Interaktionsanalyse

3. Beispiel einer Analyse

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Die Schülergruppe Daniel, Slawa und Stanislaw aus einer dritten Klasse wird in der Darstellung von Trikot-Rückennummern mit den ersten vier Gliedern zweier Zahlenfolgen konfrontiert und soll jeweils das fünfte Element bestimmen. Die Zahlenfolgen lauten:

A: {3 – 8 – 15 – 24 – ? } und
B: {3 – 2 – 4 – 3 – ? }.

Der Bearbeitungsprozess zu beiden Aufgabenteilen ist videoaufgezeichnet und dauert ca. 12 Minuten. Das zugehörige Transkript umfasst 240 Zeilen (Krummheuer 1997). Es folgt ein Beispiel einer Interaktionsanalyse.

(1) Gliederung der Interaktionseinheit

Die Interaktionseinheit lässt sich grob wie folgt einteilen:

1. Erster Aufgabenteil
1.1 Vertrautmachen mit der Aufgabenstellung
1.2 Erster Lösungsvorschlag
1.3 Suche nach anderen Lösungsansätzen
1.4 Einigung auf den ersten Lösungsvorschlag
2. Zweiter Aufgabenteil
2.1 Erster Lösungsversuch
2.2 Suche nach anderen Lösungsansätzen
2.3 Einigung auf den ersten Lösungsvorschlag
2.4 Besprechung des Lösungsweges mit der Lehrerin

Für die Interaktionsanalyse ist der Abschnitt „1.2 Erster Lösungsvorschlag“ ausgewählt worden.

Die Transkriptlegende befindet sich in Kapitel 4.

 

(2) Allgemeine Beschreibung

Der erste Eindruck zu dieser Szene ist: Slawa hat eine Lösung gefunden. Seine beiden Mitschüler können ihm aber wohl nicht vollständig folgen und somit seinem Lösungsvorschlag nicht gänzlich zustimmen. Die Zahl 34 für das fünfte Folgenglied hat er vermutlich über die Bestimmung der Differenzen ermittelt. Auf den ersten Blick ist sein Vorgehen für den Interpreten nicht nachvollziehbar.

(3) Ausführliche Interpretation der Einzeläußerungen und (4) Turn-by-Turn-Analyse

Äußerung 01
Slawa macht den Vorschlag hier kommt fünf hier kommt sieben / <01>. Für die Interpretation entsteht die Schwierigkeit, dass die genannten Zahlen fünf und sieben in der Aufgabe nicht vorkommen, Slawa aber auf das Bild des Aufgabentextes weist. Offen bleibt, worauf er in der Aufgabe zeigt. Es erscheint nicht naheliegend, dass er hiermit zwei Zahlen aus den Zahlenfolgen A und/oder B meint und sich dabei dann aber verliest. Eher ist zu vermuten, dass er diese beiden Zahlen als Lösungen (erste Deutungsalternative) oder als Teillösungen (zweite Deutungsalternative) der Aufgaben versteht. Die gewählte Formulierung hier kann als Hinweis auf die Nennung eines Ergebnisses oder Zwischenergebnisses gedeutet werden.

Erste Deutungsalternative: Versteht man die Zahlen als Lösungen der Aufgabe, so kann man systematisch die folgenden Interpretationsvarianten erzeugen:
1. Die Zahlen 5 und 7 sind die Lösungen für die Folgen A und B. Dies ergäbe die Möglichkeiten
(a) A: {3 – 8 – 15 – 24 – 5} und B: {3 – 2 – 4 – 3 – 7} oder
(b) A: {3 – 8 – 15 – 24 – 7} und B: {3 – 2 – 4 – 3 – 5}

2. Die Zahlen 5 und 7 sind die aufeinanderfolgenden Lösungen einer der beiden Zahlenfolgen, also
(a) A: {3 – 8 – 15 – 24 – 5 – 7} oder
(b) B: {3 – 2 – 4 – 3 – 5 – 7}.

