Falldarstellung

Interpretation

Wir werden dieses Protokoll hier nicht vollständig interpretieren können. Es ist kompositorisch viel zu komplex, um seiner Binnenstruktur auf wenigen Seiten gerecht werden zu können.
Als typisch für das objektiv-hermeneutische Vorgehen kann angesehen werden, dass wir die Interpretation nicht von den Suggestionen des Datenmaterials lenken lassen. Wir versuchen nicht, auf assoziativem Wege einen Gesamteindruck zu formulieren. Zweifelsohne spielen die Suggestivität des Datenmaterials und die dadurch evozierten Assoziationen eine große Rolle bei der Datenauswahl; ebenso wie für einen unmittelbaren, interpretatorischen Zugriff. Wir sehen sofort, dass hier etwas Interessantes passiert.
Wir sehen Smilies, einen handschriftlichen Namenszug, eine Wäscheleine, an der die Buchstaben des Wortes „Ferien“ ebenso aufgehängt sind wie einige „nette“ Tiere. Wir sehen auch sofort, dass das Ganze, gerahmt in eine Banderole, als „Mein erstes Zeugnis“ überschrieben ist. Und wir sehen, dass wir es irgendwie mit einem Schulzeugnis zu tun haben; irgendwie aber auch nicht, weil wir wissen, dass ein richtiges Schulzeugnis anders aussieht. Da gibt es keine Smilies, sondern Noten; wir erwarten ein offizielles Wappen der Schule und/oder des Bundeslandes und ein Schulzeugnis ist überschrieben mit Zeugnis, nicht mit Mein erstes Zeugnis. Was liegt eigentlich vor? Was ist hier der Fall?
Mit dieser Frage beginnt der Weg einer methodisch kontrollierten Erschließung. Diese knüpft nun nicht an die unmittelbaren Eindrücke und Interpretationsansätze an, sondern geht gleichsam wieder hinter das spontane Textverständnis zurück („künstliche Naivität“).
Dem Prinzip der kontextfreien oder kontextunabhängigen Interpretation folgend fragen wir also zunächst nicht, was heißt Mein erstes Zeugnis als Überschrift dieses Dokuments, sondern wir fragen: In welchen uns qua alltäglicher Regelkompetenz bekannten Kontexten ist diese Textsequenz ein wohlgeformter Sprechakt. Dazu ist ein gedankenexperimentelles Vorgehen notwendig, in dem soziale Situationen bzw. Sprechhandlungen konstruiert werden, in denen der zu interpretierende Text, ohne dass er eine sprachlich-pragmatische Regelabweichung darstellt, vorkommen könnte.

GE (Gedankenexperiment) 1: Anlässlich eines Umzugs fällt einer Person A der Ordner in die Hand, in der sich die Sammlung ihrer Schulzeugnisse befindet. Sie schlägt das erste Schulzeugnis auf und zeigt es den Anwesenden mit den Worten: Mein erstes Zeugnis.

