Hinweis: Der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

 

Einleitende Bemerkungen

Die Waldschule ist eine integrierte Gesamtschule mit etwa 1.300 Schülerinnen und Schülern, die in den Jahrgängen 5 bis 10 achtzügig unterrichtet werden. Auf dem Schulgelände befindet sich auch noch die Oberstufe der Waldschule, die aber nicht Teil der Untersuchung war. Die verschiedenen Gebäude verteilen sich über ein relativ großes Gelände. Im Zentrum steht ein zweistöckiger, riegelartig aufgebauter Komplex. Aufgrund der Weitläufigkeit der Schule müssen die Pädagoginnen und Pädagogen häufig relativ lange Wege zurücklegen, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Jeder Jahrgang befindet sich in einem eigenen Gebäudeteil. Dazu kommen weitere separate Gebäude wie die Aula, die Sporthallen und ein kleiner restaurantartiger Betrieb der von Schülerinnen und Schülern geführt wird. An der Schule sind etwa 120 Lehrkräfte inklusive Referendarinnen und Referendaren sowie Sonderschulpädagoginnen und -pädagogen tätig. Dazu kommen eine kleine Gruppe von Sozialarbeiterinnen und -arbeitern, Verwaltungsangestellte, die im Sekretariat der Schule arbeiten und Hausmeister. Die Klassenlehrerinnen und -lehrer eines Jahrgangs treffen sich normalerweise alle zwei Wochen zur Jahrgangskonferenz. Während der Feldphase gab es mindestens einen Jahrgang, dessen Mitglieder sich nur monatlich trafen. Jeder Jahrgang sollte eine Sprecherin oder einen Sprecher wählen, die/der u. a. einen Teil der Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Schulleitung und den Mitgliedern eines Jahrgangs übernimmt. In jeder Klasse unterrichten eine Klassenlehrerin bzw. ein -lehrer sowie eine Co-Klassenlehrerin bzw. ein -lehrer. Jeweils zwei Klassen eines Jahrgangs sind enger miteinander verzahnt und die Schülerinnen und Schüler werden teilweise auch gemeinsam unterrichtet.

 

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Die Gruppe Ahorn besteht aus drei Lehrkräften, die alle im 10. Jahrgang der Waldschule unterrichten. Mit 53 Jahren ist Frau Begel die älteste Person in der Gruppe, gefolgt von Herrn Conradi mit 44 Jahren und dem jüngsten Gruppenmitglied, Herrn Lummer (30 Jahre), der auch erst seit dreieinhalb Jahren unterrichtet.

Die Nutzung des Schulinformationssystems

Zu Beginn der Gruppendiskussion bittet der Interviewer die Lehrkräfte zu erzählen, wann sie zum letzten Mal das Schulinformationssystem (SIS) OrgaTec genutzt haben und was sie damit gemacht haben. (Gruppe Ahorn, Passage „OrgaTec, Mail, Postfach“).

Yl: Ich würde vielleicht einfach mal damit anfangen wollen (1) sie zu bitten zu
erzählen, wann sie das letzte Mal OrgaTec benutzt haben und was sie damit
gemacht haben


Cm: Ich hab (1) ja soll ich anfangen ist ja egal ja eh, also ich hab’s, glaube ich, vor
zwei Tagen benutzt, um ähm, durchzuschauen, ob’s irgendwelche Dokumente
oder Vorlagen gibt, die wir da (2) als Papiere irgendwo haben, ja, wir haben
verschiedene Dokumente schulintern, kursieren, sind da drauf, ich weiß jetzt
gar nicht mehr, was ich nachgeguckt hatte, das ist sozusagen das, aber auch
das Einzige, was ich jetzt in dem Jahr gemacht habe, ansonsten mach ich die
Fehlzeitenerfassung damit (.) aber da wir da noch keine aktualisierten Kurslisten
haben, schwerpunktmäßig im Jahrgang 10, wo wir viele Schüleraufnahmen haben,
und ähm, das muss erst mal alles über die SchuDaba laufen und ähm, das ist
noch nicht abgeschlossen, das ist ein ausgesprochen mühsames und kompliziertes
Unterfangen, die sollen jetzt sozusagen in OrgaTec eingespielt werden und dann
stehen sie im Prinzip auch für Fehlzeitenerfassung zur Verfügung (.) aber in dem
Sinne, weil das ist halt bisher, jetzt ist Anfang des Halbjahres, noch nicht läuft, hab
ich’s bis dahingehend noch nicht genutzt

Herr Conradi hat vor Kurzem in OrgaTec nach „irgendwelche[n] Dokumente[n] oder Vorlagen“ gesucht, die man „als Papiere irgendwo“ habe. Die Kommunikate, nach denen er gesucht hat, scheinen nicht besonders wichtig gewesen zu sein, zumindest kann er nicht mehr benennen, wonach er gesucht hat, obwohl die Suche erst wenige Tage zurückliegt. Neben den gesuchten Kommunikaten, gebe es noch weitere Dokumente, die über das SIS „kursieren“. Im Sinne von im Umlauf befindlich, könnte man vermuten, dass viele Lehrkräfte besagte Dokumente über das SIS herunterladen. Im weiteren Verlauf der Erzählung wird aber deutlich, dass es sich dabei, zumindest was die Praxis von Herrn Conradi betrifft, um eine Ausnahme handelt. Denn das sei „das Einzige“, was er „in dem Jahr gemacht habe“ neben der Verwendung von OrgaTec zur „Fehlzeitenerfassung“. Die Nutzung des SIS beschränkt sich auf einige wenige Praxen, regelmäßig wiederholt sich nur die Erfassung von Fehlzeiten der Schülerinnen und Schüler.

