Weitere Interpretationen:
Fälle aus gleicher Erhebung:
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Falldarstellung
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//heute ist der elfte . dritte sechsundneunzig . äh das folgende ist ein schülerinterview mit einer schülerin der . zehnten klasse . ja . wie ich dir bereits erzählt habe interessieren wir uns dafür wie dein leben bisher verlaufen ist .. erinnere dich bitte zurück . und erzähl einmal ruhig ausführlich . was dabei für dich bedeutsam ist .. ich werd erst einmal ruhig sein und dir zuhören// .. soll ich jetzt irgendwas über mein leben erzählen .. irgend n ereignis oder was . //na was für dich so bedeutsam war wenn de jetzt also . sozusagen .. wir ham ja och zeit . das son bißchen . revue passieren läßt also was war für dich so . bedeutsam . wenn de dir so überlegst ..// hm na jetzt auf die schule bezogen oder allgemein //so dein leben also so . abjekoppelt auch von der schule// .. hm wichtig für mich warn eigentlich immer früher so meine aktivitäten was ich so gemacht habe also . so ballett oder tanz //mhm// oder kung fu oder sowas . //mhm// weil ich . bin eigentlich en mensch der sich sehr viel bewegen muß . //hmm// und deshalb wars für mich och ne ziemliche umstellung in der
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schule eben so stillzusitzen und nich mehr nichts mehr zu machen (holt tief luft) und . naja . ich mach jetzt auch noch viele hobbys weil //hm// ich brauch sowas ich muß mich immer ablenken damit ich eben auch mal von der schule wegkomme nich immer nur zu Hause sitze und lerne weil .. das mach ich soundso sehr wenig . //ha// . naja und . ne umstellung war für mich eigentlich nach der wende auch die schule also das //hm// .. war schon n bißchen kraß weil ich hatte früher eigentlich fast nur einsen . und dann . im ersten schuljahr auch nur dreien und so also das war für mich schon en ziemlich harter schlag weil sowas war ich ja auch nich gewohnt .. naja und das hat sich dann irgendwie normalisiert wenn äh man sich an e system gewöhnt hat aber . am anfang wars schon ziemlich schwer sich da . umzugewöhnen . //hm .. hm . na und diese ähm . sportseite was de ja ehm am anfang stark betont hast also ähm . wie war das damals so un wie ging das dann so weiter . also// also angefangen hab ich mit fünf jahren mit ballett //hm// weil .
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ich hab mich schon immer so für tanzen intressiert und zu hause getanzt . und dann hab ich irgendwann mal zwischenzeitlich aufgehört weil da sollt ich auftritte machen hoppel poppel und da hatt ich noch en bißchen angst . und das hab ich dann aber später weitergemacht mit zwölf jahren . und da hat mich meine mutti immer dazu überredet mal zu kung fu zu gehen weil es doch mal gut wär sich . verteidigen zu können und so . das hab ich dann auch drei jahre gemacht un ich mußte aufhören wegen mein knien . un jetzt hab ich eben noch n andres . ähm noch n andres hobby und zwar tanz also richtig standard un latein //mhm// und klavierspielen und sowas . also was ich immer noch mit meinen knien machen kann weil ich kann jetzt auch kein sport mehr machen .. //hm . hm . un wie bist du so zu diesen . sportlichen . ja interessen gekommen also// na im fernsehen hab ich immer sowas gesehen wie die immer so //hm// mit ihren schönen kleidern getanzt ham und bei uns is ja hier . der a.-club . un da machen die ja sowas und da hab ich ehmt ma zugeschaut .. und . weil ich hab tanzstunden gemacht un da fand ich sowas ehmt
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sehr intressant so cha cha oder so zu tanzen . da bin ich ehm da mit hingegangen und . wurd ich da aufgenommen hab mir en tanzpartner gesucht . na seit dem tanz ich dann . //hm . und das ging weil du vorhin gesagt hast ab fünf jahre los// mhm //hm . da hast du praktisch schon . im fernsehen deine leidenschaft entdeckt oder beim zuschauen// hm //bei irgendwelchen tänzen// ich fand das immer mal schön irgendwas zu präsentieren was man kann und . //hm// hab ich dann eben weitergemacht //mhm . hmm . ja und eben so das war ja dann praktisch schon die zeit wenn ich mir so überlege eigentlich kindergarten ja// na . //hastes dann nembei gemacht oder warste gar nich// na ich war kaum im kindergarten weil . ich . bin mehr son mensch der so ziemlich alleine is also ich brauch zwar freunde aber zu viele menschen zu lang das kann ich nich um mich ham //hm// . schon früher nich . saß ich lieber alleine in der ecke un hab was für mich gemacht oder so .. und deshalb hab ich auch ballett gemacht weil das kann man ziemlich alleine machen die übungen un sowas . //hm .. mhm . also warst du
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praktisch ähm nich unbedingt äh richtig angemeldet in som kindergarten oder doch// doch aber . ich war . vielleicht so . von um zehn bis um zwei da un . die restlichen stunden ehmt außerhalb //hm .. mhm . hm . und äh was hat so deine familie dazu beigetragen also . zu diesem// . also früher also wir hatten en spielplatz hinterm haus und da //hm// bin ich ehmt . sehr zeitig immer rausgegangen un mein vati mach doch mal n bißchen sport und mein vati is och sehr sportlich na //hm// da ham mer immer zusamm . geklettert oder sind of berge gegangen und . vati hat dann och gesagt kannst doch mal was andres machen also was ‚weiblicheres‘ (lachend gesprochen) //hm// . un da bin ich ehmt zum tanzen gegangen . //hm// weil meine mutti auch so ne tanzader hat un da hab ich eben von jedem was gelernt .. //mhm . hast du geschwister// nee . also keine richtigen .. //was heißt das keine richtigen// also ich versteh mich mit welchen so gut daß wir sozusagen wie in //ach so// also wir . verstehn uns wie geschwister . //mhm// welche aus meiner klasse . also einer und . noch ne andre freundin .
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//mhm// wir reden uns auch so an also . brüderchen un so . //hm .. aber das hat jetzt nichts mit irgendwelchen familien// nee . also . offiziell genetisch bedingt hab ich keine . //mhm . hm .. ja und könntest du son bißchen was hm oder möchtest du son bißchen was über diese freundschaften . erzählen oder ehr wenjer// . doch kann ich machen //wie die so entstanden sin und// also //weil du ja eigentlich jesacht hast du bist mehr son einzel- .// na //gängertyp// also wenn . dann bind ich mich ziemlich stark an jemanden wenn ich mich also ich muß erstmal lernen vertrauen zu schaffen . weil sonst hab ich immer so ne blockade un wenn ich die überwunden habe dann kann ich mich ziemlich stark an jemanden binden //hm// . und da hab ich jemanden aus der klasse torsten . haste glob ich och schon mal interviewt . //äh meier torsten hm// hm und . na ich hatte ne beziehung und die war ziemlich scheiße sozusagen und . da ham mer ziemlich viel zusammen durchgestanden er hat mir ehm geholfen und .. na da sind wir uns ziemlich nah zusammen- .
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gekommen und wir ham nachmittags was unternommen und . irgendwann warn wir irgendwie so richtig zusammen also nich .. von der liebe aber eben . //hm// totale freundschaft wir ham uns alles erzählt und total vertraut (klopfen) und das könn mer jetzt och noch . //hm// und der hat sich das eben . is das so entstanden daß wir eben so wie geschwister jetzt ’sind‘ (lachend gesprochen) //hm// … er hilft mir und ich helfe ihm und so . klappt das irgendwie alles und .. also so wie wie n ersatzbruder für mich //hm// weil ich schon immer mal früher . en großen bruder ham wollte . un den hab ich ja sozusagen jetzt //hm .. un mit deiner freundin// . na also sie wohnt sag mer mal fünf meter neben mir also //ach so// gleich im nachbarhaus und //hm// wir kennen uns . seitdem wir geboren sind und irgendwie .. sin wir dann ziemlich stark zusammengewachsen weil wir sin auch da auf de gleiche schule gegangen gleichen kindergarten gleiche kinderkrippe und .. wir sehn uns jeden tag . meine mutti sagt auch schon sie gehört zur familie so und .. //hm// mit ihr erzähl ich mich auch über alles so .. //is aber
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jetzt nich hier in deiner klasse mit// nee die is ne andre schule //hm .. und ähm wenn ich dich so . fragen würde so nach deinem Verhältnis so zu deiner familie// .. äh pff na zu meiner mutti hab ich kein so tolles verhältnis ‚wir streiten uns‘ (lachend gesprochen) ziemlich oft ar mit meim vati komm ich gut aus .. //hm . un gehörn bei dir noch mehr leute so zur familie oder würdest du das so zu deinem . familienkreis zählen also// also . ich hab keine omas oder so also //hm// das is eigentlich meine familie //hm .. na . ja un wenn du vielleicht noch mal so überlegst also . ähm . deine biographie denkste daß es da irgendwie was besonderes . noch gab also deine sportlichen sachen sin ja schon was ganz besondres also hab ich ja noch nie . so viel . gehört auf einmal was du schon alles jemacht hast// .. was besonderes . na früher hab ich auch mal //oder was für dich eben wichtig is// . na ich fands früher toll da hab ich schach gespielt //mhm// und hab auch mal . bei der deutschen meisterschaft //’ja‘ (erstaunt)// un da war ich och untern
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ersten zehn und in der mannschaft war mer dritte . und das fand ich schon bißchen . also fand ich ziemlich cool es hat spaß gemacht . hab ich viele //mhm// medaillen und das . is eigentlich . es größte was ich so erlebt habe bis jetzt der //hm// erfolg //hm// hm //mhm . dann bist du also schach und . bist ja total sportlich is ja auch sport denksport// (lacht) //körperlicher und geistiger sport also bei dir mhm . hm// . also ich bin sehr vielseitig un möchte gern alles machen aber mir fehlt ehmt die zeit dafür . //hm .. hm . mhm . ja und ähm . stimmt das ja eigentlich auch son sport also schach wo mer eigentlich mehr für sich is also mit seinen eigenen gedanken// hm . //hmm und so wie zum beispiel dieses äh ich kenn das gar nich wars kung fu// kung fu //das macht mer ja eigentlich . sicher in der gruppe oder wie// . na man macht alleine seine übung und //ach so// mer kämpft eben zusammen //hm hm// . und zieht aber die techniken alleine so durch //hm .. hm .. ja . eigentlich fällt mir jetzt gar nischt weiter ein also . vielleicht dir noch irgendwie . so . rein biographisch// .. was
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andres gibts eigentlich nich bei mir zu sagen //hm … na .// (knall) hups .. //also denkste daß es bis jetzt eigentlich so recht gradlinig verlaufen ist oder// . ja //ehr mit hürden und// nöö also ich hatte eigentlich en ziemlich . gute kindheit //ja .. und so vorm kindergarten so die zeit das haste ja schon jesacht also so mit fünf jahren eigentlich so deinen sport// da war ich immer bei meiner mutti mit . //hm// auch in der schule weil meine mutti war lehrerin und die hat mich dann immer mitgenommen also ich war eigentlich immer . bei irgendjemandem . //hm .. mhm . ja . wolln mer mit den fragen anfangen .. oder denkst du daß irgendwie was wichtjes fehlt ne// nö nö .. //ja meine erste frage wie bist du auf diese schule hier gekommen// . also nach der wende mußt ich ja .. erstmal die schule wechseln weil meine frühere schule wurde in realschule . //hm// und ich oder meine eltern wollten auch daß ich aufs gymnasium gehe .. und da war ich erst . aufm x-gymnasium . ar da warn die richtlinien irnwie ziemlich streng also da hat man . so gut wie
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nie ne eins gekriegt un da //hm// hab ich von dem gymnasium hier gehört . von en paar freunden . die warn auch erst dort un ham hier- . //hm// her gewechselt und sind viel besser geworden . und ich meine ich hatte nichts zu verlieren da hab ich eben ma gesagt na wechsle ich auch und .. hier ist das auch besser irgendwie .. auch ein andres verhältnis zun lehrern also offen man kann sich besser mit denen unterhalten . und auch s ganze schüler so is nich so . nich so eng nich so straff sondern bißchen lockerer . //hm .. also warst du am anfang ähm . in diesem x-gymnasium .. ar das war ja damals noch kein gymnasium// doch da . da wars das wars erste jahr wo ich ofm gymnasium war . //ach so// . hm //hm also einunneunzig so . hm nach der wende gleich . ach so und dann bist du hierher gewechselt . hm .. ja . was findest du gut und was stört dich an der schule hier// .. ähm ansich find ich das gebäude hier eigentlich ziemlich . schön eigentlich weils ja ziemlich neu gemacht wurde .. ähm . und auch hier die umgebung mit dem park hier das is eigentlich . cool weil man da in der pause oder
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freistunde kann man im sommer rausgehn un eis essen oder . auf n spielplatz //hm// oder so (holt tief luft) was mich stört . hm . vielleicht das andre haus hier das müßte mal neu gemacht werden die räume sind ziemlich schäbig und wenn man da en hauptkurs in bio hat . un man hat überhaupt keine mittel um irgendwas zu machen das is schon n bißchen schlecht . //hm … un fühlst du dich wohl hier// . ja . weil ich hier meine freunde habe und auch so die lehrer sind eigentlich ziemlich nett also . //hm// bei den ich hab .. okay es gibt ausnahmen immer . ansonsten .. eigentlich schon //hm .. ja also das trifft ja jetzt voll das was du ja bei der ersten frage schon angesprochen hast . ja wenn du das gymnasium hier mit anderen gymnasien vergleichst nee en vergleich haste ja schon bißchen jebracht mit dem x-gymnasium . was denkst du is charakteristisch für die schule hier// . na die sehn das vielleicht nich ganz so streng wie andre also . mancher unterricht ist hier ziemlich locker und //hm// wird auch mal gefragt was wollt ihr denn gern machen und . ja okay dann mach
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mer das thema nich so intensiv und nicht zu derb oder es wird besser erklärt //hm// (?) im x-gymnasium . wurde mehr vorausgesetzt also es wurde einmal gesagt und das wenn mans nich kapiert hat hatte man pech und . //hm// hier kann man ehm noch fragen oder es wird nach der stunde ehmt noch . so nachhilfe angeboten wenn mers nich kapiert hat also man kann . also mit den lehrern reden und sich mehr erklärn lassen //hm// . find ich irgendwie gut .. //was mir jetzt noch mal einfällt is also einfach nur für mich jetzt . also du warst praktisch äh seit beginn deiner schulzeit an diesem x-gymnasium// nee erst war ich noch in ner andern schule . von der ersten bis zur fünften klasse . //hm// in der sechsten bin ich dann dahin gewechselt //ach so hm . hm .. ja . also denkst du das . charakteristische hierfür is . das was de eben so jesacht hast so . mehr so diese lockere// . mhm //art hm . möchtest du an dieser schule bleiben oder lieber wechseln// . kommt drauf an wenn ich nächst jahr meine kurse so belegen kann wie ichs denn möchte dann bleib ich natürlich hier . obwohl ich schon
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überlegt habe aufs wirtschaftsgym- gymnasium zu gehn aber . was ich wahrscheinlich nich machen werde . weil ich keine lust habe auf . ‚dreizehn jahre schule habe‘ (lachend gesprochen) //hm// un wenns nich klappt mit mein kursen dann . wechsle ich . //hm .. hm . wie würde für dich eine ideale schule aussehen// … ha . ideale schule .. ich find das kann man nich so beschreiben weil . was isn ne ideale schule .. ich weeß nich was mer . darunter verstehen soll .. vielleicht en gutes lehrer schüler verhältnis . und das hat mer hier eigentlich an der schule ziemlich . //hm// .. un sonst unternander in der klasse . n gutes verhältnis .. und hm . einjermaßen angenehmen stundenplan also nich so stressig … //ja jetzt n . ganz andres .. thema wie findest du euren schulleiter// .. (seufzt) ziemlich altmodisch also er is nich so offen für neuere dinge //hm// wenn mer irgendwas anspricht können wir nich das machen oder . was neues . da is er mehr so konservativ und ablehnend und sagt nee nee das muß du nach den alten richtlinien und //hm// .. für neues is er nich so offen und das find ich ziemlich doof . //hm
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.. was hältst du von deinen lehrern// .. also . ich hab einlich . ziemlich viel glück mit meinen lehrern . es sind meistens nich immer lehrer mit den man auch gut reden kann und . die . ehmt den unterricht .. offen und freier machen als die andern jetzt die älteren lehrer die ehmt so fest an ihrem plan sind . also . ich find die lehrer hier eigentlich ganz okay //hm … das was du schon bei der idealen schule angesprochen hast is jetzt eigentlich die . nächste frage .. wie siehst du das verhältnis von schülern und lehrern .. hier an der schule// . also ich denk mal daß die meisten schüler zu ihren . jüngeren lehrern . en besseres verhältnis ham als zu den älteren lehrern . weil mit den kann mer nich so gut reden . //hm .. hm .. un was denkst du vom unterricht den du hier erlebst// .. also der meiste unterricht der is eigentlich ziemlich . also er bringt was denk ich . es gibt natürlich auch ausnahmen . weil manche lehrer könn sich in unsrer klasse absolut nich durchsetzten .. zum beispiel sozialkunde und . ich meine da wird rumgegessen und aufgestanden und . ehmt alles andre gemacht nur keen
