Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Zu dieser Falldarstellung gehört auch:

1.    Der Fall USA: Affirmation und bürokratische Rationalität

Im direkten Vergleich soll nun eine amerikanische Schulleiteransprache rekonstruiert werden, die in einem deutlichen Kontrast zum deutschen Fall steht. Die amerikanische Schulleiterrede, und darin zeigt sich bereits eine wesentliche Differenz in der Ausgestaltung des ersten Schultages, findet nicht im feierlichen Rahmen einer Einschulungsveranstaltung statt, sondern im Rahmen eines ersten Schultages im Wortsinne. Die Schulleiteransprache wird über eine Sprechanlage in die Klassenräume dieser pennsylvanischen Elementary School übertragen. Nicht nur die neuen Schüler, sondern alle Anwesenden (Kindergarten bis 5th grade) werden zumindest rein formal mit dieser Rede angesprochen.

Good morning our teachers and students.

Die Begrüßung durch die Schulleiterin über Lautsprecher zeugt von einer ausgesprochenen Hermetik des schulischen Binnenraums. Diese Hermetik kommt vor allem durch den Zugehörigkeitssprechakt our in der Adressierung der Lehrer und Schüler zum Ausdruck. Üblicherweise wird das Possessivpronomen unsere an Dritte gewandt verwendet: ,Unsere‘ Lehrer und Schüler haben im letzten Schuljahr die Initiative XY ins Leben gerufen. Dieser Satz würde sich, auch in Anwesenheit der betreffenden Lehrer und Schüler, an außen stehende Zuhörer richten und der Deklarierung von Zugehörigkeit nach Außen dienen. Für die vorliegende Begrüßung bedeutet das im Umkehrschluss, dass das hier mit einem Zugehörigkeitssprechakt nach Innen sich wendende Wir keinerlei Grenzen kennt, wenn es in der Deklaration von Zugehörigkeit zugleich auf jedes Außen verzichtet. Mit der Adressierung der Anwesenden als Zugehörige nach Innen erfolgt die Herstellung eines Wir. Eine Gemeinschaft wird dabei nicht lediglich imperativisch behauptet, sondern mit diesem konstitutiven Sprechakt gleichsam erzeugt. Die vergemeinschaftende Begrüßung folgt in ihrer Selbstreferentialität der Logik der Einschwörung der Zugehörigen. Zentral für diesen Sprechakt ist die nach innen gerichtete Erzeugung einer Gemeinschaft und nicht die Markierung einer Gemeinschaftszugehörigkeit nach außen.

Mit dem Verzicht auf eine Außenwelt ist jedoch nur eine Seite der Hermetik des schulischen Binnenraums gekennzeichnet. Diese Erscheinung betrifft andererseits auch die Individuen, die an der schulischen Praxis partizipieren. Die Rednerin existiert in dem Begrüßungssprechakt weder als Person noch als Sprecherin für eine vom Wir verschiedene Instanz, wenn diese Sequenz ausschließlich intern gebraucht wird. Die Rednerin ist nicht lediglich die Sprecherin dieses Gebildes, sondern sie verkörpert es. Zwischen ihr als Person und dem Wir, dem sie ihre Stimme leiht, kann nicht unterschieden werden. Das Gesagte würde sich in nichts ändern, wenn eine Lehrerin, eine Sekretärin oder ein Schüler diese Begrüßung über Lautsprecher ansagte. Folglich impliziert dieser Sprechakt den Verlust des Subjektstatus des Sprechers, der angesichts seiner Ununterscheidbarkeit vom Wir vollkommen in der Gemeinschaft aufgehoben ist. Auch die Adressierung der Lehrer und Schüler folgt diesem vereinnahmenden Duktus. Auffällig ist ihre Funktionalisierung für die Institution Schule, indem sie nicht als Kinder, Damen und Herren oder ähnliches angesprochen werden, sondern als schulische Rollenträger, als Lehrer und Schüler. Mit der sprachlichen Ineinssetzung von Lehrern und Schülern verzichtet die Schulleiterin auf die Möglichkeit einer kollegial begründeten Weglassung der Lehrer aus der Begrüßungsansprache. Sie zieht sogar beide Gruppen in die gleiche Klammer Good morning our teachers and students (nicht Good morning our teachers, good morning our students). So fehlt sprachlogisch jede Markierung einer Asymmetrie zwischen Lehrern und Schülern. Die Statusdifferenzen zwischen den Lehrern als dem Personal der Institution Schule und den Schülern als der Klientel des schulisch-pädagogischen Handelns werden folglich zugunsten des Wir eingeebnet. Beide Gruppen werden zwar differenziert benannt, sprachlogisch aber dem Wir untergeordnet und in ihm gleichgesetzt. Damit reproduziert sich die Fallstruktur eines übermächtigen Kollektivs, das in seiner Vergemeinschaftungsbewegung alle Differenzen – nach innen ebenso wie nach außen – tilgt.

Das Bild, das mit diesem Begrüßungssprechakt von Schule gezeichnet wird, ist ein ungewöhnliches. Eine mit den Worten Good morning our teachers and students eröffnete Schule ist eine Stätte der unbedingten und unhinterfragten Vergemeinschaftung. Dieser Sprechakt hat weniger den Charakter einer Begrüßung als den eines gemeinschaftserzeugenden Rituals. Die immanente Logik des Sprechaktes verweist auf die Möglichkeit einer täglichen Wiederholung dieser Worte, einer täglich aufs Neue symbolisch erzeugten schulischen Gemeinschaft. Dass jene ritualisierende Vergemeinschaftung allein das Innenleben des kollektiven Gebildes betrifft, zeigt einerseits, dass Zusammengehörigkeit ohne Ausschluss das Ziel des pädagogischen Handelns ist, dass zugleich aber auch die Exklusivität der konkreten Schulgemeinschaft unterlaufen wird. Es geht allem Anschein nach weniger um gelebte exklusive Zugehörigkeit als um Gemeinschaft als einem allgemeinem Prinzip. Die Zugehörigkeit als solche ist entscheidend, nicht die Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen Gebilde.1

Hinsichtlich der hier interessierenden Frage nach der Art und Weise der Eröffnung der schulischen Praxis kann als ein bemerkenswerter Befund festgehalten werden, dass bislang nichts in der Begrüßungsansprache darauf verweist, dass mit dieser Ansprache ein neues Schuljahr beginnt. Statt auf eine Begrüßung und eine Markierung des ersten Schultages stößt man auf eine vergemeinschaftende Ritualisierung, wobei die Sequenzialität des Gesagten diese rituelle Herstellung einer Gemeinschaft als das Vordringlichste, vordringlicher als eine Begrüßung der neuen Schüler, erscheinen lässt. Sollte der erste Schultag als solcher noch Erwähnung finden, dann wäre seine Bedeutsamkeit erst als nachträgliche eingeführt. Der Eröffnungssprechakt lässt eine Thematisierung dieser Art allerdings nicht erwarten, sondern legt für den Fortgang der Rede die Vermutung nahe, dass sich ein liturgischer Sprechakt anschließen könnte, vielleicht eine Losung oder ein Motto für den gerade beginnenden Tag.

I would like to take this opportunity

to welcome back all of the students to „Lincoln-Elementary“

and to welcome all of our new students.

Da die Gelegenheit, von der die Schulleiterin hier spricht, kontextuell lediglich darin besteht, dass sie in ihrem Büro auf den Knopf einer Sprechanlage drückt und dadurch von den Schülern und Lehrern in den jeweiligen Klassenräumen über die

dort angebrachten Lautsprecher gehört werden kann, kommt immanent nur die ritualisierte Vergemeinschaftung selbst als die in Rede stehende Gelegenheit infrage.

