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Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

2. Interview Rainer 2. Passage (Noten: Orig.: S. 36 4-46)

I: hm und wie ist das jetzt hier auf der neuen schule
R: also da ist auch noch mal n bisschen mehr an forderung da hatt ich jetzt da steh ich momentan oder ich weiß nicht auf was ich stehe ich meine , ich hab ne zwei bei der mitarbeit jetzt , also nich in der mitarbeit sondern in der mitarbeit hatte ich ne- letztens ne eins gekriegt also so vierteljahresdurchschnitt stand ich eins komma fünf und zum halbjahr wird ja immer die schlechtere note gegeben damit noch mal ansporn is //I: hm// und die hätt mir ja jetzt die zwei gegeben , hätt kein- //I: hm// also kann ne eins geben kann ne zwei geben is aber halt auch noch keine zeugnis oder so jetzt müsst ich entweder auf eins stehen , weil die tests und so und arbeiten die zählen ja weniger und mitarbeit mehr in mitarbeit hatte ich jetzt ne eins und da müsst es eigentlich schon wieder so eins komma vier eins komma drei sein //I: hm// also , jetzt läuft es eigentlich auch gut (betont) aber halt noch mehr , insgesamt halt einfach noch mehr , und da bin ich auch nich so schnell fertig dann und dann unsere lehrerin hab ich ja beim letzten mal auch schon gesagt hat uns halt so eingeflösst wir sind die besten der besten und so hier kommen nur die besten drauf also ich hab mehr konkurrenz sozusagen , //I: hm// also d- nich dass ich langsamer werde , also es is ja nich so alle alle haben meinetwegen geschwindigkeitstempo fünf und ich hatte vorher dann sieben und bin jetzt wiedder auf sieben so alle sind jetzt einfach auf sieben die anderen sind einfach auf sieben noch gerutscht , hoch . also ich bin sozusagen geblieben und die anderen warn- sind auch so wie immer nur halt , meinetwegen drei schulen aus jeden kommen die fünf besten , die sind immer ganz schnell fertig und die anderen hängen immer n bisschen hinterher die kommen jetzt in eine klasse is logisch dass die dann die alle so ungefähr gleich schnell sind , und deswegen bin ich auch jetzt nich mehr der schnellste oder so oder will ich ja auch nich sein also oder der beste und so n klassenbesten ham mer eigentlich nich , nich wirklich , nö m m (klopft auf den tisch) , //I: hm// bloß n klass- klassenbeste , also mehrzahl . //I: hm// ja , also es läuft gut aber halt ich hab , hab mehr konkurrenz //I: hm// also die sind alle schne- schnell

Thematische Struktur

S. 36 4-46 OT: Leistungen und Vergleiche auf der neuen Schule

S. 36 4-5 UT: Frage, wie es an der neuen Schule ist

S. 36 7-21 UT: auf welcher Note ich gerade stehe

S. 36 7 UUT: n bisschen mehr Forderung

S. 36 7-9 UUT: ich weiß nicht wie ich stehe

S. 36 9-12 UUT: Vierteljahresdurchschnitt stand ich 1,5

S. 36 12-15 UUT: zum Halbjahr hätte sie mir zum Ansporn eine 2 gegeben

S. 36 15-17 UUT: wird eine 1 oder eine 2, aber noch kein Zeugnis

S. 36 17-21 UUT: jetzt müsste ich wieder auf 1 stehen

S. 36 21-44 UT: die Besten der Besten haben alle das gleiche Lerntempo, sie sind schnell und ich habe mehr Konkurrenz

S. 36 21-24 UUT: es läuft gut, ich bin aber nicht so schnell fertig

S. 36 24-28 UUT: hier sind die Besten der Besten, ich habe mehr Konkurrenz

S. 36 28-35 UUT: die anderen sind hoch gerutscht, ich bin gleich geblieben

S. 36 35-41 UUT: ich bin nicht der schnellste, weil die Besten von 3 Schulen hier sind

S. 36 41-44 UUT: wir haben auch keinen Klassenbesten

S. 36 44-46 Konklusion: es läuft gut, ich habe aber mehr Konkurrenz

Formulierende Interpretation

S. 36 4-46 OT: Leistungen und Vergleiche auf der neuen Schule

S. 36 4-5 UT: Frage, wie es an der neue Schule ist

Wie läuft es so an der neuen Schule?

