Hinweis – Der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

Einleitende Bemerkungen

[…] An unseren Forschungen, über die wir hier sehr selektiv berichten, wirkten Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren mit. Die Teilnehmer besuchten zum Zeitpunkt der Untersuchung unterschiedliche Schultypen. Im Folgenden beziehen wir uns auf eine einzige Gruppendiskussion, die im März 2000 von drei Gymnasiastinnen und einem Gymnasiasten im Alter von 13 bzw. 14 Jahren bestritten wurde. Die Diskussion fand in einem Raum einer katholischen Gemeinde statt, aus deren Jugendgruppe die Forschungspartner rekrutiert wurden. Zur Teilnahme meldeten sich die Jugendlichen freiwillig, als sie im Rahmen eines ihrer Treffen von dem Diskussionsleiter gefragt wurden, ob sie Lust hätten, sich zu je vier Diskutanden an einem Gruppengespräch zum Thema „Geschichte“ zu beteiligen. Die Teilnehmer besuchten damals die achte Klasse derselben Schule einer mittelgroßen Stadt im Südwesten Deutschlands. […]

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Wie in der knappen Zusammenfassung des Diskussionsverlaufs deutlich wurde, spielt die Gegenüberstellung biblischer Geschichten mit wissenschaftlich abgesicherten geschichtlichen Darstellungen – wenn man den Bereich der Naturgeschichte miteinbezieht – eine große Rolle in dem Gespräch. Dabei hüten sich die Jugendlichen davor, den einen Bereich gegen den anderen auszuspielen. Vielmehr bemühen sie sich, so möchten wir sagen, die Geltungsgrenzen für den einen wie für den anderen Bereich auszuweisen, um so deren partielle Vereinbarkeit aufzeigen zu können.

Heide: Ja, wir machen grad in Religion so, äh, was man mit der Wissenschaft erforscht hat, mit dem Anfang der Welt und das kirchliche Bild da so, mit Adam und Eva und so. Weil, äh, also ich find das darf man auch nicht so verbinden, weil, ähm, ich würd an beides glauben: das eine ist ja mehr so symbolisch und das andere so wissenschaftlich. Es kann ja gut sein, daß da Gott hat gemacht, daß der Urknall kommt. So kann man sich das ja vorstellen. (Z.918-926)

In Heides Äußerung wird der Widerspruch einer wissenschaftlich aufgeklärten Naturgeschichte mit einer biblischen Darstellung der Entstehung der Welt nicht als unlösbar gesehen. Mit der Wendung, man dürfe das kirchliche Bild nicht mit dem wissenschaftlichen Bild verbinden, macht sie deutlich, dass eine „Eins-zu- eins-Übersetzung“ ausgeschlossen ist. Weder würde man dem Wahrheitsgehalt moderner Wissenschaft gerecht, würde man das, was in der Bibel steht, wörtlich nehmen, noch würde man dem Anspruch christlich-religiöser Vorstellungen gerecht, würde man die Bibel allein nach Kriterien wissenschaftlicher Triftigkeit beurteilen. Einen solchen Widerstreit umschifft Heide. Ihrer Äußerung gemäß liegen die Wahrheitsmomente beider Diskurse auf unterschiedlichen Ebenen. Die Wissenschaft verfährt rational, die Religion symbolisch. Darüber hinaus ist ja auch nicht ausgeschlossen, dass der Urknall die Letztbegründung für die Entstehung der Welt abgeben könnte. Durchaus vorstellbar ist, so Heide, doch auch, dass es zwar den Urknall gab, dass aber Gott diesen Urknall „gemacht“ habe.

Mit freundlicher Genehmigung des Forums Qualitative Sozialforschung.
http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/904
 

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