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Fälle aus gleicher Erhebung:

Falldarstellung

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//heute ist der elfte . dritte sechsundneunzig . äh das folgende ist ein schülerinterview mit einer schülerin der . zehnten klasse . ja . wie ich dir bereits erzählt habe interessieren wir uns dafür wie dein leben bisher verlaufen ist .. erinnere dich bitte zurück . und erzähl einmal ruhig ausführlich . was dabei für dich bedeutsam ist .. ich werd erst einmal ruhig sein und dir zuhören// .. soll ich jetzt irgendwas über mein leben erzählen .. irgend n ereignis oder was . //na was für dich so bedeutsam war wenn de jetzt also . sozusagen .. wir ham ja och zeit . das son bißchen . revue passieren läßt also was war für dich so . bedeutsam . wenn de dir so überlegst ..// hm na jetzt auf die schule bezogen oder allgemein //so dein leben also so . abjekoppelt auch von der schule// .. hm wichtig für mich warn eigentlich immer früher so meine aktivitäten was ich so gemacht habe also . so ballett oder tanz //mhm// oder kung fu oder sowas . //mhm// weil ich . bin eigentlich en mensch der sich sehr viel bewegen muß . //hmm// und deshalb wars für mich och ne ziemliche umstellung in der

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schule eben so stillzusitzen und nich mehr nichts mehr zu machen (holt tief luft) und . naja . ich mach jetzt auch noch viele hobbys weil //hm// ich brauch sowas ich muß mich immer ablenken damit ich eben auch mal von der schule wegkomme nich immer nur zu Hause sitze und lerne weil .. das mach ich soundso sehr wenig . //ha// . naja und . ne umstellung war für mich eigentlich nach der wende auch die schule also das //hm// .. war schon n bißchen kraß weil ich hatte früher eigentlich fast nur einsen . und dann . im ersten schuljahr auch nur dreien und so also das war für mich schon en ziemlich harter schlag weil sowas war ich ja auch nich gewohnt .. naja und das hat sich dann irgendwie normalisiert wenn äh man sich an e system gewöhnt hat aber . am anfang wars schon ziemlich schwer sich da . umzugewöhnen . //hm .. hm . na und diese ähm . sportseite was de ja ehm am anfang stark betont hast also ähm . wie war das damals so un wie ging das dann so weiter . also// also angefangen hab ich mit fünf jahren mit ballett //hm// weil .

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ich hab mich schon immer so für tanzen intressiert und zu hause getanzt . und dann hab ich irgendwann mal zwischenzeitlich aufgehört weil da sollt ich auftritte machen hoppel poppel und da hatt ich noch en bißchen angst . und das hab ich dann aber später weitergemacht mit zwölf jahren . und da hat mich meine mutti immer dazu überredet mal zu kung fu zu gehen weil es doch mal gut wär sich . verteidigen zu können und so . das hab ich dann auch drei jahre gemacht un ich mußte aufhören wegen mein knien . un jetzt hab ich eben noch n andres . ähm noch n andres hobby und zwar tanz also richtig standard un latein //mhm// und klavierspielen und sowas . also was ich immer noch mit meinen knien machen kann weil ich kann jetzt auch kein sport mehr machen .. //hm . hm . un wie bist du so zu diesen . sportlichen . ja interessen gekommen also// na im fernsehen hab ich immer sowas gesehen wie die immer so //hm// mit ihren schönen kleidern getanzt ham und bei uns is ja hier . der a.-club . un da machen die ja sowas und da hab ich ehmt ma zugeschaut .. und . weil ich hab tanzstunden gemacht un da fand ich sowas ehmt

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sehr intressant so cha cha oder so zu tanzen . da bin ich ehm da mit hingegangen und . wurd ich da aufgenommen hab mir en tanzpartner gesucht . na seit dem tanz ich dann . //hm . und das ging weil du vorhin gesagt hast ab fünf jahre los// mhm //hm . da hast du praktisch schon . im fernsehen deine leidenschaft entdeckt oder beim zuschauen// hm //bei irgendwelchen tänzen// ich fand das immer mal schön irgendwas zu präsentieren was man kann und . //hm// hab ich dann eben weitergemacht //mhm . hmm . ja und eben so das war ja dann praktisch schon die zeit wenn ich mir so überlege eigentlich kindergarten ja// na . //hastes dann nembei gemacht oder warste gar nich// na ich war kaum im kindergarten weil . ich . bin mehr son mensch der so ziemlich alleine is also ich brauch zwar freunde aber zu viele menschen zu lang das kann ich nich um mich ham //hm// . schon früher nich . saß ich lieber alleine in der ecke un hab was für mich gemacht oder so .. und deshalb hab ich auch ballett gemacht weil das kann man ziemlich alleine machen die übungen un sowas . //hm .. mhm . also warst du