S. 36 7-21 UT: auf welcher Note ich gerade stehe

S. 36 7 UUT: n bisschen mehr Forderung

An der neuen Schule gibt es ein klein wenig mehr an Anforderungen.

S. 36 7-9 UUT: ich weiß nicht wie ich stehe

Ich weiß gerade nicht, wie ich stehe-

S. 36 9-12 UUT: Vierteljahresdurchschnitt stand ich 1,5

Jedenfalls stehe ich auf zwei in der Mitarbeit, ach nein in der Mitarbeit habe ich vor kurzer Zeit eine eins erhalten. Im Vierteljahresdurchschnitt stand ich so auf eins Komma fünf.

S. 36 12-15 UUT: zum Halbjahr hätte sie mir zum Ansporn eine 2 gegeben

Und auf dem Halbjahreszeugnis wird ja zur Motivation immer die schlechtere Note gegeben und die hätte ich von der Lehrerin auch bekommen.

S. 36 15-17 UUT: wird eine 1 oder eine 2, aber noch kein Zeugnis

Also es wäre eine Eins aber auch eine Zwei denkbar, allerdings ist es ja noch kein Zeugnis.

S. 36 17-21 UUT: jetzt müsste ich wieder auf 1 stehen

Aber mittlerweile müsste ich wieder auf eins Komma vier oder eins Komma drei stehen, da ja die Arbeiten und Tests weniger als die Mitarbeit, wo ich eine Eins hatte, zählen.

S. 36 21-44 UT: die Besten der Besten haben alle das gleiche Lerntempo, sie sind schnell und ich habe mehr Konkurrenz

S. 36 21-24 UUT: es läuft gut, ich bin aber nicht so schnell fertig

Insgesamt läuft es für mich gut an der neuen Schule, jedoch sind die Anforderungen umfassender und unter diesen Umständen kann ich auch nicht mehr so schnell wie in der Grundschule fertig sein.

S. 36 24-28 UUT: hier sind die Besten der Besten, ich habe mehr Konkurrenz

Wie ich es bereits beim letzten Mal erwähnte, hat unsere Lehrerin uns eingeflößt, dass wir die Besten der Besten sind und für diese Schule nur die besten Schüler ausgewählt werden. Ich habe demnach mehr Konkurrenz.

S. 36 28-35 UUT: die anderen sind hoch gerutscht, ich bin gleich geblieben

Das liegt nun nicht daran, dass ich langsamer in meinem Arbeitstempo geworden bin, vielmehr würde ich es so erklären, dass vorher in der Klasse Geschwindigkeitstempo fünf der Durchschnitt war und ich das Tempo sieben hatte und nun auf der neuen Schule ich nach wie vor das Tempo sieben halten konnte, jedoch die Mitschüler noch nach oben zu mir gerutscht sind, also sie sind auch so gut wie früher.

S. 36 35-41 UUT: ich bin nicht der schnellste, weil die Besten von 3 Schulen hier sind

Nehmen wir von mir aus an, dass die besten fünf Schüler, die immer schnell die Aufgaben erledigen und andere abhängen, aus drei Schulen sich hier in einer Klasse wieder finden, dann ist klar, dass diese alle ungefähr gleich schnell arbeiten. Und aus diesem Grund bin ich in der neuen Klasse auch nicht mehr der Schnellste und das möchte ich auch nicht sein.

S. 36 41-44 UUT: wir haben auch keinen Klassenbesten

Zudem haben wir nicht mehr wirklich einen Klassenbesten in der neuen Klasse, lediglich Klassenbeste im Plural.

S. 36 44-46 Konklusion: es läuft gut, ich habe aber mehr Konkurrenz

Also zusammengefasst kann ich sagen, dass es gut läuft, ich aber mehr Konkurrenz habe, da die anderen Mitschüler alle samt schnell sind.