Diese ganz einfache Geschichte trägt wichtige Implikationen in sich. Diese müssen wir explizieren, um den interpretatorischen Sinn der Geschichte, also die Normalitätsunterstellungen, die zu ihrer Konstruktion beigetragen haben, zu entziffern. – Zunächst einmal unterstellt diese Geschichte eine gewisse Bedeutsamkeit des Zeugnisordners für die Person A. In dem Gedankenexperiment erscheint der Ordner als einer jener Gegenstände, die mit jener subjektiven Bedeutsamkeit verbunden sind, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und den Packvorgang unterbrechen.
– In der Geschichte ist die subjektive Bedeutsamkeit mit einer biografischen Reminiszenz verbunden. Nicht dem Gegenstand als solchem kommt die Bedeutsamkeit zu (wie im Falle eines besonders seltenen oder wertvollen Objekts); es handelt sich um eine Bedeutsamkeit für den Sprecher.
– Damit ist auch unterstellt, dass der Sprecher seinen Zeugnissen überhaupt Bedeutsamkeit zumisst. Es geht ihm dabei ja offensichtlich nicht um Zugangsberechtigungen (schaut mal, mit diesem Zeugnis habe ich mir den Übergang aufs Gymnasium vermasselt), sondern um das Initial einer Bildungs(zertifikats)karriere. Die biografische Reminiszenz kann nur dann vorliegen, wenn der Zeugniserwerb als solcher zu einem Bestandteil des Identitätsentwurfs geworden ist. Dagobert Duck, der immer wieder auf seinen ersten selbstverdienten Taler hinweist, würde seinen Neffen kaum sein erstes Zeugnis zeigen.
– Schließlich wirft unsere Geschichte die Frage auf, an wen der Sprechakt adressiert ist. Sicherlich nicht an die Möbelpacker. Er könnte an die eigenen Kinder, den Lebenspartner, vielleicht auch an einen sehr guten Freund adressiert sein. Es könnte sich natürlich auch um ein Selbstgespräch handeln. Diese Überlegungen unterstreichen noch einmal die Lesart einer biografischen Reminiszenz. Im Falle des Selbstgesprächs liegt die Funktion der Selbstbiografisierung auf der Hand. Im Falle eines an einen Anderen gerichteten Sprechakts liegt der pragmatische Sinn der Äußerung in der Wechselseitigkeit der Biografisierung, die ihrerseits konstitutiv für diffuse Sozialbeziehungen, für Eltern-Kind-Beziehungen und Gattenbeziehungen, ist.

Diese Interpretation, die den bedeutungsstrukturellen Kern des hinweisenden Sprechakts Mein erstes Zeugnis in einem Akt der Selbstbiografisierung verortet, lässt uns nun verstehen, warum wir folgende Geschichte nicht erzählt haben:

GE 2 (kontrastierendes Gedankenexperiment): Ein Kind kommt nach der Zeugnisvergabe nach Hause, ein Zeugnis in der Hand, und ruft freudestrahlend aus: Mein erstes Zeugnis.

Warum passt der Sprechakt Mein erstes Zeugnis nicht zu der hier geschilderten Situation? Dazu ein weiteres Gedankenexperiment:

GE 3: Situation wie GE 2, aber das Kind sagt: Schau mal, mein Zeugnis. Die Mutter schaut sich das Zeugnis an, und während sie das Zeugnis kommentiert sagt sie: Dein erstes Zeugnis.

Wir sehen an diesen Gedankenexperimenten, dass das Kind, das sein erstes Zeugnis erhält, dieses Ereignis noch gar nicht im Modus der biografischen Rückschau würdigen kann. Vorausgesetzt, es stattet die Situation der ersten Zeugnisvergabe mit einer positiven, subjektiven Bedeutsamkeit aus (diese Voraussetzung ist alles andere als selbstverständlich), käme dem ein Erlebnischarakter zu, der mit dem Sprechakt: endlich habe ich (auch) ein Zeugnis eine entsprechende und angemessene Artikulation finden würde. Denn es geht ja in dieser Situation gar nicht darum, dass es das erste ist, sondern es geht, wie im Falle des Fahrrads, des Handy, des Autos, der Wohnung (usw.) darum, dass man endlich in Besitz desjenigen Objekts ist, das eine subjektiv als bedeutsam empfundene Statustransformation anzeigt. Entsprechend wäre die Pragmatik des Zeigens in den Gedankenexperimenten 2 und 3 eine ganz andere, als im Falle der biografischen Reminiszenz (GE 1). Dort wäre es das stolze, erleichterte oder triumphierende Zeigen des neuen Status; hier wäre es die „sentimentale“, die eigene Biografie thematisierende Rückschau.
GE 3 macht auf einen weiteren Aspekt aufmerksam. Der Sprechakt: Dein erstes Zeugnis entspricht in der Logik der familial sozialisatorischen Interaktion der Situation des GE 1 in der Variante, dass ein Elternteil einem Kind das eigene erste Zeugnis zeigt. Die Biografisierung nimmt in dem einen Fall das erste Zeugnis des Kindes, in dem anderen Fall das eigene erste Zeugnis zum Anlass des Sprechakts. Die Richtung der sozialisatorischen Interaktion bleibt dabei dieselbe: die Weitergabe einer Ethik oder Lebensauffassung, in der das Bildungszertifikat einen biografie- und identitätsbedeutsamen Stellenwert einnimmt.

