Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten
1. Ampel (1)
Die Ampel ist eine Magnettafel, auf der, ähnlich einer richtigen Verkehrsampel, drei große Kreise in rot, gelb und grün aufgemalt sind. Alle Namen der Kinder stehen auf kleinen mit Magneten versehenen Schildern und sind zunächst immer auf dem grünen Feld. Verstößt ein Kind gegen die Klassenregeln oder hört nicht auf die Anweisungen der Lehrerin, wird bei kleineren Vergehen zunächst mit der Ampel gedroht. Sollte das Kind dennoch wieder auffällig werden, wird es von der Klassenlehrerin auf das gelbe Feld versetzt. Wiederholen sich Ermahnungen der Lehrerin, weil das Kind weiterhin negativ auffällt, so wird es auf Rot versetzt. Ist ein Kind innerhalb einer Woche dreimal auf dem roten Feld bedeutet dies, dass die Klassenlehrerin einen vorgedruckten Brief auf rotem Papier an die Eltern mitgibt. Auf diesem Brief wird festgehalten, wodurch das Kind negativ aufgefallen ist. Dies ist allerdings in der von mir beobachteten Zeit nicht geschehen. Die Kinder, die auf dem roten Feld der Ampel sind, haben die Möglichkeit bis zum Ende des Schultags, durch besonders gutes Benehmen wieder auf das gelbe Feld zurückzugelangen. Kinder, die es bis zum Ende des Tages geschafft haben auf dem grünen Feld zu bleiben, bekommen als Belohnung einen kleinen Stern aus Pappe. Kinder die fünf Sterne gesammelt habe, dürfen sich etwas für diese Sterne aussuchen. Es gibt die Möglichkeiten einen Gutschein „Hausaufgaben frei“ oder für ein Spiel in der Klasse zu bekommen, sich einen Brief an die Eltern zu wünschen oder sich etwas aus einem Sack mit kleinen Überraschungen auszusuchen.
Durch das Belohnungssystem haben die Kinder vor allem im positiven Sinne einen Anreiz sich an die Regeln der Klasse zu halten und bekommen direkt angezeigt, wenn sie ihr Verhalten ändern müssen. Es ist aber nicht so, dass ihnen sobald sie auf dem roten Feld sind, eine Strafe droht. Sie haben immer noch die Möglichkeit sich am gleichen Tag zu bessern und wieder vom roten Feld auf das gelbe zu wechseln. Im Gegensatz zum Anschreiben von Namen der Kinder, die gegen die Klassenregeln verstoßen haben, bietet die Ampel durch das grüne Feld die Möglichkeit auch die Kinder anzuzeigen, die sich gut verhalten haben.
1.1 Einführung
Die Ampel wurde für die ganze Eingangsklasse zur gleichen Zeit eingeführt. Die Zweitklässler kannten aber zu diesem Zeitpunkt das Belohnungssystem bereits aus dem vergangenen Schuljahr. Die Kinder konnten zunächst Vermutungen aufstellen, was die Ampel bedeutet, anschließend erklärte die Klassenlehrerin ihnen diese. Aus den Erklärungen der Kinder kann man entnehmen, dass das Prinzip für sie recht einleuchtend und selbsterklärend ist.
Die Kinder beugen sich in die Mitte über die Ampel und sagen „Cool“ und „Ahh“. Frau J. fragt, welches der Kinder eine Idee habe, warum sie die Ampel in die Schule gebracht hat. Celine schlägt vor „Grün ist gut und Rot ist schlecht.“, Lisa meint „Erst ist man auf Gelb und dann auf Rot.“ Frau J. gibt den beiden recht und erinnert die Zweitklässler, dass sie das Prinzip schon kennen. Im letzten Schuljahr wurden Schüler, die gegen eine Klassenregel verstoßen hatten, an die Tafel geschrieben, und für weiteres Fehlverhalten Striche gemacht. Sie meint, dass sie nicht ständig schreiben wolle und sich deshalb in den Ferien die Ampel ausgedacht habe. Sie erklärt, dass Kinder, die stören, auf das gelbe Feld kommen und Kinder, die mehrmals stören, auf das rote Feld kommen. „Wir machen das wieder mit den Sternen; wenn man es schafft, den ganzen Tag auf Grün zu bleiben, erhält man einen Stern.“ (…) Kinder, die fünf Sterne gesammelt haben, dürfen sich etwas aussuchen. Sie haben die Wahl zwischen einem Gutschein für „Hausaufgaben frei“ oder für ein Spiel, einem Brief an die Eltern, in dem steht, was sie alles gut gemacht haben oder sie dürfen in einen Sack mit kleinen Geschenken greifen. Die Kinder jubeln leise und freuen sich. Kinder die dreimal auf Rot gekommen sind, bekommen einen Brief nach Hause, erklärt Frau J. weiter. Sie zeigt ihnen ein rotes Blatt mit einem vorgefassten Brief. Einige Kinder schauen kurz erschrocken, zwar etwas gekünstelt aber dennoch auch ernst gemeint.
