Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Wir betrachten im Folgenden das Protokoll einer weiteren Vertretungsstunde, die in mancher Hinsicht einen deutlichen Kontrast bietet zur Stunde bei Frau Unbekannt („Vertretungsstunde bei Frau Unbekannt“), letztlich aber in ähnlicher Weise das Insistieren der Kinder bzw. Jugendlichen auf ihrer Schülerrolle zeigt. Auch diese Stunde ist davon gekennzeichnet, dass die Lehrerin, Frau Dorfler, die Sonderbedingungen der Vertretungsstunde für etwas anderes nutzen möchte als herkömmlichen Unterricht. Frau Dorfler war drei Jahre Klassenlehrerin und hat die Klasse vor einem halben Jahr abgegeben. Jetzt ist sie für eine Vertretungsstunde in ihrer ehemaligen Klasse eingeteilt. Im Unterschied zur Stunde bei Frau Unbekannt treffen hier also Beteiligte aufeinander, die bereits eine intensive gemeinsame Geschichte haben. An diesem Tag hatte mit dem Angriff der USA der Irakkrieg begonnen.

Dann kommt die ehemalige Klassenlehrerin Frau Dorfler als Vertretungslehrerin rein, redet laut die Klasse an, dass sie ihrer anderen Klasse gesagt habe, dass heute die Demo sei und sie erst mal zurück müsse: „Ich muss die stoppen.“ Als sie aus der Tür raus ist, meint Rolf recht trocken: „Na, sehr verändert hat se sich ja nicht.“ Die Jungs schmeißen sich weg vor lachen. Frau Dorfler kehrt zurück und meint, dass sie die Demo ganz wichtig fände, allerdings habe sie ein Problem mit dem Slogan: „Protest statt Mathe“ oder irgendsowas stand da. Und das find ich also schon ziemlich bedenklich. (4sec) Oder klingt das gut? John.“ John: „Na ja.“ Thomas lacht im Hintergrund. Frau Dorfler: „Na, wie klingtn das?“ John: „Na, das klingt so, als ob wir keine Schule machen wollen und egal, was da ist, hingehen würden.“ Frau Dorfler: „Ja“ schaut im Raum rum, „das ist doof, oder?“ Sie sitzt in der ersten Bankreihe auf einem Stuhl mit überschlagenen Beinen, der Klasse zugewandt, die Arme hat sie auf die Lehne des Stuhls gelegt, sehr leger sieht das aus. „Ist das doof?“ Olga: „Also ich find Mathe ja schon wichtig…“ Lachen in der Klasse, danach wird es hörbar lauter, lockerer.

Dann fragt Frau Dorfler, ob sie über diesen Krieg schon gesprochen hätten? Mehrfach gemurmeltes „Nee“, John zu seinem Nachbarn: „Nicht das die noch Deutschland wegbomben“ (scherzhafter Tonfall). Alexandra und Kathi halten sich an den Händen unter der Bank. Frau Dorfler: „Und was denkt ihr, wärs wichtig, darüber zu reden?“ Einige „Ja“ sind zu vernehmen. Frau Dorfler: „Na, ich mein, wir hören ja jetzt seit Monaten, davon dass das passieren wird und wart ihr dann heute früh irgendwie besonders betroffen oder überrascht oder eher enttäuscht oder wars eher so: na ja, is klar gewesen, jetzt können wir auch so zur Tagesordnung übergehen, es musste halt so sein? Weiß ich nicht, ist das für euch so? Oder fühlt ihr euch gar nicht betroffen? (..) Jimmy?“ Jimmy: „Naja, es war ja von vornherein klar, dass die heut angreifen, ich hab heut in Videotext geguckt, naja, kann man nichts dagegen machen.“ (5sec.)