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unterricht da kricht mer einfach überhaupt nichts mit vom unterricht . aber sonst im großen un ganzen könn sich die lehrer einlich gut durchsetzen und das eben . daß man auch was versteht . //hm .. wie gehen lehrer und schüler im unterricht miteinander um// .. das hängt meistens von schülern ab denk ich wenn . der schüler den lehrer nicht dumm kommt kommt der lehrer dem schüler eigentlich och nich dumm also .. wenn man . sag mal nett zum lehrer is dann kann mer eigentlich gut mit dem auskommen //hm .. ja . beschreibe bitte einmal . also wenn dir eins einfällt an einem beispiel wie die lehrer hier mit kritik und mit vorschlägen und meinungen von seiten der schüler umgehen . ar nur wenn dir sowas einfällt . kannst auch ganz allgemein sagen// .. also zum beispiel herr a. den hatt ich ja ‚vors jahr in chemie‘ (lachend gesprochen) und .. vom unterricht her ging das eigentlich außer daß ehmt ziemlich immer laut rumgeschrien hat und so militärisch . immer ‚ha vor an die tafel‘ (im befehlston) und lauf . und bei den kurzkontrollen hat er nie irgendwelche punkte druntergeschriem
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sondern nur noten da ham mer ihm mal .. um . nett gebeten . er sollte doch mal die punkte runterschreim damit mer weiß . wo seine fehler liegen . und er sollte doch mal nich so militärisch sein sondern . weil die schüler viele schüler hatten angst vor ihm man konnte sich . mich mal melden wenn man mal was falsches gesacht hat hat er . sag mal nich gelacht aber er hat einen dumm gemacht //hm// un da ham wir gesagt daß er vielleicht irgendwie ändern sollte weil . das macht doch kein spaß wenn . kein schüler sich mehr meldet weil se alle angst ham . aber er hat . sich eigentlich nich geändert=sondern=hat . eigentlich weiter so sein //hm// kurs durchlaufen weil er sich nich ändern wollte . //hm// … also die meisten lehrer gehn da meistens nich drauf ein wenn die schüler sagen könntet ihr oder könnten sie nich ma oder so //hm .. hm .. wie gehen die lehrer hier mit problemen und sorgen . von jugenlichen um// . also wir ham da son problemlehrer an der schule und zu dem sollte man ja auch gehn wenn mer probleme hat . aber ansonsten . al wenn schulische probleme is kann man mit den lehrern sprechen aber
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ansonsten denk ich mir daß das kaum noch schüler mit irnwelchen . also en lehrer mit irgendwelchen problemen der schüler konfrontiert wird . //hm . das is ja son vertrauenslehrer was// hm //du meinst ja hm . euer klassenlehrer ..hm . worauf legen die lehrer hier an der schule . besonderen wert// … äh ich denk mal wenn man pünktlich is .. dann sind se eigentlich . mit am zufriedensten und wenn mer ehm . nich allzu laut im unterricht is weil . bei uns isses ziemlich . extrem an der schule also hier kommt öfters mal jemand aus unsrer klasse auch zu spät also jeden tag mindestens ein bis zwei leute . //ehrlich// ’na‘ (lachend gesprochen) . einerseits wegen der bahn und andererseits weil se noch rauchen müssen oder so . //hm// und . naja wenn . da freuen sich die lehrer ehm wenn mer mal vollständig is weil das kommt ziemlich selten vor . //hm .. ja . wie wichtig is leistung für eure lehrer// .. ich denke unsern lehrern is das mehr oder weniger egal die schreim ihre kurzkontrollen un tragen ihre noten ein aber . den schülern denk ich mal ist die leistung wichtiger als den lehrern //hm//
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.. wenns nich der klassenlehrer is weil unser klassenlehrer bemüht sich immer das . alle schüler durchkommen nich so schlechte noten haben wo die andern lehrer den isses egal . //hm .. wie reagieren lehrer wenn schüler irgend etwas nich wissen nich können oder schlechte . leistungen also schlechte noten haben// . na das hängt vom lehrer ab einerseits sagen manche lehrer . mein gott hättet ihr mehr lernen müssen die kurzkontrolle is einfach un die hab ich doch schon mal geschrieben und da warn viel bessre noten . oder die sagen okay dann nehm mers noch mal durch wenn ihrs nich kapiert habt oder . na fragt mich doch wenn ihr was nich verstanden habt das hängt total vom lehrer ab . //hm .. weswegen entstehen meist auseinandersetzungen an der schule zwischen lehrern und schülern// .. wegen unpünktlichkeit und auch weil . naja in unsrer klassenstufe jetzt . wirds ziemlich extrem daß die jungs oder so auch manchmal mädchen . ziemlich große klappe ham gegenüber lehrern und //hm// irgendwann reichts den da ehmt . ehmt nase voll und gehn zum schulleiter und melden das . //hm
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.. aus welchen anlässen sind in letzter zeit oder . meinetwegen auch in einem l- schon länger zurückliegenden zeitraum härtere strafen an der schule erteilt wurden .. is dir da was . bekannt// … härtere strafen eigentlich nich so ach doch wegen der bombendrohung vielleicht ma .. wir hatten ma ne bombendrohung hier in der schule .. und es war auch en schüler aus unsrer schule und noch andre und . naja . irgendwie isses dann rausgekommen daß es unser schüler war und der hat dann so .. die vorstrafe vom schulverweis bekommen also son . also wenn er noch mal irgendwo was macht fliegt er von der schule . //hm// . und sonst eigentlich mehr geringere strafen wie zum beispiel mal im flur unsre ranzen stehen lassen daß herr b. die einsammelt . und da muß mer ehmt vor herr b. gehn und sofort sagen ‚ja es tut mir leid‘ (betont gesprochen) und den anflehen . daß mer ehmt nich mehr sein ranzen im flur stehn läßt was en bißchen doof is weil . hm . wenn man son fachraum hat kann man den nich reinstelln weil die fachräume zu sind aber . //na was soll mer da mit dem ranzen machen// den soll mer dann im
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vorraum stehn lassen un wenn mer da drüben im haus ganz oben hat un soll hier hoch da . dann geht man zweimal da hoch und dann wieder hier hoch und das wär bißchen . extrem deshalb . nehm mer den ranzen gleich mit . hoch und geht dann auf de hofpause oder so //hm// . und das versteht er ehm nich .. oder man solln eben mit sich rumtragen .. naja … //wie würde ein lehrer sein der dir richtig gut zusagt und wie würde das gegenteil davon aussehen also einen den du blöd finden würdest sag ich jetzt mal// . na blöd find ich eigentlich lehrer .. die ehm nur lehrer sind also die vorne ihrn unterrichtsstoff durchziehn . und nich so auf de schüler eingehen einfach nur . durchziehn und .. nich irgendwie fragen habt ihrs kapiert sondern gleich weitermachen und alles voraussetzen . un en guter lehrer is eigentlich der was an de tafel schreibt . in die runde guckt und fragt habt ihrs jetzt verstanden . un wenn nich dann wirds ehmt noch mal erklärt . //hm// un wenn ers dann nich verstanden hat kann er nach der stunde noch mal hingehn oder so aber . der ehmt mehr auf de schüler eingeht und . auch
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daran dachtest daß die schüler das wirklich kapiern nich daß se einfach das nur ma gehört ham . //hm .. ja und das was du eben jesacht hast das is ja mehr so en ideallehrer gibts . gibts solche idealen lehrer oder . äh gibts den idealen lehrer hier an der schule was denkst du// doch ich denke mal unser englischlehrer . auch biolehrer also unser stellvertretender klassenlehrer der bemüht sich eigentlich sehr um de schüler . //hm// der is eigentlich so der fragt immer . un geht zu jedem auf n platz und fragt ehm ob ers kapiert hat und erklärts ihm noch mal ausführlich . //hm … ja die nächste frage is . was findest du gut oder was stört dich daran wie die schüler hier miteinander umgehen// .. also in unsrer klasse is eigentlich en gutes verhältnis zun schülern also .. ich würd nich sagen daß unsre schule jetzt so is daß sich dauernd was geprügelt wird weil . also . bei uns isses eigentlich gibts das kaum solche großen auseinandersetzungen zwischen den schülern //hm// höchst ma so anrempeln oder so aber keine richtjen schlägerein wies bei manchen so an der schule ist und das find ich eigentlich
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ziemlich cool //hm .. un was stört dich so daran wie die schüler mitenander umgehen das war ja jetzt ehr das positive// .. na .. pf daß mer zum beispiel daß die jungs dann immer gleich mit ihrem messer komm also wenn . //mhm// irnwie zum beispiel . ja du hast das un das gemacht dann zückt er gleich es messer und sagt ohr sei jetzt ruhig oder so a ich mein die würden nich zustechen un so aber . um autorito- autorität zu zeigen zücken se erstmal ihr messer un das find ich ziemlich krass . //hm … was nimmst du für unterschiedliche gruppen von jugendlichen an der schule wahr// .. hm es gibt mehr so .. hm naja wie soll mer das beschreim . mehr so lockere leute also die so .. naja sag ma nie so . also ziemlich locker sind abends lange weggehen und . n . hn . so punksmäßig und so //hm// und dann gibt es mehr so die normalbürger sowas wie ich und so . die noch so ausgelassen sind nich so lange ha- irnwie dann noch weggehen oder so sagen . eben sich auch mal abends hinsetzen und lernen also das sind eigentlich die größten gruppen also andre gruppen ham wir nich so in der schule //hm … ja
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beschreibe bitte den schüler oder die schülerin die bei euch voll akzeptiert sind und jemanden der es schwer hat akzeptiert zu werden oder ehmt schon so . ne außenseiterposition ..// also bei uns in der klasse is eigentlich so gut wie keiner außen- . seiter weil unsre klasse . akzeptiert sehr schnell leute auch neue leute wern sofort . eingegliedert . in die klasse und . einlich wird bei uns jeder akzeptiert un wenn nich dann wird das in der klasse besprochen und da wird das auch in der klasse geklärt un . so ham wir einlich . unternander in der klasse kaum probleme . //hm .. ja und der erste teil der frage . also jemand der voll akzeptiert is . denkste is// .. also jeder wird auf ne gewisse weise hier total akzeptiert in der klasse un wenn . bei uns sinds ehmt viele grüppchen in der klasse und in den grüppchen wird er dann immer akzeptiert . //hm// un bei den andern mit den andern redet er nich un der an- is eigentlich och egal obs eener also akzeptiern tun sen aber . also sie machen nich s- nich schlecht oder so aber sie reden nich viel mit ihm //hm .. also wenn ich dich jetzt richtig verstanden hab
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ähm . is praktisch jeder in irgend ner gruppe .. un keiner// . is keiner eigentlich alleine //hm . un wenn de dich vielleicht so . wenn de das vielleicht so sagen könntest für all- also für die schule allgemein// .. also bei uns . herrscht eigentlich überhaupt so in der schule en großes verständnis für neue also wenn irgendwas neues is oder . also es wern sehr schnell freunschaften gebildet es . is kaum jemand alleine . höchstens einer der vielleicht . total introvertiert is also bei uns isses . wenn man sich unterhält . unterhält dann kommt mer schnell mit andern in kontakt nur wenn mer eben . s mauerblümchen is und gar nichts sagt dann is mer bestimmt außenseiter . //hm .. wie geht ihr untereinander mit konflikten und problemen um// . naja erstmal versuch mer se janz ruhig zu lösen . un wenn . nich klappt dann wirds eben schon bißchen laut aber ehmt . meist gewaltfrei . //hm … ja wenn ein lehrer druck macht oder jemand so aufm kieker hat wie geht eure klasse damit um// . also wir sagens erstmal unserm klassenlehrer und besprechen das mit der klasse das problem . und . er sagt dann
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meistens daß wir also daß der schülersprecher hingehn soll . un wenn das nich hilft dann geht unser klassenlehrer hin und versucht das dann zu regeln . un wenn nich gehn wir zur schulleitung un versuchen das mit der schulleitung zu regeln . //hm … welche möglichkeiten siehst du für dich und andere schüler . an eurer schule einfluß zu nehmen auf wichtige entscheidungen// na ehmt der schülerrat der kann ja ziemlich viel mitbestimmen hier . und die klassensprecher allgemein .. und dann ehmt die leute die an der schülerzeitung mitmachen die könn ja frei ihre meinung über alles äußern .. und aber richtig mitbestimmen kann eigentlich nur der schülerrat . //hm// .. un man kann ja selber seine wünsche dem schülerrat dann . vorbringen und er kanns dann äußern .. //ja beschreibe ruhig ausführlicher wie du die arbeit der schülervertreter siehst// … na . also bei uns is immer einmal im monat so ne sitzung in der klasse oder so //hm// und da wird eben gefragt ob irgendwelche probleme gibt oder vorschläge zur änderung hier oder was verbessert werden kann . und das wird ehmt dann dem
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klassensprecher gesagt .. und dann wird beim schülerrat darüber abgestimmt un wenn mehrere klassen dafür sind .. dann wird wie son . liste rumgereicht wer dafür ist und vorschläge und da wern unterschriften gesammelt . und dann wirds ehmt dem direktor vorgelegt //hm … was hältst du von der einrichtung der schülervertretung überhaupt// . also ich finds ziemlich wichtig weil sonst hätte der direktor ziemlich viel autorität und würde über alles bestimmen und so können wir . weil wir müssen ja müssens ja hier aushalten wir müssen ja hier sozusagen leben . könn wir och en bißchen mitbestimmen //hm … ja . jetzt wieder ganz andrer . themenkomplex . wie schätzt du das freizeitangebot hier ein . an der schule// . hm es wern einlich ziemlich viele sachen angeboten zum beispiel chor gymnastik oder philosophie oder . astronomie also . man . es werden auch oft von frau c. her theaterbesuche angeboten oder //hm// irgendwelche ausstellungen also man kann .. sich schon hier en bißchen . um was . angucken man kann mitmachen bei arbeitsgemeinschaften un . auch zeichnen also für jeden
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eigentlich was dabei . //hm// . is schon ziemlich groß die vielfalt //hm . un was organisiert ihr selbst// .. wie jetzt unternander in der klasse . //nee also die schüler also . sozusagen zum freizeitangebot// na wir treffen uns öfters mal . also in der klasse . //hm// .. und . machen auch mal was zusammen zum beispiel im sommer baden gehen oder auch so wir gehen ma eis essen oder . machen ne fahrradtour oder je nach dem was uns grade so . gefällt //hm// was wir gerne machen wolln … //ja . n ganz anderer komplex wieder . wie wichtig ist deinen eltern die schule// .. ach meinen eltern denk ich ziemlich egal . also .. sie wollen daß ich gute noten nach hause bringe und . die gucken sich hier och die schule an und . wie das hier so ist und ich erzähle auch öfters mal wie das verhältnis hier is und das finden se ehmt . ziemlich gut also wenn es . wenn ich hier nich auskommen würde dann würden meine eltern auch sagen dann wechsel doch oder so . //hm// .. sie wolln eigentlich daß ich mich hier wohlfühle . //hm .. sollten sich deiner meinung nach eltern stark oder stärker für schule
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interessieren und sich mehr am schulleben beteiligen . oder fändest du das eher nich so gut// . ach das find ich eigentlich . nich so weil die ham das alles schon mal durchgemacht un warum solln se das ganze noch mal machen is doch jetzt unser problem . wenn wir probleme ham könn wir doch zu denen hingehn aber . sonst find ich das eigentlich nich . //hm … was erwarten deine eltern von dir// .. daß ich .. bißchen mehr lernen sollte ha . aber . sonst sind se einlich ziemlich zufrieden un wenn ich eenma sag ich hab ne schlechte note dann sagen ehmt mein gott beim nächsten mal wirds besser also . sie meckern nich rum . //hm … ja wenn du das gesachte alles noch mal so zusammenfassen würdest wie wichtig ist für dich schule// . na ich versuche ehmt . zum beispiel . für meinen beruf ehm jetzt was zu lernen ich meine ‚ich weiß noch nich was ich machen will‘ (lachend gesprochen) aber ich versuche so . also . was mich so intressiert versuch ich ehmt auch zu lern und .. beschäftige mich manchmal bißchen mehr damit un was mich nich intressiert naja das laß ich mehr oder wenjer links liegen .
