Besime Kacanik war zum Zeitpunkt des Interviews 20 Jahre alt und studierte das Lehramt an Gymnasien mit den Fächern Geschichte und Englisch im 5. Fachsemester. Sie wurde in einer Kleinstadt in Deutschland geboren und gehört zur sogenannten 2. Migrationsgeneration. Ihre Eltern flohen im Jahr 1994 aus dem Kosovo nach Deutschland. Die Eltern sprachen seit ihrer Geburt ausschließlich Albanisch mit Besime und ihren Geschwistern. Erst in der Grundschule lernte sie Deutsch:
„Meine Eltern haben zu Hause eigentlich ähm nur auf äh Albanisch mit mir gesprochen, also ausschließlich. Für die war es ja auch so, sie kannten ja auch gar kein Deutsch in in dem ähm Stadium und ähm ja, es war halt wohl behütet, ich habe kannte halt sozusagen eine Sprache. Natürlich war man jetzt durch ähm Medien auch mal mit Deutsch konfrontiert, aber auch eher wenig.“

Besime war eine sehr gute Schülerin trotz der Tatsache, dass sie erst in der Grundschule die deutsche Sprache lernte. Sie erhielt weder Nachhilfeunterricht noch einen besonderen Förderunterricht in Deutsch. Die rasante Entwicklung ihrer Sprachkenntnisse begründete sie mit einem großen Interesse am Lesen:
„[Ich] habe dann halt ganz ganz viel gelesen auch. Wir hatten damals eine äh Bibliotheks-AG in der Grundschule und dann gab es auch so einen Test, wo man ähm online Fragen über Bücher machen konnte, dann hatte ich auch den dritten Platz auch am Ende in der Vierten, war ich so ganz stolz auf mich selbst, dass das eben geklappt hat. Ähm genau, also Lesen war auf jeden Fall ein RIESEN Einfluss auf äh mein Deutsch, meine Deutschkenntnisse.“

Sie erinnerte sich an das Ende der Grundschule und die Entscheidung bezüglich des weiteren Bildungsweges folgendermaßen:
„Im ersten Halbjahr in der vierten Klasse hieß es noch Realschule, im zweiten Halbjahr hieß es vom Direktor auch noch, dass ich es auf keinen Fall schaffen könnte, also es war schon eine also in dem Moment, wie meine Eltern es mir erzählt haben, auch schon eine Stigmatisierung, also sie wird es auf jeden Fall nicht schaffen mit den Deutschkenntnissen, mit dem Stand wird sie es nicht hinbekommen. Also meine Klassenlehrerin hat sich halt damals ähm ganz, ja ganz doll für mich auch eingesetzt und meinte nein, also meine älteren beiden Schwest- äh Schwestern ähm sind auch auf dem Gymnasium, sind auch auf das Gymnasium gekommen und die haben es auch geschafft und die meinte auch, ich bin wahrscheinlich noch fleißiger und würde es auf jeden Fall schaffen. Sie hat sich da auch wirklich eben für eingesetzt ähm und hat es auch durchgekriegt, dass ich dann eben auf das Gymnasium gekommen bin.“

Schwierig gestaltete sich die Notenvergabe während ihrer Schulzeit. Besime erinnerte sich an Folgendes:
„Es gab halt viele ähm Kommentare von Schülern, dass man ähm besser behandelt wurde, vor allem im Deutschunterricht. Also wenn es jetzt um Notenvergabe ging, dann dann hieß es oftmals ja gut, äh gibt die jetzt nur die Note nur, weil du Ausländerin bist, also er bevorzugt dich einfach. Und das hatte ich oft, also vor allem im Deutschunterricht wurde das jetzt nicht äh natürlich nicht vom Lehrer jetzt gesagt, okay ich behandele dich jetzt besser, aber von den Schülern wurde das immer so empfunden und ich habe es auch immer vorgehalten bekommen, also dass meine Noten im Endeffekt nichts wert wären, weil die einfach nur gegeben wurden aus Mitleid oder aus Rücksichtnahme oder oder Ähnlichem. Also das hat mich dann schon am meisten gestör- also mehr gestört, als dass die Lehrer irgendwas getan hätten, also die Kommentare der Schülerinnen und Schüler äh Schüler, weil man weil einfach, dieser Aufwand, den man selbst getan hat, überhaupt nicht wertgeschätzt wird und man ja, man wird einfach oder man es wird einem einem einfach nur gesagt: Du hast das nur bekommen, weil du Ausländerin bist. So und ähm am Ende oder das hatte ich ja schon mal im Seminar erwähnt, hatte ich dann einfach nur eine Lehrerin DIE gesagt hat, dass ich mich auch einfach mehr anstrengen müsste, jetzt nicht wegen den Noten, ich hatte gute Noten in Erdkunde, aber bei Notenvergabe hieß es: In Zukunft musst du dich einfach mehr anstrengen als andere. Und dann hieß e- und dann wusste ich natürlich erst mal nichts damit anzufangen, aber im Endeffekt wusste man worauf es hinauslief, weil es an den Noten nicht gelegen ha- hat. Also ich mein, ich war eine, auch mündlich und schriftlich in Erdkunde, eine mit der Besseren und DENNOCH sich mehr anstrengen zu müssen, war für mich in dem Moment einfach nur unklar und ein bisschen frustrierend. Also dass das, was man schon gebracht hat, immer noch nicht genug ist, also das war schon einfach nur äh frustrierend zu der Zeit.“