Im Sinne der gewählten Formulierung trägt das Ritual den Charakter des Notwendigen, während das nun Folgende als das Okkasionelle, eigentlich nicht hierhin gehörende angekündigt wird. Die erwartete liturgische Formel bleibt aus und zwingt zu dem Schluss, dass das Vergemeinschaftungsritual mit diesen Worten zu seinem Ende gelangt ist. Die Ankündigung des Nutzens einer Gelegenheit wirkt dadurch gleichsam wie ein Rollenwechsel. Die Rednerin scheint ihre Worte als Schleuse zu benutzen, die es ihr erlaubt, von der sakralen Sphäre des Rituals in die profane Welt des Institutionell-Schulischen hinüberzugelangen.

Durch die Ankündigung des Nutzens einer Gelegenheit werden rein äußerlich le-diglich zwei Begrüßungen voneinander abgegrenzt. Während es sich also auf der manifesten Ebene der Rede lediglich um eine Wiederholung der Begrüßung handelt, unterscheiden sich die beiden Begrüßungssprechakte auf der latenten, sinnstrukturellen Ebene elementar. Die zweite Begrüßung rückt ab von der hermetischen Einschwörung der Lehrer und Schüler im ersten Grußwort: die Sprecherin findet durch die Verwendung des Pronomens zu einem „Ich“ und erlangt so ihren Subjektstatus wieder. Die Begrüßung gilt nun auch nicht mehr einem undifferenzierten und unbestimmbaren Kollektiv, sondern anderen Subjekten (all of the students). Die Schüler werden nicht mehr nur in ritualisierter Alltäglichkeit begrüßt, sondern wieder in der Schule willkommen geheißen. Die Schulleiterin knüpft nun an eine frühere Praxis an und stellt auf diese Weise eine Verbindlichkeit her, für die in der Vergemeinschaftungssphäre kein Platz war.

Indem die Schulleiterin die Schüler in der Lincoln-Elementary willkommen heißt, wird die Zugehörigkeitsgemeinschaft, die im ersten Sprechakt mystifiziert wurde, nun fassbar und gibt sich zu erkennen als Schulgemeinschaft. Auch im zweiten Begrü-ßungssprechakt ist also Zugehörigkeit thematisch, insofern die Schüler nicht lediglich in der Schule, sondern in einer bestimmten Schule begrüßt werden. Damit findet das in Rede stehende Kollektiv zu Konturen und Grenzen. Die zuvor getilgten Differenzen werden aber nicht nur nach außen, sondern auch nach innen wieder kenntlich gemacht. So berücksichtigt die Schulleiterin im zweiten Begrüßungssprechakt die zuvor ebenfalls begrüßten Lehrer nicht mehr. Die Tatsache, dass die Lehrer bereits vor zwei Tagen zur Schule zurückgekehrt sind, um das back to school der Schüler vorzubereiten, wird nun auch sprachlich als Differenz zwischen Lehrern und Schülern realisiert.

Mit den beiden Begrüßungen sind zwei Sphären schulischen Handelns eingeführt, in denen jeweils unterschiedliche Orientierungen Geltung beanspruchen. Das hier interessierende Thema der Schuleröffnung spielt auf der sakralen Ebene des Rituals offensichtlich keine Rolle. Auf dieser Ebene gibt es nur die Gemeinschaft. Sie besteht außerhalb von Raum und Zeit – deshalb muss auf dieser Ebene nicht mit einer Wiederbegrüßung auf die zeitliche Unterbrechung reagiert werden und auch nicht auf die neue Zusammensetzung der Schülerschaft im gerade beginnenden Schuljahr. Auf der profanen Ebene des institutionellen Handelns hingegen ist das beginnende neue Schuljahr thematisch und die Deutung einer Rückkehr der Schüler zur Schule auffällig und bemerkenswert. Alle Schüler werden in der Lincoln-Elementary zurückbegrüßt. Jedoch kehren einerseits diejenigen Schüler, die im vergangenen Schuljahr die ältesten waren, am ersten Schultag eines neuen Schuljahres nicht wieder zur Schule zurück, andererseits entsteht am ersten Schultag ein ganzer Jahrgang aus neuen Schülern, die deshalb nicht zurückkehren können, weil sie erstmalig in der Schule anwesend sind. Beiden Fällen schenkt die Schulleiterin in ihrer Begrüßung keine Beachtung. Diese Sicht auf den ersten Schultag macht deutlich, dass der Schulanfang nicht als Übergang oder als Zäsur aufgefasst wird. Entscheidend ist die Rückkehr der Schüler zur Schule. Der Eintritt eines neuen Jahrgangs in die Institution wird vollkommen ausgeblendet und sprachlogisch bestritten, wenn all of the students als Rückkehrer adressiert werden. Der Schulanfang existiert damit weder als gesellschaftlich noch als schulisch bedeutsames Ereignis. In den Begrüßungsworten der Schulleiterin drückt sich aber nicht lediglich eine Deutungspräferenz aus, sondern es entsteht ein Widerspruch zum äußeren Kontext, insofern als die neuen Schüler schlicht nicht zurückkehren können.

Diese Unvereinbarkeit wird mit dem folgenden Sprechakt explizit thematisiert, wenn die Schulleiterin die neuen Schüler noch einmal gesondert begrüßt (and to welcome all of our new students). Sie löst den so entstandenen Widerspruch damit jedoch nicht auf, sondern hebt ihn lediglich auf die manifeste Ebene der Rede. Denn obwohl schon alle Schüler als Rückkehrer begrüßt wurden, werden die neuen nun noch gesondert bedacht. Dieser Widerspruch verweist auf ein Strukturproblem. Insofern alte und neue Schüler am Schuljahresbeginn begrüßt werden müssen, stellt eine segmentäre Adressierung immer ein Problem für eine kollektive und vergemeinschaftende Begrüßung dar, während andererseits eine kollektive Ansprache immer in Konflikt zu einer der Anfangssituation adäquaten Berücksichtigung der Schulneulinge geraten muss. Ein Bruch ist folglich zwingend. Die Frage danach, an welcher Stelle dieser Bruch für den „Fall“ hinnehmbar ist, wird vom deutschen Fall anders beantwortet als vom amerikanischen. So spricht sich die deutsche Einschulungsrede klar für die Deutung des ersten Schultages als einer Zäsur, den Beginn eines neuen Lebensabschnittes für die Schulanfänger aus, ohne dabei besondere Rücksicht auf die Rückkehrer zu nehmen. Die amerikanische Begrüßungsansprache legt im Gegensatz dazu das Gewicht auf die Rückkehrer. Zur Fallbesonderheit gehört zugleich, dass selbst die Neuankömmlinge als Rückkehrer (all of the students) und später mit der Hinnahme einer Inkonsistenz noch einmal als neue Schüler begrüßt werden. Jener nachträgliche Einschub macht darauf aufmerksam, dass in diesem amerikanischen Fall einer Begrüßungsrede nichts ferner liegt als die Deutung dieses Tages als einem Schulanfang. Die schulische Praxis beginnt nicht, sondern sie wird fortgesetzt. Diese Deutung verweist auf die Perspektive der Institution, während der deutsche Fall die Perspektive der eingeschulten Subjekte wählt. Auch dieser Unterschied in der Perspektive macht auf ein Strukturproblem aufmerksam. Die Frage nach Beginn oder Fortführung der schulischen Praxis ist eine Frage des Standortes. Für die Vertreter der Institution gehört der erste Schultag eines neuen Schuljahres in den Bereich des routinisierten Handelns. Jener Tag wiederholt sich Jahr für Jahr. Für die Schulneulinge hingegen handelt es sich um einen einmaligen Tag, insofern es für sie ein einmaliger erster Schultag ist.

We do have many new students in our building this year.

For those of you who do not know me

my name is Mrs. Miller

and I am going to be your principal for the school year.