Frau Dorfler erzählt nochmal ihre verschiedenen Informationen zum Tag der Demo. Dann: „Also ich möchte das, also wenn es für euch jetzt keinen Diskussionsbedarf gibt, dann möchte ich euch das Thema auch nicht aufdrängen, heute in der elften Klasse, da wollte ich Unterricht machen, die haben gesagt, sie wollen drüber reden. Aber es ist bei euch nicht so?“ Clara: „Na, wir haben heute früh schon bei Frau Michel darüber geredet (Kathi stöhnt).“ Frau Dorfler: „Habt ihr gemacht. Gut, okay. Ist ja auch schön, dass ich euch mal wieder sehe. Und sehe, wie ihr erwachsen werdet, keine Kinder mehr seid, (John zu Thomas. „Oahr, ich fühl mich schrecklich alt.“) manchmal werde ich auch gefragt, ja wie ists euch denn ergangen, da sag ich dann immer: gut, und wenn ich euch jetzt so sehe, seht ihr auch alle sehr gut aus, kann man ja mal sagen. Manche haben sich sehr verändert: Kathi, Alexandra,(Alexandra: „Ich?“ Kathi ironisch: „Ja, du hast dich sehr verändert, alles klar.“) Sabine, Eve weniger, ja.“ Es wird recht laut und unruhig, viel Lachen ist zu hören.

Auch zu Beginn dieser Stunde ist zunächst unklar, worauf es hinauslaufen soll und wie der offene Rahmen der „Vertretung“ gefüllt werden wird. Mit dem Einstieg in das hoch aktuelle Thema des Irakkrieges kann Frau Dorfler durchaus persönliche Betroffenheit und Gesprächsbedarf bei den Schülerinnen und Schülern ihrer ehemaligen Klasse vermuten. Die Reaktion seitens der Schüler bleibt jedoch eher verhalten, worauf Frau Dorfler klarstellt, dass sie den Schülern das Thema „nicht aufdrängen“ wolle und wechselt dann auf die Meta-Ebene: „Ist ja auch schön, dass ich euch mal wieder sehe“. Sie expliziert damit die Sinnfigur, die sie sich für diese Stunde vorgestellt hat: Alte Bekannte begegnen einander unverhofft und tauschen sich aus. Frau Dorfler spricht dann körperliche Veränderungen und das „Aussehen“ zuerst kollektiv und dann auch Einzelner namentlich an. Dieses Aufgreifen der Lehrerin ins Persönliche wird von ironischen Kommentaren der Schülerinnen untereinander begleitet und dadurch auf Distanz gebracht.

Dann fragt Frau Dorfler, wann ihre Jugendweihe sei und wer überhaupt eine mache und fragt, wo sie sei. Es wird ausgelassener, die Jungs werfen sich Kommentare zu. Frau Dorfler nach einer Weile: „Ja, was gibt’s noch Neues? Klassenfahrt?“ Lautes Gemurmel, mitschwingende Ablehnung. John versucht auf sich aufmerksam zu machen: „Frau Dorfler?“ Diese unterhält sich noch mit einigen Mädchen, John: „Frau Dorfler, wir müssen gegen unseren Willen nach Nürnberg fahren.“ Die Klasse lacht laut auf. Frau Dorfler: „Wie, bitte, wie das?“ John: „Na, wir wollen, das hat Frau Deutsch so festgelegt.“ Frau Dorfler: „Petz mal, los.“ Gemurmel. Frau Dorfler: „Ihr fahrt nach Nürnberg. Und wann?“ Jimmy: „Na, das steht auch noch nicht so richtig fest.“ Franny von hinten: „Es wurde abgelehnt.“ Kathi: „Was?!“ Verwirrte Überraschung in der Klasse, Lachen. Kathi zu Alexandra: „Oh Shit, ey.“ Die Jungs sind begeistert, klatschen sich ab, John: „Klassensprecher sind echt cool!“ Frau Dorfler: „In der Schulkonferenz oder wo?“ Franny: „Ich glaube. Ich weiß es nicht genau, ich habs auch nur über Ecken gehört,“ Aufregung in der Klasse. Kathi und Alexandra sind den Jungs zugewandt und unterhalten sich mit ihnen.

John nutzt Frau Dorflers Angebot: „Wir müssen auch ein Buch lesen, das wir gar nicht lesen wollen! Frau Deutsch hat gesagt, wir dürfen uns das zweite aussuchen. Aussuchen war zwischen drei Büchern, die sie uns vorgestellt hat. (Lachen in der Klasse.) Und die sind alle ungefähr das gleiche.“ Frau Dorfler: „Das ist dann Wahlpflicht, John, du hast die Wahl und dann musste was nehmen.“ Kathi lacht: „Na toll, dann muss man was nehmen.“ Frau Dorfler: „Aber da wird schon ein Sinn dahinter sein, dass ihr das Buch nun gerade lesen sollt. Was lest ihr denn?“ Jimmy wenig begeistert: „Anne Frank“. Frau Dorfler findet das Buch schön.

