Zugehörig hierzu sind die Dokumente:
- Der Fall Rainer
- Kontrastierung der Fälle Rainer, Henriette und Clemens
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 1
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 2
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 3
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 4
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 5
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 6
Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten
2. Interview Rainer 1. Passage (Ankommen: Orig.: S. 1 6-S. 2 52)
I: ja Rainer, du bist ja jetz seit einer weile , hier auf dieser neuen schule //hmhm// und mich intressiert nun wie du hier die erste zeit an der neuen schule erlebt hast , erinnere dich doch , mal bitte zurück , an die ersten tage hier , und erzähle mal wie das für dich war und wie das dann bis heute so weiterging , ich werd erstma ruhig sein wieder //mh//und dir zurhörn
R: also das erste was ich ähm- der tag der offenen tür hier (erstma) , dann hat der Herr Ortwinkel der schulleiter ne rede gehalten ja . da wurden alle schüler vorgerufn da hat’n wer so’n paten bekomm ich persönlich hab meinen paten , noch nich richtig kennengelernt , hat mich bisher noch nich besucht oder so . ja un der erste schultag da ham wer erstma nichts gemacht , die fächer die wer .. also eigentlich hatt’n wer dann keine fächer sondern halt nur mit unsrer klassenlehrerin , hat uns alles gezeigt wo’s klo is , ja . un hat uns da n bisschen rumgeführt ich hab mich eingtlich ganz gut erstema eingelebt , also n paar umstellungen war’n schon , also , neue fächer , aber machen mir persönlich spaß so , also geschichte englisch biologie und geographie sind eingentlich die vier neuen fächer , englisch hatten wer ja schon vorher aber , nich als benotetes fach //hm// un das sind eigentlich auch so meine vier lieblingsfächer , ja mit dem schließfach . so ganz ordentlich sieht’s bei mir nich aus //(lacht)// ja . durch meine umstellung immer dahin zu renn jeden morgen die ganzen , sachen da zu holn inner grundschule hatt ich ne ablage un das wars //hm// un da kam die meisten lehrer dahin wenn wer irgendwas hatten , kam der lehrer hin un mir sin nich zum lehrer gegang , ja die schule is viel größer also , irgendwas mit hier gibt’s mehrere tausend zehntausende schließfächer //(lacht etwas)// hier sind zwar nich so viele schüler aber schließfächer gibt’s halt viele , und s’ war auch schön ja , und (langgezogen) also s gibt ja noch n musikhaus , und da gibt’s ja dieses große haus und das andre haus noch also , riesig du rennst da von haus zu haus das sind fünf minuten pausen dazwischen und in dieser zeit musst du auspacken , zum andern zimmer renn und halt du k- du kannst einfach nich dann noch mal zum schließfach renn da hast du keine zeit mehr //ja// weil dann gibt’s auch n eintrag oder , wenn du drei mal zu spät kommst ne note sechs oder so , und (langgezogen) ja beim sport , das is vielleicht n vorteil also inner grundschule hatt’n wer ne turnhalle (moment lass mich ma) überlegen n sportplatz hatt’n wer auch ne turnhalle hatt’n wer , und die turnhalle is erstma doppelt so groß fast //boah (flüsternd)// da ham wer hier ähm den sportplatz is fast so gr- also is eigntlich so groß wie’n richtiges fußballfeld das is auch eingemalt und so //hm// mit zwei toren //hm// , die laufbahn halt drum rum die is . dreihundertfünfzig meter lang . ähm (langgezogen) ja also viel größeres gelände . joa hm was gibt’s noch . also ich hab mich dann erstmal ganz gut eingelebt die ersten tage ( ) mit den lehrern . also die ham uns so gezeigt , in den neuen fächern so vor alln ding , was machen wer’n jetz im fach , weil wir hatten ja vorher so HS hieß das bei uns so heimatsachunterricht //hm// heimatsachkunde oder heimatkunde , ähm ja und das (verteilt) sich auch in mehrere Fächer auf und was machen wer denn jetz in diesen fächern .. (atmet aus) joa .. und , da- die lehrer halt ham se das ma alles auch dannerklärt wie’s dann weitergeht und wie da=wie das abläuft , und jeder hat seine eigene methode , wenn das passiert und wenn das passiert dann , gibt’s das und das und ja jetz ging’s halt auch schon los , tests ham wer in jedem fach auch schon viel geschrieben , zensurn ham wer auch schon überall ja , ne arbeit ich war heut n bisschen enttäuscht vom geo-lehrer , weil also nich enttäuscht aber wir ham letzte woche ne geographiearbeit geschrieben uns is ja auch mein lieblingsfach //mh// vorher auchschon , auch wenn ich’s noch nich hatte un erst sagt herr S. wir würden heut die arbeit zurück kriegen und jetz ham wer se doch nich zurück gekriegt . ja eine woche voller spannung //(lacht ein wenig)// kommt noch ne woche drauf . ja also es war hauptsächlich erstma die umstellung mit dem schließfach un halt , alles viel strenger un , also ich hatt schon nen bruder der war hier der is aber für fünf jahren oder jetz seit sechs jahren schon hier weg //hm// studiert also un (lang gezogen) meine mutti war auch hier , und mein bruder Florian du weißt ja , hatten wir ja jeklärt //hm// also erstmal wenn du da drauf kommst die ersten tage , also wird dir alles erklärt (guck dir mal ein bisschen) an , dann gings dann geht’s so los dann komm schon dann erstma noch die schonungszeit jetz geht’s los , da komm schon die ersten tests un dann komm un dann kommst du schon in die phase , klassenarbeit (holt luft) ja und nach’n herbstferien greifen se dann nochma richtig an jetz geht’s los , da bin ich ja jetz auch gerade //hm// und im zweiten halbjahr dann merkst du halt im musst wer- werd ich dann denk ich halt auch merken , neue schule mehr fächer mehr stunden jetz wird’s hart , ja , bisher hab ich das noch nich so gu=gut gespürt schlechtere noten kriegt oder sch- kriegt man auch öfter äh öfters dann mal , ja bisher war’s noch nich der fall bei mir , ein oder andre mal vielleicht … also bisher hatt ich erst nur ne drei hier aber ne vier oder so hatt ich zum beispiel noch nich , besch- als- ä also auf der schule jetz hier , grundschule schon . joa also eigentlich is der eindruck ganz gut