Die Thematisierung der Tatsache, dass es in diesem Jahr viele neue Schüler sind, erscheint wie eine Rechtfertigung für die gesonderte Begrüßung der Schulneulinge, die ihnen anscheinend nur deshalb zuteil wird, weil in diesem Jahr außergewöhnlich viele von ihnen anwesend sind. Es geht offensichtlich nicht um Initiierung, nicht um den Übergang von Schulanfängern in die Institution Schule. Diese Sicht der Dinge, welche die der Subjekte wäre, ist vollkommen ausgeblendet. Dafür spricht auch die Formulierung many new students, mit der neue Schüler aus allen Klassenstufen angesprochen sind, so dass es explizit nicht um die Aufnahme neuer Erstklässler und Kindergarten students geht. Die Zahl neuer Schüler ist in diesem Jahr und also im Vergleich zu anderen Jahren besonders hoch. Hierin kommt erneut die Routine der Institution zum Ausdruck, die ihrerseits kein Auge für die Einmaligkeit des ersten Schultages für das einzelne Individuum hat. Die Rednerin vertritt als Schulleiterin folglich einzig die Perspektive der Institution und der schulischen Gemeinschaft, ohne sich aus pädagogischen Erwägungen heraus gleichzeitig in die Rolle der eingeschulten Subjekte versetzen zu wollen.

Die Schulleiterin stellt sich nicht wie angekündigt mit einem Namen vor, sondern mit einer Anrede, die sie sich damit als Namen zu Eigen macht. Im Rahmen einer Selbstvorstellung wird diese Anrede auf diese Weise zu einer Art „Titel“, der ein Garant für Rollenförmigkeit und rollenadäquate Distanz zu sein scheint. Eine Person, die sich auf diese Weise bekannt macht, steht nicht als Mensch und als ganze Person in Rede, sondern in ihrer Rolle als Mrs. Miller. Es ist nicht anzunehmen, dass sich Mrs. Miller einem neuen Nachbarn in derselben Weise vorstellt, in einer Situation also, in der sie nicht rollenförmig, sondern als ganze Person und dennoch mit einer gewissen distanten Höflichkeit agiert. Zugleich ist die Radikalität der in Anspruch genommenen Rollenförmigkeit in institutionellen Zusammenhängen außerhalb sozialisatorischer Handlungsräume kaum denkbar. In einem Vorstellungsgespräch der Schulleiterin bei der Schulverwaltung wäre dieser Sprechakt nicht sehr wahrscheinlich. Die Vorstellung der Schulleiterin bei den Schülern verweist demnach nicht nur auf eine für Institutionen charakteristische Rollenorientierung, sondern auf einen Überschuss an Rollenförmigkeit und Distanz.

Ihrem „Namen“ fügt die Schulleiterin noch die institutionelle Position hinzu. Be-merkenswert ist, dass sie sich dabei einer Futurkonstruktion bedient und ihr Schullei-terdasein zeitlich auf ein Schuljahr begrenzt. Obwohl sie den Posten bereits bekleidet, kündigt sie sich als zukünftige Schulleiterin an. Dieser Widerspruch verweist darauf, dass die Schulleiterin ihre berufliche Position nicht auf der Folie von beruflichem Status thematisiert, sondern auf der Folie einer Relation zwischen sich und den Schülern. Gemäß ihrem Sprechakt ist sie nicht die Vorsteherin einer Schule, sondern die Schulleiterin der adressierten Schüler (your principal). Die zeitliche Begrenzung for the school year gilt dementsprechend vermutlich nicht für die Berufsrolle als solche, sondern schränkt die angekündigte Sozialbeziehung ein. Das zukünftige Verhältnis zwischen Schulleiterin und Schülern ist demnach zeitlich und spezifisch begrenzt – zeitlich auf ein Jahr und spezifisch insofern, als es sich um ein Schuljahr handelt. Die doppelte Begrenztheit, die sich in dieser Ankündigung Ausdruck verschafft, entschärft folglich den Einfluss der Schulleiterin auf die ihr unterstellten Schüler und macht von Anfang an darauf aufmerksam, dass das beginnende Verhältnis zueinander endlich und auf schulische Zusammenhänge beschränkt ist. So wenig wie die Rolle Schulleiterin in diesem Sprechakt zu Status gerinnt, so wenig ist die Beziehung zwischen Schulleiterin und Schülern über das Schuljahr hinaus und außerhalb dieser Institution als ein Weisungsverhältnis festgeschrieben.

I will be around to each grade and each classroom to introduce myself.

Der Selbstvorstellung folgt die Ankündigung einer Selbstvorstellung. Die soeben stattgefundene Vorstellung unterscheidet sich von der in Aussicht gestellten dadurch, dass sich bisher nur eine Stimme aus dem Lautsprecher mit Namen und Rolle zu erkennen gegeben hat. Bei der angekündigten Vorstellung wird die Schulleiterin leibhaftig durch die Schule gehen und sich bekannt machen. Textimmanent mutet diese Ankündigung seltsam an. Da die Schulleiterin die Schüler zurückbegrüßt und sich denjenigen vorgestellt hat, die sie noch nicht kennen, kann daraus geschlossen werden, dass sie der Mehrheit der Angesprochenen bekannt ist und folglich nicht neu an der Schule sein kann. Auch ist auszuschließen, dass sie im vergangenen Jahr Lehrerin an jener Schule war und nun Schulleiterin geworden ist, da der Schulleiterberuf in den USA ein gegenüber dem Lehrerberuf eigenständiger ist. Sie will sich also persönlich vorstellen, obwohl sie dem Großteil der Schüler noch aus dem vergangenen Jahr bekannt sein müsste. Einen Anhaltpunkt für die Deutung dieses Sprechaktes liefert die Tatsache, dass sich die Rednerin im vorhergehenden Satz als Schulleiterin für die begrenzte Dauer eines Schuljahres vorstellt. Mit Eröffnung eines neuen Schuljahres muss anscheinend mit Hilfe einer Vorstellung der Anspruch auf die Position als Schulleiterin erneuert werden.

Teachers, I have one announcement

at recess time you will need to make sure

that the children uhm use the parking lot and the lower field.

They can not use the upper field where the antenna is still on the ground.

Die eigentliche Begrüßungshandlung ist mit der Ankündigung der persönlichen Selbstvorstellung zu einem Ende gelangt und die Schulleiterin fährt mit einer Bekanntmachung fort. Der Umstand, dass von one announcement die Rede ist, verweist auf die Alltäglichkeit der Lautsprecherdurchsage. Eine Besonderheit stellt nicht die Bekanntmachung an sich dar, sondern die Tatsache, dass es sich um nur eine Mitteilung handelt. Diese Mitteilung wird allerdings zunächst lediglich angekündigt, wodurch sich die Praxis der Lautsprecherdurchsage als die eines Weisungsverhältnisses zu erkennen gibt. Die Weisungsempfänger sind die Lehrer (teachers), wobei die Berufsrollenbezeichnung als Anrede dient, die, anders als in der deutschen Sprache, ohne einen entschärfend-distanzierenden Vorsatz (liebe Lehrer) auskommt. Eine solche Adressierung verweist nicht lediglich auf Berufsrollenförmigkeit, sondern auf die mit der Berufsrolle einhergehende Weisungsgebundenheit der Lehrer. Auffallend ist die Selbstverständlichkeit der hierarchischen Anweisung. An dem Ineinanderfließen von Mitteilung und Weisung zeigt sich, dass die Anweisung ohne jeden Versuch der Rücknahme oder der Milderung des Weisungscharakters auskommt. Die Schulleiterin bittet die ihr unter-stellten Lehrer nicht, etwas zu tun, sondern teilt ihnen mit, was sie zu tun haben. Dieser klare Anweisungscharakter der Äußerung ist umso überraschender, als die Klientel des Lehrerhandelns Zeuge der Anweisung wird. Die Schüler als diejenigen Personen in der Schule, die ihrerseits den Weisungen der Lehrer zu folgen haben, werden mit dieser Ansage der Schulleiterin Ohrenzeugen einer an die Lehrer ergehenden Anordnung. Die Geltung der Hierarchie zwischen Schulleiterin und Lehrern wird folglich für alle Beteiligten transparent gemacht. Diese Transparenz der Weisungsgebundenheit der Lehrer lässt die Autorität, die sie ihren Schülern gegenüber beanspruchen, in einem besonderen Licht erscheinen. Die Autorität des Lehrers kann unter den gegebenen Umständen nicht aus seiner Persönlichkeit fließen und sie kann insofern auch keine pädagogisch-charismatische sein. Die Quelle, aus der sich die Autorität der Lehrer gegenüber ihren Schülern speist, ist die gleiche, aus der die Schulleiterin ihre Autorität gegenüber den Lehrern bezieht: die Institution. Die Geltung der institutionellen Prinzipien und die Identifikation der schulischen Vertreter mit diesen Prinzipien kann die Klarheit und Unausweichlichkeit der Hierarchie erklären. Weil die institutionellen Anforderungen gelten und akzeptiert werden, können sie vermutlich so unumwunden eingefordert werden.

