. Und das fehlt halt, das, in meinen Augen fehlt das einfach zu sehr und ähm einfach diese Verbindung zwischen Lehrer und äh und äh Eltern.“
Immer wieder erfuhr Dilan aufgrund seines Aussehens Diskriminierung. Er berichtete von der folgenden Situation aus dem Fußballtraining, welches er selbst durchführte:
„Das war auch schon beim Fußball wirklich so, dass, da kommen die Eltern das erste Mal zum Training mit den Kindern, kommen die zu mir: Wo ist denn hier der Trainer? Ich sage: Ich bin der Trainer. Was Sie sind der Trainer? Ich sage: Ja, ich bin der Trainer. So und dann geht natürlich erst das Gemurmel los: Mh, lasse ich mein Kinder jetzt wirklich alleine hier? Dann gucken die sich die ersten zwei, drei, vier Einheiten an und dann schwärmen die Kinder auch nur noch davon zu Hause und dann wollen die Kinder auch wirklich die ganze Zeit ins Training.“
Im Rahmen des Studiums absolvierte Dilan ein Blockpraktikum an einer Gesamtschule. Er betonte, dass die SchülerInnen ihn auf eine besondere Art und Weise wahrnahmen:
„Meine Lieblingsklasse das war die H7G, das war eine Hauptschulklasse und äh, da war die Migrationsrate bestimmt neunzig Prozent, also ich glaube da war eine oder zwei Deutsche, waren dabei, bei zwanzig Schülern und ähm das war mein, also das war mein Ding, das war unglaublich. Also ich hatte generell in vielen Klassen Unterricht, ich war in Gymnasialklassen, ich war in einer Hauptschulklasse, ich war in einer Realschulklasse, ich in einer Abschluss- also Abschlussjahrgang, wo die gerade quasi gerade Vorbereitung auf die Prüfung haben, so was. Ich war in allen Klassen, aber in der H7 da konnte man am meisten noch ähm, ich sage mal, verändern, weil äh sind auch pubertierende Kinder, sind aggressive Kinder dabei gewesen, sind auch ruhige Kinder dabei gewesen, also sehr sehr heterogene Klasse einfach, aber wenn man versucht alle irgendwie miteinbeziehen und alle mit in das Boot zu ziehen, dann äh, dann ist alles, dann klappt das einfach und man muss es denen einfach nur e- also anhand von Beispielen klar machen. Und ich hatte einen Schüler, ähm natürlich möchte ich jetzt keinen Namen nennen, ich hatte einen Schüler, er hatte einen arabischen Hintergrund, also der seine Mutter war, nein sein Vater war aus dem Libanon, seine Mutter war Palästinenserin und dann ist er halt zu mir gekommen, äh das war ein ähm Wandertag, da war ich mit und äh der war immer aggressiv auch gegenüber Lehrern, also wirklich sehr aggressiv und der hat auch einfach direkt um sich geschlagen, wenn irgendwas war, der hat nicht mit sich reden lassen und dann seine Klassenlehrerin ihm gesagt, dass äh meine Mutter auch aus dem Libanon kommt und dass ich auch Arabisch spreche und dann ist er gleich auf mich zugekommen, ohne dass irgendwas passiert ist, äh gleich auf mich zugekommen und hat gesagt, äh also hat einfach Arabisch mit mir zu reden und dann habe ich ihm natürlich geantwortet und er war dann erst mal total en- erstaunt, dass er sagt: Sowas wie Sie wird Lehrer. Und dann habe ich überlegt, was hat der eigentlich für ein Weltbild der Junge, also der denkt nur Deutsche können Lehrer werden. Und das ist halt äh das Schlimme, weil, wenn man das mal tiefer betrachtet, er denkt er selbst kann nichts erreichen, er denkt er selbst hat gar keine Chancen, das zu machen, was ich mache oder was ein deutscher Lehrer macht, es ist halt komplett falsch, also jeder hat die gleichen Möglichkeiten mh, natürlich hat der eine mehr oder der andere weniger die Chancen oder Voraussetzungen, aber trotzdem kann er das erreichen, wenn er das will. Und das habe ich dem versucht auch zu verklickern. Er hat dann halt gesagt: So was wie Sie wird Lehrer. Und dann habe ich halt gesagt: Ja, so was wie ich wird Lehrer. […] Dann war der halt erst mal total fasziniert und dann kommt man am nächsten Tag in die Schule und äh der hat schon alles herumerzählt, so und dann hat man gleich eine Menschenmenge um sich und alle fragen und dann kommen von überall die Leute angeschossen und ähm, das ist natürlich das, also man, ich finde das einfach wahnsinnig schön, wenn ich überlege: Das war ein Tag, das hat keine 24 Stunden gedauert, da hat das die Runde gemacht und alle hatten mich als Vorbild und dann muss man sich natürlich auch dementsprechend verhalten, aber äh das ist kein Problem gewesen. Was ich halt äh ÜBERRAGEND fand einfach, dass die quasi hinaufgeguckt und ha- haben gesagt: Hey, der hat es geschafft.“
Dilan war vom Einsatz seiner Herkunftssprachen in der Schule sehr überzeugt. Nicht nur in der Elternarbeit mochte der Befragte seine Kenntnisse des Türkischen, Kurdischen und Arabischen einsetzen, sondern auch in der Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern:
„Da kann man halt einfach mit der Mehrsprachigkeit eingreifen, also das ist einfach diese Vorbildfunktion, einfach dieses dieses ja, du merkst, wir sprechen die gleiche Sprache, das heißt, ich weiß, was du willst und du weißt, was ich will, so und dann kann man halt aufeinander eingehen, viel einfacher als im Deutschen.“
Dilan besuchte das Projektseminar „Interkulturelle Kompetenzen und Mehrsprachigkeit als Ressourcen für den Lehrberuf“ im Wintersemester 2016/2017 und berichtete folgendermaßen von seinen Erwartungen an das Seminar:
„Ich erhoffe ähm, dass ich lerne, wie ich [Kenntnisse verschiedener Sprachen und Kulturen] einzusetzen habe im Unterricht oder wie kann ich es überhaupt verwenden, also diese Einzelgespräche und so was, ist ja alles schön und gut, aber vielleicht gibt es auch Methoden, wie ich ohne Einzelgespräche auf die Schüler eingehen kann oder wie ich auch die Schüler fördern kann in ihren Sprachen, weil ähm ich will ja auch nicht, dass sie ihre Muttersprache vergessen, […] aber ähm das ist halt das Problem, das ist schwer, das beides zu verknüpfen.“