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//hm// .. also ich denke mal daß mer . schon für später n bißchen lernt aus der schule . //hm// . teilweise … //un wie wichtig ist für dich das abitur// .. na wenn ichs schaffe dann hab ich eigentlich . also relativ gut chancen da hab ich vielleicht bessre voraussetzungen irgendwelche berufschancen zu nehmen . als wenn ich jetzt zum beispiel realschus- . realschulabschluß hätte . //hm// weil abitur is ja bißchen angesehner . als realschulabschluß …. //hast du schon vorstellungen wie dein leben weiter verlaufen wird// . also nach m abitur möcht ich erstmal n halbes jahr oder n jahr nach amerika als au pair-mädchen //mhm// um . meine sprachkenntnisse in englisch und amerikanisch zu vertiefen . (holt tief luft) und dann werd ich mich vielleicht ma nach m studium ‚umschaun‘ (lachend gesprochen) irnwie .. psychologie oder sowas . //hm// . keine ahnung //hm// .. auf jeden fall nich gleich nach der schule wieder studiern da will ich mich erstmal . ausspannen son bißchen . //hm . ja un wenn du dir jetzt so überlegst also .. was ich dich eben so jefracht hab . weil das wars eigenlich
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an meinen fragen . ähm . denkst du daß irgendwie was . ähm wichtiges so unterjegangen is so bei den fragen also daß vielleicht irgendwie was . was de so zur schule sagen würdest . so fehlt .. irgendwie ne bestimmte sichtweise oder . irgend n bestimmter bereich der mit zur schule gehört deines erachtens// . m .. //wärs das so// denke . //ja .. okay na dann bedank ich mich recht herzlich (lacht kurz) . könn mer es gerät ja ausmachen//
Interpretation
M: . . hm wichtig für mich warn eigentlich immer früher so meine aktivitäten was ich so gemacht habe also . so ballett oder tanz //mhm// oder kung fu oder sowas . //mhm// weil ich . bin eigentlich en mensch der sich viel bewegen muss . //hmm//
Betrachten wir zunächst die formale Struktur dieser ersten Sequenz, dann kann zunächst festgehalten werden, dass hier keine Erzählung im engen Sinn anzutreffen ist und insofern zwar eine lebensgeschichtliche Thematik entfaltet wird, die jedoch (noch) nicht an die narrativen Darstellungen des Lebensablaufes orientiert ist. Vielmehr kann hier bei dieser Passage eine vorgeschobene bilanzierende bzw. die Bilanzierung einleitende und schließlich argumentative Darstellungsform identifiziert werden. Damit kann bereits aus dieser formalen Struktur der Eröffnung der lebensgeschichtlichen Darstellung Folgendes geschlossen werden. Hier wird zunächst gerade keine narrative Darstellung realisiert, was darauf verweisen kann, dass eine tendenziell nacherlebende und affektiv nahe Darstellung des Lebensverlaufes erschwert ist und einer vorhergehenden bilanzierenden Einschätzung bedarf. Die vorgeschobene Bilanzierung weist dabei darauf hin, dass hier etwas abgeschlossen ist und einen Endpunkt erreicht hat, es sich also bei dem Folgenden um eine wie auch immer abgeschlossene Lebensphase handelt. Dabei kann eine bestimmte Lebensphase thematisiert werden, wie z.B. die frühe Kindheit, oder es wird das Leben insgesamt bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt bilanziert. In diesem Fall wäre allerdings davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Darstellung auch dieses bisherige Leben einen Endpunkt erreicht hat, von dem aus diese Bilanzierung vorgenommen werden kann und sinnvoll ist.
Weiterhin ist hier anzumerken, dass mit dieser Eröffnung entweder die Möglichkeit verbunden ist, dass faktisch keine narrative und damit affektiv besetzte lebensgeschichtliche Darstellung folgt oder aber die Bilanzierung konstitutiv notwendige Voraussetzung für eine narrative Präsentation ist. Im ersten Fall würde die Variante bestätigt werden, nach der hier eine bilanzierende Einstellung dem gesamten Lebensverlauf gegenüber eingenommen wird und insofern für die Interviewte [1] hier zum Zeitpunkt der Darstellung ein deutlicher End- bzw. Schlusspunkt erfahrbar ist. In der zweiten Variante könnte die notwendige vorgezogene Bilanzierung dagegen auf Bearbeitungsversuche problematischer Erfahrungsqualitäten hinweisen, die hier vorab (quasi präventiv) aufgefangen werden sollen.
Betrachten wir dann den Inhalt dieser Interviewpassage, dann müssen einige Überlegungen relativiert werden, insofern hier keine direkte Bilanzierung (im Sinne von ‚es war schön‘ oder ‚ich hatte immer Pech in meinem Leben‘) erfolgt, sondern eher als strukturierende Vorarbeit die Bilanzierungskriterien markiert werden. Hier werden die dominanten Bezugskriterien und Relevanzverhältnisse gekennzeichnet, mit denen dann eine Bilanzierung möglich wäre. Gewissermaßen wird hier zu Beginn einer lebensgeschichtlichen Darstellung der Bewertungshintergrund ‚aufgebaut‘, mit dem dann eine implizite oder explizite Einschätzung des Lebensabschnittes oder Lebensverlaufes möglich wäre. Damit wird zwar eine Bilanzierung direkt vorbereitet, ohne dass jedoch zu diesem Zeitpunkt diese schon umgesetzt wäre und auch mit der Möglichkeit, dass die Bilanzierung implizit angelegt ist, jedoch nicht explizit umgesetzt wird. Insgesamt scheint dies jedoch eine recht komplexe Figur, die nur dann sinnvoll ist, wenn die Frage der Bilanzierung des Gegenstandes nach der Kennzeichnung der Bezugssysteme auch umgesetzt wird.
Als dominante Bezugskriterien einer potentiell angelegten Bilanz werden schließlich die ‚eigenen Aktivitäten‘ ausgewiesen, die konkretisiert werden mit der Kennzeichnung, was die Interviewte so ‚gemacht‘ hat – also hier durchaus in der Bedeutung von ‚etwas produzieren, schaffen und hervorbringen‘ –, und endlich als bestimmte Sportarten benannt werden. Damit wird als Bezugssystem der biographischen Präsentation eine bestimmte Fokussierung festgelegt und zugleich – wie oben ausgeführt – ein Bezugssystem einer potentiellen Bilanzierung entworfen. Die Interviewte verortet hiermit ihr Selbst dominant in einem Sport- und Freizeitbereich und zugleich damit außerhalb des familialen Nahraumes oder anderer institutionalisierter Bezugssysteme. Aus der zentralen Position in der Eröffnung der lebensgeschichtlichen Präsentation kann mit dieser Kennzeichnung der dominanten Selbstbestimmung im Sport- und Freizeitbereich Folgendes abgeleitet werden. Auf der einen Seite ist die Präsentation des Lebensverlaufes vor allem als Sportlergeschichte zu erwarten. Auf der anderen Seite wird damit die potentielle Bilanzierung des Lebens davon abhängig gemacht, inwieweit und mit welchem Erfolg es gelungen ist, den genannten sportlichen Aktivitäten nachzugehen. Eine positiv bilanzierte erfolgreiche Lebensgeschichte müsste also an eine maximale Umsetzung der sportlichen Aktivitäten gebunden sein, während deren maximale Behinderung eher eine Leidensgeschichte erwarten ließe. Zudem deutet sich hier an, dass die Interviewte besonders und vielleicht sogar ausschließlich in diesem Bereich ihr Selbst aktiv und damit positiv wahrnehmen kann und hier handlungsschematische Impulse entfalten kann.
Die Sportarten selbst verweisen als dominantes Bezugskriterium der Lebensgeschichte vor allem auf eine körperlich-ästhetische und expressive Selbstwahrnehmung. Die Dominanz dieser Selbstwahrnehmung verweist weiter auf bestimmte Rahmungen des Selbst, die hier riskant in der Art bestimmt werden können, das hier Anerkennungsverhältnisse zugrunde liegen müssen, die diese Betätigung und die daran gebundenen Orientierungen besonders bestätigen und andere alternative Formen der Selbstwahrnehmung eher ausschließen. Neben diesem kontinuierlichen und verbindenden Moment zeigt sich aber auch ein signifikanter Bruch in den Aktivitäten, der hier zwischen Ballett und Tanz auf der einen Seite und der Kampfsportart Kung Fu auf der anderen Seite besteht. Zwar kann auch dieser Kampfsport als körperlich-expressive Bewegungsform gelten, jedoch sind mit den aggressiven und wehrhaften Implikationen deutlich andere Sinnbezüge zu kennzeichnen. Solche Sinnbezüge lassen sich grob in der Form skizzieren, dass mit Ballett und Tanz auf solche Sportarten verwiesen wird, die in spezifischen kulturellen Milieus sehr renommiert sind und hier besonders für Mädchen/Frauen attraktive Anerkennungsverhältnisse versprechen. So können die ersten beiden Sportarten entweder auf einen exponierten familialen Milieubezug verweisen, der zudem durch tradierte Anerkennungsverhältnisse und eine finanzielle Sicherheit geprägt sein müsste, insofern mögliche (elterliche) Berufshandlungsschemata hier gerade nicht die materiell ergiebigen Berufseinmündungen versprechen. Gerade deshalb würde die Beschäftigung mit Ballett und Tanz neben der weiblichen Geschicklichkeit auch die luxuriöse familiale Situation signalisieren. Oder die Sportarten zeigen auf, dass hier nicht familial abgedeckte und deshalb eher aufstiegsbezogen anvisierte Milieus angezielt werden. Die Anerkennungsverhältnisse wären hier als Rahmung des Selbst zwar ganz ähnlich anzunehmen. Sie würden sich jedoch im Grad der quasi ‚natürlichen‘ Verbürgung unterscheiden – was im ersten Fall selbstverständlich wäre, würde im zweiten Fall gerade erst angestrebt und die Gefahr und Bedrohung mit dem Scheitern dieser Aspiration wäre selbst Strukturmoment der Rahmung.
Mit der letztgenannten Sportart lassen sich dagegen andere Sinnbezüge entwerfen. Hier steht – für Mädchen mehr noch als für Jungen – mit der Wehrhaftigkeit die Frage der Verselbständigung und der Emanzipation im Mittelpunkt. Dies kann sich durchaus funktional mit dem exklusiven Milieubezug verbinden, entweder als teilmoderne Orientierung eines traditionellen Familienmilieus, in das Fragen der weiblichen Selbständigkeit und körperlichen Wehrfähigkeit aufgenommen sind, um einer drohenden Milieuerosion vorzubeugen, oder als aufstiegsorientierte Variante, in der prestigeträchtige Strategien und kämpferische Strategien verbunden sind.
Abschließend bleibt noch zu klären, warum hier die dominante Orientierung auf sportliche Aktivitäten schließlich argumentativ begründet werden muss. Dies lässt sich wiederum nur stimmig erschließen, wenn man die potentiell angelegte Bilanz des Lebensablaufes oder einer Lebensphase mit bedenkt. Hier ist gerade dieser (implizite oder noch zu explizierende) Bilanzierungsaspekt deutlich hervorzuheben. Dabei weist die Begründungsfolie bereits auf dessen Umsetzung, insofern die Begründung implizit auch für die Bilanzierung selbst gelten kann.
Begründet werden die zentralen Bezugskriterien einer lebensgeschichtlichen Thematisierung sowie die dominante Orientierung in der in Rede stehenden Lebensphase durch eine explizierte Selbst-Konzeption. Diese Selbst-Konzeption kann hier als anthropologisch-biologisches Selbst-Konzept gefasst werden, in der eine dem bewussten Selbst vorgängige Wesenseigenschaft als grundlegende Rahmung des Individuationsprozesses bereitgestellt wird. In dieser Konzeption ist diese Wesenseigenschaft – vorgängig konstituiert – nicht mehr aufzuheben. Sie erscheint viel eher als einmal biologisch angelegt und dann dauerhaft verobjektiviert. Dann aber lassen sich die Individuationsmöglichkeiten in zwei kontrastiven Polen fassen. Entweder können die angelegten Wesenszüge des Selbst durch die Rahmungen des Individuationsprozesses optimal entfaltet werden, dann würden sich ein positiver Selbstwert und eine Selbstzufriedenheit einstellen, die schließlich auch den Hintergrund für eine positive Lebensbilanz abgeben. Oder die angelegten Wesenszüge werden durch äußere Rahmungen behindert und zurückgedrängt, dann muss von einem brüchigen Selbstwert und von Entfremdungsgefährdungen ausgegangen werden, die schließlich den Hintergrund bilden für eine negative Bilanz des Lebens (vgl. hier insgesamt ausführlicher Maren (2) ).
Betrachten wir schließlich, welcher Art hier das anthropologische Selbstkonzept konkretisiert wird, dann können folgende Ableitungen getroffen werden. Indem Maren hier die Grundlegung ihres Selbst und damit den Hintergrund des Lebensverlaufes und der Lebensbilanz in einer körperlichen Aktivität fokussiert, kann von einer starken körperlichen Generierung von Selbstwert ausgegangen werden, die damit auf äquivalente habituelle Ausprägungen verweist. Selbst und Selbstwert konstituieren sich demnach vor allem über körperliche Aktivitäten. Dies impliziert auf der einen Seite, dass Maren entweder dominant in diesem Bereich handlungsschematisches Potential entfalten und ihr Selbst stärken kann. Auf der anderen Seite erscheinen jedoch als Kehrseite andere Tätigkeiten und Orientierungen, die nicht dominant auf das Körperliche abzielen, als Bedrohung des Selbst, die es abzuwehren gilt. Eine angelegte Bilanz wäre dann danach strukturiert, ob es Maren angesichts der Rahmungen des Lebensverlaufes gelingt, diese körperlichen Aktivitäten maximal umzusetzen oder ob diese behindert sind und zu Entfremdungs- und Leidensprozessen führen. Dass hier die anthropologisch-biologische Rahmung des Lebensablaufes als („innerer“) Zwang entworfen wird, deutet dabei bereits in die Richtung eines behinderten und damit stetig wachsenden Begehrens sowie subjektiver Leidensprozesse, die im Weiteren noch expliziert werden müssten.
M: und deshalb wars für mich och ne ziemliche umstellung in der schule eben so stillzusitzen und nich mehr nichts mehr zu machen (holt tief luft)
Mit dieser Sequenz wird nun nach der Markierung des lebensgeschichtlichen Bezugssystems direkt und ohne eine narrative Explikation vorgängiger Lebensphasen zu einem biographischen Bruch und die Lebensphase nach dem Bruch übergegangen. Dieser Bruch kann damit bereits formal als dominante lebensgeschichtliche Krisenerfahrung herausgestellt werden. Er soll im Weiteren näher betrachtet werden.