Thematische Struktur
S. 1 6-12 UT: Stimulus: Ankommen auf der neuen Schule
S. 1 13-22 OT: 1. Schultag an der neuen Schule
S. 1 13-14 UT: 1.Tag, Tag der offenen Tür
S. 1 14-15 UT: Rede und Begrüßung des Schulleiters
S. 1 15-18 UT: Paten bekommen
S. 1 18-22 UT: nichts weiter gemacht, Schulgebäude kennen gelernt
S. 1 22-S. 2 29 OT: ganz gut eingelebt, aber einige Umstellungen
S. 1 24-29 UT: Bsp. neue Fächer sind Lieblingsfächer
S. 1 29-39 UT: Bsp. Schließfächer und zu den Lehrer gehen
S. 1 39-S. 2 5 UT: Bsp. Neue Häuser (Räume) und Zeiten
UUT: Bsp. Einträge fürs Zuspätkommen
UUT: Bsp. großer Sportplatz
S. 2 5-17 UT: gut in neuen Fächern und mit neuen Lehrern eingelebt
S. 2 17-20 UT: es ging schon richtig mit Zensuren los
S. 2 20-28 UUT: Spannung auf das Abschneiden in der Geo-Arbeit
S. 2 28-29 Konklusion: Umstellung, da Schließfächer und alles strenger
S. 2 29-34 UT: Mutti und Bruder waren hier, Familientradition
S. 2 34-51 UT: Anforderungsphasen auf der neuen Schule
S. 2 51-52 Konklusion: guter Eindruck
Formulierende Interpretation
S. 1 6-12 UT: Stimulus: Ankommen auf der neuen Schule
Du gehst ja seit einiger Zeit an diese Schule und ich habe Interesse daran, wie die erste Zeit an dieser neuen Schule erfahren hast. Wenn du dich mal an die ersten Tage an dieser Schule zurückerinnerst, erzähle bitte, wie du das empfunden hast und wie es sich dann bis zum heutige Tag so entwickelt hat. Ich werde, wie beim ersten Interview, ruhig dir zuhören.
S. 1 13-22 OT: 1. Schultag an der neuen Schule
S. 1 13-14 UT: 1.Tag, Tag der offenen Tür
Der erste Tag war ein Tag der Offenen Tür.
S. 1 14-15 UT: Rede und Begrüßung des Schulleiters
Unser Schulleiter hat eine Rede gehalten.
S. 1 15-18 UT: Paten bekommen
Alle Schüler wurden auf die Bühne gerufen und haben einen Paten bekommen. Ich habe meinen Paten noch nicht kennengelernt, er hat mich noch nicht besucht.
S. 1 18-22 UT: nichts weiter gemacht, Schulgebäude kennengelernt
Und am ersten Schultag haben wir noch keinen Fachunterricht durchgeführt und sind lediglich mit unserer Klassenlehrerin durchs Schulgebäude gelaufen. Sie hat uns alle Räumlichkeiten gezeigt, z.B. das Klo.
S. 1 22-S. 2 29 OT: ganz gut eingelebt, aber einige Umstellungen
Ich habe mich relativ gut an der neuen Schule eingelebt, aber einige Umstellungen waren es schon für mich.
S. 1 24-29 UT: Bsp. neue Fächer sind Lieblingsfächer
Zum Beispiel habe ich neue Fächer wie Geschichte, Englisch, Biologie und Geographie, aber die machen mir Spaß und sind eigentlich meine Lieblingsfächer. Englisch hatten wir schon in der Grundschule, allerdings gab es da noch keine Noten.
S. 1 29-39 UT: Bsp. Schließfächer und zu den Lehrern gehen
Eine weitere Umstellung ist das Schließfach, was bei mir nicht so ordentlich aussieht. Ich muss da jeden morgen hinrennen und meine Unterrichtsmaterialien holen. Im Gegensatz dazu hatte ich in der Grundschule eine Ablage am Tisch und das war alles. Außerdem sind da die meisten Lehrer zu uns gekommen und wir nicht zu ihnen. Ja, jedenfalls ist diese Schule hier viel größer und gibt es mehr als zehntausend Schließfächer. Es existieren mehr Schließfächer als Schüler.
S. 1 39-S. 2 5 UT: Bsp. neue Häuser (Räume) und Zeiten
In der neuen Schule gibt es ein Musikhaus, dann gibt es dieses Haus hier und noch ein anderes Haus. Die Wege sind riesig und du rennst in der kurzen Pause von fünf Minuten von einem zum anderen Haus und musst dazu in dieser Zeit noch auspacken. Da bleibt keine Zeit noch mal zum Schließfach zu sprinten, dafür steht keine Zeit zur Verfügung.
UUT: Bsp. Einträge fürs Zuspätkommen
Denn für das Verspäten gibt es auch einen Eintrag ins Klassenbuch und wenn einer sich dreimal verspätet bekommt man die Note sechs.
UUT: Bsp. großer Sportplatz
Was hier vielleicht ein Vorteil ist, an der Grundschule hatten wir eine Turnhalle und einen Sportplatz und an der neuen Schule ist die Turnhalle doppelt so groß und der Sportplatz hat fast die Ausmaße eines richtigen Fußballfeldes.
S. 2 5-17 UT: gut in neuen Fächern und mit neuen Lehrern eingelebt
Also ich habe mich vorerst ganz ordentlich eingelebt an der neuen Schule. An den ersten Tagen haben uns die Lehrer in den neuen Fächern den Unterrichtsstoff vorgestellt. Zum Beispiel das alte Fach der Grundschule Heimat- und Sachkunde verteilt sich hier über mehrere Fächer. Und die Lehrer haben uns erläutert, was wir dort thematisch machen, wie es weiterläuft und wie sie vorgehen werden. Jeder Lehrer hat da seine eigene Vorgehensweise.
S. 2 17-20 UT: es ging schon richtig mit Zensuren los
Und momentan erfolgte der Startschuss. Tests haben wir in jedem Fach geschrieben und Zensuren gab es ebenfalls in jedem Fach.
S. 2 20-28 UUT: Spannung auf das Abschneiden in der Geo-Arbeit
Heute war ich von meinem Geographie-Lehrer enttäuscht, aber nicht wirklich. Denn wir hatten letzte Woche in meinem Lieblingsfach Geographie, was bereits in der Grundschule, ohne dass wir es hatten mein Lieblingsfach war, eine Arbeit geschrieben und er meinte, dass wir sie heute wiederkriegen. Nun haben wir sie doch nicht wiederbekommen. Kommt auf die Woche voller Spannung noch eine Woche zusätzlich dazu.