Mit der Fortsetzung der Bekanntmachung wird offensichtlich, dass die Mitteilung nicht lediglich eine Mitteilung sondern eine Weisung darstellt insofern, als nun von den Lehrern ein Handeln verlangt ist. Die Forderung eines Sicherstellens (make sure) verweist zunächst einmal auf einen rein technischen Kontext. Stellen Sie sicher, dass alle Türen und Fenster geschlossen sind, wenn Sie das Gebäude verlassen, so könnte ein Hausmeister angewiesen werden, dessen Aufgabe es ist, das Gebäude am Ende eines Tages als letzter zu verlassen und abzuschließen. Stellen Sie sicher, dass das Netzkabel des Gerätes nicht angeschlossen ist, bevor Sie … könnte in einer Gebrauchsanweisung stehen. Interessant ist dabei die gewählte Futurkonstruktion. Als Kontext für den Sprechakt Sie werden sicherstellen müssen (will need to make sure) wäre ein Sicherheitsservice vorstellbar, dessen Mitarbeiter vor einer Massenveranstaltung von ihrem Vorgesetzten mit dem Satz eingewiesen werden: Ihr werdet sicherstellen müssen, dass niemand hinter die Absperrung gelangt. Anders als in dem kontrastiven Sprechakt stellen Sie sicher, nimmt die tatsächliche Anweisung vorweg, dass ein von der Forderung abweichendes Verhalten von bestimmten Personen oder Personengruppen zu erwarten ist. Dieses Verhalten wird vorhergesehen und soll verhindert werden. Bezüglich eines schulisch-pädagogischen Handelns liegt mit dieser Fortführung des Satzes der Schulleiterin ein interessanter Fall vor. Die Anweisung über Lautsprecher an die Lehrer, deren Ohrenzeugen die Schüler werden, betrifft diese selbst. Die Lehrer sollen sicherstellen, dass die Schüler sich in einer bestimmten Weise verhalten. Die Schulleiterin wendet sich allerdings nicht an die Schüler, sondern erteilt stattdessen den Lehrern die Anweisung, entsprechend auf die Kinder einzuwirken. Dabei sind die Lehrer anders als in der Beispielgeschichte nicht dazu angehalten, ein bestimmtes Verhalten zu verhindern, sondern dazu, für ein bestimmtes Verhalten der Kinder zu sorgen. In der Mittagspause sollen die Lehrer sicherstellen, dass die Kinder verschiedene Bereiche des Schulgeländes nutzen. Sie werden sicherstellen müssen, dass der Patient von Zimmer 203 seine Medizin auch tatsächlich einnimmt, so könnte eine Oberschwester eine neue Kollegin bezüglich eines Patienten einweisen. Wird dieser Satz jedoch nicht in einer psychiatrischen Klinik, sondern in einem normalen Krankenhaus geäußert, würde ein erklärungsbedürftiger Fall einer herausgehoben-entgrenzenden Fürsorge vorliegen. Die Übergriffigkeit dieser Äußerung kann durch die Hausmeistergeschichte verdeutlicht werden, in der eine Anweisung des Hausmeisters mit den Worten Sie werden sicherstellen müssen, dass die Mitarbeiter ihre Türen und Fenster schließen, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlassen unvorstellbar ist. Der Sprechakt scheint nur durch eine besondere Fürsorgepflicht legitimierbar, die beispielsweise einem Patienten gegenüber gilt, dessen Autonomie und Selbstverantwortlichkeit sich insofern als eingeschränkt erwiesen hat, als sein Verhalten sein eigenes Wohl gefährdet. An seiner statt sind andere Personen damit betraut, quasi stellvertretend das gewünschte Verhalten sicherzustellen, bis die Autonomie des Patienten wiederhergestellt ist.

Im tatsächlich vorliegenden Fall eines schulisch-pädagogischen Handelns kann die Bedingung einer bestehenden Fürsorgepflicht insofern als erfüllt angenommen werden, als es sich bei den betreffenden Personen um Kinder handelt. Allerdings mutet die Anweisung, die Nutzung des Parkplatzes und des unteren Feldes durch die Kinder sicherzustellen, merkwürdig an. Entsprechend der Rekonstruktion des Sprechaktes anhand der gedankenexperimentellen Geschichten müsste die Nutzung dieser Bereiche des Schulgeländes zum Wohle der Kinder geschehen. Diese Anweisung wird im nächsten Sprechakt durch ein Verbot ergänzt (they can not use the upper field), das, wenn auch nicht in der Deutung der Rednerin, so doch im praktischen Sinne als die Grundlage der vorhergehenden Anweisung angesehen werden muss. In einem zweiten Schritt werden die Lehrer nun implizit dazu aufgefordert, zu verhindern, dass die Schüler das obere Feld nutzen. Dass die Kinder stattdessen auf dem Parkplatz spielen sollen, wird jedoch nicht als Notlösung verstanden, sondern affirmativ ins Positive gewendet. Die Schulleiterin nennt nicht zuerst die Einschränkung und dann die Ausweichlösung, sondern die Ausweichlösung als sequentiell vorgängige erscheint allein durch diesen Kunstgriff als reines Positivum. Das deutende Handeln der Schulleiterin passt sich damit auf eine interessante Weise den Umständen an, ohne die leiseste Kritik an ihnen zu üben. Im Gegenteil, die Affirmation an die gegebenen, objektiv einschränkenden Umstände erfährt sogar noch eine Steigerung, denn die offensichtliche Ausweichlösung (Parkplatz) wird als eine fürsorgliche, zum Wohle der Kinder vorgenommene Neuerung ausgelegt. Diese Umkehrung der Verhältnisse in der Deutung, die aus einer Einschränkung eine Wohltat macht, kann nur als eine vollkommene Bejahung des Daseienden, als reine Affirmation, verstanden werden. Die wohlwollende Deutung der Schulleiterin zeugt also von einer unverbrüchlichen Positivität und von einem uneingeschränkten Vertrauen in alles Bestehende.