Zunächst kann über die Interviewte festgestellt werden, dass sie mit der Schulzeit und hier konkreter mit dem Eintritt in die Schule mit einer Veränderung der Rahmung des Individuationsprozesses und des Selbst konfrontiert ist, die deutlich auch als Transformationsdruck des Selbstkonzeptes und der lebensgeschichtlichen Bezugssysteme erfahren wird. Während die Zeit vor dem Schuleintritt in der bisherigen Darstellung zwar nicht in der Vielfalt der Erfahrungen entfaltet, aber als homologer Erfahrungsraum präsentiert und mit den dominanten Aktivitäten zugleich auch als gefestigte habituelle Prägung erscheint, erfährt diese homologe und gefestigte Selbstwahrnehmung und -entfaltung hier einen deutlichen Widerstand und Bruch. Dieser Bruch wird dabei scheinbar auf die eingeschränkten Möglichkeiten der sportlichen Aktivitäten bezogen. Jedoch zeigt die Sequenz, dass dieser tiefer reicht und nicht bei den nunmehr als Oberflächenphänomen zu fassenden sportlichen Aktivitäten stehen bleibt.
Viel zentraler als die Möglichkeit sportlicher Betätigung ist die mit dem Schuleintritt herbeigeführte Verschiebung der Koordinaten des lebensgeschichtlichen Bezugssystems, die hier nur symptomatisch im Zwang des Stillsitzens aufscheinen. Das heißt, dass mit dem Schuleintritt nicht nur neue Anforderungen deutlicher auf Maren zukommen, sondern auch, dass sich ein neues Dominanzverhältnis zwischen verschiedenen Anforderungen einstellt und zu neuen Anerkennungsverhältnissen in den Rahmungen des Selbst führt. Diese Verschiebung ist nun offensichtlich für Maren hochproblematisch und wird als Bedrohung des Selbst wahrgenommen. Dies ist aber nur dann stimmig, wenn die neuen Anforderungen und die durch dieses repräsentierte Anerkennungsverhältnis nicht anschlussfähig an die bisherigen Selbstwahrnehmungen sind. Das heißt, der Schuleintritt wird nur dann zum Bruch, wenn hier quasi in einer Kippfigur bisher dominierte Orientierungen und Formen der Anerkennung ‚plötzlich‘ zu den dominanten Bezugspunkten des Selbst werden. Dass dieses angenommen werden kann, zeigt sich in der Thematisierung der ‚Umstellungsnotwendigkeit‘ – mit der auf von außen angestoßene und erzwungene Bildungsprozesse und die Neuorientierungsarbeit des Welt- und Selbstbezuges verwiesen wird – und nicht zuletzt in dem Ausweis der Konsequenzen für den Interviewten, ‚nichts mehr machen zu können‘, also in einer latenten Bedeutung als Selbst nicht mehr zu existieren. Wie zur Bearbeitung der existenziellen Bedrohung und als Synonym für das Gefühl des Erstickens holt die Interviewte hier noch einmal kräftig Luft.
Abschließend kann mit dieser Sequenz also festgehalten werden, dass aus der biographischen Erfahrung heraus die Zeit vor der Einschulung als homologer Erfahrungsraum konstruiert wird, indem kontinuierliche Anerkennungsverhältnisse zur Festigung eines spezifischen Selbstverhältnisses und zur Ausprägung habitueller Orientierungen führen. Diese Orientierungen sind schließlich verankert in einem grundlegenden Selbstkonzept, das anthropologisch-biologisch die Rahmung des Individuationsprozesses und mithin der Lebensgeschichte über angelegte Wesensmerkmale deterministisch engführt und festgelegt. Zu einer fundamentalen und – bezogen auf die sinnliche Wahrnehmung – existenziell bedrohlichen Krise kommt es mit dem Schuleintritt dann, weil die zuvor generierten Orientierungen offensichtlich stark mit den schulischen Orientierungen konfligieren. Statt direkter und unreflektierter Körperbezogenheit muss nun durch Rationalisierungsanforderungen die „innere Natur“ beherrscht und kontrolliert werden. Darüber ist jedoch eine grundlegende Umorientierung des Selbst- und Weltverhältnisses erforderlich. Hier deutet sich bereits an, dass diese bezogen auf die ganz grundlegende Selbstkonzeption nicht gelingt (diese Konzeption also auch aktuell noch gültig ist), deshalb oberflächliche Anpassungsleistungen erfordert und darüber zu Entfremdungs- und Leidensprozessen führt. Die implizit angelegte Bilanz kann damit nur eine negative sein, die mit dem Schuleintritt auf den Beginn einer Verlaufskurve als fremdbestimmte Zwangskontrolle der „inneren Natur“ entfaltet wird.
M: und . naja . ich mach jetzt auch noch viele hobbys weil //hm// ich brauch sowas ich muss mich immer ablenken damit ich eben auch mal von der schule wegkomme nich immer nur zu hause sitze und lerne weil . . das mach ich soundso sehr wenig . //ha// .
Betrachten wir zunächst die formale Struktur dieser Sequenz, dann zeigt sich, dass sich die Passage auf die Zeit nach dem lebensgeschichtlichen Bruch bezieht und die damit verbundene Krise des Selbst bzw. deren Bearbeitung bis in die aktuelle Zeit des Interviews fortschreibt. Diese Bearbeitungsnotwendigkeit sowie die damit verbundene Krisenhaftigkeit bzw. Selbstproblematik (vgl. Maren (2) ) äußert sich formal besonders darüber, dass die Darstellung nicht in narrative Passagen überführt werden kann, sondern vor allem in argumentative Begründungszusammenhänge überführt wird.
Inhaltlich bringt die Sequenz zum Ausdruck, dass Maren auch aktuell noch vielen ‚Hobbys‘ nachgeht. Gerade in dieser Kennzeichnung und Bezeichnung der Tätigkeiten – die hier stringent nur auf die zuvor genannten sportlichen Aktivitäten bezogen sein können – zeigt sich die Problematik des unverarbeiteten Bruchs. So wird einerseits deutlich, dass nicht so sehr die Ermöglichung der sportlichen Aktivitäten verhindert ist und damit die verhinderte Ausübung dieser Tätigkeiten nicht die Problematik ausmachen kann, sondern dass die Problematik sich auf die Erosion und Behinderung der habituellen Orientierungen und des Selbstkonzeptes beziehen. Der Begriff des ‚Hobbys‘ steht dabei zugleich für die hohe biographische Bedeutsamkeit und die marginalisierte Bedeutung der Aktivitäten aus der Sicht der Rahmungen des Selbst, denen allenfalls Freizeitcharakter und Reproduktionsfunktionen zugesprochen werden.
Schließlich ist Maren mit der Thematisierung dieser Problemkonstellation in der Gegenwart angelangt und behandelt die Problematik, indem sie sich argumentativ mit der Spannung von hoher biographischer Relevanz und heterogen gesetzter Irrelevanz der dominanten Orientierungen auseinandersetzt. Auf der einen Seite zeigt sich der Bedeutungsverlust als bereits integrierter Bestandteil eines transformierten Selbst- und Weltbezuges, indem zwar abgewehrte aber dennoch dominante Anforderungen zum Ausdruck kommen. Auf der anderen Seite zeigt sich die dominante Bedeutsamkeit der bedrohten Orientierungen in der Kompensationsfunktion der sportlichen Aktivitäten und darüber die latente Reproduktion eines anthropologisch-biologischen Selbstkonzeptes. Der Widerspruch zwischen eigenem Bezugssystem und den heteronom erfahrenen Anerkennungsverhältnissen bleibt dabei jedoch bestehen. Er zeigt sich nicht zuletzt in der inkonsistenten Begründungsfigur, bei der die Aktivitäten zur Kompensation schulisch hervorgerufener Entfremdungsprozesse erscheinen, zugleich aber die faktische Wirksamkeit der schulischen Anforderungen negiert wird.
Abschließend kann mit dieser Sequenz damit formuliert werden, dass einerseits mit dem Schuleintritt ein Transformationsdruck auf das Selbst des Interviewten und dessen habituelle Orientierungen ausgelöst wird, der Umorientierungen erzwingt und diese teilweise auch nachweisbar sind. Jedoch zeigen sich parallel unterschwellige Tradierungen, die sich besonders auf das anthropologisch-biologische Selbstkonzept beziehen und die ein spezifisches Verhältnis zwischen Schule, Selbst und Selbstkrisen generieren. Dieses Verhältnis kann hier als dauerhaftes Leiden an Entfremdungserfahrungen durch heteronome Anforderungen der Schule konkretisiert werden, die mit ihren Anforderungen das Selbst zu vereinnahmen droht. Das führt dazu, dass sich Maren einerseits nur bedingt auf die schulischen Anforderungen einlassen kann und andererseits aber die ihrem Selbstkonzept und habituellen Orientierungen entsprechenden Aktivitäten nur begrenzten Raum zur Verfügung stellt.
M: naja und . ne umstellung war für mich eigentlich nach der wende auch die schule also das //hm// . . war schon n bisschen krass weil ich hatte früher eigentlich fast nur einsen . und dann . im ersten schuljahr auch nur dreien und so also das war für mich schon en ziemlich harter schlag weil sowas war ich ja auch nich gewohnt . .
Mit dieser Sequenz wird der Darstellungsfaden von Sequenz 2 wieder aufgenommen und nach dem Einschub, der sich auf die aktuelle Bearbeitung des mit dem Schuleintritt ausgebrochenen Problempotentials bezog, sich wieder der Thematik des lebensgeschichtlichen Verlaufes gewidmet. Etwas irritierend wirkt hier, dass nun nach der bereits markierten Umstellung mit den neuen Rahmungen schulischer Anforderungen noch einmal eine Umstellung thematisiert wird. Die Irritation steigert sich dann, als deutlich wird, dass auch diese Umstellung an der Schule festgemacht wird. Dabei wird die Problematik schulischer Anforderungen hier an die Wende – also an die gesellschaftlichen Umbruchsereignisse in der DDR – festgemacht, mit der sich auch Schule und darüber vielleicht schulische Anforderungen transformiert haben und schließlich zu extremen Erfahrungen (‚krass‘) im lebensgeschichtlichen Verlauf geführt haben. Diese Irritation kann nun in zwei Lesarten überführt werden:
- In einer ersten Lesart kann von einer synonymen Krisenhaftigkeit und einer Umbruchssituation ausgegangen werden, die hier jedoch zweifach und damit doppelt thematisiert wird. Diese doppelte Thematisierung muss dann aber auf eine verschobene Wahrnehmung und Präsentation zurückgeführt werden, bei der entweder die Dominanz schulischer Anforderungen mit der Wende der DDR zusammenfallen oder der Umschlag der dominanten Anforderungen und damit verbundener Anerkennungsverhältnisse zwar in die Nachwendezeit fällt, aber analog einer Einschulung erfahren wird, weil die veränderte Schule nach der Wende den eigentlich markanten Bruch zu den vorher tradierten habituellen Orientierungen und Selbst- und Welt-Bezügen markiert.
- In einer zweiten Lesart kann von zwei verschiedenen Umbrüchen ausgegangen werden, die zeitlich nacheinander erfolgen und für Maren eine Steigerung der bereits mit dem ersten Umbruch (Einschulung) ausgelösten Krisenhaftigkeit beinhalten. Hier wäre davon auszugehen, dass die veränderte Rahmung mit dem Schuleintritt neue Anforderungen stellt und darüber eine Umorientierung erfordert, die mit der Transformation der Schule nach der Wende eine nochmalige Steigerung erfährt und zugespitzt wird. Für diese Lesart spricht die Platzierung der Formulierung ‚auch‘, weil damit die parallele Folge von Ereignissen signalisiert ist.
Betrachten wir die weiteren Formulierungen dieser Sequenz, dann wird deutlich, dass hier ein Bruch innerhalb der Schullaufbahn thematisiert wird. Dieser Bruch beinhaltet die polare Erfahrung, zunächst die schulischen Anforderungen optimal erfüllen und darüber in hohem Maß die schulische Anerkennung erlangen zu können (‚fast nur einsen‘), dann aber nach der Wende in der transformierten Schule deutlich an den schulischen Anforderungen zu scheitern und Anerkennungseinbußen und -verweigerungen verarbeiten zu müssen. Dieser Sprung in der Bezogenheit auf Schule ist extrem (‚ein harter Schlag‘) und erfordert in seiner Krisenhaftigkeit hohe Bearbeitungspotentiale, die nicht sofort zur Verfügung stehen (‚nicht gewohnt‘).
Beziehen wir diese inhaltlichen Bezüge auf die beiden oben entworfenen Lesarten, dann kann Folgendes festgehalten werden. Offensichtlich erfährt Maren den massiven lebensgeschichtlichen Bruch faktisch erst mit der transformierten Nachwendeschule. Jedoch ruht die Manifestation der hier aufbrechenden Krisenhaftigkeit auf der latenten Differenz schulischer Anforderungen und eigener habitueller Orientierungen, so dass die Bestimmung der Krisenhaftigkeit verschwimmt und unterschwellig bereits als Bruch mit der Einschulung in Erscheinung tritt. Diese Vermischung und Verdopplung der Krise zeigt sich auch darin, dass Maren hier in der narrativen Passage von einem Leistungsabfall spricht, der auf die erste Klasse datiert wird. Dieser Widerspruch kann jedoch nur in der Art stimmig erklärt werden, dass hier das erste Schuljahr nach der Wende gemeint ist. Damit können wir bei Maren (ähnlich wie bei Dirk) von einer stark durch die Wende beeinflussten Schülerbiographie sprechen, die hier in Form des Aufbrechens latent angelegter widersprüchlicher Orientierungen in Erscheinung tritt und zu einer Verschärfung der lebensgeschichtlichen Krisenproblematik führt. Somit scheint es Maren besonders nach der Wende nur noch schwer möglich, die schulischen Anforderungen optimal zu erfüllen, was zur Erfahrung heteronomer Entfremdungszwänge führt und zum unterschwelligen Leiden an den Hindernissen, die habituellen Orientierungen und das gefestigte Selbstkonzept ungebrochen fortzuschreiben.
Die Problematik kann nun in zweierlei Hinsicht entfaltet sein. Einerseits ist es möglich, dass Maren in der Nachwendeschule auf eine Schule trifft, die besonders explizit auf die Umsetzung schulischer Anforderungen drängt und hier enorme Rationalitätspotentiale freisetzt. Dies wäre z.B. in einer transformierten und stärker auf Leistung bezogenen Schulkultur nach der Wende oder durch einen parallel zur Wende vollzogenen Schulwechsel möglich. In letzterer Variante wäre zudem festzuhalten, dass der Schulwechsel als solcher entthematisiert wird und deutlich von der vordergründigen Problematik absorbiert ist. Andererseits kann aber auch im familialen Nahraum nach der Wende sehr viel deutlicher auf die Erfüllung schulischer Leistungsanforderungen gedrängt werden, die jedoch aufgrund familialer Verunsicherungen mit der Wende deutlich schwieriger zu leisten sind. Hier hätten wir die quasi paradoxe Figur, dass die zuvor familial verbürgten habituellen Orientierungen Marens gebrochen sind und stärker auf schulische Rationalität verpflichtet wird, wobei gerade dadurch aber wesentliche Stützpotentiale für Maren entfallen und die schulische Rationalität als Bedrohung des Selbst in Erscheinung tritt. Dabei bleibt jedoch auch diese Variante an eine transformierte Schule gebunden, da das plötzliche Scheitern an den schulischen Forderungen sonst nur schwer nachvollziehbar ist.
Faktisch kann jedoch die schulische Krisenhaftigkeit und die Erfahrung eines lebensgeschichtlichen Bruchs auf die Nachwendeschule fokussiert werden, die durch ihre Rationalitäts- und Leistungsanforderungen das Selbst heteronom bedroht und neue Bearbeitungsstrategien erfordert.
M: naja und das hat sich dann irgendwie normalisiert wenn äh man sich an e system gewöhnt hat aber . am anfang wars schon ziemlich schwer sich da . umzugewöhnen
Stringent bezieht sich nun diese Sequenz auf die Form der Bearbeitung der zuvor markierten Krisenhaftigkeit der transformierten Nachwendeschule. Betrachten wir nun die Formulierungen der Interviewten und konturieren diese vor dem Hintergrund eines aufgespannten Spannungsfeldes von Bearbeitungsmöglichkeiten, dann lässt sich Folgendes festhalten. Zunächst verweist Maren hier auf eine Minderung der Krisenhaftigkeit, die nunmehr für das Selbst weniger bedrohlich erscheint und vielleicht in einer Form an die dominanten eigenen habituellen Orientierungen und das Selbstkonzept angebunden werden kann, die neue Handlungsspielräume eröffnet. Gerade mit der Formulierung ‚normalisiert‘ deutet sich an, dass die extreme Erfahrung der schulischen Anforderungen als heteronome Bedrohung des Selbst zurückgegangen ist.