Reflektierende Interpretation

S. 36 4-46 OT: Leistungen und Vergleiche auf der neuen Schule

S. 36 4-5 UT: Frage, wie es an der neue Schule ist

I: hm und wie ist das jetzt hier auf der neuen schule

Diese Nachfrage schließt an das Oberthema Lerntempo im Fach Mathe an. Nachdem Rainer sein außergewöhnlich schnelles Lerntempo in Mathematik darstellte, zielt der Interviewer mit dieser Frage auf den Vergleich mit der neuen Schule und so auf mögliche Veränderungen. So wird eine Transformationsperspektive vom Interviewer eingeführt. Andererseits wird auf die Entsprechung mit eigenen Erwartungen an Leistungen und das im Vergleich zu anderen fokussiert. Damit sind auch Fragen von Status und Exzellenz angeschnitten.

S. 36 7-21 UT: auf welcher Note ich gerade stehe

R: also da ist auch noch mal n bisschen mehr an forderung

Rainer kann direkt an die Frage anknüpfen „also“ und markiert eine Differenz zur Grundschule in den Anforderungen, die aber in der Formulierung selbst bereits relativiert ist. Rainer führt eine minimale Steigerung ein. Damit bezieht er sich auf die Dimension der Anforderungen und Fähigkeiten, die parallel zu anderen Bereichen erhöht erfahren wurden sind. Der Rahmen der Themenentfaltung weist auf keine fundamentale Transformation, sondern eher auf eine Kontinuität von guten Leistungen und Status. Die Forderungen müssen vom Lehrer gestellt werden, die in dieser Thematisierung eine andere Qualität erhalten.

S. 36 7 UUT: n bisschen mehr Forderung

S. 36 7-9 UUT: ich weiß nicht wie ich stehe

S. 36 9-12 UUT: Vierteljahresdurchschnitt stand ich 1,5

S. 36 12-15 UUT: zum Halbjahr hätte sie mir zum Ansporn eine 2 gegeben

S. 36 15-17 UUT: wird eine 1 oder eine 2, aber noch kein Zeugnis

S. 17-21 UUT: jetzt müsste ich wieder auf 1 stehen

R: da hatt ich jetzt da steh ich momentan oder ich weiß nicht auf was ich stehe ich meine , ich hab ne zwei bei der mitarbeit jetzt , also nich in der mitarbeit sondern in der mitarbeit hatte ich ne- letztens ne eins gekriegt also so vierteljahresdurchschnitt stand ich eins komma fünf und zum halbjahr wird ja immer die schlechtere note gegeben damit noch mal ansporn is //I: hm// und die hätt mir ja jetzt die zwei gegeben , hätt kein- //
I: hm// also kann ne eins geben kann ne zwei geben is aber halt auch noch keine zeugnis oder so jetzt müsst ich entweder auf eins stehen , weil die tests und so und arbeiten die zählen ja weniger und mitarbeit mehr in mitarbeit hatte ich jetzt ne eins und da müsst es eigentlich schon wieder so eins komma vier eins komma drei sein //I: hm// also , jetzt läuft es eigentlich auch gut (betont) aber halt noch mehr , insgesamt halt einfach noch mehr ,