S. 2 28-29 Konklusion: Umstellung, da Schließfächer und alles strenger
Also im Zentrum standen die Umstellung mit dem Schließfach und der Umstand, dass es hier strenger geworden ist.
S. 2 29-34 UT: Mutti und Bruder waren hier, Familientradition
Also vor fünf oder sechs Jahren hatte ich schon einen Bruder auf dieser Schule, der jetzt studiert. Und meine Mutter war ebenfalls an dieser Schule.
S. 2 34-51 UT: Anforderungsphasen auf der neuen Schule
An den ersten Tagen, wenn du auf diese Schule hier kommst, da wird dir alles erklärt und du kannst dich umschauen. Danach geht es los, nach der Schonungszeit kommen die ersten Tests. Und anschließend kommst du da schon in die Klassenarbeitsphase und nach den Herbstferien, wo ich mich auch augenblicklich befinde, greifen die Lehrer richtig an. Im zweiten Halbjahr wird man merken und werde ich merken, dass ich auf einer neuen Schule mit neuen Fächern bin und es hart wird. Bis heute habe ich diese Entwicklung noch nicht verspürt, aber ich denke man erhält dann des Öfteren schlechte Noten. Jedoch bei mir ist das noch nicht eingetreten. So ein bisschen vielleicht, aber ich hatte bis jetzt nur mal eine Drei und keine Vier wie auf der Grundschule.
S. 2 51-52 Konklusion: guter Eindruck
Ja eigentlich habe ich einen guten Eindruck von der Schule.
Reflektierende Interpretation
S. 1 6-12 OT: Stimulus, Ankommen auf der neuen Schule
I: ja Rainer, du bist ja jetz seit einer weile , hier auf dieser neuen schule //hmhm// und mich intressiert nun wie du hier die erste zeit an der neuen schule erlebt hast , erinnere dich doch , mal bitte zurück , an die ersten tage hier , und erzähle mal wie das für dich war und wie das dann bis heute so weiterging , ich werd erstma ruhig sein wieder //mh//und dir zurhörn
Der Interviewer setzt das Thema, wie für Rainer die Anfangszeit an einer für ihn neuen Schule war und fordert ihn auf, vom ersten Tag bis heute von den Erfahrungen und Erlebnissen zu berichten. Mit dem „wieder“ zeigt sich, dass es sich bei der Interviewsituation um eine bekannte und ein bekanntes Kommunikationsverfahren handelt.
S. 1 13-22 OT: 1. Schultag an der neuen Schule
S. 1 13-14 UT: 1.Tag, Tag der offenen Tür
S. 1 14-15 UT: Rede und Begrüßung des SL
S. 1 15-18 UT: Paten bekommen
R: also das erste was ich ähm- der tag der offenen tür hier (erstma) , dann hat der Herr Ortwinkel der schulleiter ne rede gehalten ja . da wurden alle schüler vorgerufn da hat’n wer so’n paten bekomm ich persönlich hab meinen paten , noch nich richtig kennengelernt , hat mich bisher noch nich besucht oder so .
In dieser Themeneinführung ist auffällig, dass das vom Interviewer eingeführte Thema Ankommen auf der neuen Schule mit einem „Tag der offenen Tür“ modifiziert wird. Rainer bedient das im Stimulus vorgegebene Format, wie es am Anfang war. Die Begrüßung durch den Schulleiter und der erste Schultag werden als ein „Tag der offenen Tür“ von Rainer erlebt, was auf ein außerunterrichtliches Format und eine Orientierung von Rainer verweist, dass diese besondere Einführung in die Schule nicht als Schule erfahren wird und mit der Bezeichnung „Tag der offenen Tür“ einen öffentlichen Charakter erhält. Gleichzeitig dokumentiert sich darin, dass für Rainer der erste Schultag ein anderer war. Der Schulleiter wird mit der Amtsbezeichnung und dem konkreten Namen genannt, was auf die Bedeutung der Begrüßung durch den Schulleiter hindeutet und er sich mit einer „Rede“ (im Vergleich zu organisatorischen Ansprachen bspw. an Sekundarschulen) würdig an der Schule empfangen fühlt. Die Einführung des Vorrufens und der Erhalt der Paten sind im Weiteren keine öffentlichen Mechanismen und dokumentieren einen Integrationsmoment. Diesen Integrationsversuch über die Paten stellt Rainer allerdings als einen gescheiterten dar: „ ich persönlich hab meinen paten , noch nich richtig kennengelernt ,“. Rainer weiß um das Prinzip der Paten als Integrationshelfer, macht aber gleichzeitig klar, dass er „persönlich“ diesen Bedarf noch nicht benötigte. Rainer trennt eine programmatische Ebene der Integrationsversuche der Schule von seiner persönlichen Ebene. Das verweist auf eine Abgrenzung seiner Person. Rainer verkehrt hier die von der Schule gedachten Rollenzuweisungen zwischen Paten und jungen, neuen Schülern, indem er sagt, dass der Pate ihn noch nicht besucht hat. Er kehrt damit die Rollenzuweisungen um. Folglich dokumentiert sich hier auch, dass Rainer an der neuen Schule keine Hilfe oder Beratung braucht. Der Pate ist gleichzeitig auch ein Statussymbol, der eingeführt wurde, obwohl er bisher in Rainers Schullaufbahn keine Rolle gespielt hat, was auch auf einen gewissen Präsentationscharakter der Paten an der Schule verweist. Das Patensystem ist nicht unter dem schulischen Aspekt der Integration, sondern eher unter Statusaspekten Rainer sympathisch. Damit deutet er dieses System in Richtung Prestige und Anerkennungsgewinne um. Der positive Horizont spannt sich darin auf, adäquat mit Statusgewinnen, wie einen Paten, empfangen zu werden. Die grundlegenden Haltungen sind die, dass sich Rainer als jemanden sieht, zu dem diese Einführung bis auf die Integrationslogik passt.