Will man nun annehmen, dass diese Minderung des Extremen in der Bedrohung und fremdgesetzten Entfremdungsgefahr Ergebnis eigener aktiver Auseinandersetzung ist, ja sich hier vielleicht gar der Umschlag in einen biographischen Wandlungsprozess oder ein biographisches Handlungsschema andeutet, wird man jedoch enttäuscht. Stattdessen ist deutlich, dass der Interviewten die Bedingungen für diese Veränderung und dem Rückgang der massiven Bedrohung – die ja bis hin zu einer existentiellen Bedrohung des Sinnlichen formuliert werden konnte – nicht verfügbar sind und sich dem Einflussbereich eigenen Handelns zu entziehen scheinen. ‚Irgendwie‘ ist die Änderung eingetreten. Somit wird aber nicht nur die Auslösung und Zuspitzung der Krise in der verordneten Entfremdung heteronom erfahren, sondern auch das Abklingen der Bedrohlichkeit für das Selbst.
Man kann schließlich sogar formulieren, dass die Minderung der Bedrohlichkeit zwar auf der einen Seite gleichermaßen heteronom erfahren wird, auf der anderen Seite aber auch Anschluss an die grundlegenden anthropologischen Bestimmungen findet, indem hier implizit auf quasi naturgegebene Gesetzlichkeiten der Gewöhnung verwiesen wird. Früher oder später gewöhnt man sich an ein (jedes) System, auch wenn dieses in schmerzhafter Differenz zum eigenen subjektiven System steht. Schließlich werden auch mit dieser Sequenz noch einmal die Reichweite und der extreme Grad des Bruchs und der erzwungenen Umorientierung verdeutlicht. Bildungsprozesse lassen sich jedoch nur in der Form von oberflächlichen Anpassungsleistungen nachzeichnen, die nicht grundlegend zu neuen Selbst- und Welt-Bezügen führen, sondern durch latent tradierte Selbst-Konzeptionen potentiell gebrochen werden.
Abschließend bleibt bei Maren somit auf einen problematischen schulischen Bezug hinzuweisen. Schule wird von ihr dominant (zunächst) als latente – schließlich mit der transformierten Nachwendeschule als manifeste – Bedrohung ihrer Selbstkonzeption und als heteronomer Entfremdungszwang erfahren, womit ein positiver Bezug auf die schulischen Leistungsanforderungen verhindert ist, sich allenfalls strategisch auf die schulische Rationalität bezogen wird und dieses aber an subjektive Leidensprozesse gekoppelt bleibt. Ihr Selbst konstituiert sich gerade außerhalb der Schule und den schulischen Anforderungen, so dass Schule in ein Konkurrenzverhältnis eingespannt ist zu anderen Lebenssphären und Institutionen, in denen die Möglichkeit einer unverfälschten (Re-)Produktion des anthropologischen Selbstkonzeptes gegeben wird und somit Anerkennungsverhältnisse bestehen, in denen Maren Wertschätzung mit der Umsetzung ihrer habitualisierten Orientierungen in sportlichen Aktivitäten erfährt.
Mit dieser Passage, die sich auf die Minderung und nicht auf die Überwindung der Krisenhaftigkeit in der Passung habitueller und schulischer Orientierungen bezieht, endet die Ersterzählung des Interviewten. Damit kann nochmals abschließend konstatiert werden, dass in der hier entfalteten Krisenproblematik die zentrale lebensgeschichtliche Erfahrung zum Ausdruck gebracht ist, sich die daran gebundene Erfahrungsqualität nicht umfassend verändert hat und eine Überwindung der Verlaufskurvenpotentiale aufgrund der gesellschaftlich-kulturellen Rahmungen auf eher randständige Freizeitbereiche beschränkt bleibt.
Immanente Nachfragen
Im weiteren Gespräch schließen sich nun die immanenten Nachfragen an, die anschließend betrachtet werden sollen. Eine erste Nachfrage des Interviewers richtet sich auf die sportlichen Aktivitäten der Interviewten. Damit wird der zum Ausdruck kommenden primären lebensgeschichtlichen Relevanz dieser Beschäftigung entsprochen und zugleich ein thematischer Fokus gewählt, der für weitere Darstellungen nicht problematisch erscheint.
M also angefangen hab ich mit fünf jahren mit ballett //hm// weil . ich hab mich schon immer so für tanzen intressiert und zu hause getanzt . und dann hab ich irgendwann mal zwischenzeitlich aufgehört weil da sollt ich auftritte machen hoppel poppel und da hatt ich noch en bisschen angst . und das hab ich dann aber später weitergemacht mit zwölf jahren . und da hat mich meine mutti immer dazu überredet mal zu kung fu zu gehen weil es doch mal gut wär sich . verteidigen zu können und so . das hab ich dann auch drei jahre gemacht un ich musste aufhören wegen mein knien . un jetzt hab ich eben noch n andres . ähm noch n andres hobby und zwar tanz also richtig standard un latein //mhm// und klavierspielen und sowas . also was ich immer noch mit meinen knien machen kann weil ich kann jetzt auch kein sport mehr machen . .
Auf diese Nachfrage wird nun über verschiedene Etappen die Karriere eines Sportlers präsentiert. Eröffnet wird diese Sportlerkarriere mit dem Lebensalter von 5 Jahren und in Gestalt eines handlungsschematischen Entwurfes. Auf der Grundlage eines anthropologisch-biologisch verankerten Interesses (‚schon immer‘) entfalten sich handlungsschematische Impulse zunächst in spontanen Aktivitäten Zuhause und schließlich mit der Integration in eine Ballettausbildung. Zwar können wir hier anhand der Textbasis die direkte Motivation für diesen Beginn der Ballettausbildung nicht nachvollziehen, jedoch muss aufgrund des angegebenen jungen Lebensalters von 5 Jahren davon ausgegangen werden, dass hier Aspirationen und Idealmodelle signifikanter Bezugspersonen an Maren herangetragen wurden. Eher unwahrscheinlich wäre dagegen, dass Maren mit 3 oder 4 Jahren ihre Leidenschaft für Ballett entdeckt und diese mit 5 Jahren in einen handlungsschematischen Entwurf überführt. Die Aspirationen signifikanter Anderer (z.B. der Eltern) können dabei mehr oder weniger direkt an Maren vermittelt sein. In einer direkten Form könnten z.B. die Eltern Maren an einer Ballettschule anmelden. Eine indirekte Form wäre dann gegeben, wenn innerhalb des familialen Nahraumes solche Anerkennungsverhältnisse generiert wären, die Maren dann ein Maximum an Anerkennung und Wertschätzung garantieren, wenn diese die Sportlerkarriere annimmt und umsetzt. Dabei ist mit der Sportart selbstverständlich eine besondere Karriere angelegt, die auch bezogen auf Status und Milieus distinktive Kraft entfalten kann (vgl. weiter vorn und Maren (2)).
Entscheidend ist aber hier, dass in der biographischen Präsentation diese Fremdeinflüsse nicht genannt werden, sondern stattdessen der Beginn der Sportlerkarriere in dem bereits explizierten anthropologisch-biologischen Selbstkonzept wurzelt und hier handlungsschematische Impulse freisetzen kann. Das heißt, die besondere Rahmung des Individuationsprozesses in der Familie führt nicht nur dazu, dass das anthropologische Selbstkonzept generiert wird, sondern es schafft Möglichkeiten, mit denen Maren unter Rückbezug auf das Selbstkonzept handlungsaktiv werden kann und sich als aktiv-gestaltendes Subjekt zur Umwelt verortet. In dieser Rahmung und in der ersten Phase der Sportlerkarriere kann Maren sich also aktiv und handlungsschematisch auf ihre Umwelt beziehen und zugleich ein stabiles Gleichgewicht des Selbst sowie ein hohes Selbstwertgefühl entwickeln.
Dann folgt in der Darstellung der Sportlerkarriere (hier noch als Ballettkarriere) eine nächste Phase, die zugleich einen Bruch impliziert. Zunächst wird der Bruch eingeführt und zugleich deren zeitlich nachfolgende Bearbeitung in Form einer Wiederaufnahme der Sportlerkarriere zum Ausdruck gebracht. Bereits in diesen beiden Aspekten deutet sich eine Problematik für Maren an, weil einerseits der Beginn dieser Karriere als Freisetzung von Aktivitätspotential und als handlungsschematischer Entwurf markiert werden konnte, der zudem in einem tiefergreifenden Selbstkonzept verwurzelt ist. Somit beinhaltet der Bruch an dieser Stelle der Karriere bereits das Krisenpotential, dass handlungsschematische Entwürfe wegbrechen und das Selbstkonzept somit bedroht ist. Die angekündigte Wiederaufnahme der Karriere zeigt zudem, dass hier eine Bearbeitung der Krisenpotentiale erfolgt ist, die in Form einer kontinuierlichen Fortschreibung der behinderten Orientierungen erscheint. Das heißt, dass sich hier bereits vor dem umfassenden Bruch und Konflikt mit den schulischen Anforderungen eine analoge Krisenproblematik entfaltet hatte, die hier in ‚erster Instanz‘ jedoch durch eine kontinuierliche Fortführung aufgehoben wurde. Gerade in dieser Überwindung der Krisenproblematik durch den kontinuierlichen Anschluss und die Weiterführung der Sportlerkarriere kann die lebensgeschichtliche Strategie angelegt sein, die Maren später umso stärker an die gefestigten Orientierungen zur Aufrechterhaltung des Selbstkonzeptes und dessen anthropologischer Verankerung führt.
Betrachten wir die Darstellung auf die Gründe für den Abbruch der Karriere, dann zeigt sich, dass dieser durch die hohen Anforderungen in der Karriere selbst begründet waren, die hier zu verordneten Auftritten und damit heteronom erfahrenen Zwang sowie dem damit korrespondierenden Leistungsdruck führen. An dieser Stelle bricht jedoch die Selbstkonzeption massiv, da nunmehr deutlich wird, dass durchaus nicht (nur) von einer „inneren Natur“ und deren Befriedigung gesprochen werden kann, sondern sich mit der Orientierung auch Aspirationen und Forderungen anderer Bezugspersonen verbinden. Was als Frei- und Umsetzung der „inneren Natur“ erscheint, zeigt sich zugleich auch als übertragene Wunschvorstellung und als vom Kind zu erbringendes Leistungsideal.
Als nächste Phase der Sportlerkarriere wird dann die Wiederaufnahme der Aktivitäten beim Ballett genannt. Die kurze Textpassage, die sich auf diese Wiederaufnahme der Ballettaktivität bezieht, verdeutlicht neben der Anknüpfung und Fortführung der dominanten Orientierung vor allem auch die Stärke des erlebten Bruches der Karriere. So zeigt sich einerseits, dass die Wiederaufnahme – die hier explizit an das Lebensalter von 12 Jahren gebunden wird – erst nach einer mehrjährigen Pause erfolgt und andererseits nicht in der vermuteten Bedeutsamkeit thematisiert wird. Zu vermuten ist damit hier, dass auf der einen Seite die Abschreckung durch Überforderung und Leistungsdruck auch massive Abwehrhaltungen gegenüber der Wiederaufnahme der Ballettlaufbahn generiert hatte und auf der anderen Seite eine geglückte Anknüpfung an die früheren Sinnbezüge mit dem Ballett nicht unproblematisch gelingen konnte. Hier könnte es sein, dass aufgrund der längeren Pause die frühere Leistungsfähigkeit nicht mehr erreicht werden kann, damit auch die frühere Form der Anerkennung ausbleibt und die Attraktivität dieser Beschäftigung geschmälert ist. Damit hätten wir auch mit dieser Passage eher Hinweise darauf, dass die an das anthropologisch-biologische Selbstkonzept gebundene habituelle Orientierung, die der körperlich-ästhetischen Bewegungsform den zentralen Stellenwert zur Stabilisierung des Selbst und zur Generierung von Selbstwert einräumt, eine extern angestoßene Orientierung ist, die erst als subjektive Verarbeitung in die Formel der „inneren Natur“ und der angeborenen Wesenszüge überführt wird. Damit aber zeigt sich neben der Dominanz dieser Orientierung auch deren imaginärer bzw. idealisierender Gehalt, der zugleich real erfahrene Brechungen überbrückt und aufhebt.
In dieser Logik der Überlegungen verwundert auch nicht, dass mit der nächsten Phase der Sportlerkarriere die Ballettaktivitäten plötzlich entthematisiert werden und damit an Relevanz einbüßen. Stattdessen wird unvermittelt eine neue Sportart eingeführt. In dieser Passage wird deutlich, dass einerseits die Sportkarriere dominant von der Mutter strukturiert wird, indem diese ihre Aspirationen und Subjektideale auf Maren überträgt. Diese Ideale lassen sich hier nun neben den Statusaspirationen und den Anerkennungsvorstellungen (bezogen auf das Ballett) ausweiten auf die Fähigkeit aktiver und wehrhafter Verteidigung des Selbst, die hier zur Auswahl einer Kampfsportart führen. Andererseits zeigt sich mit der Passage, dass Maren mit den ihr übertragenen Aspirationen in Karrieren getrieben wird, die für sie auch Krisenpotentiale enthalten und tendenziell überfordern können. War es beim Ballett vor allem die Angst angesichts des Leistungs- und Präsentationsdrucks zu versagen, so zeigen sich hier als Nebeneffekte deutlich körperliche Überlastungen, die schließlich einen erneuten Abbruch der Sportlerkarriere bewirken, der hier nicht nur auf die Sportart speziell begrenzt ist, sondern generell die sportliche Leistungsfähigkeit von Maren dauerhaft einschränkt.
An dieser Stelle kann ein zentraler Zusammenhang klarer formuliert werden. Während bisher in der Präsentation durch Maren zum Ausdruck kam, dass ihr Selbst und ihr Selbstwert vor allem über sportliche Aktivitäten generiert ist, sich hier mit spezifischen habituellen Orientierungen und einer bestimmten Selbstkonzeption zu einer geschlossenen Selbstwahrnehmung verbindet, so kann nunmehr ergänzt werden, dass gerade diese Selbstwahrnehmung Ergebnis subjektiver Verarbeitung der Subjektrahmungen ist, die hier dominant in Form aspirativer Übertragungen und in Form von Anforderungen an Maren herangetragen werden. Die Umsetzung dieser Forderungen beinhaltet damit aber neben den selbststützenden Aspekten quasi als Kehrseite auch Überforderungsgefahren, denen sich Maren offensichtlich schwer entziehen kann und die auch zu dauerhaften Schäden führen.
Dennoch – trotz dieser Gefahren und Nebenwirkungen bewirkt die primäre subjektive Verarbeitung der mütterlichen Anforderungen in Form der Integration in habituelle Orientierungen und die anthropologische Selbstkonzeption, dass Maren an der sportlichen Karriere trotz der Einbrüche festhält und angesichts der zentralen Stabilitätsfunktionen dieser Aktivitäten auch festhalten muss. Modifiziert werden lediglich die Sportarten selbst. Nach dem Abbruch der Kampfsportausbildung wird die Lücke in der Darstellung schnell geschlossen. Maren beginnt mit einer Tanzausbildung und ergänzt dieses Substitut mit der eher weniger sportlichen Aktivität des Klavierspielens. Hier deutet sich eine Modifikation der an die Betätigungen gebundenen Bezugssysteme an, die schließlich von Maren argumentativ begründet wird. Durch die in der Erfüllung der mütterlichen Idealentwürfe als Folgekosten generierte dauerhafte Einschränkung der Bewegungsfähigkeit ist das Ausweichen auf Ersatzaktivitäten erforderlich. Diese erscheinen hier in der unterbrochenen Linie und der Wiederanknüpfung an die Statusambitionen im Bereich musisch, ästhetischer Beschäftigung. In dieser Modifikation kann somit an frühere Selbstbestimmungen angeknüpft werden, jedoch um den Preis, die anthropologisch verankerte Bewegungsnotwendigkeit zu konterkarieren oder zumindest tendenziell aufzuweichen. Der Beigeschmack des Ersatzes bleibt somit bestehen und kann erst überwunden werden, wenn auch die Selbstkonzeption eine Transformation erfährt. Ebenso gehen in der aktuellen Orientierung der Sportlerkarriere die expansiven und wehrhaften Aspekte verloren, mit denen in besonderem Maße handlungsschematische und Aktivitätsimpulse gekoppelt waren.