Der Anschluss von Rainer bezieht sich auf die Anforderungen aus der Vergangenheit, welche im weiteren Verlauf durch „momentan“ mit der Gegenwart verbunden werden. Damit ist das der Versuch zu formulieren, auf welchem Niveau oder Level er sich befindet. Er führt folglich eine Bespielgeschichte ein, die klar machen soll, was es da an „n bisschen mehr forderung“ gibt, wie er dem als exzellenter Schüler in der Kontinuitätsvariante entspricht und auf welchem Level er steht. Dies kann er dabei aber nicht bruchlos artikulieren. An der Stelle, wo er konkret anhand seiner Zensuren einführen möchte, das er seine Exzellenz fortführt, kann er diese nicht nachweisen, da er die glatte Eins nicht hat und im Spektrum zwischen Eins und Zwei pendelt. In der Suche nach und in der Konstruktion der sehr guten Eins dokumentieren sich seine Arbeit und der Herstellungsversuch von Kontinuität seiner Exzellenz. Diese ist somit bedroht und Transformationspotentiale belegt. Zweien sind keine absolute Ausnahme mehr, sondern im Durchschnitt steht Rainer zwischen Eins und Zwei. Hierin dokumentiert sich die Orientierung auf Exzellenz und Anforderungserfüllung, die nicht als solche belegt werden kann. Seine Bearbeitungsform ist bspw., dass die Mitarbeitsnote mehr zählt als schriftliche Arbeiten und er so die Durchschnittsnote auf die Eins biegt. Damit kommt Rainer in eine Problematik, der Bedeutsamkeit von Schule, die er bearbeiten muss, da er diesem nicht entspricht (wie bei den Fällen der Hauptschule). Bei ihm geht es um das Schwanken von Zehnteln im Hochleistungsbereich und so um den Versuch, die Note noch auf die Eins zu drehen. Er führt somit Rechenexempel durch, die seine Relationierung auf sehr gute Noten in den Blick nehmen. Sein positiver Horizont ist die Eins und so ist er bestrebt seine Leistungen so zu berechnen und zu kalkulieren, dass seine Note eher in Richtung der Eins weist. Somit ist der positive Horizont weniger die perfekte Eins, als die Eins überhaupt. Die Zwei ist in diesem Horizont nicht akzeptabel und vor der Orientierung auf Exzellenz der negative Horizont. Diese andere Option, die genauso wahrscheinlich ist wie die Eins, wird hier ausgeblendet und über die konstruierte Kalkulation zum positiven gewendet. Folglich versucht er das Drohen der Zwei durch diese Konstruktionen zu relativieren (die Zwei wäre nur eine pädagogische Note).(1)

In der Formulierung „müsste eigentlich schon wieder so eins komma vier eins komma drei sein“ dokumentiert sich, dass seine Noten ähnlich denen der Grundschulzeit sind.

Die vorangegangene Kontinuitätshypothese drückt sich über die knappen Unterschiede zur Grundschule aus (könnte immer noch die Eins sein), aber die Unterschiede in den Zehnteln machen die Differenz zwischen dem absolut Exzellenten und dem Exzellentverlust aus. Die Bearbeitungsform ist das „Ranschummeln“ an die 1, was auf ein Krisenpotential hinweist. Die Thematisierungen machen klar, dass es dramatische Einbrüche auf der Ebene des Selbstwertgefühls und Selbstwertkonzeptes bereits durch diese geringen Verschlechterungen gibt.

Die Frage, die sich stellt, ist die nach den Enaktierungspotentialen. Vergleichshorizonte, wie z.B. Clemens, würden für die Umsetzung ihrer Orientierungen üben. Rainer entwirft das Lernen im Gestus des Leichten und hat alle Begabungen, muss nicht üben und das Fach Lern-Lern ist für ihn von keiner Relevanz. Üben ist irrelevant und das Zurückgreifen, wäre ein Zugeständnis an das Scheitern. Es gibt keine Enaktierungspotentiale für eine natürliche und selbstläufige Begabungsgeschichte. Diese könnten erst in der Transformation und Krisenerfahrung entstehen. Vor dem Hintergrund des 1. Interviews verdichtet sich hier eine Problemzone und macht die Riskanz von sehr guten Schülern deutlich. Die Frage der Zukunft ist, ob er Figuren entwerfen wird (wie in der Reformulierung zur Eins hin), die seine Verschlechterung umdefinieren und so bearbeiten.

S. 36 21-44 UT: die Besten der Besten haben alle das gleiche Lerntempo, sie sind schnell und ich habe mehr Konkurrenz

S. 36 21-24 UUT: es läuft gut, ich bin aber nicht so schnell fertig

R: also , jetzt läuft es eigentlich auch gut (betont) aber halt noch mehr , insgesamt halt einfach noch mehr , und da bin ich auch nich so schnell fertig dann