Herr Conradi differenziert diese Praxis aber dahingehend, dass die Lehrkräfte („wir“) insbesondere im 10. Jahrgang noch nicht die „aktualisierten Kurslisten“ besäßen. Welcher Zusammenhang zwischen den Listen und der Nutzung des SIS zur Erfassung von Fehlstunden besteht, bleibt zunächst offen. Dass die Listen fehlen, scheint u. a. darauf zurückzuführen zu sein, dass „erst mal alles über die SchuDaba laufen“ müsse. Dieser Prozess sei noch „nicht abgeschlossen“, d. h., er dauert an. Dazu scheint u. a. beizutragen, dass insbesondere im 10. Jahrgang viele neue Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden müssen, sodass analog viele Daten zu erfassen sind. Wie diese Daten prozessiert werden müssen, bleibt offen, es handelt sich aber um ein anstrengendes und beschwerliches („mühsam“) Unterfangen, das außerdem auch noch schwer zu durchblicken ist. Jetzt sollen die Daten aber auch in OrgaTec eingespielt werden, sodass Fehlzeiten prinzipiell anhand der jeweiligen Datensätze erfasst werden können. Aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit der Daten habe Herr Conradi das SIS aber bislang noch nicht zur Erfassung von Fehlzeiten eingesetzt. Vor allem fehlende Informationen und die daraus resultierenden nutzungspraktischen Einschränkungen behindern seine Nutzung des SIS. Herr Lummer hat das SIS vor wenigen Stunden zuletzt genutzt (Gruppe Ahorn, Passage „OrgaTec, Mail, Postfach“).

Lm: Ich hab’ heut‘ Morgen vor ’nem Elterngespräch, hab ich mir noch mal die, ähm,
die Noten von einem Schüler, ähm, runtergeladen, also als Excel-Sheet, ähm
(I) ähm (2) ja, auf den PC geladen, und dann, was hab’ ich noch gemacht
heute, ich hab’ mir noch mal den aktuellen Lehrer- und Klassenplan aus dem
Dokumentenbereich runtergeladen (2) ansonsten, Fehlzeitenerfassung mach’ ich
jetzt auch schon bei den Kursen, die aktuell sind, also die, die vollständig sind,
mach ich das jetzt schon, und das sollte dann eigentlich, seit gestern sollten alle
Kurse aktuell sein, das wird dann halt übertragen (.) ja
 

Der Lehrer hat OrgaTec am Tage der Gruppendiskussion letztmalig genutzt, um sich zum einen die Noten eines Schülers in Form einer Exceltabelle herunterzuladen. Außerdem habe er auch „den aktuellen Lehrer- und Klassenplan aus dem Dokumentenbereich heruntergeladen“. Mit dem SIS kann er prinzipiell jederzeit auf bestimmte gegenwärtig bedeutsame und/oder sich auf dem letzten Stand befindliche Dokumente zurückzugreifen. Dass er dort die jeweils aktuellste Version des Dokumentes finden kann, scheint für Herrn Lummer selbstverständlich zu sein, sodass es sich um eine etablierte Praxis handelt, zumindest von der Bereitstellungsseite aus betrachtet. Im Gegensatz zu Herrn Conradi weiß Herr Lummer auch genau, wo er das besagte Dokument findet („Dokumentenbereich“). Das spricht ebenfalls dafür, dass die Nutzung von OrgaTec für ihn im Gegensatz zu Herrn Conradi eine etablierte, eventuell sogar inkorporierte Praxis ist. Anders als sein Kollege äußert sich Herr Lummer auch nicht negativ über die offensichtlichen Schwierigkeiten mit der SchuDaba. Er nutzt OrgaTec auch, um Fehlzeiten zu erfassen, sofern die technisch-organisatorischen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Dass er dann noch etwas übertragen muss, deutet darauf hin, dass er anderweitig erfasste Fehlzeiten noch an entsprechender Stelle in OrgaTec eintragen muss. Auch Frau Begel hat das SIS vor nicht allzu langer Zeit genutzt, um eine Nachricht zu lesen, die ihr dort der IT-Administator der Schule hinterlegt hat. Gleichwohl hat ihre Nutzung seit der Einführung des SIS erheblich nachgelassen (Gruppe Ahorn, Passage „OrgaTec, Mail, Postfach“).

Bf: Am Anfang war ich sehr, war ich täglich drin, und das hat dann nachgelassen, nachdem ich gemerkt hab, dass die Listen nicht stimmen, äh, und ausgerechnet sind das Schüler, die ein Problem haben mit dem Fehlen und jetzt bin ich dazu übergegangen, das doch, also drauf zu achten, dass das im Klassenbuch steht, und ja, ich hoffe, dass das irgendwann mal auf dem neuesten Stand ist, damit ich die dann nachtragen kann

Yl: Mhm

Bf: Aber es ist sehr mühselig, also es fing an mit dem Stundenplan einrichten, das hab ich gleich am Anfang gemacht, so’n paar Tage vor Schul, oder ja, war es, in der gleichen Woche ging das erst (.) und da kämpft, also ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich klicke und klicke, also es, äh, auch an verschiedenen Computern hab ichs probiert, und es ist, man sitzt da wahnsinnig lange dran und dann äh, ja, das hält mich davon ein bisschen ab, das öfter zu benutzen

Cm: Ja, bei der Fehlzeitenerfassung ist es halt leider auch noch teilweise die doppelte Buchführung (.) also, man kann die Fehlzeiten, man könn, weil nicht in allen Räumen jetzt Rechner auch mit ausreichender Geschwindigkeit zur Verfügung stehen (.) das wär natürlich, wenn man das schon während der Stunde oder nebenbei oder am Anfang der Stunde machen könnte, sozusagen gleich alles eingeben, dann könnte man das sozusagen laufend machen, aber das::, das läuft in der Praxis nicht (1), das heißt, man schreibt’s dann doch erst mal in sein Kursheft. und dann setzt man sich halt hin und überträgt’s wieder (.) und das halt manchmal auch mit ’ner gewissen Verzögerung dann (1)

Nach der Einführung des Systems an der Schule habe die Lehrerin es täglich genutzt. Sie hat das SIS ausprobiert, um herauszufinden, welche handlungspraktischen Möglichkeiten es ihr eröffnet, oder hat für sich einen unmittelbaren Nutzen durch die Nutzung des SIS feststellen können. Nachdem sie aber „gemerkt hab[e], dass die Listen nicht stimmen“, ist die Intensität ihrer Praxis stark zurückgegangen. Denn es waren offensichtlich insbesondere Schülerinnen oder Schüler, die häufig dem Unterricht fernblieben, die in den besagten Listen fehlten. So hat die Praxis ihre unmittelbare Zweckmäßigkeit – das schnelle und zeitnahe Erfassen von Fehlstunden und die Möglichkeit für die Klassenlehrerinnen und -lehrer, das sofort zu erkennen – und damit auch ihre Attraktivität verloren. Alternativ bedient sich Frau Begel nunmehr wieder der tradierten Praxis und trägt fehlende Schülerinnen oder Schüler in das herkömmliche Klassenbuch ein, hofft aber, dass die erforderlichen Listen zu einem späteren Zeitpunkt aktualisiert werden, um die Fehlstunden nachtragen zu können.