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praktisch ähm nich unbedingt äh richtig angemeldet in som kindergarten oder doch// doch aber . ich war . vielleicht so . von um zehn bis um zwei da un . die restlichen stunden ehmt außerhalb //hm .. mhm . hm . und äh was hat so deine familie dazu beigetragen also . zu diesem// . also früher also wir hatten en spielplatz hinterm haus und da //hm// bin ich ehmt . sehr zeitig immer rausgegangen un mein vati mach doch mal n bißchen sport und mein vati is och sehr sportlich na //hm// da ham mer immer zusamm . geklettert oder sind of berge gegangen und . vati hat dann och gesagt kannst doch mal was andres machen also was ‚weiblicheres‘ (lachend gesprochen) //hm// . un da bin ich ehmt zum tanzen gegangen . //hm// weil meine mutti auch so ne tanzader hat un da hab ich eben von jedem was gelernt .. //mhm . hast du geschwister// nee . also keine richtigen .. //was heißt das keine richtigen// also ich versteh mich mit welchen so gut daß wir sozusagen wie in //ach so// also wir . verstehn uns wie geschwister . //mhm// welche aus meiner klasse . also einer und . noch ne andre freundin .

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//mhm// wir reden uns auch so an also . brüderchen un so . //hm .. aber das hat jetzt nichts mit irgendwelchen familien// nee . also . offiziell genetisch bedingt hab ich keine . //mhm . hm .. ja und könntest du son bißchen was hm oder möchtest du son bißchen was über diese freundschaften . erzählen oder ehr wenjer// . doch kann ich machen //wie die so entstanden sin und// also //weil du ja eigentlich jesacht hast du bist mehr son einzel- .// na //gängertyp// also wenn . dann bind ich mich ziemlich stark an jemanden wenn ich mich also ich muß erstmal lernen vertrauen zu schaffen . weil sonst hab ich immer so ne blockade un wenn ich die überwunden habe dann kann ich mich ziemlich stark an jemanden binden //hm// . und da hab ich jemanden aus der klasse torsten . haste glob ich och schon mal interviewt . //äh meier torsten hm// hm und . na ich hatte ne beziehung und die war ziemlich scheiße sozusagen und . da ham mer ziemlich viel zusammen durchgestanden er hat mir ehm geholfen und .. na da sind wir uns ziemlich nah zusammen- .

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gekommen und wir ham nachmittags was unternommen und . irgendwann warn wir irgendwie so richtig zusammen also nich .. von der liebe aber eben . //hm// totale freundschaft wir ham uns alles erzählt und total vertraut (klopfen) und das könn mer jetzt och noch . //hm// und der hat sich das eben . is das so entstanden daß wir eben so wie geschwister jetzt ’sind‘ (lachend gesprochen) //hm// … er hilft mir und ich helfe ihm und so . klappt das irgendwie alles und .. also so wie wie n ersatzbruder für mich //hm// weil ich schon immer mal früher . en großen bruder ham wollte . un den hab ich ja sozusagen jetzt //hm .. un mit deiner freundin// . na also sie wohnt sag mer mal fünf meter neben mir also //ach so// gleich im nachbarhaus und //hm// wir kennen uns . seitdem wir geboren sind und irgendwie .. sin wir dann ziemlich stark zusammengewachsen weil wir sin auch da auf de gleiche schule gegangen gleichen kindergarten gleiche kinderkrippe und .. wir sehn uns jeden tag . meine mutti sagt auch schon sie gehört zur familie so und .. //hm// mit ihr erzähl ich mich auch über alles so .. //is aber

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jetzt nich hier in deiner klasse mit// nee die is ne andre schule //hm .. und ähm wenn ich dich so . fragen würde so nach deinem Verhältnis so zu deiner familie// .. äh pff na zu meiner mutti hab ich kein so tolles verhältnis ‚wir streiten uns‘ (lachend gesprochen) ziemlich oft ar mit meim vati komm ich gut aus .. //hm . un gehörn bei dir noch mehr leute so zur familie oder würdest du das so zu deinem . familienkreis zählen also// also . ich hab keine omas oder so also //hm// das is eigentlich meine familie //hm .. na . ja un wenn du vielleicht noch mal so überlegst also . ähm . deine biographie denkste daß es da irgendwie was besonderes . noch gab also deine sportlichen sachen sin ja schon was ganz besondres also hab ich ja noch nie . so viel . gehört auf einmal was du schon alles jemacht hast// .. was besonderes . na früher hab ich auch mal //oder was für dich eben wichtig is// . na ich fands früher toll da hab ich schach gespielt //mhm// und hab auch mal . bei der deutschen meisterschaft //’ja‘ (erstaunt)// un da war ich och untern