S. 1 18-22 UT: nichts weiter gemacht, Schulgebäude kennengelernt
R: ja un der erste schultag da ham wer erstma nichts gemacht , die fächer die wer .. also eigentlich hatt’n wer dann keine fächer sondern halt nur mit unsrer klassenlehrerin , hat uns alles gezeigt wo’s klo is , ja . un hat uns da n bisschen rumgeführt
Rainer kennzeichnet einen ersten Schultag, grenzt diesen Tag so vom „Tag der offenen Tür“ ab und setzt damit einen neuen Anfang. Die andere Geschichte wird damit besondert und abgegrenzt. Damit taucht Rainer stufenförmig in die neue Schule ein. An diesem ersten Tag haben wenig relevante Sachen für Rainer stattgefunden. Rainer spielt die Versuche die Kinder in die Schule einzuführen runter „gezeigt wo`s klo is“. In dieser Art der Darstellung dokumentiert sich ein Mangel, dass der erste Tag noch kein richtiger Schultag mit Fachunterricht war „nichts gemacht“ „nur klassenlehrerin“. Die Zeit wurde seiner Meinung nach vertrödelt. Der positive Horizont besteht folglich darin, gleich mit dem Unterricht auf der neuen Schule zu beginnen. Vergleichshorizonte (Adam) hätten dagegen die zentrale Orientierung, dass zunächst an einer neuen Schule Vertrautheit mit dem neuen Ort und den neuen Bezugspersonen geschaffen werden. Genau diese Orientierungen stellen für Rainer eher den negativen Horizont dar. In seiner Abhandlung kommt implizit zum Ausdruck, dass Rainer sich nicht adäquat von der Lehrerin eingeführt fühlt und er diese Integrationsleistungen der Lehrerin uninteressant findet. Er besitzt keine Anfangsschwierigkeiten und entwirft das Neue (Gebäude, Bezugspersonen, Veränderungen) als Normalität (Vergleichshorizont: Blue Cat erzählt von der Aufregung vor dem ersten Tag). Die Klassenlehrerin wird nicht so namentlich und kompetent wie der Schulleiter eingeführt, was auf bestimmte Anerkennungsprobleme (Respekt und Achtung) in Bezug zur Klassenlehrerin zu deuten ist. Der von der Schule gestaltete erste Schultag passt nicht zu Rainers Orientierungen. Die niedrigschwellige, integrative Einführung durch die Klassenlehrerin mit dem Verzicht auf Fachunterricht geht an Rainer vorbei. Seine Integration wäre, sofort mit Fachunterricht zu beginnen. Folglich dokumentiert sich hier, dass es bei Rainers schulischen Orientierungen um Unterricht (Arbeiten und Noten) geht. Das Andere, wie die sozialen Integrationsleistungen, ist Beiwerk, was für ihn von geringer Relevanz ist.(1) Demnach hat Rainer nach dieser Einführung eher die Orientierung, sich nach Besser/Schlechter-Zuweisungen zu messen und nicht diesen sozialen Rahmen nötig.
S. 1 22-S. 2 29 OT: ganz gut eingelebt aber einige Umstellungen
R: ich hab mich eingtlich ganz gut erstema eingelebt , also n paar umstellungen war’n schon ,
In dieser Thematisierung wird von Rainer evaluativ Stellung zur Anfangszeit genommen. Im Gegensatz zur vorher geschilderten institutionellen Abfolgelogik kommt damit das eigene Ich hier ins Spiel und der Anfang wird bilanziert. Rainer überspringt mit dieser Evaluation die einzelnen Erfahrungen und Erlebnisse des Unterrichts (Arbeiten, Noten, Wissensvermittlung). Mit dem „eigentlich“ und „erstma“ wird implizit auf ein Zwischenfazit und das mögliche Kippen der Bilanzierung des guten Einlebens hingewiesen. Diese erste Konklusion ohne die Einführung konkreter Schulalltagserfahrungen ist irritierend. Die offizielle Einführung hat damit etwas von einer Bagatellisierung. Da der Unterricht noch nicht genannt wurde, verweist die Thematisierung von Umstellung genau auf diesen Bereich von Unterricht. Das „einleben“ betrifft dabei eine umfassende Integration in eine neue Umgebung und einen deutlichen Bruch zum Alten, was im Gegensatz zu der Thematisierung oben steht, da er doch stärker als vorher formuliert, sich erst in der Schule zurechtfinden zu müssen. Die vorsichtige Bilanzierung „erstma“ ist stark an eine prognostische Dimension geknüpft, dass im weiteren Verlauf noch Probleme kommen können, die zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht absehbar sind, was auf eine Haltung deutet, die keine Kontinuitätssicherheit besitzt (in dem Sinne, so wie es ist, kann es auch bleiben). Damit kommen die Möglichkeiten von einer Transformation in den Blick. Rainer distanziert sich zu dem Neuen und stellt in der Thematisierung immer noch den Anfangsbezug an der neuen Schule her, was auf ein Phasenmodell im Orientierungsrahmen hinweist. Der Widerspruch besteht darin, einerseits vom „Einleben“ zu sprechen (Differenz zum Alten und Beginn des Neuen, implizit deutlicher Bruch) und andererseits mit „ein paar Umstellungen“ zu bagatellisieren und zu versuchen, Kontinuität herzustellen, was damit misslingt. Damit kommt zum Ausdruck, dass es im Orientierungsrahmen von Rainer schon Befürchtungen und Ängste (oder ein Wissen) gab, ob der Übergang gelingt (siehe auch Vergleich Bruder und Leistungsabsturz).
S. 1 24-29 UT: Bsp. neue Fächer sind Lieblingsfächer
R: neue fächer , aber machen mir persönlich spaß so , also geschichte englisch biologie und geographie sind eingentlich die vier neuen fächer , englisch hatten wer ja schon vorher aber , nich als benotetes fach //hm// un das sind eigentlich auch so meine vier lieblingsfächer ,
Rainer führt hier die neuen Fächer als Beispiele für die „paar Umstellungen“ ein. Im weiteren Verlauf der Thematisierung wird aber deutlich, dass diese Umstellung (und die damit einhergehenden Befürchtungen) keine faktische Umstellung darstellt, und eher im Gegenteil seine Interessen und Neigungen fördert und fortführt. Die Probleme schwingen mit „eigentlich“ mit, werden aber nicht artikuliert. Diese neuen Fächer zählen sogar zu seinen Lieblingsfächern, was auf einen gelungenen Übergang bezüglich der neuen Fächer verweist. Er entwirft sich folglich als jemanden, der diese mögliche Hürde beim Übergang (siehe Thesen in der Übergangsforschung) meistert und positiv wendet. Darüber hinaus ist es interessant, dass Rainer die Umstellungen nicht auf die neuen Schüler, Lehrer oder das Schulhaus bezieht (soziale Beziehungen). Vielmehr geht es hier um die Ebene der Fächer und damit der Unterrichtsanforderungen. Die Veränderungen und Brüche durch die neuen Fächer werden im Paket als Lieblingsfächer und seiner Persönlichkeitsstruktur entsprechenden gewendet, was auf eine positive Haltung (Affinität), Passförmigkeit und Bereitschaft in Bezug auf neue Unterrichtsanforderungen verweist. Er entwirft sich so als einen dem exklusiven Gymnasium passförmig, kompetenten und reifen Schüler. Das ist eine Form von großer Anpassungsbereitschaft an diese Anforderungen.