Dieselbe Positivität und Unverbrüchlichkeit spiegelt sich als eine Grundhaltung auch in der Deutung des pädagogischen Handelns durch die Schulleiterin wider, und zwar einerseits in der Rationalität der verordneten Problemlösung, andererseits in der Transparenz der Anweisung für alle Beteiligten. Um beide Punkte verständlich zu

machen, hilft das Gedankenexperiment vom Patienten, der seine Medizin nicht freiwillig einnehmen will. Vom Patienten ist ein Verhalten zu erwarten, das nicht nur nicht zu seinem eigenen Wohle ist, sondern durch das er ernstlich zu Schaden kommen könnte. Die Krisenhaftigkeit der Lebensumstände, die zu einer solchen Verweigerungshaltung führt, findet keinerlei Niederschlag in der angewiesenen Problemlösung; die Krankenschwester soll unabhängig und in Absehung von den persönlichen Lebensumständen des Patienten technisch sicherstellen, dass er seine Medikamente einnimmt. Gesteigert wird die Rationalität der Problemlösung, die von krisenhafter Unvernunft nichts wissen will, noch durch die Transparenz der Anordnung. In Analogie zum Handeln der Schulleiterin müsste die Oberschwester die zuständige Schwester nicht unter vier Augen anweisen, sondern vor dem betreffenden Patienten: Sie werden sicherstellen müssen, dass Herr Michels seine Medizin auch einnimmt. Damit würde dem Verweigerer nicht nur das Vorgehen gegen sein unvernünftiges Handeln mitgeteilt. Auf diese Weise würde zugleich die Verweigerungshaltung selbst zu einer ausgesprochenen und rational verhandelbaren Tatsache. Sowohl aus der Rationalität als auch aus der Transparenz des Vorgehens spricht ein unverbrüchlicher Optimismus, der davon getragen ist, dass es sich bei dem Problem um ein vorübergehendes und durch ein bloßes technisches Sicherstellen durch die Krankenschwester lösbares handelt. Diese am Gedankenexperiment herausgearbeitete Rationalität und Transparenz leitet auch das pädagogische Handeln und Deuten der Schulleiterin. Die von ihr antizipierte kindliche Unvernunft wird ebenso behandelt wie die Verweigerungshaltung des Patienten. Dass Kinder unter Umständen nicht dazu in der Lage sind, die Gefährlichkeit bestimmter Situationen einzuschätzen und sich entsprechend zu verhalten, wird folglich nicht als strukturelles Problem eines Autonomiedefizits thematisiert, das vom pädagogischen Handeln dialektisch aufgelöst werden muss, sondern es wird zu einer bürokratisch-technischen Lösung gegriffen, indem die Lehrer zum Sicherstellen eines bestimmten Verhaltens der Schüler angehalten werden. Insofern wird das Problem und vor allem die Problemlösung als etwas gegenwärtiges, nicht als etwas in der Zukunft liegendes gedeutet.

Das Bemerkenswerte des schulisch-pädagogischen Handelns der Schulleiterin liegt darin, dass ein pädagogisches Problem als ein rational-bürokratisches thematisiert wird und die Schulleiterin entsprechend ihres Status eine rational-bürokratische Problemlösung in Form einer konkreten Handlungsanweisung an die Lehrer weitergibt. Nicht die Schulleiterin interagiert auf direktem Weg pädagogisch mit den Schülern, sondern sie ordnet das pädagogische Handeln an. Der Spielraum des pädagogischen Handelns der Lehrer wird so auf eine spezifische Weise beschnitten. Die Lehrer gelten einerseits als Ausführende der Schulleiteranweisung, wenngleich sie andererseits die Einhaltung der verordneten Problemlösung verantworten.

Secondly, teachers please be sure to review lunch numbers with each of your children

and uhm kindergarten and first grade, please make sure

that the children have their numbers with them when they come to lunch.

Auch in dieser zweiten Anweisung gibt sich die eben rekonstruierte Logik pädagogischen Handelns erneut zu erkennen. Bereits die erste Weisung forderte von den Lehrern eine Handlung, die in ihre Verantwortlichkeit gelegt wurde (you will need to make sure). Und auch die zweite Instruktion verlangt nicht lediglich eine bestimmte Handlung, sondern zuallererst die Verantwortlichkeit der Instruierten für dieselbe. Die Aufforderung lautet nicht, teachers, please review lunch numbers, sondern teachers, please be sure to review lunch numbers. Die von der Schulleiterin verwendete Formulierung lässt sich nur schwer ins Deutsche übersetzen. Wörtlich, seien sie sicher, dem Sinn nach vielleicht besser vergewissern Sie sich, dass Sie gemeinsam mit jedem ihrer Kinder die lunch number erneut überprüfen. Die Anweisung betrifft in jedem Fall nicht das bloße Tun als solches, sondern beinhaltet zugleich und vorrangig den Auftrag, dafür Sorge zu tragen, dass das Geforderte getan wird. Gleichwohl stellt eben jene Aufforderung die geforderte Selbstverantwortlichkeit zugleich in Frage. Anders als bei der ersten Anweisung verantworten die Lehrer nun nicht mehr primär das Verhalten der Schüler, sondern ihr eigenes. Die Anordnung, sich des eigenen Tuns zu vergewissern, impliziert die Kenntnis der Angewiesenen, so dass es sich bei dieser Aufforderung um eine Erinnerung der Lehrer handeln muss. Vergewissern sie sich, dass Sie Ihren Reisepass und Ihre Flugtickets eingepackt und griffbereit haben könnte auf der Checkliste stehen, die ein Reisebüro seinen Kunden als eine Art Erinnerungszettel mitgibt. Die erinnernde Aufforderung betrifft dennoch erneut das pädagogische Handeln der angewiesenen Lehrer, insofern sie mit jedem Kind die lunch number wiederholen sollen. Auch diese Anweisung rekurriert auf die Perspektive der Institution, denn ebenso wie bei der Rückbegrüßung geraten auch hier die Neuankömmlinge wieder aus dem Blick, die die Kenntnis ihrer lunch number deshalb nicht erneuern können, weil sie in eine entsprechende schulische Praxis einer Nummernvergabe noch nicht eingeweiht sind. Und auch diese zweite an die Lehrer ergehende Anweisung besticht durch ihre Transparenz. Nicht lediglich die angewiesenen Lehrer, sondern auch die zuhörenden Schüler sind durch diese Form der Ansage über die Notwendigkeit des Überprüfens der lunch number informiert. Damit erfährt jedes Kind, dass das Durchgehen der lunch number nicht nur seine Aufgabe, sondern die Aufgabe jedes Kindes in seiner Klasse und jedes Kindes in der Schule ist und dass die Aufgaben, die es zu erfüllen hat, allgemeine, für alle Kinder geltende Aufgaben sind.

Auffällig ist die Anrede kindergarten and first grade, wobei mit diesen genannten institutionellen Untereinheiten wieder die zuständigen Lehrer angesprochen zu sein scheinen, da sich das geforderte Handeln erneut auf die Kinder bezieht. Ebenso wie die Lehrer mit der Berufsbezeichnung (teacher) adressiert wurden, gereicht nun eine bürokratische Verwaltungseinheit zu einer Anrede der Lehrpersonen. Beide Formen der Adressierung verweisen auf die rein organisatorisch-institutionelle Perspektive, nach der die Lehrer in der Institution Schule Rolle und Funktion sind, ohne dass der Subjekthaftigkeit der in der Schule arbeitenden Personen in irgendeiner Weise Tribut gezollt wird. Der Anspruch der Institution auf ihre Subjekte ist ein totaler, insofern die Subjekte der Institution symbolisch vollkommen unterworfen sind. Dieselbe institutionelle Perspektive ist eingenommen, wenn von den neuen Schülern die erneute Überprüfung ihrer lunch number verlangt ist, ohne sie in eine Nummernvergabe je eingeweiht wurden. Auf die gleiche Weise wie die Schulneulinge zunächst als Rückkehrer und erst nachträglich als Neuankömmlinge begrüßt wurden, verfährt die Schulleiterin nun, wenn sie zuerst eine Überprüfung der lunch number von allen Schülern gleichermaßen verlangt, um dann in einem Nachtrag erneut eine Konzession an die Schüler der Anfangsklassen zu machen, dadurch, dass diese ihre Nummern beim Essen bei sich tragen sollen. Die eingenommene institutionelle Perspektive ist so stark, dass auf die Neuankömmlinge erst eingegangen werden kann, nachdem die Routine der Institution zu ihrem Recht gekommen ist.

Uhm, today is day one of our weekly schedule

and I hope everybody has a great day and a great school year.