Als abschließendes Fazit kann schließlich die Problematik fokussiert werden, dass Maren ihr Selbst dominant durch sportliche Tätigkeit bestimmt, die als Resultat externer Übertragungen in die Konzeption einer inneren Natur überführt wird, an den Nebenwirkungen und Folgekosten scheitert und schließlich diese Aktivitäten nur eingeschränkt ausüben kann. Die Selbstkonzeption muss damit einen grundlegenden Bruch überwinden und ruht auf einer Verkennung auf.
In der nächsten Nachfrage wird die Thematik der Sportlerkarriere weiter verfolgt und die Generierung der sportlichen Interessen nochmals nachgefragt. Vielleicht spürt der Interviewer die Spannung zwischen übertragener Anforderung und der Konzeption eines inneren angeborenen Wesenszuges.
M: na im fernsehen hab ich immer sowas gesehen wie die immer so //hm// mit ihren schönen kleidern getanzt ham und bei uns is ja hier . der volkspark . un da machen die ja sowas und da hab ich ehmt ma zugeschaut . . und . weil ich hab tanzstunden gemacht un da fand ich sowas ehmt sehr intressant so cha cha oder so zu tanzen . da bin ich ehm da mit hingegangen und . wurd ich da aufgenommen hab mir en tanzpartner gesucht . na seit dem tanz ich dann .
Betrachten wird diese Sequenz insgesamt, dann zeigt sich, dass Maren hier die Nachfrage nicht in aller Konsequenz aufgreift, sondern stattdessen auf die letztgenannte sportliche Tätigkeit des Tanzes beschränkt. Daraus kann nun einerseits abgeleitet werden, dass eine neue und über die bisherigen Ausführungen hinausgehende Thematisierung der Motivation für den markierten hohen Stellenwert der sportlichen Aktivitäten nicht angestrebt wird, vielleicht auch angesichts der unbewussten latenten Motivation nicht gelingen kann. Andererseits könnte die Entthematisierung der früheren sportlichen Aktivitäten und der Generierung des Interesses dafür auch darin begründet sein, dass Maren hier bereits eine Trennung und innere Distanzierung vollzogen hat, da sie diese Orientierungen nicht mehr in der Form umsetzen kann, wie sie dem Selbstkonzept angemessen wäre.
Für die letztgenannte Aktivität des Tanzes können wir Folgendes herausarbeiten. So zeigt sich auf der einen Seite, dass ihr Interesse an dieser Beschäftigung einerseits durch äußere Rahmungen bedingt ist, die hier in Gestalt des verfügbaren Angebotes und der absolvierten Tanzstunde expliziert werden, und andererseits durch die an die Tätigkeit gekoppelte Statusaspirationen motiviert ist, was sich in der Darstellung der Anerkennung der Akteure (in den Medien oder innerhalb der Familie) zeigt (‚in ihren schönen Kleidern‘). Auf der anderen Seite wird aber auch deutlich, dass trotz der Einbrüche in der bisherigen Sportlerkarriere und den darin wurzelnden körperlichen und mentalen Belastungen die Bewegungsformen noch immer geeignet sind, Aktivitätspotentiale und handlungsschematische Impulse zu generieren. Diese Aktivitätspotentiale zeigen sich hier darin, dass – wenn auch die Integration in die Tanzausbildung außerhalb der eigenen Befugnisse liegt – handlungsaktiv die Ausbildungsstätte aufgesucht und ein – sicherlich zur Beteiligung notwendiger Tanzpartner – gesucht wird. Wenn es auch in dieser Sequenz nicht weiter expliziert wird, deutet sich an, dass die bis in die aktuelle Zeit aufrechterhaltene kontinuierliche Beschäftigung mit Tanz soziale Wertschätzung und Anerkennung generieren kann und darüber zur Kompensation anderer Anforderungen und damit verbundener Entfremdungszwänge beiträgt.
Mit dem Ende der Ausführungen dieser Passage knüpft der Interviewer mit einer Nachfrage an, die sich auf die Inkonsistenz der Beantwortung der vorangegangenen Nachfrage richtet, mit der die früheren sportlichen Interessen ausgeblendet blieben. Die Nachfrage richtet sich auf den von Maren zuvor explizierten Beginn der sportlichen Karriere mit fünf Jahren, und eruiert, ob die gerade dargestellte Beeinflussung durch das Fernsehen mit diesem Lebensalter deckungsgleich ist.
M: ich fand das immer mal schön irgendwas zu präsentieren was man kann und . //hm// hab ich dann eben weitergemacht
Maren geht hier nur knapp auf die erneute Nachfrage ein und bezieht sich mit sehr allgemeinen und ‚schwammigen‘ Äußerungen auf dessen Sinngehalt. Im Grunde reproduziert sich damit die Entthematisierung der Motivationslinien für den Beginn der Sportlerkarriere, die bei Explikation in der Gefahr steht, die widersprüchlichen Sinnkonstruktionen als „innere Natur“ und biologisch angelegtes Wesensmerkmal einerseits und als statusambitionierte Projektion der Mutter (Eltern) andererseits aufbrechen zu lassen und damit einer neuen bewussten Bearbeitung zuzuführen. Dennoch kann die Formulierung dieser Passage auf die vom Interviewer angestoßene Problematik bezogen werden. In einer gewissen Doppeldeutigkeit kann nämlich diese Sequenz gerade durch ihre Offenheit und Unbestimmtheit sowohl auf den Beginn der Tanzausbildung als auch auf den Start der Sportlerkarriere in der Kindheit bezogen werden.
- Im ersten Fall würde die Formulierung zum Ausdruck bringen, dass das Interesse am Tanz deshalb in handlungsschematische Impulse überführt wurde, weil diese Betätigung die Form von Anerkennung und Bewunderung versprach, die ‚immer mal‘ angestrebt wurde. In dieser Variante würde der Tanz diesem Anerkennungs- und Präsentationswunsch entsprechen und deshalb die Motivation bereitstellen. Allerdings bricht diese zunächst vermutete starke Passung zwischen Anerkennungswunsch und der Tätigkeit des Tanzes dann mit der Anschlussformulierung, weil das ‚Weitermachen‘ die Erfüllung der Anerkennungsbedürfnisse nur relativiert zum Ausdruck bringt. Eher hat man den Eindruck, dass zwar der Wunsch nach Anerkennung und Bewunderung mit dieser Tätigkeit nicht in dem ideal anvisierten Maß erreicht werden konnte, Maren aber aufgrund mangelnder Alternativen auf diese Beschäftigung bezogen bleibt.
- In der zweiten Variante kann nun die Formulierung als grundlegender Motivationszusammenhang für die starke Orientierung auf den sportlichen und hier besonders den körperlich-ästhetischen und expressiven Bereich vermutet werden. In dieser Variante würde eine Kopplung von „innerer Natur“ und projektiven statusambitionierten Übertragungen signifikanter Bezugspersonen in der Art zum Ausdruck kommen, dass das der „inneren Natur“ entsprechende nicht so sehr die konkrete Form der Beschäftigung, sondern der zugrundeliegende Wunsch nach Anerkennung und Bewunderung ist. Dieser Wunsch nach Bewunderung wird nun – zumal er bereits auf projektive Eltern-Kind-Beziehungen verweist, in denen Maren elterliche Idealentwürfe übertragen werden – an die Rahmung der familialen Sozialisation gebunden und damit inhaltlich über elterliche Idealentwürfe konkretisiert. Allerdings zeigt sich in dieser Variante stärker als bei 1. die Problematik dieses Motivationszusammenhanges, weil daraus offensichtlich nicht nur Über- bzw. Belastungen resultieren, sondern auch die gewünschte (ideale) Anerkennung nicht erreicht werden kann. Das Weitermachen nimmt hier die Bedeutung einer Durchhalteformel an, mit der Maren sich gezwungenermaßen immer wieder den brisanten Bewährungen aussetzt und sich in der Spannung zwischen Bewunderung und Entwertung im Falle des Scheiterns bewegen muss. Die Problematik der projektiven Mutter-Kind-Beziehung wird dann in dem schon skizzierten anthropologischen Selbstkonzept verschleiert und kaschiert.
Auch die nächste Nachfrage des Interviewers verbleibt bei der behandelten Thematik und bringt mit dem erneuten expliziten Bezug auf den Beginn der Sportlerkarriere mit fünf Jahren Maren unter Darstellungs- und Erklärungsdruck, mit dem sie zur Thematisierung der Spannung zwischen Veranlagung und deren Freisetzung einerseits und der projektiven Forderungen und den darin enthaltenen Spannungen andererseits aufgefordert ist. Konkret bezieht der Interviewer die letzte Ausführung auf die Zeit des Kindergartens und fragt nach der Verbindung von Kindergarten und sportlicher Betätigung nach. Der Fokus der Nachfrage liegt dann schließlich auf der implizit angedeuteten Frage, ob Maren im Kindergarten gewesen ist.
M: na ich war kaum im kindergarten weil . ich . bin mehr son mensch der so ziemlich alleine is also ich brauch zwar freunde aber zu viele menschen zu lang das kann ich nich um mich ham //hm// . schon früher nich . saß ich lieber alleine in der ecke un hab was für mich gemacht oder so . . und deshalb hab ich auch ballett gemacht weil das kann man ziemlich alleine machen die übungen un sowas .
Mit dem Beginn der Passage deutet sich anfangs an, dass Maren der implizierten Problematik und dem Darstellungsdruck derselben ausweicht, indem sie sich auf die eher technischen ‚objektiven‘ Details der Thematik bezieht. Hier eröffnet sie mit der Feststellung, dass sie kaum im Kindergarten war und ihr deshalb – in der Verlängerung des Ansatzes der Nachfrage – die Beschäftigung mit den sportlichen Aktivitäten kein Problem bereitet hatte. Allerdings bricht diese Orientierung an unverfänglichen ‚objektiven‘ Details schnell zusammen, da gerade der Fakt des seltenen Kindergartenbesuches neue Fragen aufwirft und auch versteckte Problemlagen vermuten lässt. Diese impliziten Folgefragen und Problemlagen greift Maren schließlich in der anschließenden argumentativen Struktur auf, wobei sich eine Figur herausstellt, die deutlich analoge Züge zum schon rekonstruierten anthropologisch-biologischen Selbstkonzept und dessen verkennenden Elementen aufweist.
Nach der formalen Struktur wird der seltene Kindergartenbesuch damit begründet, dass Maren vom ‚Wesen‘ her ein Mensch ist, der (‚lieber‘) alleine ist. Wenn auch dies positiv gedacht auf eine am Kind orientierte Förderung der Individuation verweist, bei der dem Wesen gemäß die optimale Rahmung zur Entfaltung des Selbst bereitgestellt wird, so deuten sich doch bereits in dieser Konstruktion Brechungen an, da einerseits die hier implizierten Bezugspersonen, die für die Diagnose des Wesens sowie für die Bereitstellung der optimalen Rahmung notwendig sind, nicht mit genannt werden und andererseits die ‚dark side‘ dieser Rahmung als Gefahr der Isolation fast unmittelbar in Erscheinung tritt. Schließlich ist aus sozialisationstheoretischen und interaktionistischen Überlegungen heraus kaum vorstellbar, dass derartige Rahmungen des Individuationsprozesses gedacht als konsequente Umsetzung des Formulierten keine Problematiken im Prozess der Selbstgenese hervorbringen.
Maren versucht deshalb stringent auch diese impliziten Spannungen in der argumentativen Anschlussformulierung zu glätten, was jedoch nur bedingt gelingt. So wird analog zur biologisch verankerten Bewegungsnotwendigkeit nun auch die Isolationsproblematik über eine anthropologische Bestimmung zu bannen versucht und zugleich konterkarierend herausgestellt, dass Maren auf viele Freundschaftsbeziehungen angewiesen ist. Gerade mit dieser Kennzeichnung zeigt sich jedoch der verkennende Gehalt der anthropologischen Selbstkonzeption, die damit einen eher präventiv-kompensatorischen Charakter erhält. Der Widerspruch manifestiert sich jedoch in dieser Formulierung und bleibt auch trotz der nachgeschobenen Klärungen weiter bestehen. Im Gegenteil verhärtet sich der Verdacht, dass die Isolation des Selbst in der frühen Kindheit (‚alleine in der Ecke‘) eine weitere zentrale Krisenproblematik ausmacht, die wahrscheinlich mit der erstgenannten eng verbunden ist. Das hier eine Verbindung zwischen der kindlichen Isolationsproblematik und der starken Orientierung auf die Sportlerkarriere besteht, zeigt sich auch in der formalen Struktur der Passage, in welcher der Beginn der Ballettaktivitäten in einen konstitutiven Zusammenhang mit dem Alleinsein eingebettet wird (‚deshalb bin ich auch zum Ballett‘). Dieser Zusammenhang lässt sich damit als latente Beziehung nachweisen.
Abschließend soll hier nun die neue Krisenproblematik mit der Sportorientierung und der implizierten Anerkennungsproblematik in einem stimmigen Zusammenhang formuliert werden. Wir können davon ausgehen, dass – wenn auch nicht am Text nachweisbar ist, dass die Isolationsproblematik der Anerkennungsproblematik und der Sportorientierung vorausging – die geschilderte Isolationsproblematik durch die seltenen Kindergartenaufenthalte Maren zusätzlich anfällig für die familialen Anerkennungsverhältnisse macht, insofern sie damit von Kompensationsmöglichkeiten prekärer Anerkennung und einer Relativierung der Signifikanz der Mutter (Eltern) abgeschnitten bleibt. Durch das Handeln der Eltern, die hier faktisch den Kindergartenbesuch reduzieren, ist sie umso deutlicher auf die familialen Beziehungen und die familialen Anerkennungsverhältnisse verwiesen. Wird nun – wie vermutet – Maren zur Projektionsfläche elterlicher bzw. mütterlicher Idealentwürfe, so impliziert dies, dass sie ohne ausgleichende und stabilisierende Beziehungen dieser Bindungsqualität der Eltern-Kind-Beziehung ausgeliefert ist. Sie muss sich damit auf die spannungsvolle projektive Anerkennungsstruktur einlassen, um überhaupt die notwendigen Rückspiegelungen zur Generierung des Selbst erhalten zu können. Dies führt mit den geschilderten Konsequenzen und Nebenwirkungen dazu, dass Maren sich auf die sportlichen Aktivitäten dominant orientiert und hier die Bewunderung der Mutter zu erhalten versucht. Die ‚dark sides‘ der Belastungen und Überforderungen werden im anthropologischen Selbstkonzept verschleiert und negiert. Schließlich ist jedoch diese Selbstkonzeption dafür verantwortlich zu machen, dass Maren dominant auf diese Orientierungen bezogen bleibt, entsprechende habituelle Orientierungen ausbildet und damit schließlich in Passungsprobleme zu den schulischen Anforderungen rationaler Leistungsorientierungen gerät.
Die nächste Nachfrage des Interviewers nimmt den Aspekt in der Darstellung Marens auf, dass diese nur selten den Kindergarten besucht hat und fragt nach der Art der Anmeldung im Kindergarten bzw. ob sie denn nicht dort angemeldet war. Damit verweist sie implizit auf Kontextnormalerwartungen, nach denen die Nichtanmeldung im Kindergarten eher einen spezifischen Sonderfall des Aufwachsens in der DDR bedeutete.