(…) Ich heiße David [Nachname] und lerne seit dem 2.September in der Klasse 1

Die informationelle Pragmatik dieser Sequenz besteht offensichtlich in der Mitteilung des Namens des Zeugnisempfängers und der Mitteilung des Zeitraums, über den sich die im Zeugnis mitgeteilte Beurteilung erstreckt. Erst durch diese beiden Informationen wird das Zeugnis überhaupt zurechenbar.
Auffällig ist dabei die Form der Namensnennung. Denn der Autor des Zeugnisses ist hier nicht eine institutionell zur Zeugnisausstellung ermächtigte Person; Autor ist vielmehr diejenige Person, deren Leistungen durch das Zeugnis bescheinigt werden. Warum begnügt sich der Text nicht mit einer Namens- und Zeitangabe? Die Logik des Formbruchs soll sich fortsetzen. Allerdings verändert sie dabei ihre Gestalt. War durch die Überschrift Mein erstes Zeugnis der Akt des Zeigens (mit der dargelegten biografischen Implikation) thematisch, erfolgt der Formbruch nun in der Logik der Selbstauskunft. Damit wird die Aneignungsunterstellung des Dokuments variiert. Dem Motiv der biografischen Bedeutsamkeit folgt sinnlogisch nun das Motiv der Verschmelzung von Fremd- und Selbsturteil. Kein Unterschied soll bestehen zwischen der offiziell attestierten Leistung und dem artikulierten Selbstbild.
Auch hier ist das optimistische, „philanthropische“ Motiv offenkundig. Positiv ausgedrückt soll die Person nicht Objekt einer Fremdauskunft, sondern Subjekt einer Selbstauskunft sein. Aber wie schon oben erzeugt dieser versöhnlich gestimmte Wunsch eine Totalität des institutionellen Zugriffs. Der Versuch, die Kränkung der Unterwerfung unter das universalistische, gleichgültige Urteil aufzuheben, gelingt nur um den Preis der nahtlosen, ungebrochenen Übernahme des institutionellen Urteils durch das Subjekt. So beraubt die pädagogische Intervention wider ihre Absicht das Subjekt noch jener Refugien, die die Institution (hier: das Zeugnis) ihm gewährte.

Die Zeitangabe wird in die Formulierung ich lerne seit dem 2. September in der Klasse 1 gekleidet. Wie oben bereits erwähnt, ist die taggenaue Zeitangabe der Pragmatik des Zeugnisses geschuldet. Ihre Artifizialität kann als Folge der Amalgamierung von Subjektperspektive (Ich) und institutioneller Perspektive (Zeugnis) betrachtet werden. Davon unbenommen ist aber die Tätigkeitsangabe: ich lerne:
Unterricht müsse – jedenfalls für intuitive Lerner – mehr über Nachahmung funktionieren, nicht so analytisch über das Erklären von Regeln. Sie bezieht sich besonders auf den Unterricht in den Klassen 5-7 und berichtet, dass Schüler oft erst in der Sekundarstufe II Aha-Erlebnisse bezüglich der Grammatik hätten. Frau Berner ist sich nicht sicher, wie relevant ihre eigene Lernerfahrung überhaupt ist:

GE 4: Ich gehe/ich bin (seit 2. September) in die/der erste/n Klasse

Diese Formulierungen zeigen den Status der Schülerrolle an. Im Gegensatz zur tatsächlich gewählten beschreiben sie keine konkrete Tätigkeit, sondern verweisen auf einen mit dem genannten Status verbundenen komplexen Handlungszusammenhang. Umgekehrt treffen wir die Formulierung ich lerne in Kontexten an, in denen es um die konkrete Tätigkeit des Lernens geht:

GE 5: A: Kommst Du mit ins Kino?

B: Geht nicht, ich lerne gerade für die Mathearbeit.