Für keine der vier Interpretationen fällt dem Interpreten eine Formel oder ein Bildungsgesetz ein, nach denen das fünfte bzw. sechste Folgenglied errechnet werden könnte. Aus fachlicher Sicht sei jedoch in diesem Zusammenhang erwähnt, dass alle oben genannten Lösungen mathematisch möglich sind: Man kann aus der Kenntnis von vier Folgegliedern das fünfte nicht eindeutig bestimmen. Jede Zahl ist an dieser Stelle denkbar. In weiteren Äußerungen müsste man bei Zugrundelegung einer dieser Interpretationen Hinweise finden, dass die Zahlwahl beliebig ist.

Zweite Deutungsalternative: Versteht man Slawa in seiner Anfangsäußerung so, dass er auf Teillösungen verweisen wollte, so liegt es dann wohl nahe anzunehmen, dass er die Differenzen zwischen dem zweiten und ersten und sodann zwischen dem dritten und zweiten Folgenglied der Folge A nennt. Sein Blick würde sich in dem Fall darauf richten, was von Schritt zu Schritt dazukommt. Das heißt, die Differenz wird im Sinne einer Ergänzung gebildet: Drei und fünf dazu ergeben acht (entspricht 8-3 = 5); acht und sieben dazu ergeben fünfzehn (entspricht 15-8 = 7). Bei Zugrundelegung dieser Interpretation müsste man erwarten, dass Slawa in Folgeäußerungen z. B. als dritte und vierte Differenz die Zahlen neun und elf nennen würde.

Insgesamt scheint Slawa seinen Vorschlag in einem vorsichtigen Tonfall vorzutragen (Stimmhebung am Ende). Man kann vermuten, dass er sich seiner Sache (noch) nicht ganz sicher ist. Dies könnte z. B. dadurch bedingt sein, dass er relativ spontan einen Einfall vorträgt, diesen aber noch nicht bis zum Ende durchdacht hat. Vielleicht möchte er seine beiden Mitstreiter für ein gemeinsames Weiterdenken gewinnen.

Äußerung 02
Zeitgleich zu Slawas Äußerung sagt Daniel drei und fünf is acht – <02>. Hierbei handelt sich es erst einmal um eine arithmetisch korrekte Addition. Daniel hält seine Stimme zum Schluss in der Schwebe. Das lässt vermuten, dass er nicht nur diesen Zahlensatz konstatieren möchte. Für einen Drittklässler sollte das auch kein numerisches Problem mehr sein. Man kann wohl annehmen, dass er noch fortfahren möchte, um z. B. etwas für ihn insgesamt Fragwürdiges zu erwähnen. Versucht man, irgendeine Verbindung dieser Aussage mit dem Aufgabenblatt herzustellen, so ergibt sich als Interpretation die Differenzbestimmung zwischen zweitem und erstem Folgenglied der Folge A im Sinne einer Ergänzung (s. o. zweite Deutungsalternative von Slawas Äußerung).

Turn-by-Turn Analyse: Bei dieser Interpretation kann man eine Koinzidenz zu der letzten Deutung von Slawas Äußerung feststellen. Allerdings bezieht sich diese nur auf die erste Differenz, nämlich auf die zwischen zweitem und erstem Folgenglied. Möglicherweise zeigt Slawa in Zeile <01> für Daniel deutlich auf die beiden ersten Zahlen der Folge A. Die beiden Turns scheinen sich also hinsichtlich der ersten Ergänzungszahl wechselseitig zu stützen.

Äußerung 03
Slawa sagt in Zeile <03> hier kommt (.) neun /. Sieht man dies in Zusammenhang mit seiner Äußerung in Zeile <01>, dann erfährt zunächst die Deutung, dass er die Differenzen zwischen den aufsteigenden Folgengliedern nennt, eine zusätzliche Stützung. Slawas Äußerungen in Zeile <01> und <03> haben zusammen betrachtet eine gewisse rhetorische Ausstrahlung: Sie iterieren dreimal die Formulierung hier kommt und fügen dann in aufsteigender Reihung die Zahlen 5, 7 und 9 ein. Man kann das so deuten, dass Slawa seiner Aussage hierdurch eine gewisse Rationalität oder argumentative Schärfe verleiht.