S. 1 29-39 UT: Bsp. Schließfächer und zu den Lehrer gehen
S. 1 39–47 UT: Bsp. neue Häuser (Räume) und Zeiten
UUT: Bsp. Einträge fürs zu spät kommen
R: ja mit dem schließfach . so ganz ordentlich sieht’s bei mir nich aus //(lacht)// ja . durch meine umstellung immer dahin zu renn jeden morgen die ganzen , sachen da zu holn inner grundschule hatt ich ne ablage un das wars //hm// un da kam die meisten lehrer dahin wenn wer irgendwas hatten , kam der lehrer hin un mir sin nich zum lehrer gegang , ja die schule is viel größer also , irgendwas mit hier gibt’s mehrere tausend zehntausende schließfächer //(lacht etwas)// hier sind zwar nich so viele schüler aber schließfächer gibt’s halt viele , und s’ war auch schön ja , und (langgezogen) also s gibt ja noch n musikhaus , und da gibt’s ja dieses große haus und das andre haus noch also , riesig du rennst da von haus zu haus das sind fünf minuten pausen dazwischen und in dieser zeit musst du auspacken , zum andern zimmer renn und halt du k- du kannst einfach nich dann noch mal zum schließfach renn da hast du keine zeit mehr //ja// weil dann gibt’s auch n eintrag oder , wenn du drei mal zu spät kommst ne note sechs oder so ,
Rainer schließt mit einem weiteren Beispiel für die „paar Umstellungen“ an. Bei dieser Umstellung hat er im Gegensatz zu den neuen Fächern, die zu den Lieblingsfächern geworden sind, noch Probleme. In dieser Thematisierung der Organisation durch die Schließfächer und des Aufsuchens der Lehrer wird auch die Umstellung zur Grundschule eingeführt („Ablage“, „Lehrer kamen zu ihnen“). Damit zeigt er, dass er jetzt höheren Anforderungen ausgesetzt ist. Diese Logistik und die veränderte Konstellation zu den Lehrern haben Einfluss auf den Unterricht (Einträge oder gar Sechsen). Damit bestätigt sich, dass die zentrale Orientierung von Rainer der Unterricht ist und alles drum herum vom Unterricht her gedacht wird und Rainer sich da umstellt und anpasst. Einerseits stellen die Schließfächer so ein Problem oder gar eine Gefahr für den Unterricht dar, andererseits wird das Schließfach im Modus der Status- und Verantwortungsgewinne eingeführt. Auch diese Stelle zeigt seine Anpassungsbereitschaft, da er diese als Umstellung formuliert und sich dem ausliefert. Er geht dazu nicht in Opposition.
Die hohen logistischen Anforderungen und das „Gesetz“ des Rennens, werden von Rainer als wichtig ange- bzw. übernommen, um den Unterrichtsanforderungen zu entsprechen. Das Problem was hier zum Ausdruck kommt, ist das Dilemma zwischen ordentlicher und optimaler Nutzung des Schließfaches und den Unterricht zu schaffen. Implizit kommt hier die Konformität an Regeln der Schule und pünktlich zum Unterricht zu erscheinen zum Ausdruck. Und damit werden auch die Befürchtungen und Ängste vor Sanktionen in Form von Einträgen (was für Familie einsehbar wäre) oder schlechter Noten und die Vermeidung dieses negativen Horizonts deutlich. Wiederum bezieht Rainer sich hier auf eine Gefahr in Bezug auf Unterrichtsanforderungen und nicht auf eine wie z.B. soziale Beschämungen, was auf eine Passung und Akzeptanz mit diesen Sanktionen hinweist. Die Sanktionsmittel (Einträge oder schlechte Zensuren) sind sehr harte, institutionelle Bestrafungen. Insgesamt ist diese Geschichte mit der Logistik durch das Schließfach keine dramatische Umstellung. Rainer trägt demnach in seinem Orientierungsrahmen eine starke Affinität und Verbürgung von dem, was Schule ist und ausmacht, da er schulische Regeln oder Arrangements nicht generell hinterfragt.
S. 1 47-S. 2 5 UUT: Bsp. großer Sportplatz
R: und (langgezogen) ja beim sport , das is vielleicht n vorteil also inner grundschule hatt’n wer ne turnhalle (moment lass mich ma) überlegen n sportplatz hatt’n wer auch ne turnhalle hatt’n wer , und die turnhalle is erstma doppelt so groß fast //boah (flüsternd)// da ham wer hier ähm den sportplatz is fast so gr- also is eigntlich so groß wie’n richtiges fußballfeld das is auch eingemalt und so //hm// mit zwei toren //hm// , die laufbahn halt drum rum die is . dreihundertfünfzig meter lang . ähm (langgezogen) ja also viel größeres gelände .
Rainer führt die Reihe der Neuheiten fort, geht aber von den schulischen Anforderungen weg und thematisiert schulische Ausstattungen am Bsp. der Turnhalle und des Sportplatzes. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es hier auf der neuen Schule um neue Dimensionen von Schule als Ort und Haus geht. Das größere und professionellere Gelände im Vergleich zu dem der Grundschule wird als möglicher Vorteil und Statuszuwachs präsentiert. In der Art und Weise der Darstellung dokumentiert sich eine Verbesserung der Rahmenbedingungen, auch wenn diese nur „halbherzig“ eingeführt wird. Diese positive Veränderung kann nicht von Bedeutung sein und bezieht sich lediglich auf den Aspekt der besseren Ausstattung.