Hier zeigt sich eine deutliche Begeisterung, abgesehen von der letzten Reaktion der Kinder, für diese Neuerung in der Klasse.
1.2 Entwicklung und Akzeptanz
Diese Begeisterung, soweit es die Belohnung angeht, hält zumindest bei den Zweitklässlern an. Diese freuen sich, wenn sie zum Ende des Schultages einen Stern bekommen, und fordern ihn, ebenso wie ihre Belohnung für fünf gesammelte Sterne, auch ein. Im folgenden Beispiel löst Merve ihre Sterne gegen ein Spiel für die ganze Klasse ein.
Anschließend geht Merve zu Frau J., sie will ihren Gutschein für ein Spiel einlösen, den sie sich für ihre Sterne ausgesucht hat. Sie scheint noch Sterne vom vorherigen Jahr zu haben, da erst seit drei Tagen wieder Sterne verteilt werden. Frau J. weist die anderen Kinder darauf hin, dass sie dank Merve nun ein Spiel spielen. Lisa und Michelle, die direkt neben Merve sitzen, umarmen sie.
Andererseits akzeptieren sie meist ohne Diskussion, wenn sie keinen Stern bekommen, weil sie sich schlecht benommen haben.
Einige Kinder erinnern Frau J. an die Sterne, Brian hat wohl behalten, dass er auf Gelb steht, und geht gar nicht erst zu Frau J., um sich einen zu holen.
Die Erstklässler scheinen sich der Ampel jedoch noch nicht so bewusst zu sein. Dies mag daran liegen, wie es die Klassenlehrerin bemerkte, dass sie aus Zeitmangel nicht jeden Tag mit den Sternen belohnt wurden und dies eher schnell und nebenbei geschah. Ich denke jedoch, auch wenn die Klassenlehrerin Gegenteiliges befürchtet, dass das Ampelsystem in den folgenden Wochen noch besser von ihnen angenommen wird. Natürlich nur in dem Fall, dass der Umgang mit der Ampel und den Belohnungen bewusster durchgeführt wird. Ein Vorteil könnte hierbei sein, wenn die beiden Klassen zur gleichen Zeit Schulschluss haben und die Erstklässler auf diese Weise die Begeisterung der Zweitklässler übernehmen.
Eine weitere Verbesserung wäre, wie sie die Klassenlehrerin eigentlich auch durchführen wollte, wenn am Ende des Tages noch einmal über die Gründe gesprochen würde, warum ein Kind auf Grün geblieben ist und ein anderes vielleicht auf Rot steht.
Und ich wollte eigentlich mit denen auch darüber reden, immer, am Ende vom Tag. Warum? und Wie? und Was? Und das, das schafft man zeitlich (jetzt) im Moment nicht. Und das ist halt schade. (Interview Klassenlehrerin)
2. Folgerungen
Der Schulalltag in der Froschklasse wird vor allem durch Rituale und ritualisierte Handlungen gestaltet. Den täglichen Unterrichtsverlauf beeinflussen besonders die ritualisierten Handlungen. Regeln spielen in ihrer reinen Form keine große Rolle. Sie werden meist mit Hilfe von ritualisierten Handlungen umgesetzt und so bei ihrer Einhaltung unterstützt, wie zum Beispiel die Klassenregeln mit Hilfe der Ampel durchgesetzt werden.