Äußerung 04
Erste Deutungsalternative: In Zeile <04> sagt Daniel hinten hat der ne vier . Eine Interpretation könnte sein, dass sich Daniel hier eventuell auf die vierte Figur der Zahlenreihe A bezieht und hierbei auf die 4 der Zahl 24 verweist. Arithmetisch gedeutet, handelt es sich hier um den Einer dieser zweistelligen Zahl. Möglicherweise möchte Daniel hier die Ergänzung von 15 auf 24 berechnen bzw. die von Slawa genannte Zahl 9 in diesem Sinne überprüfen oder bestätigen. Überschlagsmäßig oder als ersten Rechenschritt könnte Daniel bei der durchzuführenden Rechnung 15+9 = ? die 4 als den Einer der Lösung 24 nennen.

Turn-by-Turn Analyse: Diesem Deutungsansatz zufolge würde man bei der Turn-by-Turn-Analyse vermuten, dass Daniel Slawas Lösungsansatz der Differenzberechnung nachvollzieht und dadurch akzeptiert und bestärkt: Über die erste Differenz 5 wurde bereits durch Daniels Turn in Zeile <02> Einigkeit unterstellt (s.o.). Die im gleichen Turn von Slawa genannte zweite Differenz 7 bleibt unbestätigt. In Zeile <03> liefert Slawa die dritte Differenz 9. In Zeile <04> könnte Daniel diese dritte Teillösung nachvollzogen haben und in ihrem Zahlenwert bestätigen. Bei dieser Deutung würde man in der Sequenz die interaktive Hervorbringung der ersten Schritte eines gemeinsam geteilten Lösungsweges, nämlich der Differenzbestimmung sehen.

Für das weitere Vorgehen könnte man ein zügiges und gemeinsames Voranschreiten in dem Bearbeitungsprozess vorhersagen, jedoch können in dieser Weise keine weiteren Differenzen berechnet werden. Im Lösungsprozess müsste bald ein Wechsel der Perspektive von der Differenzermittlung zu der Untersuchung von Gesetzmäßigkeiten in der so entstandenen neuen Zahlenfolge aus den Differenzen stattfinden.

Zweite Deutungsalternative: Eine zweite Interpretation der Äußerung in Zeile <04> zielt darauf, dass Daniel sich auf die mittlere Figur der unteren Figurenreihe (Folge B) bezieht. Die Formulierung hinten verwiese in diesem Fall auf den Rücken der dargestellten Person. Hier würde Daniel in der Aufgabenstellung nicht zwei getrennte Teile sehen. Die Ähnlichkeit der dargestellten Figuren sowie der Wechsel von Frontansicht in der ersten Personenreihe zu der Rückenansicht in der zweiten Personenreihe haben ihn möglicherweise dazu gebracht, fünf identische Personen in Vorder- und Hinteransicht zu erkennen. Verstärkt wird diese Sichtweise eventuell noch dadurch, dass die erste dargestellte Person jeweils die Zahl 3 auf ihrem Trikot trägt.

Turn-by-Turn-Analyse: Bei dieser Interpretation von Daniels Äußerung scheint kein Bezug zu Slawas Ansatz vorzuliegen. Vielmehr wird hiermit eine Ausweitung der Problemstellung angedeutet, in der indirekt ein vager Alternativansatz zu Slawas Vorgehen aufscheint. Bei Zugrundelegung dieser Interpretation könnte man in Daniels folgenden Äußerungen eine weitgehende Konfusion vermuten. Denn die Komplexität der Aufgabenstellung nimmt bei Integration der zweiten Zahlenreihe in die Aufgabenstellung erheblich zu. Auch könnte sich das Gewahrwerden des Unterschieds zu Slawas Ansatz in einer zunehmenden Konfusion ausdrücken.

