Hinweis – der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

Falldarstellung

Interpretation

In diesem Gesprächsauszug aus einer Gruppendiskussion wird eine intensive Auseinandersetzung wiedergegeben. Das Mädchen, das ein ägyptisches Wandbild hergestellt hat, behauptet, dass sich auf diesem Bild zwei Brüder um eine Frau streiten und daher zornig aufeinander sind. Doch diese Frau ist auf dem Wandbild noch gar nicht zu sehen. Dennoch sei nach Auffassung des Mädchens auf dem Bild der Streit zweier Brüder um eine Frau das Thema. Sie habe einmal eine Geschichte aus Ägypten gelesen, in der es auch um einen solchen Streit gegangen sei. Jetzt käme es nur noch darauf an, das Bild zu Ende zu malen. Indem das Mädchen sich fragt, welche Geschichte das Bild erzählt, deutet sie das Bild ikonografisch. Dabei bezieht sie sich einerseits auf eine ihr bekannte Geschichte, die wie das Wandbild aus der fremden Kultur Ägyptens stammt; andererseits stellt sie einen Bezug auf ein universelles und ihr vertrautes Lebensthema her: den Streit zweier Männer um eine Frau. Indem das Mädchen eine gelesene Geschichte und das ihr bekannte Lebensthema auf die Darstellung des Bildes bezieht, macht sie sich die noch nicht zu Ende gemalte pikturale Handlung verständlich. Auf die Nachfrage des Interviewers nach der im Bild fehlenden Frau empfindet das Mädchen den unvollendeten Charakter ihres Bildes deutlich. Sie macht die ihr bislang wegen einer Erkrankung fehlende Zeit verantwortlich und weist darauf hin, dass sie diese Figur noch in das Bild einfügen werde.

Die Szene macht deutlich, wie stark sich die verbalen Bilder der von dem Mädchen gelesenen Geschichte mit dem Bild des abgemalten ägyptischen Wandbildes überlagern. Deshalb besteht das Mädchen auch darauf, dass die Hauptfigur des Bildes, die umstrittene Frau, noch in jedem Fall in das Bild eingefügt werden müsse, damit dieses vollständig sei und der erzählten Geschichte entspräche. Der Gesprächsausschnitt macht deutlich, wie sehr das Mädchen in dem von ihr gemalten Bild den Sinn einer von ihr gelesenen Geschichte finden möchte, der es ihr ermöglicht, das Bild in ihre Lebenswelt einzuordnen. In dem Gesprächsausschnitt wird sichtbar, inwieweit Bilder und Geschichten aus fremden Kulturen dazu einladen, Vorstellungen aus dem individuellen und kollektiven Imaginären auf sie zu projizieren und sie dadurch der Dynamik der eigenen Bilderwelt anzupassen (Hüppauf/Wulf 2006). Durch die Arbeit an dem Bild kann das Thema des Begehrtwerdens, das Bedrohung und Verheißung zugleich ist, gestaltet werden.

Transkriptionszeichen

└ – Beginn einer Überlappung bzw. direkter Anschluss beim Sprecherwechsel

(.) – kurzes Absetzen während des Sprechens

(3) – Pause während des Sprechens. Die Zahl zeigt die Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert

ja – betont

. – stark sinkende Intonation

; – schwach sinkende Intonation

, – schwach steigende Intonation

nei::n – Dehung, die Häufigkeit vom : entspricht der Länge der Dehung

Literatuangabe:

Hüppauf, Bernd; Wulf, Christoph (Hrsg.) (2006): Bild und Einbildungskraft. München

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