Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

04.02.03
Mit dem 13er GK-Sport machte Herr Hofstätter ein wenig Krafttraining. Er sagte, daß es ihm Spaß mache mit dieser Gruppe, obwohl hier keine „tollen“ Sportler dabei seien. Aber die Gruppe arbeite gut mit, sei sympathisch und motiviert.

Dass Sympathie und Produktivität in einem Zusammenhang stehen, dokumentiert sich in dieser sehr kurzen Sequenz. Herr Hofstätter hat Spaß, „obwohl hier keine tollen Sportler dabei“ sind. Was er schätzt und was sein gutes Gefühl erzeugt, ist die Mitarbeit und Motivation der SchülerInnen, die er als sympathisch empfindet. Aspekte der Produktivität wie Mitarbeit und Motivation bedingen Aspekte der Sympathie wechselseitig und erzeugen dabei Freude.

24.01.03
Am Ende der Stunde wurde das Thema Wurzelgleichungen von Herrn Hofstätter endgültig abgeschlossen: „Ich kann mich nicht erinnern, jemals so lange für die Wurzelgleichungen gebraucht zu haben. Aber naja, vielleicht hilfts ja.“ In der folgenden Stunde führte er den Satz des Pythagoras ein. Er ließ die SchülerInnen ein Dreieck basteln, um den Satz zu beweisen. In einer Replik auf die Kritik der Klasse an seiner normalerweise „hektischen“ Unterrichtsweise und die Bastelei mit dem Dreieck, richtete er sich mit folgenden Worten an die Klasse: „Also die Stunde läuft unter gemütlich. Aber ihr habt ja gesagt: nicht so hektisch.“

Da die Klasse immer wieder seine Hektik kritisierte, versucht Herr Hofstätter den Unterricht langsamer und „gemütlicher“ zu gestalten. Er nimmt sich viel Zeit für das Thema Wurzelgleichungen und begründet dies mit der Hoffnung: „naja, vielleicht hilfts ja“. Auch die folgende Mathematikstunde hatte er unter Berücksichtigung der Wünsche seiner SchülerInnen konzipiert. Eine Atmosphäre des Miteinanders zwischen Lehrer und Klasse erlaubt es hier, eingefahrene Routinen und Standards zugunsten einer neuen, von der Klasse vorgeschlagenen Vorgehensweise zu verlassen.

20.03.03
In der ersten Stunde war Herr Hofstätter mit seinem Sport-LK im Stadion. Aufgrund der geringen Temperaturen protestierten die SchülerInnen, aber Herr Hofstätter berief sich auf seine Ankündigung von letzter Stunde, daß sich die SchülerInnen warme Kleidung mitbringen sollten. Während sich die SchülerInnen in der Halle selbstständig warm machten, bereitet Herr Hofstätter Sprinttraining auf dem Sportplatz vor. Obwohl er ziemlich krank war, stand er die komplette erste Stunde draußen herum. Während Herr Hofstätter am anderen Ende der Bahn stand, Startsignal gab und die Zeit maß, redeten die SchülerInnen untereinander: „Kein annerer Lehrer würd rausgehn, wenn er selber de Ruß hat.“

Die Sympathie des Lehrers für seinen Sport-LK, die vor allem in seinem Verständnis und seinem unermüdlichen Einsatz für die SchülerInnen zum Ausdruck kommt, wird in dieser Feldnotiz konkretisiert. Um ihren Trainingsablauf – also die notwendige Vorbereitung auf die praktische Abiturprüfung – nicht zu unterbrechen, geht er selbst mit einer starken Erkältung bei geringen Außentemperaturen ins Stadion. Die Mühen, die er auf sich nimmt, werden von dem Kurs durchaus anerkannt und positiv bewertet. Mit der Aussage „kein annerer Lehrer würd rausgehn, wenn er selber de Ruß hat“ drückt der Schüler zum einen lobende Bewunderung bezüglich Herrn Hofstätters Engagement aus, zum anderen verweist er auf den Ausnahmecharakter dieser Situation. Dass andere LehrerInnen trotz Krankheit solche Bemühungen nicht auf sich nehmen würden, zeigt, dass SchülerInnen so viel von LehrerInnen entgegengebrachte Sympathie nicht gewöhnt sind.

07.10.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Wie findest du die Frau Linzenmaier?
Manuela: Die find ich cool. Bei der lernt man eigentlich relativ viel, weil sie auch n bissel strenger is als andere, letschtes Jahr hatte ma die Frau Gref und die hamm auch nur alle fertig gemacht und jetzt merke mir halt, die letschtes Jahr die Gref g´habt habbe, daß mir voll hinter her sinn mit dem ganze Stoff unn bei de Linzenmaier, die hatte mir in de 5te und 6ten schon, da hamm mir voll viel gelernt und bei der Gref die letschten Jahre gar nix eigentlich.