Die Thematisierung Rainers bezieht sich hier auf das oben eingeführte Thema, wie es jetzt auf der neuen Schule in Bezug auf das Lerntempo läuft. Mit der Formulierung „und da bin ich auch nich so schnell fertig dann“ zeigt sich, dass er die führende Position und den Lernerfolgsstatus des Schnellsten aus der Grundschule aufgeben musste. Wenn man das Oberthema nicht berücksichtigt, dann geht es hier eher grundsätzlich darum, nicht so schnell fertig zu sein, ohne zu wissen, auf welche Skalierung (Mitschüler oder Stoff) sich diese Aussage bezieht. Damit drückt sich eine Veränderung aus, nicht mehr so schnell fertig zu werden. Trotzdem ist er nach wie vor „schnell“ fertig, was auf einen Modus der Einebnung oder Eingliederung verweist.

S. 36 24-28 UUT: hier sind die Besten der Besten, ich habe mehr Konkurrenz

R: und dann unsere lehrerin hab ich ja beim letzten mal auch schon gesagt hat uns halt so eingeflößt wir sind die besten der besten und so hier kommen nur die besten drauf also ich hab mehr konkurrenz sozusagen ,

Als Anschlussthema an die Transformation des nicht mehr so schnell Fertigwerdens (der Schwäche oder eines Mangels) wird hier als eine Legitimation über die Lehrerin eingeführt. Rainer benutzt und greift funktional das Modell der Lehrerin, die auf die Selektion der Besten an dieser Schule zielt, auf, um seine Statusplatzierungstransformation und Exklusivitätseinbußen zu erklären. Über die herangezogene Äußerung der Lehrerin gelingt es, seinen Status als exklusiv erscheinen zu lassen, obwohl de facto andere Erfahrungen vorliegen. Der Verlust des Status und der Exklusivität wird durch legitimierte und verobjektivierte Autoritätsinstanzen gekittet. Über die Lehrerin wird die Transformation von der individuellen zur kollektiven Identität der Besten eingeführt, um den eigenen Verlust der Statusplatzierung zu externalisieren (wir sind alle gleich und unterscheiden uns in der Exklusivität zu anderen Gymnasien oder Schülern) und zu kompensieren.

In Bezug auf das erste Interview, wo sich Rainer als der Beste entwirft, wird hier eher von außen die Bestimmung der Besten nachdrücklich und mehrmals nahe gebracht. Hierin dokumentiert sich eine Transformation, da die implizite Überzeugung der Beste zu sein, die in der Grundschule selbstverständlich war, erst über eine externe Instanz erfolgt. Neben der Besonderung durch Aufnahmeprüfungen an dieser Schule bekommt Rainer seine Besonderung zusätzlich durch eine Akteurin der Institution gespiegelt. „Hab ich ja beim letzten mal auch schon gesagt hat“ dokumentiert die Arbeit an der Integration in die selektierte Gemeinschaft der Besten der Besten und daran, dass die „Luft dünner wird“. Besonders über die Formulierung „ich hab mehr Konkurrenz“ wird deutlich, dass es in seinem Orientierungsrahmen um Begehrlichkeiten in Bezug auf seltene Statusplatzierungen geht und er sich nicht mehr mit dem Riesenabstand und der Selbstverständlichkeit darauf wie in der Grundschule beziehen kann und die Kämpfe (mehr Konkurrenz) härter werden. Mit nicht mehr so schnell fertig zeigt sich, dass er nicht selbstverständlich ganz vorne auf dem „Treppchen“ steht.

Über die Formulierung mehr Konkurrenz zu haben wird deutlich, dass Rainer um die Statusplatzierungen innerhalb der Klasse kämpft und sich nicht mehr als Bester sieht und so an das Modell der Lehrerin funktional anknüpft. Die Leistungsunterschiede werden einerseits nivellisiert und homogenisiert und so erfolgt nach außen eine Abgrenzung. Die Konkurrenz in der Klassengemeinschaft verweist eher auf einen Arbeitsmarkt-, Sport- oder Modellwettbewerb, in denen es um Platzierungen nach dem Schema besser/schlechter geht. In der Einführung „ich hab mehr Konkurrenz“ dokumentiert sich die Befürchtung, dass andere Rainers Position oder Platzierung besetzen können und man etwas verteidigen („da greifen sich noch mal an“) muss, da Konkurrenten angreifen und sogar Existenzen (Arbeitsmarkt) vernichten können.