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ersten zehn und in der mannschaft war mer dritte . und das fand ich schon bißchen . also fand ich ziemlich cool es hat spaß gemacht . hab ich viele //mhm// medaillen und das . is eigentlich . es größte was ich so erlebt habe bis jetzt der //hm// erfolg //hm// hm //mhm . dann bist du also schach und . bist ja total sportlich is ja auch sport denksport// (lacht) //körperlicher und geistiger sport also bei dir mhm . hm// . also ich bin sehr vielseitig un möchte gern alles machen aber mir fehlt ehmt die zeit dafür . //hm .. hm . mhm . ja und ähm . stimmt das ja eigentlich auch son sport also schach wo mer eigentlich mehr für sich is also mit seinen eigenen gedanken// hm . //hmm und so wie zum beispiel dieses äh ich kenn das gar nich wars kung fu// kung fu //das macht mer ja eigentlich . sicher in der gruppe oder wie// . na man macht alleine seine übung und //ach so// mer kämpft eben zusammen //hm hm// . und zieht aber die techniken alleine so durch //hm .. hm .. ja . eigentlich fällt mir jetzt gar nischt weiter ein also . vielleicht dir noch irgendwie . so . rein biographisch// .. was

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andres gibts eigentlich nich bei mir zu sagen //hm … na .// (knall) hups .. //also denkste daß es bis jetzt eigentlich so recht gradlinig verlaufen ist oder// . ja //ehr mit hürden und// nöö also ich hatte eigentlich en ziemlich . gute kindheit //ja .. und so vorm kindergarten so die zeit das haste ja schon jesacht also so mit fünf jahren eigentlich so deinen sport// da war ich immer bei meiner mutti mit . //hm// auch in der schule weil meine mutti war lehrerin und die hat mich dann immer mitgenommen also ich war eigentlich immer . bei irgendjemandem . //hm .. mhm . ja . wolln mer mit den fragen anfangen .. oder denkst du daß irgendwie was wichtjes fehlt ne// nö nö .. //ja meine erste frage wie bist du auf diese schule hier gekommen// . also nach der wende mußt ich ja .. erstmal die schule wechseln weil meine frühere schule wurde in realschule . //hm// und ich oder meine eltern wollten auch daß ich aufs gymnasium gehe .. und da war ich erst . aufm x-gymnasium . ar da warn die richtlinien irnwie ziemlich streng also da hat man . so gut wie

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nie ne eins gekriegt un da //hm// hab ich von dem gymnasium hier gehört . von en paar freunden . die warn auch erst dort un ham hier- . //hm// her gewechselt und sind viel besser geworden . und ich meine ich hatte nichts zu verlieren da hab ich eben ma gesagt na wechsle ich auch und .. hier ist das auch besser irgendwie .. auch ein andres verhältnis zun lehrern also offen man kann sich besser mit denen unterhalten . und auch s ganze schüler so is nich so . nich so eng nich so straff sondern bißchen lockerer . //hm .. also warst du am anfang ähm . in diesem x-gymnasium .. ar das war ja damals noch kein gymnasium// doch da . da wars das wars erste jahr wo ich ofm gymnasium war . //ach so// . hm //hm also einunneunzig so . hm nach der wende gleich . ach so und dann bist du hierher gewechselt . hm .. ja . was findest du gut und was stört dich an der schule hier// .. ähm ansich find ich das gebäude hier eigentlich ziemlich . schön eigentlich weils ja ziemlich neu gemacht wurde .. ähm . und auch hier die umgebung mit dem park hier das is eigentlich . cool weil man da in der pause oder

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freistunde kann man im sommer rausgehn un eis essen oder . auf n spielplatz //hm// oder so (holt tief luft) was mich stört . hm . vielleicht das andre haus hier das müßte mal neu gemacht werden die räume sind ziemlich schäbig und wenn man da en hauptkurs in bio hat . un man hat überhaupt keine mittel um irgendwas zu machen das is schon n bißchen schlecht . //hm … un fühlst du dich wohl hier// . ja . weil ich hier meine freunde habe und auch so die lehrer sind eigentlich ziemlich nett also . //hm// bei den ich hab .. okay es gibt ausnahmen immer . ansonsten .. eigentlich schon //hm .. ja also das trifft ja jetzt voll das was du ja bei der ersten frage schon angesprochen hast . ja wenn du das gymnasium hier mit anderen gymnasien vergleichst nee en vergleich haste ja schon bißchen jebracht mit dem x-gymnasium . was denkst du is charakteristisch für die schule hier// . na die sehn das vielleicht nich ganz so streng wie andre also . mancher unterricht ist hier ziemlich locker und //hm// wird auch mal gefragt was wollt ihr denn gern machen und . ja okay dann mach

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mer das thema nich so intensiv und nicht zu derb oder es wird besser erklärt //hm// (?) im x-gymnasium . wurde mehr vorausgesetzt also es wurde einmal gesagt und das wenn mans nich kapiert hat hatte man pech und . //hm// hier kann man ehm noch fragen oder es wird nach der stunde ehmt noch . so nachhilfe angeboten wenn mers nich kapiert hat also man kann . also mit den lehrern reden und sich mehr erklärn lassen //hm// . find ich irgendwie gut .. //was mir jetzt noch mal einfällt is also einfach nur für mich jetzt . also du warst praktisch äh seit beginn deiner schulzeit an diesem x-gymnasium// nee erst war ich noch in ner andern schule . von der ersten bis zur fünften klasse . //hm// in der sechsten bin ich dann dahin gewechselt //ach so hm . hm .. ja . also denkst du das . charakteristische hierfür is . das was de eben so jesacht hast so . mehr so diese lockere// . mhm //art hm . möchtest du an dieser schule bleiben oder lieber wechseln// . kommt drauf an wenn ich nächst jahr meine kurse so belegen kann wie ichs denn möchte dann bleib ich natürlich hier . obwohl ich schon