Die Sympathie Manuelas gegenüber Frau Linzenmaier, die sie als „cool“ bezeichnet, steht in direktem Zusammenhang mit ihrem Lernerfolg im Fach Englisch. Nachdem Manuela zwei Jahre Frau Gref als Englischlehrerin hatte, weiß sie Frau Linzenmaiers Qualitäten als „Produktionsleiterin“ höher zu schätzen. Frau Linzenmaier – wir erinnern uns, die Lehrerin, die bei ihrem Eintritt ins Klassenzimmer erwartet, dass sich alle SchülerInnen geschlossen erheben und ihren Gruß laut und deutlich erwidern – findet Manuelas Anerkennung und Sympathie durch die Tatsache, dass sie mit ihrem stringenten um nicht zu sagen repressiven Unterrichtsstil in der Klasse einen guten Lernerfolg erzielt.

26.03.03
In der Pause sagte Herr Hofstätter zu mir: „Haben sie gesehen, wie ruhig es in der Klasse war? Man muß sie auch mal loben, zeigen, daß man es merkt.“

Der Lehrer trifft hier genau den Punkt, der die Lehrer-Schüler-Beziehung entscheidend beeinflusst: Er erkennt an, was die Klasse macht. Indem er das Verhalten der Klasse wahrnimmt, erweist er sich als echtes „Gegenüber“. Er nimmt die Klasse ernst und gibt somit auch der Klasse die Möglichkeit ihn ernst zu nehmen.

23.01.03
Bei der Bewertung des Reckturnens, holte Herr Hofstätter die Meinung der SchülerInnen ein. Wenn die SchülerInnen sich zu schlecht benotet fühlten, durften sie noch einmal vorturnen und versuchen, sich zu verbessern. Anschließend rechnete er die Halbjahresnoten aus und legte die Liste offen aus, damit die SchülerInnen sie einsehen konnten. Wenn sie Anmerkungen hatten, oder nicht zufrieden waren, ließ Herr Hofstätter mit sich reden, erklärte seine Notengebung und nahm auch Korrekturen vor, wenn er etwas falsch notiert hatte.

Auch in dieser Feldnotiz zeigt sich diese Einstellung Herrn Hofstätters, die seine SchülerInnen an ihm schätzen. Er versucht sich fair zu verhalten und geht einer ehrlichen Auseinandersetzung nicht aus dem Wege. Mit dieser Haltung ermöglicht der Lehrer den SchülerInnen der Abiturklasse ein durchaus selbstreflexives und produktives Verhalten, das das hierarchische Gefälle und den Dualismus bzw. Antagonismus zwischen LehrerInnen und SchülerInnen schrumpfen lässt. In wenigen Wochen – mit Erhalt des Abiturzeugnisses – sind SchülerInnen keine SchülerInnen mehr und begegnen ihren LehrerInnen dann von Angesicht zu Angesicht als Erwachsene. Die das Lehrer-Schüler-Verhältnis bestimmenden soziologischen Kategorien verlieren mit Ausblick auf das nahe Ende der Schulzeit der 13t KlässlerInnen an Einfluss und Bedeutung. Indem Herr Hofstätter sie bei der Benotung miteinbezieht, weicht er das feste Rollenverständnis auf und erzeugt eine Nähe, die die SchülerInnen durchaus zu schätzen wissen.

14.10.02 vierte Stunde, neue Aula:
I: Ähm, hast Du ein Lieblingsfach?
Micha: Ja, Mathe.
I: Warum?
Micha: Weil´s mir Spaß macht, Mathe.
I: Und welche Rolle spielt der Lehrer dabei?
Micha: Viel. Also wenn ich än Lehrer hab´ den ich net mag, dann … wenn ich än Lehrer hab´, den ich net mag, dann arbeit´ ich net so gut mit und dann machts mir auch net so viel Spaß.
I: Und der Herr Hofstätter is´ okay?
Micha: Ja, der is´ gut.

Micha verdeutlicht auf welche Weise – aus Sicht der SchülerInnen – Sympathie zu einer größeren Produktivität führt. Mag er einen Lehrer bzw. eine Lehrerin, dann arbeitet er aktiver mit und empfindet mehr Spaß an der Sache. Die Sympathie, die dem Lehrer entgegengebracht wird, überträgt sich gleichsam auf die Lerninhalte. Wie allerdings oben deutlich geworden ist, gilt der Umkehrschluss nicht. Ein zwangsläufig als sympathisch empfundener Lehrer muss keineswegs die produktivsten Ergebnisse generieren. Erst wenn ein Lehrer bzw. eine Lehrerin die didaktischen Fähigkeiten, die notwendige persönliche Autorität und die Sympathie seiner SchülerInnen auf sich vereinigen kann, scheint dies sicher zu gelingen.

23.09.02 dritte Stunde, neue Aula
I: Und wie findest Du die Frau Biedermann?
Lena: Ja doch, die is eigentlich schon okay, weil sunscht wär ja Gschichte net mei Lieblingsfach (.)@(.)
I: Mmh. Also das macht schon was aus – der Lehrer und das Fach?
Lena: Ja!