Übertragen wir die Bedeutungsimplikationen der beiden Gedankenexperimente (GE 4 und GE 5) auf den vorliegenden Text, so sehen wir, dass das erste Schulhalbjahr gleichgesetzt wird mit einer spezifischen Tätigkeit, die in dieser Zeit regelmäßig anzutreffen ist. Das ist insofern bemerkenswert, als damit alle anderen Aspekte und Tätigkeiten, die mit dem Schülersein verbunden sind, ausgeblendet werden; jene Dimensionen des Schülerseins, die eben in der Statusangabe ich gehe zur Schule enthalten sind. Demgegenüber verengt das ich lerne den Kosmos der Schüleraktivitäten auf die Akte des „Büffelns“ und „Paukens“; der konzentrierten und angestrengten Aneignung des schulisch erwarteten und abverlangten Wissens und Könnens. Sinnlogisch wird der Akt des Lernens zur monolithischen Realität der schulischen Wirklichkeit.
Diese Interpretation verweist auf die Unterscheidung zwischen Lernen als Vorgang und Lernen als Tätigkeit. Der Vorgang des Lernens spielt sich natürlich unabhängig und außerhalb der Tätigkeit ab. Lernen ist nicht auf denjenigen Akt, der durch das ich lerne bezeichnet ist, beschränkt. Der Vorgang des Lernens beginnt natürlich nicht mit der Einschulung. Mit der Einschulung beginnt vielmehr die systematisch abverlangte Tätigkeit des Lernens. Und sowenig der Vorgang auf den Akt oder die Tätigkeit des Lernens beschränkt ist, sowenig ist der Vorgang im Akt bzw. in der Tätigkeit garantiert (Jetzt lerne ich schon zwei Stunden lang und habe nichts gelernt).
An diesen Überlegungen zeigt sich, dass die im vorliegenden Sprechakt reklamierte Totalität des Lernens als schulische Wirklichkeit nicht nur die Lerntätigkeit zum Schülerdasein verabsolutiert; zugleich negiert sie die Vorgänge des Lernens, die sich außerhalb der expliziten, das Schulische als solches kennzeichnenden Lernakte abspielen.
Abermals reproduziert sich die uns nun bereits vertraute Strukturlogik. Die dem schulischen Erfolg zweifelsohne förderliche Lernbereitschaft – entlang unserer Interpretation hier zu verstehen nicht im Sinne einer kognitiven Aufnahmefähigkeit, sondern als Bereitschaft, sich den Mühen der Ausbildung kognitiver Problemlösungsroutinen auszusetzen – wird optimistisch vorausgesetzt. David (und alle anderen) lernt; und das ist insofern erfreulich, als er darin dokumentiert, dass er nicht in unproduktiver Ablehnung zu den schulischen Erwartungen steht und dass es ihm zu schulischen Erfolgen verhilft, die ohne diese Bereitschaft sich nicht einstellen würden. Aber auch hier verkehrt sich die Positivität des Modells eines wohlsituierten Schülerdaseins in die Absolutheit der Selbstunterwerfung. Der Wunsch, der Schüler möge fleißig und zielstrebig seine Schülerrolle annehmen, degeneriert zu einem geradezu erzwungen intonierten Selbstbekenntnis: Seit 6 Monaten übe ich mich in fleißigem Bemühen, das zu lernen, was mir aufgetragen ist und sehe darin den wesentlichen Sinn der seit dieser Zeit von mir eingenommenen Schülerrolle.

Schon äußerlich verweist das Dokument auf eine Transformation. Der nun folgende Text ist durch eine eigentümlich unförmige Wellenlinie abgetrennt, und es folgt ein Wechsel der Autorenschaft:

So hast Du im ersten Schulhalbjahr gelernt. Darüber freue ich mich sehr.