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überlegt habe aufs wirtschaftsgym- gymnasium zu gehn aber . was ich wahrscheinlich nich machen werde . weil ich keine lust habe auf . ‚dreizehn jahre schule habe‘ (lachend gesprochen) //hm// un wenns nich klappt mit mein kursen dann . wechsle ich . //hm .. hm . wie würde für dich eine ideale schule aussehen// … ha . ideale schule .. ich find das kann man nich so beschreiben weil . was isn ne ideale schule .. ich weeß nich was mer . darunter verstehen soll .. vielleicht en gutes lehrer schüler verhältnis . und das hat mer hier eigentlich an der schule ziemlich . //hm// .. un sonst unternander in der klasse . n gutes verhältnis .. und hm . einjermaßen angenehmen stundenplan also nich so stressig … //ja jetzt n . ganz andres .. thema wie findest du euren schulleiter// .. (seufzt) ziemlich altmodisch also er is nich so offen für neuere dinge //hm// wenn mer irgendwas anspricht können wir nich das machen oder . was neues . da is er mehr so konservativ und ablehnend und sagt nee nee das muß du nach den alten richtlinien und //hm// .. für neues is er nich so offen und das find ich ziemlich doof . //hm

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.. was hältst du von deinen lehrern// .. also . ich hab einlich . ziemlich viel glück mit meinen lehrern . es sind meistens nich immer lehrer mit den man auch gut reden kann und . die . ehmt den unterricht .. offen und freier machen als die andern jetzt die älteren lehrer die ehmt so fest an ihrem plan sind . also . ich find die lehrer hier eigentlich ganz okay //hm … das was du schon bei der idealen schule angesprochen hast is jetzt eigentlich die . nächste frage .. wie siehst du das verhältnis von schülern und lehrern .. hier an der schule// . also ich denk mal daß die meisten schüler zu ihren . jüngeren lehrern . en besseres verhältnis ham als zu den älteren lehrern . weil mit den kann mer nich so gut reden . //hm .. hm .. un was denkst du vom unterricht den du hier erlebst// .. also der meiste unterricht der is eigentlich ziemlich . also er bringt was denk ich . es gibt natürlich auch ausnahmen . weil manche lehrer könn sich in unsrer klasse absolut nich durchsetzten .. zum beispiel sozialkunde und . ich meine da wird rumgegessen und aufgestanden und . ehmt alles andre gemacht nur keen

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unterricht da kricht mer einfach überhaupt nichts mit vom unterricht . aber sonst im großen un ganzen könn sich die lehrer einlich gut durchsetzen und das eben . daß man auch was versteht . //hm .. wie gehen lehrer und schüler im unterricht miteinander um// .. das hängt meistens von schülern ab denk ich wenn . der schüler den lehrer nicht dumm kommt kommt der lehrer dem schüler eigentlich och nich dumm also .. wenn man . sag mal nett zum lehrer is dann kann mer eigentlich gut mit dem auskommen //hm .. ja . beschreibe bitte einmal . also wenn dir eins einfällt an einem beispiel wie die lehrer hier mit kritik und mit vorschlägen und meinungen von seiten der schüler umgehen . ar nur wenn dir sowas einfällt . kannst auch ganz allgemein sagen// .. also zum beispiel herr a. den hatt ich ja ‚vors jahr in chemie‘ (lachend gesprochen) und .. vom unterricht her ging das eigentlich außer daß ehmt ziemlich immer laut rumgeschrien hat und so militärisch . immer ‚ha vor an die tafel‘ (im befehlston) und lauf . und bei den kurzkontrollen hat er nie irgendwelche punkte druntergeschriem

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sondern nur noten da ham mer ihm mal .. um . nett gebeten . er sollte doch mal die punkte runterschreim damit mer weiß . wo seine fehler liegen . und er sollte doch mal nich so militärisch sein sondern . weil die schüler viele schüler hatten angst vor ihm man konnte sich . mich mal melden wenn man mal was falsches gesacht hat hat er . sag mal nich gelacht aber er hat einen dumm gemacht //hm// un da ham wir gesagt daß er vielleicht irgendwie ändern sollte weil . das macht doch kein spaß wenn . kein schüler sich mehr meldet weil se alle angst ham . aber er hat . sich eigentlich nich geändert=sondern=hat . eigentlich weiter so sein //hm// kurs durchlaufen weil er sich nich ändern wollte . //hm// … also die meisten lehrer gehn da meistens nich drauf ein wenn die schüler sagen könntet ihr oder könnten sie nich ma oder so //hm .. hm .. wie gehen die lehrer hier mit problemen und sorgen . von jugenlichen um// . also wir ham da son problemlehrer an der schule und zu dem sollte man ja auch gehn wenn mer probleme hat . aber ansonsten . al wenn schulische probleme is kann man mit den lehrern sprechen aber