Bereits in der 5. Klasse und mit 10 Jahren zu sagen, „ich hab mehr Konkurrenz“, womit eine zeitliche Dimension der Schullaufbahn und frühere Orientierung auf Schule als Selektionsinstanz (früher weniger Konkurrenz) eröffnet wird und sich dabei auf eine Alltagsebene bezieht (nicht auf Abschlüsse), verdeutlicht Rainers grundlegende Haltungen, sich zu messen und andere Mitschüler als Konkurrenten zu sehen. Die Theorien von Schule in Richtung der Zuweisung von Statusplatzierung für spätere gesellschaftliche Positionen durch Schule finden sich bereits in dem Orientierungsrahmen von Rainer wieder. Das Rainer diese Haltung (was als latente Sinnstruktur schon herausgearbeitet wurde) verbürgt ist interessant. Die Frage ist so, ob es schon reflektiert oder im Habitus verbürgt ist. Bereits die starken emotionalen Reaktionen auf die Zwei verweisen auf die Bedeutung von Statusplatzierungen und Leistungen. Rainer geht es in Schule um Noten (und die Erreichung der „perfekten Eins“) und weniger um das Lernen. In der Art und Weise der Darstellung hier, wird so auch zum Ausdruck gebracht, dass der Habitus zur neuen Schule nicht mehr so passförmig ist wie er es in der Grundschule war und Rainer daran arbeitet. Das Kapitalvolumen der anderen Schüler fließt stärker hinein (ähnliche oder homogene Ausgangslagen exklusiver Schüler mit Bildungskapitalien) und so fällt das Abgrenzen nach unten schwerer. Durch die neue Konkurrenz im sozialen Feld der Schule muss sich Rainer neu positionieren. Er erfährt und muss Statusverluste bearbeiten, in dem er die Bewältigung des Statusgewinns, „Beste der Besten“ kommen zusammen, nach außen wählt.

S. 36 28-35 UUT: die anderen sind hoch gerutscht, ich bin gleich geblieben

R: also d- nich dass ich langsamer werde , also es is ja nich so alle alle haben meinetwege geschwindigkeitstempo fünf und ich hatte vorher dann sieben und bin jetzt wiedder auf sieben so alle sind jetzt einfach auf sieben die anderen sind einfach auf sieben noch gerutscht , hoch . also ich bin sozusagen geblieben und die anderen warn- sind auch so wie immer nur halt ,

Diese Analyse der Geschwindigkeitstempi der Schüler aus unterschiedlichen Schulen von Rainer wird als Beleg- und Erklärungsgeschichte zum Thema ich werde langsamer, da ich bessere Konkurrenz habe, eingeführt. Die Einführung „also d- nich dass ich langsamer werde“ verweist darauf, dass die Lerntempi ihm als Thema fassbar sind. Des Weiteren deutet es auf Orientierungen, seinen exklusiven Status aufrecht zu erhalten. Damit artikuliert er auch eine Bedrohung seines Selbst. Hierin dokumentiert sich, dass er die Gefahr und Bedrohung seines Status wahrnimmt.

Damit stellt Rainer Analyse- oder Theoretisierungskompetenz, über die Erklärung der Lehrerin hinaus, dar. Auch werden wieder Skalierungen und eine modellhafte Diagnose als Enaktierungspotentiale eingeführt (wie bei Geschichte der Einsen), um das zentrale Thema der Bedrohung seines Status zu distanzieren, die in der Art und Weise aber eher bestätigt wird. Die analytische Arbeit der Bewältigung des Statusverlustes misslingt. Das Bemühen der Markierung von Differenz zwischen ihm selbst und den anderen kann Rainer nicht plausibel darstellen. Zum Beispiel das Erklären des Hochrutschens (eigentlich gibt es nur ein Rutschen nach unten, hier aber in dem Sinne glücklich reinrutschen) seiner neuen Mitschüler misslingt. Dabei benutzt er Vokabeln aus besser/schlechter Wettbewerben „geschwindigkeitstempo“, „langsamer“.

