Hinweis – der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:
- Metasprachliches Bewusstsein und Sprachspiele
- Interaktion zwischen den Kindern und der Beobachterin
- Umgang mit Verletzungen der sprachlichen Norm
- Bewältigungsstrategien bei Sprachschwierigkeiten
- Selbstwahrnehmung über sprachliches (Nicht-) Wissen
Falldarstellung
Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll vom 1. Februar 2007
An einem Morgen, Anfang Februar, begleitet Mateius Mutter ihren Sohn bis zu seinem Platz und unterhält sich vor Unterrichtsbeginn mit Francesca auf Italienisch. Danach wendet sich die Mutter wieder Mateiu zu und fragt ihn auf Deutsch, in welcher Sprache er sich mit dem italienischen Mädchen unterhält. Mateiu antwortet: „Deutsch.“
Anscheinend spricht Mateiu neben dem noch etwas gebrochenen Deutsch sowohl Rumänisch als auch Italienisch. Seine Antwort auf die Frage nach der Sprache zwischen Francesca und ihm ist ,Deutsch’ – eine Sprache, die für beide Kinder eine Fremdsprache ist. Eine Begründung für ihr Vorgehen könnte darin liegen, dass die Verkehrssprache in der Klasse Deutsch ist und es für die Kinder daher selbstverständlich scheint, auch Gespräche untereinander auf Deutsch zu führen, obwohl sie in der Lage wären, auch in anderen Sprachen zu kommunizieren.
Ein weiteres Beispiel zeigte sich im Umgang mit dem Mathematikbuch: Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll vom 18. Januar 2007
Kaplan blickt auf sein Mathebuch „primo 1“, stupst dann seinen Sitznachbarn David leicht am Oberarm an und zeigt auf ein kleines Feld auf der Seite 18. „Ey, hier steht Türkisch!“, versucht er David zu vermitteln. Als David keine Reaktion auf seine Aussage zeigt, wendet sich Kaplan ab und sagt nichts mehr.
Die mehrsprachige Zahlentafel mit den Zahlsymbolen von 1 bis 10 und den dazugehörigen Zahlwörtern auf Englisch, Türkisch und Italienisch ist scheinbar in der vorangegangenen Unterrichtseinheit nicht thematisiert worden. Auch bei der Besprechung der Aufgaben wird dies nicht zur Kenntnis genommen und von keinem der mehrsprachigen Kinder für alle Beteiligten ins Spiel gebracht. Lediglich Kaplan bemerkt die Zahlwörter in seiner Herkunftssprache. Der Erstklässler muss demzufolge in seiner Erstsprache bereits alphabetisiert sein, um die Wörter lesen und der türkischen Sprache zuordnen zu können. Seine Entdeckung wird jedoch von seinem Mitschüler ignoriert, sodass der türkischsprachige Kaplan nicht weiter auf die Zahlentafel eingeht und sich anscheinend enttäuscht abwendet.
Obwohl im Schulbuch auf Schülerinnen mit anderen Herkunftssprachen eingegangen wird, bleibt dieses Phänomen in der Klasse unberücksichtigt. Der monolingual ausgerichtete Unterricht scheint keine anderen Sprachen zuzulassen. Dabei bietet es sich insbesondere aufgrund des Buches an, die Zahlen in den Sprachen der Schülerinnen zu besprechen. Es können Graphemkorrespondenzen der Zahlwörter besprochen, Parallelen zum Aufbau der Zahlen gezogen (z.B. wie die Zahlen nach dem Zehnerübertritt aufgebaut sind) und die Grundzahlen bis zehn, beispielsweise, in den anderen Sprachen gelernt werden. Letzterer Vorschlag ermöglicht vielfältige Handlungsmöglichkeiten mit spielerischen Elementen: Bingospiele, Würfel- und Rechenspiele, Zahlenmemory, etc. Indem die deutsche Sprache kontrastiv zu anderen Sprachen gesetzt wird, können Sprachbesonderheiten bewusst gemacht werden. Zudem wird durch einen regelmäßigen Einbezug Mehrsprachigkeit zur Normalität und jedes Kind wird in seinem „Spezialgebiet“ einmal angesprochen, sodass es dadurch in seiner Persönlichkeit gestärkt werden kann.
Mit freundlicher Genehmigung des Schneider Verlages.
http://www.paedagogik.de/index.php?m=wd&wid=2196
Nutzungsbedingungen:
Das vorliegende Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, bzw. nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt – es darf nicht für öffentliche und/oder kommerzielle Zwecke außerhalb der Lehre vervielfältigt, bzw. vertrieben oder aufgeführt werden. Kopien dieses Dokuments müssen immer mit allen Urheberrechtshinweisen und Quellenangaben versehen bleiben. Mit der Nutzung des Dokuments werden keine Eigentumsrechte übertragen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an.