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ansonsten denk ich mir daß das kaum noch schüler mit irnwelchen . also en lehrer mit irgendwelchen problemen der schüler konfrontiert wird . //hm . das is ja son vertrauenslehrer was// hm //du meinst ja hm . euer klassenlehrer ..hm . worauf legen die lehrer hier an der schule . besonderen wert// … äh ich denk mal wenn man pünktlich is .. dann sind se eigentlich . mit am zufriedensten und wenn mer ehm . nich allzu laut im unterricht is weil . bei uns isses ziemlich . extrem an der schule also hier kommt öfters mal jemand aus unsrer klasse auch zu spät also jeden tag mindestens ein bis zwei leute . //ehrlich// ’na‘ (lachend gesprochen) . einerseits wegen der bahn und andererseits weil se noch rauchen müssen oder so . //hm// und . naja wenn . da freuen sich die lehrer ehm wenn mer mal vollständig is weil das kommt ziemlich selten vor . //hm .. ja . wie wichtig is leistung für eure lehrer// .. ich denke unsern lehrern is das mehr oder weniger egal die schreim ihre kurzkontrollen un tragen ihre noten ein aber . den schülern denk ich mal ist die leistung wichtiger als den lehrern //hm//

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.. wenns nich der klassenlehrer is weil unser klassenlehrer bemüht sich immer das . alle schüler durchkommen nich so schlechte noten haben wo die andern lehrer den isses egal . //hm .. wie reagieren lehrer wenn schüler irgend etwas nich wissen nich können oder schlechte . leistungen also schlechte noten haben// . na das hängt vom lehrer ab einerseits sagen manche lehrer . mein gott hättet ihr mehr lernen müssen die kurzkontrolle is einfach un die hab ich doch schon mal geschrieben und da warn viel bessre noten . oder die sagen okay dann nehm mers noch mal durch wenn ihrs nich kapiert habt oder . na fragt mich doch wenn ihr was nich verstanden habt das hängt total vom lehrer ab . //hm .. weswegen entstehen meist auseinandersetzungen an der schule zwischen lehrern und schülern// .. wegen unpünktlichkeit und auch weil . naja in unsrer klassenstufe jetzt . wirds ziemlich extrem daß die jungs oder so auch manchmal mädchen . ziemlich große klappe ham gegenüber lehrern und //hm// irgendwann reichts den da ehmt . ehmt nase voll und gehn zum schulleiter und melden das . //hm

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.. aus welchen anlässen sind in letzter zeit oder . meinetwegen auch in einem l- schon länger zurückliegenden zeitraum härtere strafen an der schule erteilt wurden .. is dir da was . bekannt// … härtere strafen eigentlich nich so ach doch wegen der bombendrohung vielleicht ma .. wir hatten ma ne bombendrohung hier in der schule .. und es war auch en schüler aus unsrer schule und noch andre und . naja . irgendwie isses dann rausgekommen daß es unser schüler war und der hat dann so .. die vorstrafe vom schulverweis bekommen also son . also wenn er noch mal irgendwo was macht fliegt er von der schule . //hm// . und sonst eigentlich mehr geringere strafen wie zum beispiel mal im flur unsre ranzen stehen lassen daß herr b. die einsammelt . und da muß mer ehmt vor herr b. gehn und sofort sagen ‚ja es tut mir leid‘ (betont gesprochen) und den anflehen . daß mer ehmt nich mehr sein ranzen im flur stehn läßt was en bißchen doof is weil . hm . wenn man son fachraum hat kann man den nich reinstelln weil die fachräume zu sind aber . //na was soll mer da mit dem ranzen machen// den soll mer dann im

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vorraum stehn lassen un wenn mer da drüben im haus ganz oben hat un soll hier hoch da . dann geht man zweimal da hoch und dann wieder hier hoch und das wär bißchen . extrem deshalb . nehm mer den ranzen gleich mit . hoch und geht dann auf de hofpause oder so //hm// . und das versteht er ehm nich .. oder man solln eben mit sich rumtragen .. naja … //wie würde ein lehrer sein der dir richtig gut zusagt und wie würde das gegenteil davon aussehen also einen den du blöd finden würdest sag ich jetzt mal// . na blöd find ich eigentlich lehrer .. die ehm nur lehrer sind also die vorne ihrn unterrichtsstoff durchziehn . und nich so auf de schüler eingehen einfach nur . durchziehn und .. nich irgendwie fragen habt ihrs kapiert sondern gleich weitermachen und alles voraussetzen . un en guter lehrer is eigentlich der was an de tafel schreibt . in die runde guckt und fragt habt ihrs jetzt verstanden . un wenn nich dann wirds ehmt noch mal erklärt . //hm// un wenn ers dann nich verstanden hat kann er nach der stunde noch mal hingehn oder so aber . der ehmt mehr auf de schüler eingeht und . auch