Diese eigentheoretischen widersprüchlichen Erläuterungen haben im Gegensatz zu der Figur der Lehrerin noch die Dimension des Gleichbleibens bzw. Veränderns. Er entwirft sich in einer Kontinuität, wohingegen die anderen sich verändern. Das Verändern seiner Mitschüler wird nicht ausgeführt. In diesen Leistungsverbesserungen der anderen könnte das symbolische Bedrohungspotential liegen. In dieser Eigentheorie stecken auch Transformationsbelege und Unsicherheiten, in der Grundschule zwei Geschwindigkeitsstufen vor den anderen zu liegen und jetzt mit allen gleich zu gehen (alle haben 7), wodurch die Differenz ich und die Anderen aufhoben wird.

Weiterhin dokumentiert sich ein Tabu der Schnelleren und Leistungsfähigeren, jene die schneller als sieben sind. Rainer kann nicht sagen, dass es drei oder fünf Schüler gibt, die besser sind. Eine zweite Grenze im Modell von Rainer sind Fragen von Stabilität und Veränderung. Er kann für sich keine Veränderung sehen, er ist gleich geblieben, jedoch sind die anderen besser geworden.

Der positive Horizont an dieser Stelle ist, dass er das Tempo vorgibt und keiner darüber kommt und somit exklusiver wäre. Der negative Horizont stellt sich folglich so dar, dass andere schneller sind und seine Exklusivität gefährden. Die Bearbeitungsformen sind hier die Analyse sowie abstrakte Erklärungs- und Begründungsmodelle.

Das Auffällige ist, dass Rainer für den Übergang Kontinuität entwirft (vorher 7 jetzt 7, vorher nicht viel gemacht, jetzt nicht viel gemacht), aber gleichzeitig an vielen Stellen unterschwellig die Veränderungen thematisiert werden. Die Dimension des Andersseins wird in der Kontinuität bearbeitet, was auf eine zentrale Orientierung der Kontinuität (Familientradition, Matheolympiade) hindeutet. Durch den Übergang ist seine exklusive Begabung gefährdet und sich dadurch als einzigartiger Schüler von anderen abzuheben und abzugrenzen. Dies ist nun bei einer leistungshomogeneren Klasse nicht mehr der Fall, so dass die Kontinuität der Einzigartigkeit nicht mehr gegeben ist, auch wenn Rainer versucht, diese noch zu halten.

S. 36 35-41 UUT: ich bin nicht der schnellste, weil die Besten von 3 Schulen hier sind

R: meinetwegen drei schulen aus jeden kommen die fünf besten , die sind immer ganz schnell fertig und die anderen hängen immer n bisschen hinterher die kommen jetzt in eine klasse is logisch dass die dann die alle so ungefähr gleich schnell sind , und deswegen bin ich auch jetzt nich mehr der schnellste oder so oder will ich ja auch nich sein also oder der beste

Rainer erklärt und analysiert auch hier, warum er nicht mehr der Schnellste in der Klasse ist, indem er erneut das Modell der Besten der Besten aus drei Schulen einführt. Dieses Modell kann es plausibler erläutern. Erneut wird der Mechanismus der Selektion und Aussiebung nach Leistungs- und Fähigkeitsniveau thematisiert, um das gleiche Tempo und seine Statusverluste zu erklären. Jedoch rückt er diesmal die Besten in den Mittelpunkt und misst sich dann daran. Er stellt sich ganz nach oben und misst seine Mitschüler daran, was auf eine Transformation der eigenen Sicht auf die Platzierung in der Klasse deutet. Erst nach 3 Anläufen kommt er hier zur Schlussfolgerung, dass er nicht mehr der Schnellste ist. Allerdings sein Tempo ist damit immer noch schnell und es gibt minimale Differenzen. Zudem wird mit „alle so ungefähr gleich schnell“ versucht, ein kollektives gleichschnelles Tempo einzuführen, was in Differenz zu seiner alleinigen Spitze im Geschwindigkeitstempo der Grundschule steht.