Frau Begel fährt fort, ähnlich wie Herr Conradi, die Nutzung des SIS als äußerst anstrengend und beschwerlich („mühselig“) zu charakterisieren. Das gilt u. a. für die Einrichtung eines Stundenplans. Sie wendet sich in diesem Kontext auch an ihre Kollegen und gibt zu erkennen, dass ihr nicht bekannt ist, welche Erfahrungen sie mit diesem Praxisaspekt gemacht haben. Ihre bisherigen Versuche, besagten Stundenplan zu erstellen, scheinen, wenn überhaupt, nur eingeschränkt erfolgreich verlaufen zu sein. Offenbar um auszuschließen, dass ihre Probleme auf die eingesetzte Technik zurückgehen, hat sie sogar erfolglos versucht, den Stundenplan an unterschiedlichen Computern zu erstellen. Letztlich müsse man sehr viel Zeit („wahnsinnig lange“) aufwenden, um die Praxis zu enaktieren, was die Lehrerin schließlich davon abhält, das SIS „öfter zu benutzen“, sodass sie der erforderliche Aufwand bei ungewissem Erfolg im Zweifelsfall von der Nutzung des SIS absehen lässt.

Herr Conradi kritisiert an der Fehlzeitenerfassung die teilweise erforderliche „doppelte Buchführung“. Die Zeiten müssen mit unterschiedlichen Medien erfasst werden, u. a. weil nicht in allen Unterrichtsräumen geeignete technische Voraussetzungen gegeben sind und die Computer dort z. B. teilweise nicht leistungsstark genug dafür seien. Daher könne man die Fehlstunden auch nicht zu Unterrichtsbeginn oder im Verlauf des Unterrichts in OrgaTec erfassen. Man müsse sie zunächst im Kursheft festhalten, um sie später an einem Computer in das SIS zu übertragen. Es kommt insofern zu einer Dopplung der Handlungspraxis unter Einsatz verschiedener Medien, die aufgrund des Medienbruchs zu einer zeitlichen Mehrbelastung führt. Dazu kommt als weiteres Problem, wie von den Lehrkräften im weiteren Verlauf der Gruppendiskussion artikuliert, dass eine zeitnahe Erfassung von Fehlstunden nur dann wirklich sinnvoll ist, wenn alle Lehrkräfte so handelten. Denn nur dann könnte man sich über OrgaTec zuverlässig kurzfristig über das Fehlen einzelner Schülerinnen und Schüler informieren. Da aber die Fehlstunden lediglich spätestens für die Erstellung der Zeugnisse digital erfasst werden müssen, nähmen viele Lehrkräfte Abstand von einer häufigeren Praxis.

Die Vorteile der E-Mail-Nutzung gegenüber anderen Medien

Von der Frage ausgehend, wie die drei Lehrkräfte das traditionelle Postfach nutzen, weist Frau Begel darauf hin, dass sie, wenn ein Fach besonders voll sei, mitunter kein weiteres papierbasiertes Kommunikat in das Fach lege und der betreffenden Person stattdessen lieber eine E-Mail sende. Vor dem Hintergrund der E-Mail-Nutzung in der Schule möchte einer der Interviewer etwas später wissen, ob es u. U. ‚schneller geht‘, ein Kommunikat an einzelne Kolleginnen oder Kollegen per E-Mail zu senden, als wenn man es über das traditionelle Postfach kommuniziert (Gruppe Ahorn, Passage „OrgaTec, Mail, Postfach“).

Y2: Und äh, und wenn sie dann die E-Mail schreiben, ähm, geht das dann unter Umständen vielleicht sogar schneller als per Postfach bei manchen Kollegen, oder

Bf: Das kommt auf den Kollegen an, also die, äh, E-Mail-Etikette unter den Kollegen ist auch echt unterschiedlich, also ich bin jemand, ich schau täglich rein, antworte auch sofort, du antworte auch, ihr beiden, ihr seid auch, da weiß ich auch, mit E-Mail ist sehr gut, und dann gibt’s welche, da weiß ich, dass die kein E-Mail, also, dass die nicht so das nutzen, und dann doch lieber ein Papier rein (.) ins Fach

Cm: Nee, ich finds auch angenehm, also wenn, ich bin gleichzeitig Fachsprecher in Chemie, und wenn ich jetzt Informationen an den Fachbereich hab, dann sind doch einige Leute, es ist auf alle Fälle einfacher, das per E-Mail zu machen, als es jetzt, äh, zu schreiben, auszudrucken, zu kopieren und dann in die Fächer zu verteilen

Yl: Mhm

Bf: Mhm (3) ja, für diese ganzen Teams und so weiter, find ich’s auch besser per E-Mail (.) also Tagesordnungen jetzt für die nächste, äh, für die nächste Jahrgangskonferenz, find ich für euch bestimmt angenehmer, ihr könnt’s @(löschen, oder)@ äh, euch merken, ist da noch ein Blatt im Fach, ne

Lm: Oder auch angesichts des Papierverbrauchs, den @(diese Schule hier hat)@ ich weiß nicht, wie viel Millionen Blätter, Herr Westerhagen hats mal irgendwann gesagt, also es ist auch bestimmt interessant, wie viel Blätter hier pro:, äh, pro Jahr durchgeschleust werden (.) also, es is t ’ne absurde Zahl, ich glaub, tatsächlich sechsstellig

Yl: Mhm

Cm: @(.)@

Lm: Ähm (1) ansonsten Fachbereich Musik, wir haben einen E-Mail-Verteiler, der wird auch regelmäßig genutzt (1) ähm

Frau Begel zufolge hänge es von der Handlungspraxis der adressierten Person ab, ob man sie per E-Mail schneller erreicht oder ob man ihr eine Nachricht in das Postfach übermittelt. Die „E-Mail-Etikette“ innerhalb des Kollegiums variiere sehr stark, d. h., die berufliche Aneignung des Mediums verläuft zwischen den Lehrkräften äußerst heterogen. Sie selber überprüfe z. B. täglich ihr E-Mail- Postfach und antworte auch sofort auf erhaltene Nachrichten. Auch von den beiden Kollegen wisse sie, dass es „mit E-Mail […] sehr gut“ sei, d. h., für den Zweck der Kommunikation mit ihnen ist das Medium sehr gut geeignet. Es gebe aber auch andere Kolleginnen und/oder Kollegen, von denen sie wisse, dass sie das Medium nicht benutzten, sodass sie, wenn sie ihnen etwas mitteilen möchte, ein papierbasiertes Kommunikat in deren Postfach legt.