M: doch aber . ich war . vielleicht so . von um zehn bis um zwei da un . die restlichen stunden ehmt außerhalb
Die Reaktion von Maren macht hier schließlich noch einmal verstärkt den verkennenden und illusionierenden Gehalt der Selbstwahrnehmung und der Selbstkonzeption deutlich. So zeigt sich hier, dass sie schon ganz regelmäßig den Kindergarten besucht hat und allenfalls die Dauer der Besuche von denen anderer Kinder abweichen kann. Denn wenn auch deutlich wird, dass sie im Vergleich zu anderen Kindern weniger Zeit im Kindergarten verbracht hat, so sind doch die angegebenen vier Stunden täglich eine Zeitspanne, die eine kontinuierliche Einbettung in die Beziehungsnetze des Kindergartens (zu anderen Kindern und den Erzieherinnen) erlauben und auch erzwingen. Allerdings – und dort liegt der Knackpunkt – kann gerade der zeitlich geringere Aufenthalt im Kindergarten eine signifikante Differenz zu anderen Kindern und damit eine Besonderheit bezeichnen, die eine vollständige Integration in die Gemeinschaft des Kindergartens verhindert und die dazu führt, dass Maren trotz regelmäßiger Anwesenheit sich eher außerhalb des Kindergartens wahrnimmt und erfährt. Das Wesensmerkmal des ‚Alleinsein Wollens‘ entpuppt sich hier tendenziell als eine Erfahrung des Nichtanschlusses oder auch Ausschlusses aus der Gemeinschaft des Kindergartens.
Signifikant ist schließlich auch, dass Maren sich damit dominant außerhalb des Kindergartens erfahren hat, ohne sich aber anderswo (besonders in der Familie) zu integrieren bzw. integrieren zu können. Was vielleicht schon unterschwellig auch in den bisherigen Darstellungen vermutet werden konnte, kann hier schließlich begründet angenommen werden: Die Integration in den familialen Zusammenhang ist biographisch nicht erlebt wurden. Somit steigert sich nochmals die Isolationsproblematik, das nicht integriert und angebunden sein, in eine Selbstkrisenproblematik, weil die punktuelle Integration und die ungebrochene Anerkennung des Selbst einzig über den Weg der sportlichen Präsentationsleistungen gelingen kann. Nur dann ist eine Anerkennung des Selbst – allerdings in der Bedeutung eines Ideal-Selbst, mit den hier eigenen implizierten Problematiken – möglich.
Auch der Interviewer scheint intuitiv diese familiale Leerstelle zu spüren, so dass im Anschluss der Beitrag der Familie ‚zu etwas‘ nachgefragt wird. Auf der Ebene manifester Sinngehalte wird die Nachfrage stringent auf die Sportlerkarriere zu beziehen sein. Auf der Ebene latenten Sinns kann jedoch hier auch der Beitrag der Familie zu den implizierten Selbstkrisen thematisiert werden.
M: . also früher also wir hatten en spielplatz hinterm haus und da //hm// bin ich ehmt . sehr zeitig immer rausgegangen un mein vati mach doch mal n bisschen sport und mein vati is och sehr sportlich na //hm// da ham mer immer zusamm . geklettert oder sind of berge gegangen und . vati hat dann och gesagt kannst doch mal was andres machen also was ‚weiblicheres‘ (lachend gesprochen) //hm// . un da bin ich ehmt zum tanzen gegangen . //hm// weil meine mutti auch so ne tanzader hat un da hab ich eben von jedem was gelernt
Mit dieser Sequenz, die erstmals direkt die Eltern und die Familie zum Gegenstand der Thematisierung macht, lassen sich vor allem die bisherigen zentralen Annahmen bestätigen. Die Eröffnung dieser Passage steht zunächst ganz für das einzelne (isolierte) Ich. Maren ist hier früher immer zeitig aus dem Haus auf den Spielplatz hinter dem Haus gegangen. Wenn hier auch zunächst die Assoziation einer schönen – nämlich durch Spiele kindgerecht angefüllten – Kindheit aufscheint, so wird doch auf dem zweiten Blick die Isolation des Ich bzw. dessen fehlende Anbindung deutlich. Das ‚alleine raus gehen‘, was zudem sehr zeitig platziert wird, deutet darauf hin, dass Maren hier sich selbst überlassen war, wobei dieser Zustand schließlich als dauerhafter Zustand markiert ist (‚immer‘). Wenn auch – das soll nicht unterschlagen werden – Maren hier ein selbstbestimmtes und aktives Selbst präsentiert und von daher die familiale Situation auch Verselbständigungsimpulse bereitstellt, ist doch unter der Perspektive der skizzierten Isolationsproblematik deutlich zu machen, dass Maren offensichtlich über weite Strecken sich selbst überlassen war.
Neben dieser Grundkonstellation der familialen Einbettung werden dann die Eltern und deren Einflüsse in die Darstellung eingefügt. Nach der formalen Struktur ist damit auch das Verhältnis von äußerer Rahmung und der darin lagernden Eltern-Kind-Beziehung expliziert. Beide Elternteile erscheinen dann deutlich als Bezugspersonen von hoher persönlicher Relevanz (‚mein Vati‘ und ‚meine Mutti‘), die eigene Idealentwürfe haben (‚sehr sportlich‘ und ‚ne Tanzader‘) und diese Maren als Projektion zur Verwirklichung antragen. Dabei verbinden sich die Idealentwürfe beider Eltern zu dem Gemisch, das bereits als dominante habituelle Orientierung rekonstruiert werden konnte und welches in die Selbstkonzeption Marens integriert ist. Die dominante sportbezogene Orientierung – die hier vom Vater auszugehen scheint – wird schließlich mit weiblichen Idealentwürfen verknüpft und zu einer Weiblichkeit konkretisiert, die sich über körperlich-ästhetische und expressive Bewegungsformen ausdrückt. Dass hier Transmissionsprozesse abgelaufen sind, zeigt sich nicht nur in der Formulierung, von beiden Eltern etwas gelernt zu haben, sondern letztlich in dem rekonstruierten Selbstkonzept und den dominanten habituellen Orientierungen.
Schließlich kann mit dieser Sequenz auch das familiale Anerkennungsverhältnis konkreter und nachweisbar bestimmt werden. Dass Maren aufgefordert wird, ‚doch mal ein bisschen Sport zu machen‘ und später ‚mal was Weiblicheres zu machen‘, wobei die Tanzader der Mutter aufgegriffen wird, verdeutlicht, dass hier die Anerkennung ihres Selbst restriktiv eingeschränkt ist auf die elterlichen Interessen und die damit korrespondierenden Idealentwürfe. Während sie also zunächst als Kind scheinbar nicht wahrgenommen wird und sich selbst überlassen bleibt, kann sie in der Erfüllung elterlicher Idealerwartungen Anerkennung generieren, die jedoch nur dann in Bewunderung umschlägt, wenn sie überdurchschnittliche Leistungen präsentieren kann.
Mit der nächsten Nachfrage bezieht sich der Interviewer auf mögliche weitere Mitglieder des familialen oder auch signifikanten Netzwerkes. Auch hier ist die Nachfrage nur vor dem Hintergrund Annahme einer intuitiven Ahnung stimmig, wonach der Interviewer die Möglichkeit weiterer nicht explizierter familialer Bezugspersonen vermutet. Dies kann wiederum stimmig nur durch die analoge Wahrnehmung der bisherigen Thematisierung der Eltern vermutet werden.
I: mhm . hast du geschwister
M: nee . also keine richtigen . . //was heißt das keine richtigen// also ich versteh mich mit welchen so gut dass wir sozusagen wie in //ach so// also wir . verstehn uns wie geschwister . //mhm// welche aus meiner klasse . also einer und . noch ne andre freundin . //mhm// wir reden uns auch so an also . brüderchen un so .
I: hm . . aber das hat jetzt nichts mit irgendwelchen familien
M: nee . also . offiziell genetisch bedingt hab ich keine .
Die Frage nach Geschwistern wird von Maren zunächst verneint, wobei damit die Thematik abgeschlossen hätte werden können. Jedoch zeigt sich in der Art der Verneinung, dass auch mit dieser Nachfrage eine Problematik angesprochen ist, die den Interviewer dazu bringt, hier weiter zu intervenieren. Mit der Verneinung wird nämlich von Maren eine Differenz eingeführt, die zwischen richtigen und ‚anderen‘ Geschwisterbeziehungen besteht. Damit wird nicht nur angedeutet, dass außerhalb der Normalerwartungen gegenüber Geschwisterbeziehungen durchaus ähnliche Beziehungen vorhanden sind, sondern auch, dass in einer unterschwelligen Bedeutung diese abweichenden Geschwisterbeziehungen die eigentlich ‚richtigen‘ und damit die bedeutsamen sind.
Auf die erneute Nachfrage expliziert Maren dann den Sachverhalt in der Art, dass sie bedeutsame Freundschaftsbeziehungen analog von Geschwisterbeziehungen strukturiert, wobei besonders deutlich wird, dass diesen ein Makel bzw. Defizit im Vergleich mit genetisch bedingten Geschwisterbeziehungen anhaftet, diese zugleich aber auch bedeutsame Ersatzbindungen realisieren. Am deutlichsten und für uns zentral ist jedoch, dass Maren hier Bindungsdefizite und gleichzeitig deren Bearbeitungsversuche ausweist. Dabei werden – durchaus stringent zum anthropologisch-biologischen Grundverständnis – Defizite als nicht zu hintergehende Rahmung angelegt, die nur noch in Ersatzformen bearbeitet werden können. Der zentrale Bindungsmodus ist dabei deutlich auf familiale Bindungen angelegt, die hier dominant erstrebt und zugleich vermisst werden.
In der nächsten Nachfrage wird Maren aufgefordert, diese Freundschaftsbeziehungen darzustellen wobei der Interviewer auch den Widerspruch zum Wesensmerkmal des Einzelgängers in die Darstellungsaufforderung integriert.
M: also wenn . dann bind ich mich ziemlich stark an jemanden wenn ich mich also ich muss erstmal lernen vertrauen zu schaffen . weil sonst hab ich immer so ne blockade un wenn ich die überwunden habe dann kann ich mich ziemlich stark an jemanden binden //hm// . und da hab ich jemanden aus der klasse jörg . haste glob ich och schon mal interviewt . //äh hauke jörg hm// hm und . na ich hatte ne beziehung und die war ziemlich scheiße sozusagen und . da ham mer ziemlich viel zusammen durchgestanden er hat mir ehm geholfen und . . na da sind wir uns ziemlich nah zusammen- . gekommen und wir ham nachmittags was unternommen und . irgendwann warn wir irgendwie so richtig zusammen also nich . . von der liebe aber eben . //hm// totale freundschaft wir ham uns alles erzählt und total vertraut (klopfen) und das könn mer jetzt och noch . //hm// und der hat sich das eben . is das so entstanden dass wir eben so wie geschwister jetzt ‚sind‘ (lachend gesprochen) //hm// . . . er hilft mir und ich helfe ihm und so . klappt das irgendwie alles und . . also so wie wie n ersatzbruder für mich //hm// weil ich schon immer mal früher . en großen bruder ham wollte . un den hab ich ja sozusagen jetzt
Maren reagiert auf diese Nachfrage zunächst mit einer argumentativ angelegten Plausibilisierung, die sich auf den vom Interviewer markierten Widerspruch dieser Bindungsversuche und dem Einzelgängerstatus beziehen. Erst danach werden die Freundschaftsbeziehungen – jedoch einzeln und hintereinander – dargestellt. Die argumentative Passage wird dann ganz im bewährten Sinne einer anthropologisch-biologischen Verankerung als Wesenszug entfaltet. Danach werden kaum oberflächliche Beziehungen eingegangen, sondern nach einer Bewährung sehr intensive Bindungen geknüpft.
Bereits in dieser argumentativen Passage zeigen sich Bearbeitungsversuche grundlegender Isolationsängste und Beziehungsschwierigkeiten, die hier erneut auf anthropologisch-biologische Wesensmerkmale zurückgeführt werden und darüber tendenziell der eigenen Verantwortlichkeit und Gestaltbarkeit entzogen sind. Noch deutlicher werden diese Aspekte in der folgenden Darstellung der Entstehung der Bindung zu dem Jungen. Dieser wird zur bedeutsamen Bezugsperson, weil er die Problematik einer anderen Beziehung kompensieren hilft. Die Formulierung ‚viel zusammen durchgestanden‘ und ‚uns ziemlich nah gekommen‘ zeigt, dass hier beinahe symbiotische Nähewünsche realisiert sind, in denen das eigene Handeln und Erleben tendenziell in dem des anderen aufgeht. Dabei ist für Maren der Aspekt sexueller Nähe allenfalls unterschwellig vorhanden und muss auf der Ebene manifester Deutungen noch abgewehrt werden. Dies zeigt sich in der Passage, in welcher der Umkehrpunkt der Beziehungsqualität angedeutet wird. Entscheidender ist für sie, dass in der engen symbiotischen Beziehung Vertrauen generiert wird und man Empfindungen teilen und nötigenfalls gegenseitig abstützen kann. Dabei erscheint das Synonym für Geschwisterbeziehungen nicht nur den starken Nähewunsch zu repräsentieren, sondern zugleich die Abwehr latent vorhandener, aber als bedrohlich empfundener sexueller Aspekte der Beziehung zu garantieren. Dabei bedeutet der latent zum Ausdruck kommende sexuelle Nähewunsch nur die konsequenteste Umsetzung der angestrebten symbiotischen Bindung.
M: . na also sie wohnt sag mer mal fünf meter neben mir also //ach so// gleich im nachbarhaus und //hm// wir kennen uns . seitdem wir geboren sind und irgendwie . . sin wir dann ziemlich stark zusammengewachsen weil wir sin auch da auf de gleiche schule gegangen gleichen kindergarten gleiche kinderkrippe und . . wir sehn uns jeden tag . meine mutti sagt auch schon sie gehört zur familie so und . . //hm// mit ihr erzähl ich mich auch über alles so . .
In dieser Sequenz wird nun separat die Beziehung zur Freundin thematisiert. Dabei verdeutlicht schon die formale Trennung, dass hier im Vergleich zum ‚Ersatzbruder‘ eine andere Beziehungsqualität vorherrscht. Diese Bindung wird über das nahe gemeinsame Aufwachsen begründet, wobei auch hier Komponenten symbiotischer Beziehungen repräsentiert werden (‚zusammengewachsen‘), da man gemeinsam die einzelnen Institutionen durchlaufen hat. Auch hier ist ein hoher Grad an gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamer Stützung zentral, wobei jedoch die quasi familiale Beziehungslogik eher äußerlich – nämlich durch die Mutter – hervorgerufen ist. Die Beziehungsqualität kann auch deshalb eine andere sein, weil hier der Aspekt latenter sexueller Nähewünsche nicht zu bestehen scheint.
Insgesamt erscheinen aber beide Bindungen als ganz zentrale Stützinstanzen des Selbst, weil sie – symbiotisch ausgerichtet – auf der Basis sehr starken gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Hilfe strukturiert sind. Allerdings deutet sich in der Priorität eine stärkere Dominanz der Bedeutsamkeit des Ersatzbruders an, bei dem sich die stärkere Nähe jedoch mit der gleichzeitig erwünschten und abgewehrten sexuellen Nähe verbindet. Zudem scheint eine deutliche Differenz zwischen beiden darin zu liegen, dass der Ersatzbruder stärker in den Bereich der privaten Lebensführung und den hier zu bearbeitenden Krisenproblematiken eingespannt ist, während die Freundin besonders die Problematiken in Bezug auf die sozialen Institutionen (Kindergarten und Schule) kompensieren hilft, dies jedoch in abgeschwächter Form, da sie – wie eine nächste kurze Textpassage auf Nachfrage des Interviewers belegt – aktuell nicht die gleiche Schule besucht.
Schließlich fragt der Interviewer noch einmal insgesamt das Verhältnis zur Familie nach.
M: . . äh pff na zu meiner mutti hab ich kein so tolles verhältnis ‚wir streiten uns‘ (lachend gesprochen) ziemlich oft ar mit meim vati komm ich gut aus . .
Die Passage, mit der Maren auf diese Nachfrage reagiert, verdeutlicht zunächst, dass sie Familie auf die Beziehung zu den Eltern begrenzt. In dieser Familienkonzeption wird dann eine differente – jedoch bei beiden nur knappe – Einschätzung des Verhältnisses geliefert. Im Kern wird hier die Beziehung zur Mutter als konflikthaft ausgewiesen, während die Beziehung zum Vater harmonischer erscheint. Aus dieser Einschätzung lassen sich nun folgende Überlegungen ableiten. Wenn wir von einer differenten Beziehungslogik gegenüber dem Vater und der Mutter ausgehen, dann kann das konflikthaft ausgewiesene Verhältnis zur Mutter vor allem im Zusammenhang der rekonstruierten projektiven Transmissionsbeziehung gesehen werden. In dieser Linie würde sich zweierlei andeuten: Erstens würde deutlich werden, dass die projektiven Ambitionen und die daran gebundenen idealen Selbstentwürfe offensichtlich vor allem von der Mutter ins Spiel gebracht werden. Zweitens könnte man ableiten, dass gerade diese Beziehungslogik Krisenpotentiale enthält, die sich in Konflikten manifestieren können. Hier könnte man schließlich riskant ableiten, dass die ehemals ungebrochene Projektionslogik immer brüchiger und hinterfragt wird, und hier auf ein sich entfaltendes Autonomieideal bei Maren hinweist.