In gewisser Weise wird nun der bisherige Formfehler, allerdings übergangslos und unvermittelt, korrigiert. Endlich spricht nicht mehr der Zeugnisempfänger. Allerdings verbirgt sich hinter dieser vermeintlichen Korrektur abermals eine Reproduktion der uns vertrauten Gestalt. Es spricht nämlich nicht die Institution über eine Person und ihre Leistungen – wie das der Fall ist in den üblichen Zeugnisformularen –, sondern es spricht eine Lehrerin zu ihrem Schüler. Das Bildungszertifikat erscheint als personaler Sprechakt, in dem die Lehrerin dem Schüler sich zuwendet. Zwei Aspekte, die uns schon mehrfach begegnet sind, lassen sich unmittelbar benennen: der Anspruch der Institution verschwindet bzw. wird verschwiegen (1) und die kalte und äußerliche Zeugnisbeurteilung wird ersetzt durch eine unmittelbare, lebensweltlich gestiftete pädagogische Beziehung (2). Ein berufliches Selbstverständnis und eine damit einhergehende pädagogische Ethik kann sich auf institutionalisierte Prinzipien nicht berufen; sie muss sich jenseits Geltung verschaffen.
In dem Sprecherwechsel wird der Bezug zum Lernen aufrechterhalten. Aus dem ich lerne wird ein so hast Du gelernt. Die Logik der Selbstunterwerfung wird nun durch die Logik der Bewertung ersetzt. Die Bewertung als solche ist für den Zeugniskontext natürlich konstitutiv. Auch diesbezüglich kann also von einer Korrektur des Formfehlers gesprochen werden. Aber was heißt es, das Lernen zu bewerten?
Wenn das Lernen bewertet wird, dann wird damit noch einmal der oben schon angesprochene Komplex der Konformität betont. Das so hast Du gelernt kündigt eben, wörtlich genommen, nicht die Bewertung der Leistung an, sondern die Bewertung der Tätigkeit des Lernens als solche. Hier hilft die oben vorgenommene Unterscheidung zwischen Vorgang und Tätigkeit des Lernens zur Präzisierung. Zweifelsohne kann jede Leistung als Ergebnis eines Lernvorgangs angesehen werden, insofern jedem Wissen und Können ein Zustand des Nichtwissens und Nichtkönnens vorausgegangen ist. Dieser Sachverhalt ist aber durch die Formulierung so hast Du gelernt gerade nicht zur Sprache gebracht. Es geht vielmehr um die Tätigkeit des Lernens und ihre Bewertung. Diese Form der Bewertung kann aber nicht einmal als adäquater Ausdruck der Orientierung an der individuellen Bezugsnorm gelten (So haben sich Deine Leistungen im 1. Schulhalbjahr entwickelt). Es geht schlichtweg um die Lerntätigkeit als Tätigkeit und damit, auch wenn wir von einer Korrelation zwischen Lerntätigkeit und Leistung ausgehen, um die Bewertung eines Verhaltens: um Wohlverhalten und Fehlverhalten.
Abermals verschafft die Verharmlosung des Zeugnisses (hier: die Ersetzung des institutionellen Sprechakts durch den „pädagogischen Bezug“) keine Entlastung. In gesteigerter Weise sieht der Schüler sich dem Urteil seiner Lehrerin ausgesetzt. Dieses Urteil will sich nicht mit der Bewertung des „Output“ begnügen. Es will mehr sein als die bloße, material irrationale, Leistungsfeststellung. Dieses Mehr bedeutet aber auch ein Mehr an Bewertungszugriff.

Die Hilflosigkeit des dabei kultivierten Optimismus lässt sich an der Formulierung: darüber freue ich mich sehr ablesen. Schon die scheinbar selbstverständliche Artikulation von Freude angesichts einer guten Schülerleistung verdiente eine eingehende Betrachtung: Ich freue mich über Deine Leistung. Hier aber wird diese Freude ja „pauschal“ geäußert. Egal wie das Zeugnis ausfällt; die Lehrerin freut sich darüber sehr. Die menschenfreundliche Gesinnung, dass die Freude der Lehrerin allen ihren Schülerinnen und Schülern zu Teil werden möge, schlägt hier geradezu in einen latenten Zynismus um. Denn die Bewertung kann eben gut oder schlecht ausfallen und entsprechend müsste eine pädagogische Empathie zwischen Freude und Mitleid unterscheiden. Wird diese Unterscheidung nicht getroffen, dann wird auch das schlechte Zeugnis von der Lehrerin mit Freude quittiert. Diese Freude ist aber, auch wenn der Sprechakt ganz anders gemeint war, nichts anderes als Schadenfreude.

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