Nach den Anweisungen der Lehrer via Lautsprecher erfolgt nun noch einmal ein thematischer Wechsel, der an den Beginn der Rede erinnert und an ihn anzuschließen scheint. Nach der rituellen Vergemeinschaftung Good morning our teachers and students war eine sakrale Formel, eine Losung für den beginnenden Tag erwartbar, die jedoch ausgeblieben ist. Diese liturgische Formel scheint die Schulleiterin nun am Ende der Rede nachzureichen, wenn sie die folgenden Worte mit einer an das beginnende Schuljahr gebundenen neuen „Zeitrechnung“ einleitet. In einem Reisetagebuch wäre eine solche Zählung erwartbar, allerdings würde dort eher vom ersten Tag (first day) und nicht vom Tag eins (day one) der Reise die Rede sein. Die Formulierung day one macht aus der Reise eine Mission, so dass ein naheliegender Kontext für eine solche Protokollierung ein Logbuch-Eintrag bei einer außergewöhnlichen Expedition, beispielsweise der Erstbesteigung eines Achttausenders oder einer Nordpolexpedition ist. Diese Art der Tageszählung findet sich folglich bei der Protokollierung von außergewöhnlichen Unternehmungen, die den Charakter eines bedeutsamen, ethisch aufgeladenen Auftrages haben. Im Kontext einer Schulleiteransprache am ersten Schultag erhält das schulische Handeln durch diese Formulierung den Charakter einer solchen ethisch herausragenden Unternehmung – einer Mission. Die textliche Rekonstruktion einer derart verfassten schulischen Praxis findet ein außertextliches Pendant darin, dass jede Schule beziehungsweise jeder Schulbezirk in den USA in der Tat einer „Mission“ verpflichtet ist. Das „Mission-Statement“ findet sich in der Schule angeschlagen, an herausgehobener Stelle auf der Homepage der Schule und des School District und in Schülerkalendern. Die Existenz einer schulischen Mission verweist auf eine Deutung, die das schulische Handeln zu einem außeralltäglichen, bedeutsamen, ethisch aufgeladenen und einem höheren Zweck verpflichteten macht. Mit dem Vorliegen einer Mission ist das schulische Handeln an ein Heilsversprechen geknüpft und zum Herbeiführen des Heils von höherer Stelle berufen. Da die Schulleiteransprache keine Auskunft über den Inhalt der Mission und das Wesen des Heilsversprechens macht, kann nur die sinnstrukturelle Verfasstheit des Schulischen als eine missionarische festgehalten werden. Allerdings beinhaltet die Formulierung day one of our weekly schedule als einen entscheidenden Aspekt, dass die schulische Mission sich nicht auf ein einmaliges Ereignis, eine außergewöhnliche Expedition bezieht, sondern auf das beginnende Schuljahr in seinem wöchentlichen Rhythmus. Die schulische Mission wird dadurch aber nicht ihrer Bedeutsamkeit beraubt, sondern im Gegenteil auf Dauer gestellt.

Während die ethisch herausgehobene Verpflichtung einer schulischen Mission sich auf ein Kollektiv bezieht, wenn vom ersten Tag eines gemeinsamen wöchentlichen Zeitplanes (our weekly schedule) die Rede ist, wünscht die Schulleiterin im Fortgang ihrer Rede jedem einen großartigen Tag und ein großartiges Schuljahr und beruft sich damit auf ein individuelles, selbstverantwortliches Handeln. Sie kann zu einem großartigen Tag und zu einem großartigen Schuljahr nichts beitragen, nur darauf hoffen. Die Unvereinbarkeit der beiden Sequenzen zwingt zu dem Schluss, dass hier wieder zwei verschiedene Sphären des Schulischen unverbunden nebeneinander stehen – die Sphäre eines kollektiven, außeralltäglichen, ethisch aufgeladenen Handelns und die Sphäre eines individuellen, alltäglichen und selbstverantwortlichen Handelns. Damit reproduziert sich die Fallstruktur der Begrüßung, die eine sakrale und eine profane Sphäre des schulischen Handelns konstituiert hat. Die mit dem ritualisierten Gruß Good morning our teachers and students erzeugte Gemeinschaft wäre fallimmanent der naheliegendste Kandidat für das auf die Mission verpflichtete Kollektiv. Oder anders: Das kollektive, einer Mission verpflichtete Handeln ist in der sakralen Sphäre der Gemeinschaft angesiedelt, während sich das individuelle und selbstverantwortliche Handeln in der profanen Sphäre der Institution findet.

2.    Das Modell pädagogischer Berufskulturen und seine professionalisierungstheoretischen Implikationen

(Die Falldarstellung knüpft an „Der Fall Deutschland“)

Bei einem Vergleich der beiden Schulleiteransprachen zum Anlass des ersten Schultages zeigt sich ein typologisch deutlicher Kontrast. Die für die deutsche Rede so charakteristischen widersprüchlichen Verwerfungen finden sich im amerikanischen Material nicht, sondern die Situation der Schuleröffnung in den USA zeichnet sich insbesondere auf der Folie der deutschen Befunde durch eine bemerkenswerte Konsistenz aus. Während in der deutschen Rede durchgängig ein Identifikationsproblem der Schulleiterin mit der Rolle als einer Vertreterin der Institution Schule virulent ist und ein Rechtfertigungs- und Legitimierungsproblem hinsichtlich der eröffneten schulischen Praxis die Begrüßungsansprache durchzieht, zeigt sich demgegenüber in der amerikanischen Rede eine klare und teilweise überbordende Identifikation der Rednerin mit der Institution Schule, die sie ohne jeden pädagogischen Zweifel vertritt. Die Bedingungen von Widersprüchlichkeit und Konsistenz des pädagogischen Handelns2 sind mit dieser kurzen vergleichenden Zusammenfassung im Prinzip schon benannt. Die widersprüchlichen Verwerfungen in der deutschen Einschulungsrede, die Fehlleistungen, die misslingende Begrüßung der Schulanfänger und ihre Adressierung in einem widersprüchlichen Zusammenspiel von Trost und Bedrohung, von Dramatisierung und Bagatellisierung lassen sich zurückführen auf ein Identifikationsproblem der Schulleiterin mit derjenigen Institution, die sie qua Berufsrolle vertritt. Die Konsistenz des pädagogischen Handelns im amerikanischen Datenmaterial hingegen speist sich aus der unkritischen Affirmation der Schulleiterin, die der Institution und ihren Prinzipien unbedingt und unhinterfragt zur Geltung verhilft. Aus der Perspektive der Rekonstruktion der amerikanischen Begrüßungsansprache lassen sich die Widersprüche im deutschen Datenmaterial folglich bestimmen als Verweigerung von Affirmation. Das pädagogische Handeln, wie es in der deutschen Einschulungsrede rekonstruiert wurde, steht in einer kritischen Distanz zur Institution Schule und ihren Prinzipien. Es folgt insofern nicht dem Modus der Anpassung, sondern dem Modus der Kritik.

Bezogen auf die professionalisierungstheoretische Diskussion, die im ersten Teil dieses Aufsatzes in ihren Hauptlinien kurz skizziert wurde, lassen sich auf der Grundlage der kulturvergleichenden Rekonstruktionen die Argumente neu ordnen. In beiden Begrüßungsansprachen werden Handlungsprobleme rekonstruierbar, die als allgemein oder konstitutiv angenommen werden können: erstens zeigt sich in beiden Ansprachen ein Vergemeinschaftungsproblem und zweitens ist ein Perspektivitätsproblem grundthematisch, das man in Anlehnung an Oevermann und Helsper durchaus als ein Problem der Vermittlung der Perspektiven von Subjekt und Institution bezeichnen könnte. Dieses Problem impliziert nun aber nicht zwangsläufig ein widersprüchlich-vermittelndes pädagogisches Handeln. Die amerikanische Schulleiterin nimmt, und das kennzeichnet den Modus der Affirmation, einseitig den Standpunkt der Institution ein. Das Subjekt kommt immer nur nachgeordnet in den Blick, immer erst, wenn die Institution zu ihrem Recht gekommen ist. Und ebenso wie Individuum und Institution nicht in Konflikt zueinander geraten, ebenso werden auch Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung nicht als gegensinnig konstellierte Prinzipien thematisch. Die Rekonstruktion der Begrüßungsansprache verweist auf eine klare Trennung der beiden Sphären. Die ritualisierte, vergemeinschaftende Begrüßung steht für sich und vor der Rückbegrüßung der Schüler in der konkreten Institution Schule, so dass Vergemeinschaftung als ein die Vergesellschaftung tragendes und sie ermöglichendes Prinzip verstanden werden kann. Das Modell einer notwendigen Vermittlung der konstitutiven widersprüchlichen Handlungsanforderungen wird mit der Rekonstruktion der amerikanischen Begrüßungsansprache folglich fragwürdig.

