Hinweis – Der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

Einleitende Bemerkungen

Das von Frau Önal als negativ erlebte und kritisierte »Erzählen-Sollen« greift auch Frau Mütz in ihrem Interview auf.

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Frau Mütz: »wenn man jetzt beispielsweise, weiß ich nicht äh, jetzt Ägypten gabs in meiner letzten Klasse z.B. nen Jungen Jungen, der selber aus Ägypten kam und da seine Großeltern auch noch regelmäßig besucht hat einfach mal erzählen zu lassen, wie sieht es denn da aus und wie leben denn deine Großeltern, ähnlich bei Griechenland, da hatte ich auch mal ne Schülerin, die aus Griechenland kam auch da einfach mal zu erzählen, also das ist für Mitschüler total spannend, die da selber die Erfahrungen noch nicht hatten ähm ich hab auch mal Fotos mitbringen lassen beispielsweise, um einfach mal so ein bisschen erfahrbarer zu machen, wie ähm ja ein anderes Land funktioniert, weil doch auch viele Schüler noch gar nicht so Kenntnis übers Ausland haben vielleicht nicht oft im Urlaub waren oder wenn dann wirklich auch nur in ja Bereichen waren, wo so das Leben ähnlich abläuft wie bei uns in Deutschland.«

Interviewerin: »Mmh.«

Frau Mütz: »Und äh wo es dann auch ganz spannend für die ist einfach mal so ne andere Lebensweise dadurch auch zu erfahren und also gerade bei den Kleinen ist ja die Offenheit auch noch total groß.«

Interviewerin: »Mmh.«

Frau Mütz: »Also die haben einfach so nen Interesse daran und ähm reagieren ganz wenig ablehnend also ähm, das erleb ich eh hier an der Schule recht wenig, ich weiß aber, dass das bei älteren Schülern durchaus auch ne Rolle spielen kann eben andere, das Anderssein auch stark abzulehnen, aber gerade bei den Kleinen kann man ja da auch viel die Offenheit so schulen und auch nutzen in dem Moment, dass sie eben auch das Anderssein eher als was natürliches empfinden und das hoffentlich dann auch so im weiteren Lebensverlauf für sich auch so verankern. Ja.«

Bei Frau Mütz handelt es sich im Gegensatz zu Frau Önal um ein positiv konnotiertes »Erzählen-Lassen«. Um den Unterricht spannend und erfahrbar gestalten zu können, greift sie auf die Erfahrungen einzelner Schüler_innen zurück. Hier ist sie aber durchaus darüber informiert, dass diese Schüler_innen auch über das dafür notwendige Wissen verfügen und einen Bezug zum jeweiligen Land haben, z.B. selbst aus Ägypten kommen und darüber hinaus auch Großeltern vor Ort haben. Allerdings reflektiert sie hier das Erleben der Schüler_innen, die sie erzählen lässt, nicht. Vielmehr steht der potenzielle Nutzen für die anderen Schüler_innen im Mittelpunkt. Für diese soll der Unterricht spannend und interessant sein, die Erzählungen einzelner Schüler_innen stellen Frau Mütz zufolge für den Unterricht allgemein eine Bereicherung dar, speziell die von ihr angenommene Offenheit der jüngeren Schüler_innen soll damit aufgegriffen und geschult werden. Frau Mütz geht hier von einem »Anderssein« einzelner Schüler_innen aus. Dies macht sie letzten Endes ja auch für das »Erzählen-Lassen« interessant. Im Mittelpunkt dieses »Erzählen-Lassens« stehen auf eigene Erfahrungen und Erlebnisse gegründetes Wissen und wohl weniger die Reduktion auf folkloristische Elemente »anderer Kulturen«. Das angesprochene Anderssein soll als etwas »natürliches« empfunden werden, wobei diese Empfindung die Schüler_innen »im weiteren Lebensverlauf für sich auch so verankern« sollen. Frau Mütz verfolgt mithin ein pädagogisches Programm, das auf langfristige Veränderungen auf Schüler_innenseite angelegt ist. Wie dieses Programm inklusive der Empfindung von Anderssein als etwas natürlichem genau aussehen soll, wird jedoch nicht weiter erläutert.

Anmerkung der AutorInnen

Zum Schluss […] gilt es noch festzuhalten, dass die aufgeführten Beispiele weitgehend – die Migrationsgeschichten von Frau Önal bilden hier eine Ausnahme – keinen fachspezifischen Bezug aufweisen, der Geschichtsunterricht hier mithin zumeist ein eher zufälliger Ort ist und die Beispiele sich auch in anderen Fächern hätten ereignen können. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass wir das Prinzip Interkulturelles Frühstück in der beispielsweise von Frau Önal kritisierten Variante in dem von uns erhobenen Videomaterial von Unterrichtsstunden des Faches Geschichte nicht finden konnten. Das mag zum einen daran liegen, dass es sich um eine besondere Situation handelt, die nicht in die täglichen Unterrichtsabläufe integriert ist. Es kann jedoch auch sein, dass das Prinzip Interkulturelles Frühstück zwar vielen Lehrkräften bekannt ist – schließlich spielt es ja auch in außerschulischen Kontexten eine prominente Rolle – und quasi als Prototyp des interkulturellen Lernens gelten mag. Daher müssen und wollen sich Lehrkräfte unter Umständen in den von uns geführten Interviews dazu positionieren.

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