Herr Conradi schließt nicht an den Aspekt der adäquaten Medienwahl an, sondern bemüht positive Rationalisierungseffekte, die er unter Einsatz von E-Mail bei der Erledigung seiner Aufgaben als „Fachsprecher“ für das Fach Chemie erzielen kann. Er empfindet es als wohltuend („angenehm“), wenn er den Aufwand gegenüber der Herstellung und Verteilung von Kommunikaten in die Postfächer seiner Kolleginnen und Kollegen unter Einsatz von E-Mail reduzieren kann, denn das sei „einfacher“, d. h. weniger Mühe erfordernd. Frau Begel pflichtet ihrem Kollegen bei, dass sie es im Rahmen der erforderlichen Kommunikation in den verschiedenen, aus ihrer Sicht recht zahlreichen Gruppen („diese ganzen Teams“) auch besser finde E-Mail, für die erforderliche Gruppenkommunikation einzusetzen. Darunter fällt z. B. das Versenden von Tagesordnungen für Konferenzen. Ähnlich wie Herr Conradi umschreibt sie in diesem Kontext die Handlungspraxis ebenfalls als wohltuend („angenehm“), hier allerdings nicht auf sich bezogen, sondern auf die Wahrnehmung der beiden Kollegen, d. h., sie geht davon aus, dass diese in ähnlicher Weise wie sie einen positiven Effekt aus dieser Praxis realisieren können, der offenbar u. a. auf der Option basiert, das erhaltene Kommunikat zu „löschen“ oder sich den empfangen Inhalt zu „merken“, d. h. die Informationen weiterzuverarbeiten. Abschließend impliziert Herr Lummer noch, dass die Kommunikation mit Hilfe von E-Mail dazu beitrage, den Papierverbrauch in der Schule zu reduzieren bzw. zumindest die Möglichkeit dafür beinhaltet.

Herr Lummer fährt fort, dass man im Fachbereich Musik auch regelmäßig einen E-Mail-Verteiler nutze, sodass das Medium auch dort ein etablierter Bestandteil der Gruppenkommunikation ist. Zwei kurze Pausen signalisieren, dass das Thema damit für die Gruppe abgeschlossen zu sein scheint. Die verschiedenen artikulierten Orientierungen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Herr Lummers hohe Präferenz für die Nutzung von E-Mail basiert auch auf seiner Erfahrung, dass andere Systeme von Lehrkräften insbesondere für die fachlich orientierte Kommunikation nur sehr eingeschränkt genutzt werden und sich daher kaum dafür eignen (Gruppe Ahorn, Passage „Mailinglisten“).

Herr Lummer hat in der Vergangenheit neben OrgaTec auch mit anderen Lernmanagementsystemen gearbeitet. Dort könne man u. a. digitale Kommunikate online ablegen, um sie selber weiter zu nutzen oder sie anderen zur Verfügung   zu stellen. Das geht auch mit OrgaTec und der Lehrer vermutet, dass davon reger Gebrauch gemacht wird. Im Gegensatz dazu habe er im „fachlichen Bereich“ die „Erfahrung“ gemacht, dass nur wenige Lehrkräfte Dokumente über solche Systeme bereitstellten oder dort nachsähen, ob neue Kommunikate hochgeladen worden wären. Er spricht vom ‚aktiven‘ „Einstellen“ bzw. „Einloggen“. Aktiv ist nicht nur als tatkräftiges, sondern auch als zielstrebiges Handeln zu lesen, sodass es den Lehrkräften letztlich an einem ausreichend zweckrationalen Motiv als Basis einer regelmäßigen Praxis mangelt.

Im Kontext der fachspezifischen Praxis sind onlinebasierte LMS bzw. SIS für die meisten Lehrkräfte offenbar kaum relevant. Es macht für Herrn Lummer keinen Sinn, solche Systeme zu nutzen, da die Anzahl der so Kommunizierenden zu gering ist, um eine ausreichende Zahl von Kommunikaten bereitzustellen, die seinen Interessen und Bedürfnissen genügen. Daher sei der Lehrer „eigentlich auch eher ein Freund von so Mailinglisten“. Er lässt sich von diesem Dienst über neue Unterrichtsmaterialien informieren. Die Praxis bietet zwei Vorteile: Erstens kann er das „bestehende System E-Mail“ nutzen, d. h., es existiert bereits ein Medium, das gut geeignet ist, Informationen über neue Unterrichtsmaterialien zu beschaffen. Zweitens bedarf es weniger Anstrengungen, um an diese Informationen zu gelangen. Einmal eingerichtet erhält man alle über die Mailingliste versendeten Informationen automatisch, ohne sich weiter bemühen zu müssen („nebenher“). Im Gegensatz dazu erfordere ein LMS oder SIS, dass man sich einloggt, um nach neuen Materialien suchen zu können ohne Gewissheit auf Erfolg. Gleichwohl schließt er nicht aus, dass man sich auch per E-Mail darüber informieren lassen kann, wenn in einem solchen System neue Inhalte bereitgestellt werden, finde es aber „komfortabler“, d. h. bequemer, insbesondere Fachdiskussionen über eine Mailingliste zu verfolgen. Hier sind nicht nur Rationalisierungseffekte ausschlaggebend für die Entscheidung für eine bestimmte Medienpraxis, sondern auch der damit verbundene Grad der Bequemlichkeit. Frau Bagel stimmt dem zu.