In der deutschen Rede, und darin zeigt sich ein deutlicher Kontrast, verweist der Versuch der gleichzeitigen Einnahme der Perspektiven von Subjekt und Institution (neue Schulkinder) weniger auf ein Vermittlungsmodell, sondern recht deutlich auf das von Wernet vorgeschlagene Entgrenzungsmodell und die damit einhergehenden Identifikationsprobleme der pädagogisch Handelnden mit der Institution Schule. Anders als die amerikanische Schulleiterin will ihre deutsche Kollegin die Institution Schule nicht unhinterfragt vertreten. Die Rekonstruktion der deutschen Schulleiteransprache verweist immer wieder auf ein Unbehagen an der Institution Schule und auf die Zweifel der schulischen Akteurin an den institutionellen Prinzipien. Der Versuch der Einnahme der Perspektive der eingeschulten Subjekte dient dabei nur als eine Möglichkeit der Distanzierung vom Standpunkt der Institution. Das nicht nur in dieser Einschulungsrede, sondern in den verschiedensten Protokollen der schulischen Praxis in Deutschland rekonstruierbare Identifikationsproblem erklärt Wernet im Rückgriff auf die Adornosche Figur von Delegation und Verleugnung. Die physische Gewalt, zu der Lehrer innerhalb der Institution Schule im Namen der gesellschaftlichen Reproduktion qua Berufsrolle verpflichtet sind, wird bestritten und, wo immer möglich, dementiert: „Diese physische Gewalt wird von der Gesellschaft delegiert und zugleich in den Delegierten verleugnet. Die, welche sie ausüben, sind Sündenböcke für die, welche die Anordnung treffen.“ (Adorno 1965: 663) Diese Figur wird vor allem aufschlussreich, wenn man sie professionalisierungstheoretisch diskutiert. Die Professionen beziehen ihre gesellschaftliche Sonderstellung, so argumentiert bereits die klassische Professionstheorie, insbesondere daraus, dass sie sich einer gesellschaftlichen und administrativen Kontrolle ebenso wie einer Kontrolle durch die kapitalistischen Marktmechanismen entziehen, so dass sich Professionen dadurch kennzeichnen lassen, dass sie gegenüber anderen Berufen ein besonderes Maß an Autonomie besitzen. Damit ist zugleich impliziert, dass Professionen sich sowohl kapitalistischen als auch politischen Verwertungsinteressen entziehen. „Professionen, so können wir zusammenfassen, stehen also in einem sie charakterisierenden Spannungsverhältnis zur Gesellschaft. Sie sind Träger und Widerlager der modernen Gesellschaft.“ (Wernet 2005: 140) Dieses elementare und zugleich konstitutive Charakteristikum von Professionen aber ist dem Lehrerberuf versagt. Die Institution Schule ist konstitutiv Reproduktionsinstanz und das schulisch-pädagogische Handeln ist unweigerlich der Träger des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses. Die rekonstruierbaren Widersprüche im deutschen Datenmaterial können als ein Ausdruck des Unbehagens an dieser Funktion des Lehrerberufs in der modernen Gesellschaft verstanden werden. Der Unwille der deutschen Schulleiterin, sich in die Rolle der Vertreterin dieser Institution Schule zu begeben, und die Rechtfertigungs- und Legitimierungsprobleme bei der Eröffnung der schulischen Praxis reproduzieren den Widerstand gegen die gesellschaftliche Reproduktionsforderung.

Dass damit kein allgemeines Modell pädagogischen Handelns in modernen Gesell-schaften gewonnen, sondern lediglich ein spezifischer Typus pädagogischen Handelns und Deutens rekonstruiert ist, darauf verweist die Analyse der amerikanischen Einschulungsrede. Pädagogisches Handeln lässt sich folglich nicht elementar über jene Widerständigkeit bestimmen, die sich im deutschen Datenmaterial im Phänomen der Widersprüchlichkeit systematisch einen Ausdruck verschafft. Der Vergleich der Rekonstruktionen der beiden Begrüßungsansprachen zum ersten Schultag verweist stattdessen auf die empirische Evidenz zweier kontrastiver Typen pädagogischen Handelns. Damit kann ein pädagogisches Handeln im Modus der Kritik empirisch die gleiche Geltung beanspruchen wie ein pädagogisches Handeln im Modus der Affirmation. Diese beiden Typen, und nicht zuletzt darin erweist sich ihre Persistenz, finden sich nicht nur in den verschiedensten Protokollen der pädagogischen Praxis, sondern sie lassen sich auch in den pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Reflexionen wiederfinden. Theodor Litt fasst die hier herausgearbeitete typologische Differenz von Affirmation und Kritik mit den der Sache nach vergleichbaren Orientierungen am „Seienden“ und am „Seinsollenden“. Auf deutsch-amerikanischen Tagungen der Nachkriegszeit empfindet Litt die grundlegende Differenz der deutschen und der amerikanischen Pädagogik in der Berufung auf jeweils einen der beiden gegensätzlichen Pole:

„Denn alles, was in diesen Aussprachen an grundsätzlichen Unterschieden hervor-trat, hatte, wie mir scheint, seine tiefste Wurzel in der auf der einen und der anderen Seite nicht so sehr ausdrücklich vorgenommenen wie stillschweigend vorausgesetzten Bestimmung des in Rede stehenden Grundverhältnisses. Dem angelsächsischen Erzieher ist es selbstverständlich, das, was dem erzieherischen Vorsatz gemäß ,sein soll‘, in dem, was bereits ,ist‘, angelegt und vorgezeichnet zu sehen, mithin das erzieherische Tun nur als das Hervorholen des im Gegebenen bereits Enthaltenen zu verstehen. Das Seinsollende liegt in der Linie des aus sich weiterwachsenden Seienden. Nicht umsonst ist ,Anpassung‘ ein Lieblingswort angelsächsischer Pädagogik. Wo Erziehung ihre Aufgabe darin sieht, den Zögling zur Anpassung fähig und willig zu machen, da wird die Leitlinie des erzieherischen Handelns von dem, woran er sich anpassen soll, mithin vom Seienden abgelesen. Deutschem Erziehungsdenken hingegen liegt nichts ferner,

als im Prinzip der Anpassung sei es die Richtschnur des Erziehenden sei es das Wesen des durch die Erziehung zu Erwirkenden zu erblicken. Im Gegenteil: bei uns entwickelt sich der pädagogische Gedanke in bewusster Abhebung von dem, was ist, oft in direktem Angriff auf das, was ist. Nicht selten gewinnt die pädagogische Forderung überhaupt erst ihr Profil in der Negation des Bestehenden. Erziehung versteht sich selbst als Bad der Erneuerung, als Macht der Überwindung, als Bringerin des Heils. Man sieht: es ist das ,Seinsollende‘, es ist die ideale Forderung, aus der deutsches Erziehertum seinen Auftrag herleitet.“ (Litt 1957: 6)