S. 2 5-17 UT: gut in neue Fächer und mit neuen Lehrern eingelebt
R: joa hm was gibt’s noch . also ich hab mich dann erstmal ganz gut eingelebt die ersten tage ( ) mit den lehrern . also die ham uns so gezeigt , in den neuen fächern so vor alln ding , was machen wer’n jetz im fach , weil wir hatten ja vorher so HS hieß das bei uns so heimatsachunterricht //hm/ heimatsachkunde oder heimatkunde , ähm ja und das (verteilt) sich auch in mehrere Fächer auf und was machen wer denn jetz in diesen fächern .. (atmet aus) joa .. und , da- die lehrer halt ham se das ma alles auch dann erklärt wie’s dann weitergeht und wie da=wie das abläuft , und jeder hat seine eigene methode , wenn das passiert und wenn das passiert dann , gibt’s das und das
Rainers Themeneinführung verweist auf eine Suche nach weiteren Themen „was gibt`s noch“. Mit dieser Frage bringt er sich gleichzeitig wieder zurück. Er wiederholt die vorsichtige Bilanzierung „ganz gut eingelebt“. Im Anschluss geht es dann wieder thematisch mehr um Unterrichtsanforderungen. Dabei handelt es sich erneut um die neuen Fächer. Diesmal aber konkretisiert auf die Lehrer und den Ablauf der ersten Stunden, die über das Fach informierten. Rainer beschreibt so die Einführung durch Lehrer in inhaltliche und methodische Anforderungen in den neuen Fächern. In der Darstellungsform kommt zum Ausdruck, dass dieses Vorgehen der Lehrer ihm gefallen hat und die Aufklärung der Anforderungen differenziert nach Lehrern für ihn Bedeutung besitzt, um diesen Anforderungen entsprechen zu können. Irritierend ist die Phrase „jeder hat da seine Methode“ als Diagnose eines Neulings in der stark definierten Rollenstruktur. Gleichzeitig verweist dieses analytische Moment auf die Orientierungen von Rainer, die neuen Anforderungen und Lehrer differenziert abzuchecken und die Informationen einzuholen. Damit präsentiert er sich als einer, der diese Praktiken der Lehrer erkennt. In Rainers Orientierung kommt einerseits die analytische Orientierung zum Ausdruck, ‚ich lerne das System kennen und weiß, wie ich da am effizientesten agieren kann’ (gestaltbare Ader und Überzeugung). Andererseits zeigen sich in der Prognoselinie die Offenheit, Erwartungen und Befürchtungen für negative Entwicklungen (eher fatalistische Ader, siehe auch Phasenmodell am Ende des Segments).
S. 2 17-20 UT: es ging schon richtig mit Zensuren los
R: und ja jetz ging’s halt auch schon los , tests ham wer in jedem fach auch schon viel geschrieben , zensurn ham wer auch schon überall ja
Rainer markiert mit dieser Themeneinführung den eigentlichen Beginn des Schuljahres „jetzt ging`s halt auch schon los“. Das deutet auf die Bedeutung von Zensuren und Arbeiten von Rainer. Wenn etwas losgeht, steht man folglich am Anfang und Rainer ist tatsächlich in der neuen Schule angekommen. Es dreht sich nicht mehr um Einführungen oder neue organisatorische bzw. räumliche Umstellungen (Schließfach, Sportplatz), sondern nun rücken Zensuren, Leistungsüberprüfung, Benotung und Leistungsbeurteilung in den Fokus. Die Themeneinführung deutet (Vergleichshorizont Fußball: „jetzt geht’s los“) auf ein Auftakt mit positiven Erwartungen. Mit dem dreifachen „schon“ wird diese eher passförmige Praxis der Schule von ihm besondert und weist auf die heftigen, umfassenden und schnellen Leistungsvergleiche nach den Einführungen in die Fächer hin. Trotz Rainers Affinität zu Leistungsvergleichen, kommt mit dem „schon“ an dieser Stelle eine nicht ganz ungebrochene Art und Weise der Darstellung zum Ausdruck, was auf eine Transformation verweisen könnte. Darüber hinaus wird mit dem „jetzt“ ein unmittelbarer Gegenwartsbezug hergestellt, der mit den umfassenden Leistungsanforderungen und der (Zensuren-)Maschinerie konfrontiert wird. Das zeigt die zeitliche Nähe zwischen Beginn und die umfassenden Anforderungen. Einerseits ist die Passage als Besonderung der Leistungsfähigkeit für die Schule zu markieren. Andererseits dokumentiert sich hier, dass Rainer trotz aller positiven Momente auf Selektion und Unterrichtsanforderungen, doch mit einer überraschenden und umfassenden Maschinerie konfrontiert wird.
S. 2 20-28 UUT: Spannung auf das Abschneiden in der Geo-Arbeit
R: ja , ne arbeit ich war heut n bisschen enttäuscht vom geo-lehrer , weil also nich enttäuscht aber wir ham letzte woche ne geographiearbeit geschrieben un s is ja auch mein lieblingsfach //mh// vorher auch schon , auch wenn ich’s noch nich hatte un erst sagt herr S. wir würden heut die arbeit zurück kriegen und jetz ham wer se doch nich zurück gekriegt . ja eine woche voller spannung //(lacht ein wenig)// kommt noch ne woche drauf .
Rainer führt hier ein aktuelles Beispiel zur Vertiefung für die vielen Arbeiten und für die Zensurenproduktionsthematik ein. Das Zurückhalten der Arbeit durch den Lehrer wird dabei als Enttäuschung erlebt (Vergleichshorizonte sind froh, wenn es die Arbeiten später gibt). Der Geo-Lehrer hat seine Rolle in der Maschinerie nicht eingehalten und die Arbeiten sofort zurückgegeben. Rainer macht es zu seiner persönlichen Enttäuschung durch den Lehrer. Die Enttäuschung etwas nicht zurückzubekommen, verweist auf eine positive Erwartung bezüglich der Arbeit. Gerade im Lieblingsfach, wo seine Interessen liegen, länger zu warten, verschärfen die Enttäuschung. In der Art und Weise der Darstellung kommt auch die Enttäuschung zum Ausdruck, nicht seine Exklusivität in Form von guten Zensuren unter Beweis stellen zu können. Allerdings deutet die Spannung auch auf eine gewisse Unsicherheit und Ungewissheit. Die Spannung wird so zur Vollspannung. Auch bestätigt sich erneut mit der Rollenverteilung und der Definitionsmacht der Lehrer die Verbürgung des Schulischen. Grundlegend gibt es den positiven Horizont, den Unterrichts- und Leistungsanforderungen entsprechen zu können. Allerdings ist dieser gepaart mit der prognostischen Unsicherheit und Transformationsmöglichkeit, dass auch etwas anderes eintreten kann. Das verweist auf eine Differenz zu einer starken Zukunftssicherheit und absoluten Überzeugung immer der Beste zu sein. In der dargestellten „Notenmaschinerie“ ist implizit auch eine Problematik formuliert, die hier zunächst positiv gewendet wird, aber am Ende mit der Spannung wieder sichtbar wird, weil mit jeder Arbeit die Bewährungssituation eintritt und so die Ungewissheit: „schaffe ich es oder nicht“. Mit der Metapher der Spannung kommt dies zum Ausdruck. Die Spannung multipliziert sich, gerade auch vor dem Hintergrund der neuen Klasse der Besten, in der er sein Expertentum ausweisen möchte.