Herr Conradi gibt zu bedenken, dass man statt im Intranet der Schule auch in OrgaTec Dokumente ablegen und über das System auch miteinander per E-Mail kommunizieren könne. Um schulweit von Nutzen zu sein, müssten aber alle Kollegiumsmitglieder diese Möglichkeit nutzen. Herr Lummer unterbricht ihn mit der Einschränkung, dass man über OrgaTec nur systemintern E-Mails verschicken könne. Nachdem er sich vergewissert hat, dass man über dasselbe System spricht, nimmt Herr Conradi diese Einschränkung zur Kenntnis ohne weiter darauf einzugehen. Die vermeintliche Praxis hat offenbar keine weitergehende Relevanz für ihn, und es stellt sich heraus, dass er, im Gegensatz zu Herrn Lummer, auch noch nicht versucht hat, das SIS in der beschriebenen Weise zu nutzen. Da es den meisten Lehrkräften ähnlich geht, eignet sich dieses Medium letztlich nicht für die Kommunikation, da man kaum davon ausgehen kann, dass darüber versendete Kommunikate ihre Adressaten erreichen. Die „regulären E-Mail-Adressen“ erweisen sich im Gegensatz dazu als wesentlich effektiver und dazu i. S. eines regulären Mediums als vorschrifts- bzw. ordnungsgemäß und i. d. S. den allgemeinen Erwartungen entsprechend. Frau Begel geht es ganz ähnlich wie Herrn Lummer (Gruppe Ahorn, Passage „Mailinglisten“).

Bf: Ähm, ich kann für mich sprechen und sagen, dass, also jetzt für Englisch, ich bin auf mehreren Mailinglisten drauf (.) und ich komm, bekomme darüber so viele gute fachliche Informationen, ähm, und ich hab ’ne Abneigung gegen, ähm, Fortbildungen von, von schulischer Seite (.) weil die oft nicht so gut ist (.) also, dass ich da lieber, schau ich so, was da privat so angeboten wird, ne (.) also in Englisch jedenfalls laufen da viel bessere Sachen, ähm, über private Institute als jetzt schulisch (.) also, ich hab schon mehrere Versuche gehabt mit Fortbildungen beim Schulamt und ich hab das gesehen auch mit Intranet und so, und ah, und dann klick ich mal drauf und dann denk ich, das was ich kriege, das ist doch, bringt mir mehr

Frau Begel beginnt ihre Ausführungen mit dem Hinweis, dass sie für sich sprechen könne, was auch darauf hindeutet, dass die Orientierungen der Gruppenmitglieder eher nebeneinanderstehen und Frau Begel konsequenterweise prinzipiell keinen Anspruch erhebt, für die ganze Gruppe zu sprechen. Bezugnehmend auf die der wiedergegebenen Sequenz vorausgegangene Fragestellung, weist sie darauf hin, dass sie sich anderer Quellen bedient, um sich mit Informationen für ihre Arbeit als Fachlehrerin für Englisch zu versorgen. So sei sie „auf mehreren Mailinglisten drauf“, über die sie „viele gute fachliche Informationen“ bekomme. Die Beschreibung des Auf-den-Mailunglisten-drauf-Seins, deutet auf eine hohe Nähe der Lehrerin zu den digitalen Medien hin. Der Nutzen dieser Medienpraxis ist erheblich, u. a. bekommt sie über die Listenzugehörigkeit Zugang zu umfangreichen Informationen von guter Qualität.

Den negativen Gegenhorizont zum Erwerb von Informationen unter Nutzung von Mailinglisten bilden „Fortbildungen von schulischer Seite“. Diese seien der Lehrerin zuwider, da sie häufig „nicht so gut“ seien, ohne dass deutlich wird, was genau sie daran stört. Daher informiert sie sich lieber, was „privat so angeboten wird“. Das sind aber nicht nur Privatpersonen, die auch Englisch unterrichten, sondern auch „private Institute“. Damit koppelt sie zumindest Teile ihres Wissenserwerbs vom offiziellen Fortbildungssystem ab. Die Lehrerin hat aber auch schon an mehreren Fortbildungsveranstaltungen des „Schulamt[s]“ teilgenommen und auch das „Intranet“ hat sie zur Kenntnis genommen. Offenbar hat sie auch schon dort abgelegte Materialien in Augenschein genommen. Ihre Ablehnung ist i. d. S. handlungspraktisch fundiert. In beiden Fällen ist sie aber offenbar immer zu dem Schluss gekommen, dass sie unter Nutzung ihrer privaten Informations- bzw. Kommunikationskanäle einen größeren Nutzen erzielen kann („bringt mir mehr“). Konsequenterweise nutzt Frau Begel, wie an anderer Stelle deutlich wird, auch den Schulserver nicht, um sich mit Fachinformationen zu versorgen. Außerdem stehen mit den Fachsammlungen weitere Alternativen der Informationsversorgung zur Verfügung. Auch Herr Lummer macht von dieser Möglichkeit regen Gebrauch (Gruppe Ahorn, Passage „Mailinglisten“).

Lm: Grad im Förderschulbereich gibt’s ’ne ganz hervorragende Sammlung, und da bin ich eigentlich sehr oft (.) in ’ner Zahl (1) alle zwei Wochen, alle zwei Wochen, um Unterrichtsmaterialien zu bekommen dort (.) ja

Der Lehrer lobt insbesondere die Sammlung für den „Förderschulbereich“ als außergewöhnlich gut („hervorragend“). Er sucht diese Sammlung dem eigenen Bekunden nach „sehr oft“ auf („alle zwei Wochen“), um sich mit Unterrichtsmaterialien zu versorgen. Obwohl Herr Lummer eine große Nähe zu den digitalen Medien aufweist und diese intensiv nutzt, steht die Arbeit mit analogen Medien dem in keiner Weise nach. Gleichzeitig zieht er aber auch klare Grenzen bezüglich der Nutzung der digitalen Medien. So nutzt er schon seit längerer Zeit sein Mobiltelefon nicht mehr privat und nimmt es z. B. am Wochenende gar nicht in Betrieb. Während der Schulzeit macht er davon aber eine Ausnahme, um bedarfsweise für Kolleginnen oder Kollegen dienstlich erreichbar zu sein. Die unterschiedlichen Praxisformen stehen gleichberechtigt nebeneinander und lassen sie sich problemlos mit seinen (berufs-)biografischen Orientierungen vereinbaren.

Grenzen der interpersonalen direkten Kommunikation

Natürlich sprechen auch die Lehrkräfte der Gruppe Ahorn mit ihren Kolleginnen und Kollegen. Im Zuge der Gruppendiskussion weist einer der Interviewer darauf hin, dass man den Eindruck habe, dass das Lehrerzimmer „ein enorm kommunikativer Ort“ sei. Er impliziert damit, dass dort viel Kommunikation stattfindet. Die auf die Fragestellung folgende längere Pause lässt vermuten, dass die Frage für die Gruppe keine besondere biografische Relevanz besitzt (Gruppe Ahorn, Passage „Lehrerräume“).