Lena bestätigt im vorliegenden Interview Michas Aussage. Wenn Lena ihre Lehrerin, Frau Biedermann, nicht „okay“ finden würde, könnte Geschichte offensichtlich nicht ihr Lieblingsfach sein. Die Sympathie, die Lena gegenüber ihrer Lehrerin empfindet bzw. nicht empfindet, bildet hier eine feste Konstante in Bezug auf ihr Lern-Interesse und ihre Einstellung gegenüber dem Fach.

30.09.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Hast Du Lieblingsfächer?
Torben: Also jetzt in derre Klasse, oder letschtes Jahr? Also jetzt, ähm, eigentlich, ähm, Französisch und… Französisch und Deutsch vielleicht.
I: Und warum waren das leztztes Jahr andere?
Torben: Ja, weil ich do, ähm…mir hatte da ganz andere Lehrer.
I: Also ist des wichtig?

Torben: Da hatte mir… Ja des is sehr wichtig. Weil letschtes Jahr warn mei Lieblingsfächer Englisch… Englisch, Deutsch und Französisch, weil mir in Englisch und Französisch die beide Beckmanns gehabt hamm und in Deutsch der Herr Pilari. Also des warn auch gleichzeitig meine drei Lieblingslehrer. Deswegen fand ich die Fächer auch am beschte.

Das Interesse an dem Fach Englisch ist mit dem neuen Lehrer verloren gegangen. Französisch und Deutsch sind „vielleicht“ immer noch die Lieblingsfächer, aber so ganz überzeugt wie im Jahr zuvor scheint Torben jetzt nicht mehr zu sein. Er sagt es auch ganz deutlich: weil die Fächer von seinen LieblingslehrerInnen unterrichtet wurden im vergangenen Jahr, fand er sie „am beschte“.

23.09.02 vierte Stunde, neue Aula
I: Mmmh. Und wie ist der Herr Ulmann?
Frank: Der is gut. Des is einer meiner Lieblinglehrer so…
I: Was meinst Du warum die Klasse da immer ruhig ist? Ich meine er ermahnt zwar, aber er gibt keine Strafarbeiten, net wirklich…
Frank: …doch. Also er gibt schun Strafarbeite, also do gab´s letschtes Jahr a mol än Streß, abber ich denk´ die meischte können´n einfach so gut leide, daß sie wisse wie sie sich zu benehme hamm, weil sie einfach den a net verliere wolle, weil do war letschtes Jahr, hat er glaub´ ich so mol sich so aufgeregt, daß er gsacht hat er wählt uns ab unn des will, glaub´ich, keiner, daß mir än annere Lehrer krigge, weil des eigentlich so zimmlich de beschte Lehrer hier für die Fächer is, weil der kann´s gut erkläre. Letscht Jahr hamm ja die annere die Frau Grei g´habt unn des war ja katastrophal, was ich so mit´kriggt hab´.

Frank formuliert deutlich, daß die Sympathie der SchülerInnen für Herrn Ulmann in seiner Qualität als „Produktionsleiter“ begründet liegt („eigentlich so zimmlich de beschte Lehrer hier für die Fächer is“) und sie ihn deswegen „a net verliere wolle“. Vor allem die didaktische Fähigkeit von Herrn Ulmann werden geschätzt, weil „der kann´s gut erkläre“. Wenn SchülerInnen einen Lehrer bzw. eine Lehrerin „gut leide“ können, dann „wisse (sie) wie sie sich zu benehme hamm“. Will heißen, dass sie sich nicht kontra-produktiv verhalten, sondern für eine gute Lehr- bzw. Lernatmosphäre sorgen.

23.09.02 dritte Stunde, BK-Bereich
I: Mmh. Und der Herr Ulmann?
Anna: Also der is auch ´n total gute Lehrer unn so, unn der, ähm, konzentriert sich auch auf die Schüler.
I: Was meinst Du wie der des hinkriegt, daß da die Klasse eigentlich immer ruhig ist, obwohl er nicht schreit oder so?
Anna: Ich denk´ mal, ähm, daß jeder Lehrer, äh jeder Schüler den eigentlich, ähm, so mag unn so unn daß die dann eigentlich net so wie bei andere Lehrer reagieren.

Laut Anna beruht die ruhige Lernatmosphäre im Physik-Unterricht der ansonsten eher lauten Klasse 9b, auf der Sympathie zu Herrn Ulmann, „den jeder Schüler (…) eigentlich (…) mag“. Das Urteil der SchülerInnen über Herrn Ulmann ist einheitlich. Da er im Ruf steht, ein „total guter“ Lehrer zu sein, den die Klasse nicht verlieren sollte, erwirbt sich kein Schüler besonderen Respekt von der Klasse, wenn er auf irgendeine Weise gegen Herr Ulmann agiert. Herr Ulmann wird auch deshalb geschätzt, weil er sich auf die „Schüler konzentriert“, wie Anna dies ausdrückt.
Offensichtlich ein Lehrer, der von den SchülerInnen ernst genommen wird, weil auch er die SchülerInnen ernst nimmt. Weil sie ihn darum schätzen, verhalten sie sich ruhiger als bei anderen LehrerInnen, was wiederum der Lernatmosphäre und der Produktivität zu Gute kommt.

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