In der Froschklasse gibt es hauptsächlich Rituale und ritualisierte Handlungen, die bewusst durch die Lehrerin eingeführt wurden bzw. die ganze Schule betreffen, wie die Einschulungsfeier und der Offene Anfang. Eine Ausnahme ist das Stillezeichen, dass durch die Kinder von der vorherigen Klassenlehrerin weiter getragen wurde. Es gibt ansonsten keine Rituale oder ritualisierte Handlungen, die durch die Kinder initiiert wurden.
Die Rituale, die sich in der Eingangsklasse finden, dienen vor allem der Förderung des Gemeinschaftsgefühls und zur Integration in die Gruppe, geben den einzelnen Kindern aber auch Möglichkeiten sich auszudrücken, wie beim Erzählkreis am Montag. Die ritualisierten Handlungen der Klasse, die eine entscheidende Rolle spielen, bieten den Kindern vor allem Struktur und Orientierung, wie sich am Beispiel des Tagesplans zeigt. Ebenso hilft die Ampel den Kindern dabei, sich zu orientieren, ob das gezeigte Verhalten angemessen war. Oft dienen die ritualisierten Handlungen als Arbeitserleichterung und zur Minimierung des Sprechanteils der Lehrerin, wie bei der Triangel und den Symbolkarten.
Die Vorteile die sich aus dem jahrgangsübergreifenden Unterricht ergeben können, wie Mayer dies beschreibt (Mayer 1994, S.227), sind in der Froschklasse kaum genutzt. Die Lehrerin übernimmt die Einführung der Rituale und lässt dies nicht über die Nachahmung der Zweitklässler geschehen. Hierfür liegen unter anderem zwei Probleme zugrunde. Zum Ersten haben die Erstklässler in den ersten Wochen einen unterschiedlichen Schulbeginn und zu einer anderen Zeit Schulschluss, als die Zweitklässler. So erleben sie, zumindest in den ersten Wochen, in der Klasse wichtige Rituale getrennt von den Zweitklässlern und es wäre schwierig diese dennoch mit der ganzen Klasse durchzuführen. Zum Zweiten ist die Größe der Klasse für jahrgangsübergreifenden Unterricht problematisch. Schwarz sieht die Grenze, bei der jahrgangsübergreifender Unterricht Vorteile bringt, bei zwanzig Kindern in einer Klasse (Schwarz 1994, S.77). Die Froschklasse jedoch hat 31 Kinder und zudem keine zweite Pädagogin, die diesen Umstand eventuell ausgleichen könnte.
Veränderungen, die von den Kindern vorgeschlagen werden, wie zum Beispiel die angepasste Zeile des Abschiedsspruchs, werden nicht immer angenommen. Dies liegt zum Teil daran, dass die Vorschläge der Kinder im Trubel des Schultages untergehen. Wichtige Veränderungen, wie eben die des Abschiedsspruches, werden von der Lehrerin angenommen.
Fußnoten:
(1) Die Rechte an den Fotografien unterlegen dem Urheberrecht der Autorin.
(2) Beobachtet wurde drei Wochen in der Eingangsklasse E b. Zudem wurde ein Interview mit der Klassenlehrerin geführt. Die Eingangsklasse E b, die Froschklasse, bestand am ersten Tag nach den Sommerferien aus neun Mädchen und fünf Jungen, die bereits im letzten Schuljahr diese Klasse besucht haben. Zusammen mit den Erstklässlern sind in der Klasse 16 Mädchen und 15 Jungen. Drei Kinder gehen regelmäßig in eine Gruppe für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache, welche die Schule für Kinder mit sehr geringen Deutschkenntnissen ab der zweiten Klasse anbietet.
Literaturangaben:
Mayer, Werner G. (1994): „Riten, Regeln, Rituale“. In: Kohls, Eckhard (Hrsg.): Grundbegriffe zur Erziehung, zum Lernen und Lehren in der Grundschule. Heinsberg: Agentur Dieck, S. 226-240.
Schwarz, Hermann (1994): Lebens- und Lernort Grundschule. Prinzipien und Formen der Grundschularbeit, Praxisbeispiele, Weiterentwicklungen. Frankfurt am Main: Cornelsen Scriptor (=Lehrer-Bücherei: Grundschule).
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