Äußerungen 05 und 06
Zeitgleich äußern sich Stanislaw (ja <05>) und Slawa (er kriegt ne elf – <06>). Stanislaw kann sich auf alles Vorangegangene beziehen. Da er sein ja nicht weiter spezifiziert, sind keine einschränkenden Interpretationen möglich. Bei Slawa kann man hingegen annehmen, dass er seinen Ansatz der Differenzbetrachtung weiterentwickelt: Er hätte dann die Differenz zwischen dem zu ermittelnden fünften und vierten Folgenglied genannt. Gemäß dieser Deutung nennt bzw. berechnet Slawa zum ersten Mal nicht die Ergänzung (Differenz) zwischen zwei bekannten Zahlen. Diesmal ist nur noch eine Zahl bekannt, nämlich 24. Die Ergänzungsaufgabe kann somit gar nicht mehr wie in den vorhergehenden Fällen bestimmt werden. Die obige Deutung, dass Slawa die Differenzen zwischen den Folgengliedern berechne, bewährt sich hier also erneut und mündet in einen erweiterten Lösungsansatz.
Bei dieser Auslegung könnte man erwarten, dass unter den drei Schülern der oben als Perspektivwechsel beschriebene Übergang von der Ausgangsfolge zur Differenzenfolge in irgendeiner Weise thematisiert wird, z. B. durch Unverständnisäußerungen bei Daniel und Stanislaw. Slawas Formulierung ist leicht anders zu verstehen, da er als Personalpronomen sprachlich korrekt auf eine Person (in der Abbildung auf dem Aufgabenblatt) referieren müsste. So könnte man Slawas Äußerung in dem Sinne verstehen, dass auf dem Trikot dieser fünften Person die Zahl 11 stehe. In diesem Fall wäre zu erwarten, dass seine Mitschüler Unverständnis äußern und weitere Ausführungen verlangen. Unter dieser Betrachtung wird durch Slawas Lösungsvorschlag elf Daniels mutmaßlicher Alternativansatz ein Stück zurückgedrängt <06>.

Äußerung 07
Beide Partner von Slawa fordern weitere Erklärungen ein <07f.>. Für sie erscheinen Slawas Äußerungen offenbar unverständlich. Dies bestärkt beide obigen Interpretationen:

  1. Zumindest Daniel und Slawa haben die ersten Schritte eines Lösungsansatzes (Differenzen berechnen) gemeinsam hervorgebracht und stehen bei Fortsetzung dieses Ansatzes vor einem Perspektivwechsel.
  2. Nur Slawa hat diesen Ansatz verfolgt und so weit ausgearbeitet, Daniel sieht die beiden Zahlenreihen als Vorder- und Rückseite von fünf Trikots und hat auf der Grundlage dieser Deutung der Aufgabenstellung noch keinen erkennbaren Lösungsansatz entwickelt.

Äußerung 09, 10
Slawa eröffnet seine Erwiderung mit ne elf kuck / und fährt dann flüsternd fort wieviel plus drei (.) kuck / (.) an der Zahl fünf – <09, 10>. Die Buchstabenfolge ne ist den Transkriptionsvereinbarungen gemäß als die umgangssprachlich übliche Verkürzung von eine zu lesen. Er wiederholt die in der Gruppe offenbar Verwirrung stiftende Zahl 11 noch einmal. Mit kuck / will Slawa möglicherweise auf zweierlei hinweisen. Zum einen kann man dies als Eröffnung einer nun folgenden Erklärung verstehen: er fordert gleichsam die Konzentration seiner Zuhörer ein. Zum anderen mag er aber auch die Überzeugungskraft seiner nun folgenden Erklärungen untermauern: Durch Hingucken kann seine Lösung bereits gefunden bzw. bestätigt werden.