Frau Begel antwortet als erste, dass sie versuche, die Lehrerzimmer der Schule so selten wie möglich aufzusuchen. Trotzdem stellt sie sicher, dass sie dort regelmäßig präsent ist und wahrgenommen wird. Es ist ihr wichtig, dass ihre Kolleginnen und Kollegen ihre Anwesenheit wahrnehmen. Physische Präsenz bzw. die Wahrnehmbarkeit der eigenen Anwesenheit ist demnach von Bedeutung für die Selbst- und Fremddefinition der eigenen Rolle innerhalb der Organisation Schule. Sie begründet ihre Abneigung gegenüber den Lehrerzimmern im Allgemeinen unter Bezugnahme auf das größte Lehrerzimmer an der Schule damit, dass der Aufenthalt dort „mit Stress beladen“ sei, d. h., dort zu sein, geht mit einer psychischen und physischen Belastung einher, die zu einer persönlichen Überbeanspruchung führt. Dazu trägt u. a. bei, dass es ihr im Lehrerzimmer zu laut sei. Darum nutzt sie Zeiten mit wenig Publikumsverkehr, um z. B. ihr Postfach zu leeren oder etwas zu kopieren. Die Handlungspraxis von Herrn Conradi bildet dazu einen maximalen Kontrast, denn er versucht, regelmäßig im Lehrerzimmer präsent zu sein. Frau Begel schränkt ein, dass er das aufgrund seiner „Position“ müsse und insofern keine andere Wahl hat. Herr Conradi weist diese Einschränkung mit dem Hinweis zurück, dass er so schon gehandelt habe, als er noch nicht für die Erstellung des Vertretungsplans zuständig gewesen sei. Er versuche, in jeder Pause möglichst auch ein Mal das Lehrerzimmer spontan aufzusuchen („reinzuschneien“). Bezugnehmend auf die Ausgangsfragestellung kritisiert er, dass er nicht wisse, was der Interviewer mit der Beschreibung „kommunikativ“ gemeint habe. Im Lehrerzimmer gebe es zumindest „sehr viele Gespräche“, sodass die direkte interpersonale Kommunikation dort von sehr hoher Relevanz ist bzw. das Lehrerzimmer diese Form der Kommunikation begünstigt, da sich dort viele Lehrkräfte begegnen. Es gebe aber keinen Raum in der Schule, in dem man in der „großen Pause“ fast jede Kollegin oder jeden Kollegen antreffen könne, und er schränkt damit die zentrale Relevanz des Lehrerzimmers als Präsenzort ein. Als das Kollegium noch deutlich kleiner war, wäre es dagegen zumindest möglich gewesen, alle Mitglieder im  Lehrerzimmer  zu versammeln.

Herr Conradi fährt fort, dass selbstverständlich „’ne gewisse Schwierigkeit“ daraus erwachse, dass „vieles“ an der Schule „sehr dezentral“ sei. So könne man sich z. B. während der Pausen auch in verschiedenen kleineren Lehrerzimmern sowie Differenzierungs- und Kleingruppenräumen aufhalten. Das sei einerseits positiv, da man dort sehr spontan und ohne großen Aufwand interpersonale direkte Kommunikation initiieren kann. Wenn man aber nach bestimmten Lehrkräften sucht, um mit ihnen zu interagieren, kann es sehr lange dauern, bis man sie trifft. Die räumlich vorgegebenen baulichen Rahmenbedingungen für die Kommunikation an der Schule sind i. d. S. ambivalent.

Frau Begel kritisiert einschränkend, dass die interpersonale direkte Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen häufig unnötig Zeit veranschlage („einfach nur Zeitfresser“). Das sei u. a. darauf zurückzuführen, dass diese Gespräche „nicht so produktiv“ seien, d. h., das Ergebnis dieser Form der Kommunikation ist nicht ausreichend bzw. die Praxis nicht effizient genug. Leider fehle es einigen Kolleginnen und Kollegen aber auch an der erforderlichen intuitiven Wahrnehmungsfähigkeit („Gespür“), wann es angebracht ist, in den Modus der interpersonalen direkten Kommunikation einzutreten und wann nicht. Daher versuche sie, einen großen Teil („vieles“) ihrer Kommunikation mittels E-Mail zu realisieren, was unabhängig von Ergebnis zumindest zeiteffizient ist. Erst wenn der gegebene Anlasse für ausstehende Kommunikation von ausreichender Bedeutung ist („wichtig“), kann es durchaus angemessen sein, in den Modus der Face-to-Face-Kommunikation einzutreten. Insofern lehnt Frau Begel die interpersonale direkte Kommunikation mit ihren Kolleginnen und Kollegen nicht per se ab, sondern stellt ihr einen zweckrationalen Bewertungsparameter vorweg. Aufgrund der oben angesprochenen Unübersichtlichkeit der Schule haben auch Mobiltelefone einen wichtigen Anteil an der innerschulischen Kommunikation, wie der folgende Ausschnitt aus der Gruppendiskussion illustriert (Gruppe Ahorn, Passage „Lehrerräume“).

Herrn Conradi zufolge würde auch ein „elektronisches System“ nicht dazu beitragen, die Erreichbarkeit der Kolleginnen und Kollegen in der Schule zu verbessern, es sei denn, man ist bereit, die gesuchten Personen mit dem eigenen Mobiltelefon anrufen bzw. ihnen eine Kurznachricht zu schicken. Allerdings entstünden dabei Kosten, die man selber tragen muss. Viele Lehrkräfte scheinen das aber billigend in Kauf zu nehmen. Denn laut Frau Begel besitzt der Einsatz von Mobiltelefonen eine signifikante Bedeutung für die schulische Kommunikation. So telefoniert sie z. B. mit einem der beiden Lehrkräfte „ständig“. Auch mit einigen anderen Lehrkräften realisiert sie einen großen Teil ihrer Kommunikation mit Hilfe des Mobiltelefons. Herr Conradi verifiziert diese Beschreibung und weist darauf hin, dass viele Lehrkräfte auch im Nachmittagsbereich arbeiten und man dann öfter miteinander telefoniere. Auch in diesem Fall kommen positive Rationalisierungseffekte zum Tragen, da man z. B. nach einzelnen Lehrkräften nicht mehr an unterschiedlichen Orten suchen muss, sondern sie einfach anrufen kann, um zu erfahren, wo sie sich befinden. Aufgrund der dafür privat anfallenden Kosten haftet dieser Form der Kommunikation jedoch eine ständige Diskrepanz an.