S. 2 28-29 Konklusion: Umstellung, da Schließfächer und alles strenger
R: ja also es war hauptsächlich erstma die umstellung mit dem schließfach un halt , alles viel strenger
Diese dritte Konklusion zur Gesamtthematik Ankommen und Umstellungen, hebt noch einmal die Schließfachgeschichte als Randbereich und Logistikproblem hervor. Andererseits wird die Normalerwartung formuliert, wie es auf der neuen Schule auf der Leistungsebene ist, welche bisher inhaltlich lediglich anhand der Sanktionen (6 für das Zuspätkommen) oder der Leistungsanforderungen (Methoden der Lehrer) dargestellt wurde. Damit werden auch die straffere Organisation (Regeln) und die höheren Anforderungen bilanziert. Das heißt, dass die Ordnung und Regelhaftigkeit an der Schule so ausgelegt wird, dass es weniger Spielräume gibt und kaum Möglichkeiten dem zu entkommen. Damit wird implizit die Frage von Autonomie und Bewegungsspielräumen angesprochen, die durch Strenge eingeschränkt werden. Mit „viel strenger“ wird gesagt, dass es hier zur Sache geht und man sich Ausrutscher oder Eskapaden nicht leisten kann. Gleichzeitig bestätigen sich die Verbürgung mit diesen Praktiken der Schule und die Unterwerfung. Diese umfassende Formulierung markiert eine deutliche Transformationsfigur, da zeitlich (früher und jetzt) unterschieden wird. Damit werden implizit wiederum einerseits beiläufige Umstellungen thematisiert, andererseits wird von einer umfassenden Veränderung oder Transformation vor dem Hintergrund einer normalen Erwartung „halt“ gesprochen. Die Transformation wurde antizipiert und bestätigt sich. Es ist nicht so richtig klar, ob es sich um eine positive oder negative Transformation für Rainer handelt (Passförmigkeit vs. Anforderung, (Über-)Forderung), was sich auch in seiner Erzählweise zeigt. Das Nicht-Thematisieren deutet so darauf hin, dass diese Schule sehr umfassend von ihm verbürgt wird und positiv besetzt ist. Wer was zu entscheiden hat, wird nicht hinterfragt. Es gibt sehr wenige kritische Positionierungen. Rainer kann sich noch nicht positionieren, was auf Irritation und Unsicherheit hindeutet und befindet sich noch in einer prognostischen Phase, in der das harte Einbrechen noch erwartet und eine globale, positive Prognose für die weitere Schullaufbahn nicht getroffen wird. Implizit wird diese Offenheit und Unsicherheit (Ungewissheit) der Zukunft deutlich (und so eine positive oder negative Rahmung für die Schulzeit: „erstma gut eingelebt“), andererseits gibt es Momente in denen er versucht Kontinuität herzustellen, wie z.B. durch die Ernennung vieler neuer Fächer zu Lieblingsfächern. Dies verweist auf eine Bearbeitungsform des bruchlosen Übergangs.
S. 2 29-34 UT: Mutti und Bruder waren hier, Familientradition
R: un , also ich hatt schon nen bruder der war hier der is aber für fünf jahren oder jetz seit sechs jahren schon hier weg //hm// studiert also un (lang gezogen) meine mutti war auch hier , und mein bruder Florian du weißt ja , hatten wir ja jeklärt //hm//
Die Einführung des Bruders wird hier an der Stelle der Erwartungslogik des neuen Gymnasiums, was sich in dem „halt“ ausdrückt, plausibilisiert. Es gibt ein Wissen in Bezug auf das Gymnasium, was über den Bruder vorliegt. Der Bruder stellt damit einen Horizont dar. In dieser Thematisierung wird eine Relativierung eingezogen, ob das noch so an der Schule stimmt, wie das vor 6 Jahren bei dem Bruder war. Damit wird die Tradierung in eine gewisse Distanz überführt, was wiederum die Unsicherheit ausdrückt. Die Ambivalenz der Offenheit und Erwartungssicherheit spiegelt sich wieder. Im Vergleich zur Grundschule besteht eine neue und erste Unsicherheit. Rainer war bisher eher mit Distinktionssicherheit (der Beste und es wird alles gelingen und klappen) ausgestattet, die hier in der Art und Weise der Darstellung verschwunden ist. Die bestehende Frage ist, warum er dem Frieden auf der neuen Schule nicht traut. Der Bruder ist am Anfang seiner Zeit an dieser Schule abgestürzt und könnte durch die Thematisierung als negativer Horizont fungieren.