Besime erlangte im Jahr 2014 ihre Hochschulreife:
„[Ich] stand dann am Ende auch mit einem Schnitt von 1,7 halt mit einer der Besseren jetzt aus der Schule und ja, da dachte ich halt wieder an den Direktor zurück ne, der da meinte ich könnte es nicht schaffen.“

Im gleichen Jahr nahm sie an der Universität ein Lehramtsstudium auf. Die Befragte berichtete von ihren Erfahrungen, die sie im Rahmen eines Schulpraktikums machte, und erwähnte Folgendes:
„Ich finde auch, dass ähm vor allem die Schüler oder Schülerinnen mit Migrationshintergrund einen, mich zum Beispiel oder meine Partnerin ist auch aus dem Ausland, ist auch also aus der Türkei ist sie und dass man uns schon ähm bisschen als Vorbild gesehen hat. Also man hat uns gefragt: Wo kommt ihr her? Ach und jetzt macht ihr Lehramt, oh mhm. Ne, also sind schon neugierig und staunen auch schon und vielleicht geht das ja auch als Vorbildfunktion, dass sie es auch schaffen können, dass da jetzt die Herkunft nicht unbedingt ein Hindernis sein muss.“

Die Studentin betonte, dass ihr das Erlernen weiterer Sprachen – Englisch, Französisch und Spanisch – auf Grundlage des Albanischen und Deutschen leichtfiel:
„Also die Tatsache, dass ich halt mit zwei Sprachen aufgewachsen bin, zwar nacheinander aber dennoch, ähm hat mir auf jeden Fall Einiges gebracht für den Sprachenerwerb. Also ich habe viele Parallelen gesehen, viele gleiche Vokabeln ähm, die ich einfach konnte, ich musste die jetzt nicht nochmal extra lernen und da fiel mir auf jeden Fall das Sprachenlernen tatsächlich leichter.“

Trotz der Vorteile, die sie beim Sprachenlernen hatte, war Besime sehr unsicher, was den Einsatz des Albanischen in der späteren Berufspraxis angeht:
„Also ich wüsste jetzt auch nicht, wie ich mein Albanisch jetzt in der Schule ähm wirklich anwenden soll, das wäre mir jetzt überhaupt nicht klar, außer dass ich jetzt die Namen besser ausspreche. Also, aber ansonsten habe ich, also sehe ich da jetzt kein Einsatzmö- keine Einsatzmöglichkeit die Sprache da jetzt wirklich anzuwenden um ehrlich zu sein, nein.“

Sie argumentierte folgendermaßen:
„Für mich ist es halt keine Besonderheit, dass ich jetzt mehrsprachig bin. Also i- ich kann zwar eine andere Sprache, aber ich muss das nicht in jedem Seminar erwähnen oder vorhalten oder sagen: Ich kann es besser oder et cetera. Für mich ist es halt so eine Sache für mich und ich habe Vorteile daraus und die sehe ich auch und ja, aber aktiv damit jetzt auseinandersetzen tue ich nicht. […] Meine Muttersprache ist halt […] eher so, so eine private Sprache, wie ich es immer nenne. Also das ist wirklich immer zu Hause, hinter geschlossenen Türen, gerne mal im Vermisch mit Deutsch-Albanisch.“

Besime besuchte das Projektseminar „Interkulturelle Kompetenzen und Mehrsprachigkeit als Ressourcen für den Lehrberuf“ im Wintersemester 2016/2017 und berichtete folgendermaßen über ihre Motivation:
„Also mich hat natürlich diese Mehrsprachigkeit angesprochen, weil ich selbst Teil davon bin sozusagen und eben das als Ressource zu sehen, das habe ich halt noch nicht gesehen. Also für mich war das einfach ein eine eine persönliche Sache, die war für mich halt von Vorteil. Ähm sehe ich auch immer noch von Vorteil ähm, aber ich habe mich halt nie damit auseinandergesetzt, was es denn für den Lehrberuf ähm ha- für Vorteile haben könnte und gerade das Wort Ressource für den Lehrerberuf hat mich so ähm ja, so angesprochen einfach, mal zu sehen: Okay, was kann ich denn daraus machen?“