Für die Beziehung zum Vater könnte man dann entweder von einer deutlich weniger ausgeprägten Transmissionslogik der Eltern-Kind-Beziehung ausgehen oder man könnte annehmen, dass Maren den Selbstidealen des Vaters deutlich ungebrochener gegenüber steht und darüber weniger in Konflikt mit den eigenen Autonomieansprüchen gerät. Faktisch erscheint jedoch in der Differenzierung und Aufteilung der elterlichen Beziehungen die zur Mutter deutlicher angespannt, während die Beziehung zum Vater teilweise kompensierende Wirkungen übernehmen kann. Jedoch kann auch diese mögliche Kompensationsfunktion der Beziehung zum Vater nicht überbewertet werden, da diese sonst viel ausführlicher hätte thematisiert werden müssen. So bestätigt die Passage insgesamt eher die distanzierte Anbindung Marens an die Eltern, die bereits mit den Passagen der Ersterzählung vermutet werden konnte. So ist zwar einerseits eine projektive und ambitionsgeladene Beziehung zum Kind besonders bei der Mutter bestätigt, insofern sich die angedeuteten häufigen Konflikte darauf beziehen können. Andererseits scheint aber die für eine solche Beziehungsfunktion notwendige Bindungsqualität zu den Eltern mit dieser Passage insgesamt eher unwahrscheinlich. Sie kann hier mit diesen Formulierungen als dominierte und deshalb nur (noch) schwach ausgeprägte Bindung zum Vater oder als durch eigene Autonomieansprüche brüchig werdende Bindung zur Mutter vermutet werden. Schließlich muss die Beziehung zur dominanten familialen Bezugsperson als spannungsvolle und autonomieeinschränkende Beziehung ausgewiesen werden.
Mit der folgenden Frage knüpft der Interviewer an die Thematik der Familie und Familienbindungen weiter an. Hier wird nachgefragt, ob noch mehr Personen zur Familie gerechnet werden.
M: also . ich hab keine omas oder so also //hm// das is eigentlich meine familie
Hier zeigt sich in der Antwort des Interviewten, dass die Nachfrage nicht geeignet war, eine längere Darstellung oder gar eine narrative Passage hervorzulocken. Die (ohnehin nicht narrativ gestellte) Nachfrage wird nur knapp beantwortet, indem das Fehlen weiterer über die Elternschaft hinausgehender Familienmitglieder zum Ausdruck gebracht wird. Allerdings ist in der knappen Antwort dennoch interessant, dass mit der Formulierung ‚eigentlich‘ die unterschwellige Einschränkung, Relativierung und Korrektur der Aussage angedeutet wird. So kann auf der einen Seite auf alternative Ersatzbindungen mit quasi familialen Charakter verwiesen werden, wie sie bereits in den geschwisterlichen Ersatzbeziehungen zum Ausdruck kamen. Oder aber die Relativierung signalisiert, dass es zwar noch weitere Familienmitglieder gibt, die aber nach den subjektiven Relevanzkriterien hier keine Erwähnung finden.
Beide Varianten – mit denen die im ‚eigentlich‘ angelegte Relativierung erst sinnvoll wird – verweisen jedoch deutlich auf die defizitäre Erfahrung von Familienbeziehungen. Diese werden einerseits durch selbstgewählte familiale Ersatzbindungen kompensiert oder sie werden andererseits von einem nach Idealkriterien strukturierten Familienbild ausgeschlossen und entthematisiert. Schließlich könnte hier die Relativierung auch der Versuch sein, die defizitär erlebte familiale Einbettung imaginär aufzuheben, indem der faktische Mangel (‚keine Oma‘) relativiert und negiert wird. Jedoch bliebe auch in dieser Variante der Mangel an großelterlichen Beziehungen auf den grundlegenderen Mangel in den elterlichen Beziehungen verwiesen, weil dieser sonst nicht als markantes Defizit erfahren würde.
Mit den knappen Antworten auf die letzten beiden Nachfragen scheint nun der Interviewer in eine Bilanzierung und ein Ende der Darstellung überführen zu wollen. Dazu versucht der Interviewer mit seinen Formulierungen in eine bilanzierende Sichtweise zu überführen, indem er nach dem Besonderen in der Lebensgeschichte nachfragt. Damit kann einerseits eine Bilanz des Dargestellten unter der Perspektive der exklusiven Erlebnisse evoziert oder aber der Interviewte angehalten werden, noch einmal abschließend die Vollständigkeit seiner Darstellung zu überprüfen. Im Vollzug dieser Fokussierung des Dargestellten wird nun dem Interviewer bewusst, dass unter der Hand damit behauptet wird, dass bisher nichts Besonderes berichtet worden wäre und damit ein wesentliches Kriterium lebensgeschichtlicher Präsentationen – nämlich der Besonderheit des Selbst – negiert würde. Deshalb wird als Korrektur zugleich und parallel zum Fokus des Besonderen auch auf die bereits präsentierten lebensgeschichtlichen Besonderheiten und hier die sportliche Laufbahn verwiesen. Gerade mit diesem parallelen Bezug kann nun eine Einengung der Antwort des Interviewten verbunden sein, insofern dieser vorschnell auf die sportliche Laufbahn zu lenkt.
M: . . was besonderes . na früher hab ich auch mal
I: oder was für dich eben wichtig is
M: . na ich fands früher toll da hab ich schach gespielt //mhm// und hab auch mal . bei der deutschen meisterschaft // ‚ja‘ (erstaunt)// un da war ich och untern ersten zehn und in der mannschaft war mer dritte . und das fand ich schon bisschen . also fand ich ziemlich cool es hat spaß gemacht . hab ich viele //mhm// medaillen und das . is eigentlich . es größte was ich so erlebt habe bis jetzt der //hm// erfolg
Diese Sequenz scheint auf den ersten Blick schwierig zu handhaben, da hier eine völlig neue Thematik unter dem Aspekt besonderer lebensgeschichtlicher Erfahrungen vorgetragen wird. Betrachtet man dagegen die Einführung mit der Nachfrage des Interviewers und die vielen Relativierungen der vordergründig ausgewiesenen hohen biographischen Relevanz, dann zeigt sich auf den zweiten Blick, dass Maren hier versucht, der Interviewaufforderung zu entsprechen und etwas noch nicht Dargestelltes möglichst besonders Bedeutsames zu präsentieren, was sich jedoch nur über konstruktive Bearbeitungen in die bisher präsentierte Linie integrieren lässt. Auch wenn hier die Relevanz dieser Erfahrungen – z.B. die erfahrene Anerkennung als Medaillengewinner auf einer DDR-Meisterschaft für Schach – nicht bestritten und gänzlich geschmälert werden soll, so fügt sie sich doch allenfalls spannungsvoll in die rekonstruierte besondere – und schließlich habituell verbürgte – Linie der körperlich-ästhetischen und expressiven Bewegungsformen ein. So kann der Ausweis des Größten bisher erlebten durch die Spannung zu den anderen Interviewpassagen nicht hingenommen, sondern muss hinterfragt werden. Dabei wird man bei den vielen Relativierungen schnell fündig (‚schon bisschen‘, ‚ziemlich‘ und ‚eigentlich das Größte‘) und kann damit die konstruierte Besonderheit in Spannung zur lebensgeschichtlichen Erfahrungsaufschichtung nachweisen.
Schließlich kann erst der Interviewer selbst die Spannung auflösen und die widersprüchlichen Relevanzbezüge in eine Linie bringen, indem er das Schachspiel als geistigen Sport an die starke sportliche Orientierung anbinden kann.
I: dann bist du also schach und . bist ja total sportlich is ja auch sport denksport// (lacht) //körperlicher und geistiger sport also bei dir mhm . hm
M: . also ich bin sehr vielseitig un möchte gern alles machen aber mir fehlt ehmt die zeit dafür .
Maren greift hier diese angebotene Glättung der Widersprüche auf, gleichwohl sie über den Syntheseversuch von Schach und Sport amüsiert scheint und darüber ja auch ihre Distanz zum Ausdruck bringt. Jedoch überführt sie diese Analogisierung in eine modifizierte Form des ‚vielseitigen Interesses‘, die zudem auch leichte Anknüpfungen an die ebenfalls präsentierten Spannungen erlaubt, indem die Umsetzung dieser vielseitigen Interessen als schwierig markiert wird.
Dem Interviewer scheint damit jedoch die Verbindung noch nicht abschließend hergestellt, denn hier gehen die Gedanken noch weiter, wie die letzten Äußerungen in die intuitiv erfasste zentrale biographische Linie zu integrieren sind. Hier wird als zentrale Linie ausgewiesen, dass Maren vom Wesen her jemand sei, der sich alleine beschäftigt, was beim Schach in der überspitzten Form eines Introvertiert-Seins schnell akzeptabel scheint, jedoch zu der ebenfalls spannenden und widersprüchlichen Sportart Kung Fu noch vermittelt werden muss. Deshalb wird hier die Praxis des Kung Fu Sportes noch einmal nachgefragt, inwieweit man dort für sich oder in der Gruppe trainiert.
M: . na man macht alleine seine übung und //ach so// mer kämpft eben zusammen //hm hm// . und zieht aber die techniken alleine so durch
Mit einer knappen Passage versucht Maren diese Frage zu beantworten. Dabei scheinen sich eine gewisse Müdigkeit und die knappen Reaktionen zu wiederholen. In dieser Passage wird einerseits eine vom Interviewer eingebrachte latente Linie der biographischen Strukturierung – die des vereinzelten und in sich gekehrten Sportlers – bestätigt (hier als Form der Selbstwahrnehmung und Präsentation), dann jedoch auch der Charakteristik der Sportart zu entsprechen versucht, was zusätzliche Spannungsmomente birgt, als sich in die eigenen Orientierungen scheinbar auch Ideale und Mythen des Sportes mischen. So ‚kämpft man zusammen‘ und ‚zieht dabei aber die Techniken alleine durch‘.
Diese letzten Passagen scheinen daher weniger biographische Aufschlusskraft zu besitzen, als vielmehr die Einstellungen und Strategien zu zeigen, mit denen sich Maren auf Aushandlungs- und Klärungsprozesse bezieht, Bedrohungen der Selbstwahrnehmung abwehrt und dabei Sinnangebote aufgreift. Letzteres offenbart sich jedoch in begrenzter Form. Dominant ist so zum Ende eher eine nur knappe Reaktion ohne weitere lebensgeschichtliche Detaillierungen.
Der Interviewer scheint dann auch zu beabsichtigen, die biographische Thematisierung abzuschließen und formuliert sein Unwissen über weitere mögliche bedeutsame Themen und fordert Maren auf, von sich aus mögliche Themen zu ergänzen.
M: . . was andres gibts eigentlich nich bei mir zu sagen
Dies greift Maren auf, indem sie bestätigt, dass weitere bedeutsame Thematiken ihr nicht einfallen. Damit nimmt sie den Vorschlag einer Beendigung der lebensgeschichtlichen Darstellung auf und bestätigt dessen Sinnhaftigkeit als direkten Anschluss. Allerdings bleibt hier auch die ‚Lücke‘ der Relativierung, mit der auf nicht Thematisiertes, aber hoch Bedeutsames verwiesen werden kann.
Mit der nächsten Reaktion des Interviewers wird Maren zu einer Bilanzierung des Lebensablaufes aufgefordert. Dies jedoch in einer Form, die in den polaren Antwortvorgaben zwischen geradliniger Entwicklung und Hürden im biographischen Verlauf keine ausführliche Antwort notwendig macht.
M: nöö also ich hatte eigentlich en ziemlich . gute kindheit
Entsprechend knapp zu den vorhergehenden Passagen des Interviewverlaufes fällt auch hier die Reaktion aus. Maren bescheinigt hier eine positive Kindheit, die in direktem Bezug auf die Bilanzierungsaufforderung an das Kriterium der Geradlinigkeit gebunden ist. Dass hier den bereits rekonstruierten Spannungsmomenten im biographischen Verlauf widersprochen wird, ist offensichtlich. Gerade die Brüche und notwendigen Umorientierungen mit dem Schuleintritt und dem Übergang in die Nachwendeschule werden hier entthematisiert und negiert. Jedoch enthält auch diese Selbstsicht ihre Brüche, wenn man z.B. bedenkt, dass die Bilanzierung auf die Kindheitsphase begrenzt wird – hier also nicht das bisher gelebte Leben umfasst – und durch das ‚eigentlich‘ eine Relativierung erfährt. Somit verdeutlicht die Passage den Versuch, auf der Ebene subjektiver Repräsentanzen die latenten Spannungen zuzudecken und eine positive Bilanzierung trotz der bereits zu Beginn der Darstellung sich zeigenden Bilanzierungsproblematik umzusetzen.
Der Interviewer scheint dann mit der Situation etwas irritiert, da einerseits die knappen Reaktionen immer deutlicher die Absicht der Interviewten signalisieren, die lebensgeschichtliche Thematisierung zu beenden und sich aber andererseits wiederholt nur überdeckte Spannungsmomente zeigen. So wird eher unmotiviert und selbst bereits zurückgenommen die letzte Frage formuliert, die sich auf die Zeit vor dem Kindergarten bezieht.
M: da war ich immer bei meiner mutti mit . //hm// auch in der schule weil meine mutti war lehrerin und die hat mich dann immer mitgenommen also ich war eigentlich immer . bei irgendjemandem .
Wenn schon die Logik der Nachfrage des Interviewers etwas unklar scheint, so kann die der Reaktion der Interviewten allenfalls durch den Zeitmarkierer ‚vor dem Kindergarten‘ bestimmt werden. Maren macht mit dieser Sequenz noch einmal eine völlig neue und bisher nicht behandelte biographische Thematik auf, indem sie darstellt, dass sie immer bei ihrer Mutter war. Dabei wird hier zwar der Zusammenhang bestätigt und untermauert, wonach die Mutter eine dominante Position in der elterlich projektiven und statusambitionierten Haltung gegenüber der Tochter einnimmt. Jedoch bleibt ungeklärt, wie die häufige Anwesenheit bei der Mutter (bereits während des Kindergartens) und hier besonders in der Schule auf den Lebensverlauf der Interviewten gewirkt hat. Dabei wäre hier besonders interessant, welche Eindrücke und Einflüsse auf das schulische Erleben nach der Einschulung von dieser Rahmung ausgehen. Schließlich irritiert besonders die in der Schlussformulierung bzw. Zusammenfassung vorgenommene Verallgemeinerung, ‚immer bei irgendjemanden‘ gewesen zu sein. Während auf der einen Seite hier die Integration und Anbindung möglichen Isolationsängsten und -erfahrungen entgegenwirken soll, kann zugleich die Unbestimmtheit und Beliebigkeit der Bezugspersonen auch ein neues Krisenpotential beinhalten, was in Zusammenhang mit der frühen schulischen Konfrontation auch die Konfrontation mit dem Fremden verallgemeinert präsentieren kann.
Letztlich müssen aber diese Fragen offen bleiben, da der Interviewer darauf nicht mehr eingeht, sondern diesen Teil des Interviews beendet und in den exmanenten Nachfrageteil überführt. Hier kann durchaus die Offenheit der Thematik und die Müdigkeit der Interviewten als Spannung realisiert sein, weil letztmalig nachgefragt wird, ob etwas wichtiges aus der Sicht der Interviewten vergessen wurde. Mit dem knappen negativen Bescheid endet dann dieser offene Teil des Interviews.
Fußnoten
[1] Anders als bei der objektiv-hermeneutischen Rekonstruktion können (und müssen) wir hier über die Interviewrahmung unser Kontextwissen einbringen und verwenden daher hier von Anfang an die weibliche Form für den Interviewten.
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