Für Herrn Lummer scheint sich diese Frage nicht zu stellen, wohl auch weil er, wie oben angesprochen, die Mobilkommunikation eher ablehnt. Er eröffnet ein neues Thema und vermutet, dass das zentrale Lehrerzimmer von einigen Lehrkräften auch genutzt werde, um dort am Nachmittag zu arbeiten. Mit der Betonung des Verbs arbeiten unterstreicht er, dass dieser Ort, der den bisherigen Beschreibungen zufolge nach eher nicht als Arbeitsort i. S. der Vor- und Nachbereitung in Erscheinung getreten ist, zumindest von einigen Lehrkräften dazu genutzt wird. Die in der Gruppendiskussion angesprochenen Schwierigkeiten der Kommunikation zwischen den Lehrkräften sind seiner Vermutung nach aber auch auf das „Berufsbild Lehrer“ zurückzuführen (Gruppe Ahorn, Passage „Lehrerräume“).

Lm: Ich glaub, das ist auch, im, ähm, großen Lehrerzimmer arbeiten einige Kollegen auch nachmittags, Unterrichtsvorbereitung, -nachbereitung (.) aber ich glaub, das ist auch so, dass (.) Kommunikationsprobleme ergeben sich auch so, so einen Teil aus dem Berufsbild Lehrer, dass viele einfach Zuhause arbeiten und man nicht an einem Ort ist, zum Beispiel jetzt wie wenn jetzt ein Jahrgang oder ein Fachbereich ein Großraumbüro hätte, wo irgendwie fünf, sechs Kollegen zusammen arbeiten könnten, undähm, so was dann überden Schreibtisch hinweg schnell Absprachen irgendwie getroffen werden könnten, das war, denk ich, so die optimale Lösung (.) ich kenn das von der Berufsschule hier in Berneburg, da haben, alle Teams haben einen festen Arbeitsplatz, haben wir hier nicht, ja (.) wer hier arbeitet, arbeitet entweder in den Vorbereitungsräumen von den Naturwissenschaften oder im Klassenraum, ähm:, und ich denke mal, diese, diese, ähm, direkte Kommunikation, wie es in anderen Berufsfeldern aussieht, in Büroberu fen, dass man sagt, okay, ähm, man geht zu XY an den nächsten Schreibtisch und klärt schnell was, das ist hier nicht möglich (.) also es ist immer mit anderen Kommunikationswegen verbunden (.) sei es Telefon, Postfach oder sonst irgendwas, weil man einfach nicht so, nicht so eng zusammen-, also räumlich nicht so eng zusammenarbeitet

Y1: Mhm, mhm

Lm: Oder zusammenarbeiten kann, weil die äußeren Bedingungen nicht gegeben sind

Der Hinweis von Herrn Lummer, dass „Kommunikationsprobleme“ in der Schule auch im Zusammenhang mit dem „Berufsbild Lehrer“ stehen, deutet darauf hin, dass ungelöste Schwierigkeiten der Kommunikation zwischen den Lehrkräften auch auf Charakteristika des Lehrerberufs zurückzuführen sind. Viele Lehrkräfte würden z. B. „einfach Zuhause arbeiten“, d. h., es ist selbstverständlich, dass sie zumindest einen Teil ihrer Arbeitszeit alleine innerhalb ihrer Privatsphäre verbringen und nicht gemeinsam an einem Ort arbeiten. Am besten wäre es im Gegensatz dazu, wenn eine Gruppe von fünf bis sechs Lehrkräften, die zu einer Fachschaft oder einem Jahrgang gehören, in einem gemeinsamen Büro arbeiteten. Sie könnten dann über ihren Schreibtisch hinweg jederzeit (Anwesenheit vorausgesetzt) miteinander kommunizieren. Laut Herrn Lummer wäre das die „optimale Lösung“, d. h., die spontane direkte interpersonale Kommunikation erscheint ihm am geeignetsten, um die angesprochenen Defizite der schulorganisatorischen Kommunikation zu lösen, und ist von daher auch von zentraler (berufs-)biografischer Relevanz für ihn. Das sei zugleich auch die „effektivste und schnellste Möglichkeit“, miteinander zu kommunizieren, sodass abermals die hohe Relevanz von Effizienz- und Rationalitätskalkülen für die Bewertung der unterschiedlichen Kommunikationsmöglichkeiten im dienstlichen Kontext deutlich wird. Als Beispiel dafür zieht er eine Berufsschule heran, an der „alle Teams […] einen festen Arbeitsplatz“ haben, d. h., Personengruppen, die zusammen an etwas arbeiten, wie z. B. die Angehörigen eines bestimmten Jahrgangs, besitzen exklusive Arbeitsplätze.

An der Waldschule gibt es solche Arbeitsplätze nicht, daher würden die Lehrkräfte, wenn sie dort arbeiteten, entweder die „Vorbereitungsräume der Naturwissenschaften“ oder die „Klassenräume“ nutzen. Sie suchen sich Orte, an denen sie arbeiten können, bleiben dabei aber anscheinend alleine. Formen ‚direkter Kommunikation‘, wie oben von Herrn Lummer bereits exemplifiziert und wie man sie z. B. in Büros vorfindet, wo zumindest in kleineren Einheiten spontan kommuniziert werden kann, seien darum an der Waldschule nicht möglich. Stattdessen müsse man sich generell anderer Medienpraxen bedienen, weil man „räumlich nicht so eng zusammenarbeitet“, d. h., die bauliche Beschaffenheit der Schule erzwingt bestimmte Medienpraxen, um die innerschulische Kommunikation zu realisieren. Kurze Zeit später fährt Frau Begel fort, die Arbeitsbedingungen im Lehrerzimmer zu kritisieren.