Es wird wieder viel gescherzt, lautes Lachen, Reden ist zu hören. Olga fragt Frau Dorfler nochmal nach der Klassenfahrt. Frau Dorfler weiß jedoch auch nicht, warum der Antrag abgelehnt worden sein soll. Frau Dorfler erkundigt sich nach Louises kleinem Geschwisterchen und nach Susannes, das erst eine Woche alt ist. Sie wird ausgefragt, wie sie das findet, wie es ihr damit geht und Frau Dorfler meint, dass Skarlett ja durchaus schon einige Hilfe leisten könne. Frau Dorfler: „So, was gibt’s noch Neues? (…) Noch irgendjemand irgendwelchen Nachwuchs?“ Lachen. Alexandra zu Kathi: „Klatsch und Tratsch der 8c“ Wieder eine halbe Minute Unruhe, Gespräche, Lachen.

Johns Versuch, sich Gehör zu verschaffen ist die erste deutliche Initiative seitens der Schüler, diese ungewöhnliche und nach wie vor in ihrer Zweckbestimmung offene Situation zu gestalten: Er will die Unterstützung der ehemaligen Klassenlehrerin in einem Konflikt der Klasse mit der aktuellen Klassenlehrerin gewinnen. Frau Dorfler nimmt jedoch ihre Kollegin in Schutz, indem sie die Problematik der Pseudopartizipation mit dem Ausdruck „Wahlpflicht“ belegt, dadurch legitimiert und bekundet: „da wird schon ein Sinn dahinter sein“. Nachdem Frau Dorfler in zwei der Klasse wichtigen Punkten jedoch keine Hilfe sein kann, geht die Initiative wieder vollständig an sie über: Sie fragt zwei Schülerinnen nach Themen aus deren Privat- und Familienleben. Dass Frau Dorfler weiß, wer Geschwister bekommen hat, impliziert wiederum die „persönliche“ Ebene, die auf der gemeinsamen Geschichte beruht.

Frau Dorfler: „Dann möchte ich natürlich noch wissen: Wer hat sich in Englisch verbessert?“ Es melden sich ca. 10 Schüler/innen, unter ihnen Eve, Sabine, Kathi, Susanne. Nun fragt Frau Dorfler, wer sich verschlechtert habe. Das sind eins, zwei, darunter Jimmy, der jedoch dann mitkriegt, dass es hier speziell um Englisch geht und seinen Arm wieder runter nimmt. Wieder eine Weile lachen, Scherze, Gespräche.

Frau Dorfler: „Ich hoffe, dass die mehr oder weniger großzügige Einstellung zur Schule sich wieder ein klein wenig wandeln wird. Wenn sie sich gewandelt hat, dann hat sie sich sozusagen dahingehend gewandelt, dass ihr euch besonnen habt (John: „Ich hab ne Eingebung gehabt.“) oder hat das Ganze sich noch verschärft? (..) Ehrliche Antworten, wenn ich bitten darf.“ Unruhe, keiner antwortet so richtig, Lachen. Frau Dorfler: „Ich hab euch eine Frage gestellt. Jimmy, schätz dich mal selber, euch mal selbstkritisch ein!“ Jimmy schaut ratlos. Frau Dorfler: „Na, vergleich mal das Ende des siebten Schuljahres und jetzt.“ Jimmy: „Ist noch genauso.“ Frau Dorfler: „Genauso. Also noch genauso coole Einstellung.“

Frau Dorfler: „Ja, wenn ich euch schon mal wieder 45 Minuten habe, dann müssen wir ja auch die Zeit mal ein bisschen nutzen.“ Aus der Klasse ruft jemand: „Noch 10 Minuten.“ Lachen. Thomas: „Nutznutz.“ Frau Dorfler wiederholt: „Nutznutz, ja.“ Es wird wieder lauter.