Die Orientierung der amerikanischen Pädagogik am Seienden, an einer Logik der Weitergabe und Anpassung der neuen Generation an das Bestehende kommt selbst noch in den reformpädagogischen Schriften zum Ausdruck: „Mit der fortschreitenden Entwicklung der Kultur erweitert sich die Kluft zwischen den ursprünglichen Fähigkeiten der Unreifen und den Normen und Sitten der Älteren. […] Es ist die Erziehung, die diese Kluft überbrückt – und nur die Erziehung. Das Bestehen der Gesellschaft ist genau so wie die Fortdauer des Lebens im biologischen Sinne von einem Vorgang der Weitergabe abhängig.“ (Dewey 1915: 17) Demgegenüber ist in Deutschland nicht nur in der reformpädagogischen, sondern auch in der professionalisierungstheoretischen Diskussion der Topos der „Unbestimmtheit“ allen erzieherischen Handelns auffällig, mit dem der Modus der Affirmation auch in der theoretischen Modellbildung verweigert wird. In der Idee eines Erziehungsprozesses mit ungewissem Ausgang ist immer auch die Hoffnung auf Emergenz enthalten und zugleich die aus den empirischen Rekonstruktionen bekannte Orientierung an einer Logik des Widerstandes oder zumindest einer Distanz zu den gesellschaftlichen Gegebenheiten.3 Die Hoffnung auf gesellschaftliche Erneuerung wird einerseits an das Kind, andererseits an den Erziehungsprozess geknüpft: „Der Pädagoge ist also der Strukturlogik seines Handelns nach Geburtshelfer im Prozess der Erzeugung des Neuen und nicht umgekehrt, wie im Nürnberger Trichtermodell, Agentur der Anpassung des neuen Lebens an das alte Wissen und die alten Normen“ (Oevermann 2002: 35).

Die kulturvergleichende Rekonstruktion zweier kontrastiver Typen pädagogischen Handelns und Deutens verweist darauf, dass es einer theoretischen Modellbildung bedarf, die sowohl Gemeinsamkeiten als auch typologische Differenzen des Pädagogischen innerhalb verschiedener Gesellschaften erklären kann. Die Befunde der vergleichenden Rekonstruktion der beiden Begrüßungsansprachen implizieren also statt eines allgemeinen Modells pädagogischen Handelns in modernen Gesellschaften, wie es auch die professionalisierungstheoretische Erklärung nahelegt, ein differenzierteres Modell, mit dem die Kulturspezifik pädagogischen Handelns und Deutens theoretisch gefasst werden kann. Beides, Gemeinsamkeit und kulturspezifische Differenz, würden durch ein Modell pädagogischer Berufskulturen erklärbar. In Anlehnung an den Habitusbegriff (vgl. Bourdieu 1970) können pädagogische Berufskulturen verstanden werden als habituelle Dispositionen, also verinnerlichte Muster von Gedanken, Vorstellungen, Wahrnehmungen und Überzeugungen pädagogisch Handelnder. Diese Berufskulturen weisen kulturunspezifische Gemeinsamkeiten auf, insofern sie, zumindest unter den Bedingungen der modernen Gesellschaft, vor bestimmte allgemeine Handlungsprobleme gestellt sind.

Als gemeinsame Handlungsprobleme in beiden Reden konnten sowohl das Vergemeinschaftungsproblem als auch das Problem der Vermittlung der Perspektiven von Subjekt und Institution herausgearbeitet werden. Zugleich verweisen die Rekonstruktionen der beiden Begrüßungsansprachen jedoch auch darauf, dass die Bearbeitungen dieser allgemeinen Handlungsprobleme typologische Differenzen aufweisen. Diese typologischen Differenzen können mit dem Modell pädagogischer Berufskulturen als kulturspezifische habituelle Dispositionen gefasst werden, die nicht lediglich eine Ausschmückung oder ein Beiwerk des pädagogischen Handelns und Deutens sind, sondern die selbst konstitutiv in pädagogisches Handeln und Deuten eingeschrieben zu sein scheinen. Darauf verweist die Systematik, mit der sich die beiden typologisch differenten Muster pädagogischen Handelns und Deutens einerseits im deutschen, andererseits im amerikanischen Material finden (vgl. Rademacher 2009).

Pädagogischem Handeln, darauf macht der Vergleich aufmerksam, ist ein Normativitätsproblem inhärent, durch das auch das Phänomen der Widersprüchlichkeit pädagogischen Handelns erklärbar wird. Das Eingespanntsein in den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess lässt sich berufsethisch nur rechtfertigen, wenn die pädagogische Berufskultur mit den Werten der Gesellschaft, die sie reproduziert, identifiziert ist. Dem pädagogischen Handeln in den USA bietet sich sowohl die Möglichkeit der Identifikation mit dem Leistungsuniversalismus der modernen Institution Schule („American way of life“) als auch mit der Schule als einer nationalen Reproduktionsinstanz („Pledge of Allegiance“4 ; „Making good Citizens“, vgl. Ravitch et al. 2001). Beide Identifikationsmöglichkeiten sind dem Lehrerhandeln in Deutschland erheblich erschwert (vgl. Elias 1989, Mann 1958). Mit seiner gesellschaftskritischen beruflichen Selbstverortung kann sich aber auch das pädagogische Handeln in Deutschland der Logik gesellschaftlicher Reproduktion nicht entziehen. Denn die gesellschaftskritische berufliche Selbstverortung des pädagogischen Handelns in Deutschland steht ebenso in Einklang mit ihrer nationalkulturellen Einbettung wie die amerikanische. Darauf verweisen sowohl die soziohistorisch-komparatistischen Analysen Talcott Parsons (1951) als auch diejenigen Richard Münchs (1993; vgl. auch Rademacher 2009). An die Stelle von Affirmation tritt im deutschen Lehrerhandeln eine Ambivalenz, wie sie Thomas Mann im Doktor Faustus als ein allgemeines Charakteristikum des Deutschen diagnostiziert: „Die Deutschen […] wollen immer eins und das andere“ (Mann 1947: 116). Die systematisch rekonstruierbaren widersprüchlichen Entgrenzungen verweisen darauf, dass pädagogisches Handeln in Deutschland Widerlager des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses sein will, indem es die in Schule institutionalisierten Prinzipien der modernen Gesellschaft zurückzunehmen versucht; sie verweisen aber auch darauf, und diese Gegenbewegung ist bemerkenswert, dass es in der Logik der Verschärfung der institutionalisierten Prinzipien auch der Träger dieses Reproduktionsprozesses sein will. Das zeigt sich nicht zuletzt in dem Ausrichten einer Einschulungsfeier.

Fußnoten:

(1) Hier ist man an Weber „Sektenaufsatz“ erinnert, in dem er dasselbe Phänomen für die Zugehörigkeit zu einer religiösen Glaubensgemeinschaft beschreibt (vgl. Weber 1906).

(2) Das gewählte Datenmaterial stellt für die Rekonstruktion pädagogischen Handelns m.E. einen interessanten Fall dar, insofern es genau auf der Schnittstelle von Handlungs- und Deutungsebene liegt. Am ersten Schultag sind die Schuleiter in der Regel dazu gezwungen, die an diesem Tag eröffnete schulische Praxis zu thematisieren. Da die schulische Praxis mit diesen Begrüßungsworten jedoch zugleich auch eröffnet wird, die Schüler also mit der Schulleiteransprache in der Schule willkommen geheißen werden, sind diese Ansprachen nicht lediglich auf der Deutungsebene angesiedelt, sondern zugleich auch ein Ausdruck pädagogischen Handelns. In den Begrüßungsansprachen verbindet sich folglich ein pädagogisches Handeln mit seiner Selbstdeutung.

(3) Erkennbar werden diese beiden differenten pädagogischen Deutungsmodi sogar noch in der Namensgebung von Schulen: Während deutsche Schulen in der Regel nach Dichtern, Gelehrten oder Widerstandskämpfern benannt werden, stehen in den USA häufig frühe Präsidenten, also die Gründungsväter der Nation, bei der Taufe Pate.

(4) Die „Pledge of Allegiance“ ist ein Schwur auf Fahne und Vaterland, der in den Schulen von 25 amerikanischen Bundesstaaten erwartet und in 6 weiteren Bundesstaaten empfohlen wird. Die „Pledge of Allegiance“ lautet: I pledge allegianceto the flag of the United States of America and to the Republic for which it stands, one Nation under God with Liberty and Justice for all.

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