C. und O. gehören beide zu den leistungsschwächsten Schülern der Klasse, wobei O. in fast jeder Unterrichtsstunde durch sein destruktives Verhalten auffällt und sich nur selten zur Mitarbeit motivieren lässt. Die Klassenlehrerin hat an diesem Mittwoch in der fünften Stunde eine freie Schreib- und Lesezeit angesetzt. Ich sitze gerade neben L., die in ihrem Lies-mal-Heft liest und meine Unterstützung einfordert. Sie liest jeweils eine Frage und entscheidet anschließend anhand der nebenstehenden Abbildung, ob diese mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden muss. In diesem Moment kommt O. vorbei und fragt mich, ob er mir wieder etwas vorlesen kann. Ich bin überrascht über diese eigenmotivierte, konstruktive Frage von O. und bitte ihn, sich ein Leseheft zu holen und schon einmal an seinem Platz mit Lesen zu beginnen, bis ich komme. Während der Junge sich das Heft „Lisa“ aus Graf Orthos Lesetruhe aussucht, macht C. folgenden Vorschlag: „O. kann sich doch mit an meinen Tisch setzen und dann lesen wir dir wieder abwechselnd etwas vor. Weißt du noch? So wie wir es schon einmal gemacht haben.“ Zum zweiten Mal innerhalb weniger Augenblicke bin ich überrascht. Beide greifen in ihrer Anfrage auf eine mehrere Wochen zurückliegende Situation zurück, als ich mit ihnen und einem dritten Schüler auf dem Flur saß und die Kinder mir abwechselnd einen einfachen Satz aus einem Leseheft vorgelesen hatten. Ich antworte dem Mädchen, dass ich diese Idee wirklich tolle finde, stelle einen Stuhl für O. direkt neben sie, hole den Jungen zu uns und setzte mich selbst über Eck. Beide Kinder lesen mir nun abwechselnd einen Satz aus ihren Heften vor, wobei sie jeweils unaufgefordert mitlesen, während der andere an der Reihe ist. C., die in den letzten Monaten gute Fortschritte im Lesen gemacht hat, unterstützt O. beim Zusammenziehen der Buchstaben und beim Verstehen des Gelesenen. Sie zeigt sich zudem sehr kreativ, indem sie bei der Frage „Hat der Hund einen Stock?“ ihr Kreuz nicht bei „nein“ setzt, sondern dem Hund in der nebenstehenden Abbildung einen Stock ins Maul malt, um anschließend „ja“ anzukreuzen. Das finden beide Kinder großartig und amüsieren sich gemeinsam darüber. Dann liest O. wieder einen Satz, während ihn C. unterstützt. In diesem Moment fordert ein anderes Kind meine Hilfe ein. Ich bitte die beiden, die gerade ein produktives Team sind, ohne mich weiterzulesen. Bevor ich sie verlasse, bitte ich O., der sehr dicht neben C. sitzt, etwas nach außen zu rutschen, damit beide genug Platz haben. Daraufhin protestiert das Mädchen, dass es kein bisschen zu eng ist und O. ruhig da sitzen bleiben kann. Der Junge bestätigt dies und sie wenden sich in unveränderter Position wieder ihren Leseheften zu.
(Studentin H_2_expansiv, Pos. 126-138)