Das Protokoll verzeichnet immer wieder Lachen, Scherze, man ist guter Stimmung und amüsiert sich. Und doch stimmt irgendetwas nicht, mit fortschreitender Stunde bzw. sich entfaltendem Protokoll, wird die Verkrampfung immer deutlicher spürbar. Das „Gespräch“ wirkt nicht locker, sondern bemüht, die Art der Beteiligung ist doch sehr ungleich: hier Frau Dorfler, dort „die Klasse“. Der Ton und die Themen entsprechen einem privaten Gespräch, die Gesprächsrollen jedoch entstammen immer deutlicher den verteilten Rollen des Unterrichtsgesprächs: Die Lehrerin fragt, die Schülerinnen und Schüler antworten, wenn sie aufgerufen werden. Frau Dorfler steuert aus dem Privaten und Familiären wieder zurück in den Bereich des genuin Schulischen. Sie fragt nach dem aktuellen Leistungsstand in Englisch und nach Veränderungen in der allgemeinen Einstellung zur Schule, womit sie gleichzeitig Bezug auf die gemeinsame Geschichte nimmt, vor deren Hintergrund Vergleiche möglich sind. Doch auch diese „Themen“ tragen nicht länger als wenige Minuten. Schließlich flüchtet sich Frau Dorfler wieder auf die Meta-Ebene: „Ja, wenn ich euch schon mal wieder 45 Minuten habe, dann müssen wir ja auch die Zeit mal ein bisschen nutzen.“ Die Situation ist prekär geworden in der Unklarheit ihrer Zweckbestimmung und Frau Dorfler vergewissert sich und alle anderen des Sinns dieser Veranstaltung. Der Verweis auf die „45 Minuten“ erinnert einerseits an die schulische Rahmung der Situation, andererseits betont er die Kostbarkeit dieses exklusiven Moments, den es zu „nutzen“ gelte – zu nutzen, so könnte man ergänzen, für die Gestaltung der gemeinsamen Beziehung, die auch durch das rhetorische in diesem Satz aufgerufen wird. Dieser Versuch der Vergewisserung einer gemeinsamen Sinngebung auf der Meta-Ebene wird durch die beiden Schülerkommentare gnadenlos dekonstruiert. Der Hinweis auf die nur noch verbleibenden „10 Minuten“ ironisiert das Motiv der Kostbarkeit der gemeinsamen Zeit und Thomas Verbalhornung des „nutzens“ in der lautmalerischen Verdopplung steigert diesen Effekt noch: Er überführt die Explikation des Nutzens in den Sprechakt (im Aussprechen des Nutzens läge dann der Nutzen) und führt diese dadurch ad absurdum. Frau Dorfler wiederholt etwas hilflos Thomas Kommentar – der Versuch der Vergemeinschaftung der Situation im „Wir“ ist zurückgewiesen, die Lehrerin steht (nach wie vor) allein in der Verantwortung.

Frau Dorfler: „Dann erzählt mir doch mal, was ihr in Englisch gerade macht.“ Stöhnen, es ist laut, irgendjemand sagt: gerund. Es geht ein wenig um das Thema in Englisch. Dann fragt Frau Dorfler: „Und wer hat Englisch nicht mehr als Lieblingsfach?“ Niemand meldet sich. Frau Dorfler ist verständnisvoll: „Ja, da muss man aufpassen. Nachher stehe ich dann wieder mal vor eurer Klasse, oh, dann hat man das falsche gesagt.“

Frau Dorfler: „So. Wollt ihr was wissen?“ Kathi halblaut: „Nein.“ Dann lacht sie, weil die Lehrerin es doch gehört haben muss. Johanna fragt, welche Klassen die Lehrerin jetzt in Englisch unterrichte. Derweil amüsieren sich Kathi und Alexandra vorne, mit den Jungs und auch dem Mikro. Olga fragt, wie oft die Lehrerin denn das Abschiedsvideo angeschaut habe? Sie meint, sie hätte es einer Freundin gezeigt, welcher sie aber noch erklären musste, dass das nur eine Parodie gewesen sei und die Schüler/innen schon ein bissel was gelernt hätten bei ihr. Lachen in der Klasse. Dann zählt Frau Dorfler die verschiedenen Male auf. „Und ich find es schon schön, das letzte mal, als ich es gesehen habe, das war in den Weihnachtsferien und da hatte ich ja schon den Vergleich gehabt, wie ihr jetzt ausseht und da hab ich schon gestaunt, wie ihr euch, in diesem halben Jahr! Das wär jetzt für euch auch schön, das jetzt noch mal zu sehen.“