Turn-by-Turn-Analyse: Mit diesem Turn gelingt es Slawa wohl, seinen Lösungsansatz weiter durchzusetzen: Von Daniels Alternative(n) ist nicht mehr die Rede und mit der „Rhetorik des Guckens“ scheint er einen gewissen Druck auf seine beiden Mitschüler auszuüben, auch einmal zu „gucken“.
Die Teiläußerung wieviel plus drei (.) kuck / (.) an der Zahl fünf – wird hier so verstanden, dass er die Ergänzungszahl von 3 auf 8 (die ersten beiden Folgenglieder) erfragt und sie mit 5 dann auch nennt. Hierdurch findet der entsprechende Interpretationsstrang zu den vorhergehenden Äußerungen eine erneute Bestätigung.

Äußerung 13
Daniels Turn ja / (.) von drei bis acht sind fünf <13> zeigt, dass auch er seinen Mitschüler in dieser Weise versteht. Damit wird Slawas Ansatz ein weiteres Mal hervorgehoben.

Äußerung 09/10 und Fortsetzung
Die Interpretation der weiteren Äußerungen von Slawa Ne elf kuck / (.) (unsicher flüsternd) wieviel plus drei, kuck /, an der Zahl fünf – <9, 10>, hier kommt schon mal sieben / (.) <12>, neun / (.) elf <16> und elf plus vier¬und¬zwanzig zu dem hier dann gibts (rechnet etwa 2 sec) fünfunddreißig <18, 19> kann zusammenhängend erfolgen, da die Turns der Mitinteraktanten Daniel <15 u. 20> und Stanislaw <17> eher Unverständnis zu Slawas Vorgehen bekunden und ihn wohl dazu animieren, seinen Lösungsansatz weiter zu verdeutlichen. Die Äußerungen von Slawa werden hier so verstanden, dass er eine Konstruktionsvorschrift für die Zahlenfolge gefunden hat, die mit den ersten vier dargestellten Folgengliedern übereinstimmt und somit einen begründeten Vorschlag für das gesuchte fünfte Folgenglied zulässt: Die Differenz zwischen den Folgengliedern nimmt konstant um zwei zu; da diese Differenz zwischen viertem und drittem Folgenglied 9 ist, beträgt sie zwischen gesuchtem fünften und dem vierten Folgenglied 11; somit hat dieses Folgenglied den Wert 35. Das bei der Interpretation von <06, 07, 08> dargestellte Problem der fehlenden Ergänzungszahl wird hier gelöst: Sie ergibt sich aus der Fortschreibung der Folge der Differenzen {5, 7, 9, 11}.

Turn-by-Turn-Analyse: Der erste Schritt (Bestimmung der Differenz 5) wird in diesem Lösungsprozess von Daniel rephrasiert und bestätigt <13>. Die nächsten beiden Schritte (Bestimung der Differenzen 7 und 9) haben eventuell noch Daniels Zustimmung gefunden.

Deutungsalternative: Alternativ könnte Daniel in dieser Phase auch einen komplexeren Lösungsansatz anvisieren. Slawas letzten zwei Schritte, die dann zur Bestimmung des gesuchten fünften Folgengliedes (35) führen, werden von Daniel und Stanislaw offensichtlich nicht akzeptiert. Stanislaw scheint zum Ende hin noch einmal eine positive aber unspezifizierte Reaktion abzugeben <17>.

