Falldarstellung (1)
Zwei Hospitationsberichte werden wiedergegeben und theoriegeleitet interpretiert anhand der Kategorien Egalität, Heterogenität und Hierarchie im Generationenverhältnis und in der Peergroup (vgl. Prengel, Annedore: Anerkennung von Anfang an – Egalität, Heterogenität und Hierarchie im Anfangsunterricht und darüber hinaus).
- Hospitationsbericht, Mai 2003, 1. Schuljahr, Potsdam
„Das Umfeld der Klasse war sehr kindgerecht und freundlich. Als ein Schüler, nennen wir ihn Manuel, ermahnt wurde, nahm die Lehrerin sich anschließend Zeit für ihn und erklärte noch mal, worum es eigentlich ging. Obwohl sie sich eben noch über Manuel geärgerte hatte, tröstete sie ihn nun und gab ihm ein Taschentuch. Bei der nächsten Aufgabe lobte sie ihn wieder und ermunterte ihn weiter zu machen.“
Interpretation (1)
Im Sinne der Generationenhierarchie fordert die Lehrerin als Vertreterin der älteren Generation die Erfüllung eines schulischen Anspruchs und übernimmt Verantwortung für die Wiederherstellung der Lernfähigkeit des Kindes und seiner Gleichrangigkeit in der Kindergruppe. Zugleich erkennt sie den Schüler egalitär als anderen Menschen an und nimmt ihn in seiner Heterogenität wahr, indem sie sein Trostbedürfnis ernst nimmt.
Falldarstellung (2)
- Hospitationsbericht, Mai 2003, 1. Schuljahr, Potsdam
„Während der zweitägigen Hospitation in einer Grundschule in Potsdam saß ich neben Anja, einem lernschwachen Mädchen, welches die 1. Klasse wiederholte. Die Klassenlehrerin ignorierte Anja bis auf wenige Ausnahmen. … Jedes mal, wenn sich Anja meldete, wurde sie nicht rangenommen. Als in Mathematik ein kleiner Test geschrieben wurde und die Hefte danach abgegeben werden sollten, gab sie wesentlich später ab als ihre MitschülerInnen. Da sich mehrere „Heftberge“ auf den Ablagetisch befanden, wusste sie nicht, auf welchen sie ihr Heft legen sollte. Ein Mitschüler wollte ihr behilflich sein und ihr den richtigen Stapel zeigen, doch darauf sagte die Lehrerin: „Beachte Anja nicht, wir wissen doch, dass wir sie in Ruhe lassen!“ Dieses Verhalten zog sich durch den gesamten Unterricht. Die Lehrerin beachtete das Mädchen nicht und kontrollierte ihre Aufgaben nur sehr selten.“
Interpretation (2)
Anerkennung von gleich zu gleich und von verschieden zu verschieden wird nicht realisiert. Die Schülerin ist weitgehend auf ihre untergeordnete Stellung in der Generationenhierarchie reduziert, sie wird darüber hinaus anderen Kindern hierarchisch untergeordnet. Heterogene Phänomene, wie ein eigenes Lerntempo, dienen der Legitimation für Nichtachtung, Ausgrenzung und Bloßstellung.
Nutzungsbedingungen:
Das vorliegende Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, bzw. nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt – es darf nicht für öffentliche und/oder kommerzielle Zwecke außerhalb der Lehre vervielfältigt, bzw. vertrieben oder aufgeführt werden. Kopien dieses Dokuments müssen immer mit allen Urheberrechtshinweisen und Quellenangaben versehen bleiben. Mit der Nutzung des Dokuments werden keine Eigentumsrechte übertragen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an.