Mit der Formulierung „will ich ja auch nich sein“ wird ein alternatives Gleichheitskonzept nachgeschoben, was im Kontrast zu seinen Orientierungen auf exklusive Einzigartigkeit steht. Neben der Schnelligkeit wird der Vergleich auch mit „oder der beste“ auf Bestenrankings und (Status-)Platzierung bezogen. Gegenüber der Grundschule büßt er deutlich an Status ein. Im Orientierungsrahmen hat er nach wie vor Orientierung auf seltene Statusplatzierungen, jedoch erfährt er an der neuen Schule deutliche Diskrepanzen, die er über solche theoretischen Formulierungen wie „will ich ja auch nicht sein“ trotz der Bedeutsamkeit für ihn, zu relativieren versucht. Damit sind diese Relativierungen Bewältigungsstrategien den verlorenen Status zu kompensieren und die Möglichkeit an die Spitze zu kommen, offen zu lassen. Gleichzeitig wird so deutlich, dass Enaktierungen fehlen und er zur Zeit des Interviews nicht für die Verteidigung des Spitzenplatzes kämpft (z.B. „übt“). Allerdings liegt hier ein theoretisches Transformationspotential vor, nämlich dass Rainer, wenn er möchte, auch über Handlungspotentiale (Fighten, Üben) verfügt, wenn er sein Begabungskonzept aufgibt.

Sein Bild von sich in der Schule und seine Orientierungen werden durch den Übergang etwas gefährdet und diese leichten „Kratzer“ können Transformationen auslösen, die je nach Bewältigung auch in Richtung Krise gehen könnten.

Mit dem Rückgriff auf die Bewältigungsform „will ich ja auch nicht sein“ widerspricht er sehr deutlich seinen Orientierungen, was auf eine Verleugnung (Entfremdung) seiner Selbst im öffentlichen Raum hinweist.

S. 36 41-44 UUT: wir haben auch keinen Klassenbesten

R: und so n klassenbesten ham mer eigentlich nich , nich wirklich , nö m m (klopft auf den tisch) , //I: hm// bloß n klass- klassenbeste , also mehrzahl .

Auch diese Argumentation liegt in der Linie der vorherigen Erklärungsversuche. Mit „nicht wirklich“ wird versucht, seine Aussagen von Statusdifferenzen zu negieren. So knüpft er an Modelle der Besten der Besten und Homogenität an, indem hier Klassenbeste im Plural thematisiert werden. Auch diese Theorie widerspricht seinen Entwürfen von Leistungshierarchien, was in den einschränkenden Äußerungen wie „bloß“, „nich wirklich“ zum Ausdruck kommt und auch die Orientierungen eines Klassenbesten eigentlich bestehen. Dieser weitere Erklärungsversuch und die Arbeit an den neuen Begebenheiten dokumentiert auch die deutliche Konfrontation mit Leistungsvergleichen auf der neuen Schule. Damit wird klar, dass er sich hier Behelfsmodellen (Geschwindigkeitstempo, Phasenmodell, Beste im Plural, Herstellung eines Coporate Identity) bedient, um das Problem, dass andere besser sind, zu bearbeiten und zu kitten. Es geht im darum, maximale Erfolge aus Schule und schulischen Anforderungen zu ziehen.

S. 36 44-46 Konklusion: es läuft gut, ich habe aber mehr Konkurrenz

ja , also es läuft gut aber halt ich hab , hab mehr konkurrenz //I: hm// also die sind alle schne- schnell

Das zeigt sich auch in der abschließenden Konklusion, in der die zentralen Orientierungen dicht zum Ausdruck kommen. „Es läuft gut“ dokumentiert, dass nach wie vor hohe Niveau seiner Leistungen, jedoch auch, dass es die Arbeit an der neuen Konkurrenz gibt.

Fußnoten:

(1) Exkurs: Bourdieus Habitusindifferenz: Als Wandel der sozialstrukturellen Lagen passt der Habitus nicht mehr auf die Anforderungsstruktur des Feldes und es treten Entfremdungseffekte auf, die hier bei Rainer auch sichtbar werden, da sein Habitus nicht mehr auf die Anforderungen und tatsächliche Lage passt (Entmachtung des Mathekönigs).

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