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daran dachtest daß die schüler das wirklich kapiern nich daß se einfach das nur ma gehört ham . //hm .. ja und das was du eben jesacht hast das is ja mehr so en ideallehrer gibts . gibts solche idealen lehrer oder . äh gibts den idealen lehrer hier an der schule was denkst du// doch ich denke mal unser englischlehrer . auch biolehrer also unser stellvertretender klassenlehrer der bemüht sich eigentlich sehr um de schüler . //hm// der is eigentlich so der fragt immer . un geht zu jedem auf n platz und fragt ehm ob ers kapiert hat und erklärts ihm noch mal ausführlich . //hm … ja die nächste frage is . was findest du gut oder was stört dich daran wie die schüler hier miteinander umgehen// .. also in unsrer klasse is eigentlich en gutes verhältnis zun schülern also .. ich würd nich sagen daß unsre schule jetzt so is daß sich dauernd was geprügelt wird weil . also . bei uns isses eigentlich gibts das kaum solche großen auseinandersetzungen zwischen den schülern //hm// höchst ma so anrempeln oder so aber keine richtjen schlägerein wies bei manchen so an der schule ist und das find ich eigentlich

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ziemlich cool //hm .. un was stört dich so daran wie die schüler mitenander umgehen das war ja jetzt ehr das positive// .. na .. pf daß mer zum beispiel daß die jungs dann immer gleich mit ihrem messer komm also wenn . //mhm// irnwie zum beispiel . ja du hast das un das gemacht dann zückt er gleich es messer und sagt ohr sei jetzt ruhig oder so a ich mein die würden nich zustechen un so aber . um autorito- autorität zu zeigen zücken se erstmal ihr messer un das find ich ziemlich krass . //hm … was nimmst du für unterschiedliche gruppen von jugendlichen an der schule wahr// .. hm es gibt mehr so .. hm naja wie soll mer das beschreim . mehr so lockere leute also die so .. naja sag ma nie so . also ziemlich locker sind abends lange weggehen und . n . hn . so punksmäßig und so //hm// und dann gibt es mehr so die normalbürger sowas wie ich und so . die noch so ausgelassen sind nich so lange ha- irnwie dann noch weggehen oder so sagen . eben sich auch mal abends hinsetzen und lernen also das sind eigentlich die größten gruppen also andre gruppen ham wir nich so in der schule //hm … ja

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beschreibe bitte den schüler oder die schülerin die bei euch voll akzeptiert sind und jemanden der es schwer hat akzeptiert zu werden oder ehmt schon so . ne außenseiterposition ..// also bei uns in der klasse is eigentlich so gut wie keiner außen- . seiter weil unsre klasse . akzeptiert sehr schnell leute auch neue leute wern sofort . eingegliedert . in die klasse und . einlich wird bei uns jeder akzeptiert un wenn nich dann wird das in der klasse besprochen und da wird das auch in der klasse geklärt un . so ham wir einlich . unternander in der klasse kaum probleme . //hm .. ja und der erste teil der frage . also jemand der voll akzeptiert is . denkste is// .. also jeder wird auf ne gewisse weise hier total akzeptiert in der klasse un wenn . bei uns sinds ehmt viele grüppchen in der klasse und in den grüppchen wird er dann immer akzeptiert . //hm// un bei den andern mit den andern redet er nich un der an- is eigentlich och egal obs eener also akzeptiern tun sen aber . also sie machen nich s- nich schlecht oder so aber sie reden nich viel mit ihm //hm .. also wenn ich dich jetzt richtig verstanden hab

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ähm . is praktisch jeder in irgend ner gruppe .. un keiner// . is keiner eigentlich alleine //hm . un wenn de dich vielleicht so . wenn de das vielleicht so sagen könntest für all- also für die schule allgemein// .. also bei uns . herrscht eigentlich überhaupt so in der schule en großes verständnis für neue also wenn irgendwas neues is oder . also es wern sehr schnell freunschaften gebildet es . is kaum jemand alleine . höchstens einer der vielleicht . total introvertiert is also bei uns isses . wenn man sich unterhält . unterhält dann kommt mer schnell mit andern in kontakt nur wenn mer eben . s mauerblümchen is und gar nichts sagt dann is mer bestimmt außenseiter . //hm .. wie geht ihr untereinander mit konflikten und problemen um// . naja erstmal versuch mer se janz ruhig zu lösen . un wenn . nich klappt dann wirds eben schon bißchen laut aber ehmt . meist gewaltfrei . //hm … ja wenn ein lehrer druck macht oder jemand so aufm kieker hat wie geht eure klasse damit um// . also wir sagens erstmal unserm klassenlehrer und besprechen das mit der klasse das problem . und . er sagt dann