S. 2 34-52 UT: Anforderungsphasen auf der neuen Schule
R: also erstmal wenn du da drauf kommst die ersten tage , also wird dir alles erklärt (guck dir mal ein bisschen) an , dann gings dann geht’s so los dann komm schon dann erstma noch die schonungszeit jetz geht’s los , da komm schon die ersten tests un dann komm un dann kommst du schon in die phase , klassenarbeit (holt luft) ja und nach’n herbstferien greifen se dann nochma richtig an jetz geht’s los , da bin ich ja jetz auch gerade //hm// und im zweiten halbjahr dann merkst du halt im musst wer- werd ich dann denk ich halt wird ich auch merken , neue schule mehr fächer mehr stunden jetz wird’s hart , ja , bisher hab ich das noch nich so gu=gut gespürt schlechtere noten kriegt oder sch- kriegt man auch öfter äh öfters dann mal , ja bisher war’s noch nich der fall bei mir , ein oder andre mal vielleicht … also bisher hatt ich erst nur ne drei hier aber ne vier oder so hatt ich zum beispiel noch nich , besch- als- ä also auf der schule jetz hier , grundschule schon . joa also eigentlich is der eindruck ganz gut
Rainer formuliert hier ein generalisiertes Phasenmodell, welches mit zurückliegenden persönlichen Bezügen angereichert ist. Er vergleicht dabei das Tatsächliche mit dem theoretischen und allgemeinen Phasenmodell. Das Modell an sich macht deutlich, dass die Anforderungen stufenförmig oder spiralförmig hochgeschraubt werden. Als Person wendet man dieses für sich an und kann bestimmen, ob man den Anforderungen entspricht. Dieses Modell geht folglich von einer Steigerung von härteren Phasen aus, wenngleich er das Härtere selbst nicht gespürt hat und er kontinuierlich gut ist. In der Formulierung „da greifen sie noch mal richtig an“ nach den Herbstferien, wird ausgedrückt, dass man wie im Krieg oder im Kampf angegriffen wird und sich verteidigen muss, was auf eine Dramatisierung und ein Verletzungsrisiko deutet. In der Metapher „Angriff“ wird die Haltung offensichtlich, dass die Schule und Lehrer völlig legitim immer härtere Anforderungen stellen können und sie die Aufgaben haben, die Anforderungen hochzuschrauben. Das schulische Spiel besteht für ihn darin, dem stand zu halten und so lange wie möglich gute Noten zu erringen. Schule wird gar nicht als Vermittlungsinstanz oder soziale Einrichtung gesehen, sondern als Kampf um die gute Note. Hier steht er gut und antizipiert Einbrüche. Mit der Metapher macht er die Offensive der Gegenseite stark, die einen als anonyme Angreifer (Angriff der Institution) was wegnehmen dürfen (z.B. Zeit, siehe andere Passage). Er begreift sich damit als jemand, der sich gegen diese Enteigner und Bedrohung verteidigen muss. Er muss folglich seinen vorhandenen Status aus der Grundschule gegen das Schlechter-Werden schützen. Auf der Lehrer-Schüler-Ebene gibt es so kein Miteinander und/oder keine professionelle Stütze (sein Bild von Schule), sondern er sieht die Lehrer als sein feindliches Gegenüber. Dieses Bild ist für Rainer sehr überraschend und steht im Kontrast zur Grundschule, wo er die Lehrer nicht als Angreifer gesehen hat, sondern als Gesprächspartner. So steckt in diesem Bild eine gewisse Dramatik. Dennoch hatte Rainer bereits in der Grundschule Probleme, als eine Lehrerin seinen Status angriff.
Mit dem Phasenmodell entwickelte Rainer die Bearbeitungsform des „Gerüstetseins“ gegen die Angriffe der Lehrer, indem er diese durchschaut. Er führt analytische und diagnostische Fähigkeiten als Strategien in diesem Kampfspiel ein, um seinen Titel zu verteidigen. Das heißt aber auch, dass Schule für ihn sehr viel mit Statustiteln zu tun hat. Das Restrisiko der Angriffe kann so bis zum Abitur fortgesetzt werden. Das institutionelle Ranking und sich zu bewähren in der Leistungssituation wird von Rainer in Kriegs- und Kampfbegriffen gefasst, was die Ernsthaftigkeit für ihn verdeutlicht und die Versuche zu entdramatisieren konterkariert.
In der Angriffsphase befindet er sich gerade, was auch die Sprünge in den Zeitformen „da ging`s los“ oder „jetzt geht`s los“ plausibilisiert. Im weiteren Verlauf setzt Rainer einen neuen Beginn im 2. Halbjahr, wo er erst das wahre Selbst der Institution spürt. Die eigentliche Bewährungsprobe mit den aktuellen Angriffen steht gerade an und er fragt sich, wie er mit der Steigerung im 2. Halbjahr zurechtkommen wird. Die richtigen Bewährungsproben sind folglich noch nicht bestanden und der Ausgang offen.
In der Formulierung „noch nich so gut gespürt“ dokumentiert sich die Orientierung, der festen Erwartung, dass es bezüglich von Noten und Anforderungen hart an der Schule wird. Die Verletzung wird an den Noten und Zensuren festgemacht. Im Phasenmodell werden so die schlechten Noten antizipiert.
In diesem Phasenmodell zeigt sich die antizipierte Normalitäts- und Erwartungsfolie, die noch nicht eingetreten ist. Das zeigt sich auch in der oben artikulierten Unsicherheit und Ungewissheit. Er entspricht diesem Phasenmodell noch nicht. So fragt er sich, wieso seine Orientierung an diesem Modell haftet und diese Stufen eine solche Gültigkeit haben, obwohl es alternative Entwürfe geben könnte, wie z.B. die Selbstverständlichkeit vom Halten des sehr guten Niveaus auf dem Gymnasium. Durch den möglichen Horizont des Bruders verliert Rainer an Sicherheit. Ein Leistungseinbruch würde ihm Sicherheit geben und das Modell bestätigen.
Implizit rechnet Rainer mit dem Phasenmodell und dem darin integrierten, folgelogischen Einbruch, der zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht eingetreten ist (noch keine 4 erhalten im Gegensatz zur Grundschule). So wird das Phasenmodell modifiziert und die Einbrüche und Attacken in die Zukunft transponiert. Er wartet folglich auf den Einbruch, welcher bis zur 12. Klasse theoretisch möglich ist. Aber die Erwartung nicht zur Spitze zu gehören sind da, was eine Rahmung darstellt, nicht die Sicherheit über den Erhalt der Exklusivität und Exzellenz zu besitzen, andererseits wird somit eine Enttäuschungsresistenz gegen die Einbrüche zum Ausdruck gebracht. Damit dokumentiert sich in dieser Anfangserzählung das Moment von Unsicherheit in Bezug auf die eigene Exzellenz.
Andererseits benutzt Rainer auch das Phasenmodell, um sich davon abzugrenzen „ja bisher war’s noch nich der fall“ und implizit damit seine Exklusivität darzustellen.
Fußnoten:
(1) Damit bewegen sich Rainers Orientierungen im Gegensatz zu den sozial-integrativen Momenten von Schule eher in Richtung der Selektionsfunktion mit harter Konkurrenz und Vergleich von Schule.
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