Sie bemängelt, dass sich im großen Lehrerzimmer mehrere Computerarbeitsplätze „direkt“ im Raum befänden, was nicht zweckdienlich („unpraktisch“) sei. Sie sei gewöhnt, dass die Computer in einen eigenen Raum stehen. Daher arbeite sie nicht an den Computern im Lehrerzimmer, weil es der Lehrerin dort zu laut ist, um sich ausreichend zu konzentrieren. Herr Lummer gibt in diesem Kontext zu bedenken, dass er vermutet, dass dieses Lehrerzimmer „zum großen Prozentteil für private Gespräche“ während der Pausen genutzt wird. Insofern ist das Lehrerzimmer nicht nur ein Arbeitsraum, sondern auch ein Ort der Begegnung und der explizit (auch) nichtdienstlichen Kommunikation zwischen den Lehrkräften. Die allgemeine positive Relevanz dieser Kommunikation unterstreicht er mit dem Hinweis, dass das „gut und wichtig“ sei.

Herr Conradi fährt fort, dass das Lehrerzimmer ein „Multifunktionsraum“ sei, d. h., es wird für unterschiedlichste Zwecke genutzt. Des Weiteren verifiziert er die Kritik von Frau Begel dahingehend, dass die vier Computer im Lehrerzimmer nur eingeschränkt als Arbeitsgeräte klassifiziert werden können. Man könne an diesen Geräten zwar kurze, zeitlich sehr begrenzte Aufgaben erledigen (z. B. etwas ausdrucken oder eine E-Mail verschicken), aber nicht längerfristig arbeiten, was von Frau Begel noch einmal bestätigt wird. Man könne stattdessen aber auf Lehrerzimmer ausweichen, die weniger frequentiert sind und ebenfalls mit Computern ausgestattet sind. Daher sei es nicht zulässig, wenn Lehrkräfte behaupteten, dass sie in der Schule nicht arbeiten könnten, da die verfügbaren Computer zu stark nachgefragt werden. Dass die Praxis des Arbeitens von beiden Lehrkräften aufs Engste mit dem Handeln am Computer verbunden wird, deutet auf deren eigene Vertrautheit mit und große Nähe zu dem Medium hin.

Zusammenfassung

Bezüglich der digitalen Medien nutzen alle drei Lehrkräfte vor allem E-Mail im Kontext ihrer schulisch relevanten Kommunikation. Ausschlaggebend für die Praxis ist insbesondere der deutliche Mehrwert gegenüber anderen Praktiken. Dieser resultiert insbesondere aus dem großen positiven Rationalisierungspotenzial der Praxis. Auch bei der Entscheidung für oder gegen die Nutzung anderer Medien sind Effizienz- und Rationalisierungskalküle von zentraler biografischer Relevanz für alle drei. Dazu kommt als weiterer Orientierungsaspekt, wenn auch weniger ausgeprägt, die wohltuende Charakteristik der E-Mail-Nutzung, die eine sinnliche Qualitätsdimension der Medienpraxis repräsentiert.

Für alle Gruppenmitglieder ist E-Mail auch ein etabliertes Medium der Kommunikation innerhalb der verschiedenen kollektiven schulorganisatorischen Zusammenhänge, in die sie eingebunden sind. Herr Lummer und Frau Begel setzen das Medium auch in Form von Mailinglisten zur Informationsbeschaffung ein, die in diesem Kontext hocheffektiv sind. Diese eröffnen neben einem äußerst niedrigschwelligen Zugang zu vielfältigen Informationen auch den Zutritt zu Fachöffentlichkeiten, die um ein Vielfaches größer sind als jene, deren Zugang primär an die Begegnung unter physisch Anwesenden oder die Weitergabe von Kommunikaten in papierbasierter Form (z. B. Fachzeitschriften) gebunden ist. E-Mail konstituiert außerdem einen positiven Gegenhorizont zu der Nutzung von Onlinesystemen wie dem SIS, die prinzipiell ebenfalls zur Weitergabe von Kommunikaten genutzt werden können. Die hohe biografische Relevanz von E-Mail hindert Herrn Lummer aber nicht daran, auch die physische Sammlung seiner Fachschaft regelmäßig zu nutzen, sodass die verschiedenen Medien gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Die Nutzung des SIS besitzt für Frau Begel und Herrn Conradi kaum (berufs-) biografische Relevanz. Vor allem aufgrund der mangelhaften Schul-Datenbank erweist sich die Nutzung von OrgaTec als beschwerlich, aufwendig, und damit als wenig zweckmäßig. Nur für Herrn Lummer scheint die Nutzung von OrgaTec eine etablierte Praxis zu sein, beschränkt allerdings auf wenige Anwendungsbereiche. Bezüglich der interpersonalen direkten Kommunikation arbeitet die Gruppe vor allem deren Grenzen heraus. Am kritischsten äußert sich Frau Begel. So ist es ihr zwar wichtig, in der Schule präsent zu sein, sie versucht, ihre Präsenz aber auf das notwendige Minimum zu reduzieren und meidet nicht klar zweckrational motivierte Face-to-Face-Kommunikation im Sinne von Small Talk. Insgesamt sind die räumlich vorgegebenen physischen Rahmenbedingungen der Kommunikation an der Waldschule ambivalent. So gibt es zwar zum einen viele Rückzugsmöglichkeiten (z. B. die Differenzierungsräume), die sich besonders gut für die interpersonale direkte Kommunikation eignen. Zum anderen bedarf die Anbahnung dieser Kommunikation aufgrund der Größe der Schule oft einiger Mühe und kann häufig nur unter Einsatz privater Medien (Mobiltelefone) effektiv erfolgen. Herr Lummer führt solche Schwierigkeiten auf das Fehlen gemeinsamer Arbeitsplätze entlang von Gruppenzugehörigkeiten (Fach oder Jahrgang) zurück, wie sie z. B. für Büroberufe typisch sind, und identifiziert das als ein Grundproblem der schulorganisatorischen Kommunikation. Denn ansonsten könnten die Lehrkräfte zumindest Teile ihrer Arbeitszeit gemeinsam verbringen und bedarfsweise im Modus der direkten interpersonalen Kommunikation interagieren.

Bezüglich der Diskursorganisation der Gruppendiskussion fällt auf, dass die drei Lehrkräfte, obwohl sie sogar alle demselben Jahrgang angehören, keinen gemeinsamen Orientierungsrahmen herausarbeiten. Die Diskursorganisation ist vielmehr parallelisierend, und auch gegenläufige Orientierungen stehen in der Gruppe gleichberechtigt nebeneinander.

 

Mit freundlicher Genehmigung des VS Verlages.

https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-03677-5_3

 

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