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meistens daß wir also daß der schülersprecher hingehn soll . un wenn das nich hilft dann geht unser klassenlehrer hin und versucht das dann zu regeln . un wenn nich gehn wir zur schulleitung un versuchen das mit der schulleitung zu regeln . //hm … welche möglichkeiten siehst du für dich und andere schüler . an eurer schule einfluß zu nehmen auf wichtige entscheidungen// na ehmt der schülerrat der kann ja ziemlich viel mitbestimmen hier . und die klassensprecher allgemein .. und dann ehmt die leute die an der schülerzeitung mitmachen die könn ja frei ihre meinung über alles äußern .. und aber richtig mitbestimmen kann eigentlich nur der schülerrat . //hm// .. un man kann ja selber seine wünsche dem schülerrat dann . vorbringen und er kanns dann äußern .. //ja beschreibe ruhig ausführlicher wie du die arbeit der schülervertreter siehst// … na . also bei uns is immer einmal im monat so ne sitzung in der klasse oder so //hm// und da wird eben gefragt ob irgendwelche probleme gibt oder vorschläge zur änderung hier oder was verbessert werden kann . und das wird ehmt dann dem

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klassensprecher gesagt .. und dann wird beim schülerrat darüber abgestimmt un wenn mehrere klassen dafür sind .. dann wird wie son . liste rumgereicht wer dafür ist und vorschläge und da wern unterschriften gesammelt . und dann wirds ehmt dem direktor vorgelegt //hm … was hältst du von der einrichtung der schülervertretung überhaupt// . also ich finds ziemlich wichtig weil sonst hätte der direktor ziemlich viel autorität und würde über alles bestimmen und so können wir . weil wir müssen ja müssens ja hier aushalten wir müssen ja hier sozusagen leben . könn wir och en bißchen mitbestimmen //hm … ja . jetzt wieder ganz andrer . themenkomplex . wie schätzt du das freizeitangebot hier ein . an der schule// . hm es wern einlich ziemlich viele sachen angeboten zum beispiel chor gymnastik oder philosophie oder . astronomie also . man . es werden auch oft von frau c. her theaterbesuche angeboten oder //hm// irgendwelche ausstellungen also man kann .. sich schon hier en bißchen . um was . angucken man kann mitmachen bei arbeitsgemeinschaften un . auch zeichnen also für jeden

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eigentlich was dabei . //hm// . is schon ziemlich groß die vielfalt //hm . un was organisiert ihr selbst// .. wie jetzt unternander in der klasse . //nee also die schüler also . sozusagen zum freizeitangebot// na wir treffen uns öfters mal . also in der klasse . //hm// .. und . machen auch mal was zusammen zum beispiel im sommer baden gehen oder auch so wir gehen ma eis essen oder . machen ne fahrradtour oder je nach dem was uns grade so . gefällt //hm// was wir gerne machen wolln … //ja . n ganz anderer komplex wieder . wie wichtig ist deinen eltern die schule// .. ach meinen eltern denk ich ziemlich egal . also .. sie wollen daß ich gute noten nach hause bringe und . die gucken sich hier och die schule an und . wie das hier so ist und ich erzähle auch öfters mal wie das verhältnis hier is und das finden se ehmt . ziemlich gut also wenn es . wenn ich hier nich auskommen würde dann würden meine eltern auch sagen dann wechsel doch oder so . //hm// .. sie wolln eigentlich daß ich mich hier wohlfühle . //hm .. sollten sich deiner meinung nach eltern stark oder stärker für schule

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interessieren und sich mehr am schulleben beteiligen . oder fändest du das eher nich so gut// . ach das find ich eigentlich . nich so weil die ham das alles schon mal durchgemacht un warum solln se das ganze noch mal machen is doch jetzt unser problem . wenn wir probleme ham könn wir doch zu denen hingehn aber . sonst find ich das eigentlich nich . //hm … was erwarten deine eltern von dir// .. daß ich .. bißchen mehr lernen sollte ha . aber . sonst sind se einlich ziemlich zufrieden un wenn ich eenma sag ich hab ne schlechte note dann sagen ehmt mein gott beim nächsten mal wirds besser also . sie meckern nich rum . //hm … ja wenn du das gesachte alles noch mal so zusammenfassen würdest wie wichtig ist für dich schule// . na ich versuche ehmt . zum beispiel . für meinen beruf ehm jetzt was zu lernen ich meine ‚ich weiß noch nich was ich machen will‘ (lachend gesprochen) aber ich versuche so . also . was mich so intressiert versuch ich ehmt auch zu lern und .. beschäftige mich manchmal bißchen mehr damit un was mich nich intressiert naja das laß ich mehr oder wenjer links liegen .

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//hm// .. also ich denke mal daß mer . schon für später n bißchen lernt aus der schule . //hm// . teilweise … //un wie wichtig ist für dich das abitur// .. na wenn ichs schaffe dann hab ich eigentlich . also relativ gut chancen da hab ich vielleicht bessre voraussetzungen irgendwelche berufschancen zu nehmen . als wenn ich jetzt zum beispiel realschus- . realschulabschluß hätte . //hm// weil abitur is ja bißchen angesehner . als realschulabschluß …. //hast du schon vorstellungen wie dein leben weiter verlaufen wird// . also nach m abitur möcht ich erstmal n halbes jahr oder n jahr nach amerika als au pair-mädchen //mhm// um . meine sprachkenntnisse in englisch und amerikanisch zu vertiefen . (holt tief luft) und dann werd ich mich vielleicht ma nach m studium ‚umschaun‘ (lachend gesprochen) irnwie .. psychologie oder sowas . //hm// . keine ahnung //hm// .. auf jeden fall nich gleich nach der schule wieder studiern da will ich mich erstmal . ausspannen son bißchen . //hm . ja un wenn du dir jetzt so überlegst also .. was ich dich eben so jefracht hab . weil das wars eigenlich