Dann, fünf Minuten vor Schluss, Frau Dorfler recht laut: „So. (..)So. Jetzt fangen wir an mit Englisch, nein, (Lacher bleiben aus), es war schön, euch wieder mal gesehen zu haben, ich hab absichtlich nichts vorbereitet, weil ich einfach wirklich neugierig war (Lachen), was es denn so Neues gibt, wie ihr denn jetzt so zuhört, (Lachen, John: „Ganz schwach.“) Dürft ihr immer so sitzen, wie ihr jetzt sitzt?“ Aus der Klasse verschiedene „Nöö“ zu hören, jemand meint, teils, teils. Die Lehrerin vermutet, wer nicht zusammen sitzen dürfte und ist ungläubig, dass diese doch zusammen sitzen dürfen. „Na gut, lassts euch gut gehen, es war schön, euch wieder mal gesehen zu haben. (Kathi: „Zum fünften Mal.“) Machts gut!“ Ein geleiertes „Wiedersehen“ ist zu hören. Sie packen ein, John meint zu Thomas: „Hab ich dir doch gesagt, dass die das so macht.“

Die Einseitigkeit des Frage-Antwort-Schemas wird irgendwann so eklatant – gemessen am Anspruch eines „Gesprächs“ – dass Frau Dorfler sich explizit in die Rolle der Antwortenden begibt: „So. Wollt ihr was wissen?“ Kathis halblaute Antwort „Nein“ bringt die Schieflage der Situation auf den Punkt und demaskiert die Idee des gesprächsweisen Austauschs. Ernst genommen, bzw. wahrgenommen, hätte diese Bemerkung Kathis das Ende der Bemühungen Frau Dorflers bedeuten müssen. Kennzeichen von „halblaut gesprochenen“ Bemerkungen wie dieser ist jedoch, dass sie zwar für alle vernehmlich sind, dennoch übergangen werden können – man muss nicht darauf reagieren. Johanna „rettet“ die Situation, indem sie fragt, welche Klassen Frau Dorfler jetzt in Englisch unterrichte. Die Aktivitäten der anderen Schülerinnen, die das Protokoll verzeichnet, machen deutlich, dass sie sich nicht tatsächlich für die Antwort auf diese Frage interessieren, sie ist relativ beliebig – es musste einfach eine Frage gestellt werden. So ist wenigstens formal die Symmetrie wechselseitigen Interesses aneinander wieder hergestellt.
Kurz vor Schluss macht Frau Dorfler eine klare Aussage zur Rahmung („Jetzt fangen wir an mit Englisch“), die sie hier aber ironisch verstanden wissen will. Offenbar ist auch ihr die Problematik der Situation präsent und sie versucht, sie scherzhaft aufzuheben. Auf den Scherz reagiert allerdings keiner. So geht sie dazu über, sich von der Klasse zu verabschieden, was sie jedoch noch einmal unterbricht. Sie sucht nach einem sinnvollen Ende dieser etwas missratenen Stunde und versichert sich schließlich noch einmal der Sinnhaftigkeit der Situation auf der Meta-Ebene: „es war schön euch mal wieder gesehen zu haben“ – da sie dies aber zum wiederholten Mal tut, fällt auch diese Bekundung der Ironie der Schülerinnen anheim: Kathi hat mitgezählt. Schließlich kommt in Johns abschließendem Kommentar zu seinem Nachbarn die ganze Abgeklärtheit des routinierten Schülers zum Ausdruck: „Hab ich dir doch gesagt, dass die das so macht“! Bei aller Reserviertheit gegenüber den Vertraulichkeiten ihrer ehemaligen Klassenlehrerin wird hier zugleich ein großer Fundus an Vertrautheit demonstriert. Johns Bemerkung stellt den Verlauf der Vertretungsstunde noch einmal in ein anderes Licht: Er unterstellt der Lehrerin die strategische Absicht, den Rahmen eines ,natürlichen’ Gesprächs herstellen, vielleicht sogar: ‚keinen richtigen’ Unterricht machen zu wollen. Die Schüler haben ihrerseits so weit kooperiert, wie es eben nötig war, um die Situation aufrechtzuerhalten. Sie haben zwar den Wunsch der Lehrerin nach „Privatheit“ zurückgewiesen, aber sie haben dabei „die Form gewahrt“.

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