(5) Zusammenfassende Interpretation
Slawas Argumentation basiert auf der Bestimmung der Differenzenfolge und der Identifizierung ihres Bildungsgesetzes. Sie ist verbal wenig ausformuliert: Er benennt lediglich die Differenz zwischen den Folgengliedern. Auf die Gesetzmäßigkeit der Zunahme um den Wert zwei bei der Differenzenfolge wird von ihm nicht explizit eingegangen. Sie ergibt sich nur, wenn man als Zuhörer quasi im Nachhinein aus den genannten Gliedern der Differenzenfolge, nämlich 5, 7, 9, den Schluss zieht, dass hier der Zuwachs jeweils zwei beträgt.
Die von Slawa als erkannt unterstellte Gesetzmäßigkeit der Folgenkonstruktion wird von ihm in einer Sequenz von Äußerungen umschrieben. So kann man aus mathematischer Sicht in Slawas Lösungsfindung ansatzweise die Thematisierung zweier neuer Objekte hineinsehen: den Begriff der Differenzenfolge allgemein und die ersten vier Glieder der speziellen Differenzenfolge {5, 7, 9, 11}. Der Junge gibt ihnen keine Namen, er definiert sie nicht explizit, und in gewisser Weise redet er auch nicht über sie, sondern durch sie. Die beiden Objekte erscheinen nur in der konsequent eingehaltenen Sequentialität der zu nennenden vier Glieder dieser Differenzenfolge. Als Zuhörer muss man einerseits diese sequentielle Konfiguration der Darstellung an dem konkreten Zahlenmaterial erkennen und andererseits von diesen konkreten auch wieder die mathematische Struktur extrahieren. Seine beiden Mitschüler können ihm an dieser Stelle gedanklich wohl nicht folgen.
Abschlussbemerkung: Die in der Interaktionsanalyse gewonnenen Ergebnisse der beschriebenen Art haben den Autor u. a. dazu bewegt, auf theoretischer Ebene die Aufgabenbearbeitungs- und -begründungspraxis im Mathematikunterricht der Grundschule als eine narrative zu beschreiben. Grundschulkinder führen im Mathematikunterricht zumeist keine Begründungen im streng mathematischen Sinne an, in denen die Voraussetzungen exakt benannt und dann ein logischer Beweis durchgeführt wird. Vielmehr emergiert in der Interaktion eine Begründungspraxis, in der im Zuge der Hervorbringung einer Geschichte über das Geschehen ihrer Aufgabenlösung zugleich auch die Richtigkeit ihres Vorgehens mit-thematisiert wird – so wie im obigen Beispiel die Geschichte von der Entstehung der gesuchten Zahlen hervorgebracht wird, durch die zugleich auch die Richtigkeit der Lösung mitgeliefert wird (Krummheuer 1997; 2008; 2009).

4. Transkriptionslegende

1. Spalte
Hier ist die (fortlaufende) Zeilennumerierung vermerkt. Die Numerierung verweist auf die Zeilen im Original-Transkript und kann deshalb in der vorliegenden Formatierung keiner äußerungs- oder zeilenweisen Anordnung entsprechen.
Während des Arbeitsprozesses hat sich mitunter eine Erweiterung der Numerierung um „.1“, „.2“ usw. ergeben

2. Spalte
Hier sind die (geänderten) Namen der aktiv an der Interaktion Beteiligten verzeichnet.

3. Spalte
Sie enthält
– die verbalen Äußerungen (normaler Schrifttyp),
– paraverbale Informationen, z.B. Betonung und Prosodie (Sonderzeichen, s.u.), und
– die nonverbalen Aktivitäten der Beteiligten (kursiver Schrifttyp).

Paralinguistische Sonderzeichen
(.) Pause (max. 1 sec.)
(..) Pause (max. 2 sec.)
(…) Pause (max. 3 sec)
(4 sec.) Pause mit Angabe der Länge
\ Senken der Stimme
– Stimme bleibt in der Schwebe
/ Heben der Stimme
denn fett für starke Betonung
j a a gesperrt für gedehnte Aussprache

Bei einer Redeüberschneidung der Äußerungen ähnelt die Schreibweise der von Partituren in der Musik; die parallel zu lesenden Zeilen sind vor den Namen durch spitze Klammern („<„) gekennzeichnet, z. B.:
7 < Lars aber mach ich nich
8 < Sandra zu Ayla geh ma weg bitte rutsch ma bitte n bischen

Fußnoten

(1) In Krummheuer & Naujok 1999 wird die hier vorzustellende Interaktionsanalyse umfassend beschrieben. Der vorliegende Text bezieht sich in einigen Teilen auf diese Veröffentlichung.

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