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an meinen fragen . ähm . denkst du daß irgendwie was . ähm wichtiges so unterjegangen is so bei den fragen also daß vielleicht irgendwie was . was de so zur schule sagen würdest . so fehlt .. irgendwie ne bestimmte sichtweise oder . irgend n bestimmter bereich der mit zur schule gehört deines erachtens// . m .. //wärs das so// denke . //ja .. okay na dann bedank ich mich recht herzlich (lacht kurz) . könn mer es gerät ja ausmachen//

Interpretation

Vor dem Hintergrund der bereits vorliegenden objektiv-hermeneutischen Rekonstruktionen der Anfangspassagen von biographischen Schülerinterviews [Mark, Romy, Dirk] soll im Weiteren der Stimulus stärker abgekürzt und auf die herausgearbeiteten zentralen Spannungsmomente hin interpretiert werden.

I: heute ist der elfte . dritte sechsundneunzig .

Die hier protokollierte Eröffnung kann formal als eine Aussage bzw. Feststellung markiert werden, mit der das aktuelle Datum des Tages benannt wird. Fragt man sich, wann eine solche Nennung des aktuellen Datums gebräuchlich ist, dann fallen einem die folgenden bereits eingängigen Varianten ein:

  • In einer ersten Variante kann die Nennung des aktuellen Datums einer Art Vergewisserung dienen, wie wenn man z.B. nach der aktuellen Uhrzeit fragt. Diese Variante setzt voraus, dass gerade über dieses Faktum Ungewissheit besteht und diese nun aktiv bearbeitet werden soll. Mögliche Kontextvarianten lassen sich dabei nur sehr eingeschränkt formulieren, wenn man bedenkt, dass in unseren Kulturkreisen in dieser Zeit von einer unterschwelligen Gewissheit über die Zeitrechnung ausgegangen werden kann. Von daher sind hier eher abweichende und extreme Kontextkonstruktionen anzunehmen. Eine solche wäre entweder gegeben, wenn der Akteur aufgrund psychischer Bedingungen nicht in der Normalform über diese Gewissheit verfügen kann. Dies kann z.B. ein Akteur sein, der sich selbst nur ungenau und hochgradig zerrissen in die alltagstypischen Standardisierungen einpassen kann. Oder es kann z.B. eine soziale Rahmung vorliegen, die durch eine Brechung dieser alltagstypischen Standardisierungen gekennzeichnet ist (z.B. im Krieg, im Gefängnis oder durch eine katastrophale Abschirmung vom Alltagsgeschehen wie dem Verschüttet- bzw. Verschollen-Sein). Der Versuch, sich diese Gewissheit zu verschaffen würde, zudem neben der Brechung mit alltagstypischen Standardisierungen auch aufzeigen, dass aktiv der Anschluss daran gesucht und die verlorene Ordnung der Welt wiederhergestellt werden soll. Das heißt, wir könnten hier riskant auf Situationen schließen, in denen ein Bruch mit alltäglichen Standardisierungen – ein Bruch in der Ordnung der sozialen Welt (Gefängnis, Krieg etc.) – für sich selbst oder in Interaktionen mit anderen bearbeitet und die Ordnung wiederhergestellt werden soll.
  • In einer zweiten Variante lassen sich nun solche Bedingungen formulieren, die nicht von einem Bruch in der sozialen Welt, sondern von einer spezifischen Strukturiertheit darin ausgehen. Hier sind also Konstellationen vorstellbar, in denen es nicht um die Vergewisserung einer bedrohten sozialen Ordnung geht, sondern in denen die Markierung des aktuellen Datums andere spezifische Funktionen ausfüllt. Solche Funktionen lassen sich anhand der Kontextvariationen wie Aufzeichnung eines wissenschaftlichen Experimentes oder Aufnahme eines Tatbestandes bei/für der/die Polizei oder auch im Rahmen eines Gerichtsprozesses als an die Protokollierung gekoppelte Beweisfunktion herausstellen. Das heißt, hier wird ein Sachverhalt mit der Kennzeichnung des aktuellen Datums protokolliert, um diesen darüber der Beliebigkeit und Veränderbarkeit zu entziehen und durch die Anbindung an eine höhersymbolische Ordnung (hier des Wissenschaftssystems oder des Rechtssystems) dauerhaft fixieren zu können. Mit dieser dauerhaften Fixierung ist zugleich die Hoffnung der Verobjektivierung des Sachverhalts verbunden, die wiederum zu Beweiszwecken nützlich erachtet wird. Wir können mit dieser Variante also von Situationen ausgehen, in denen ein Akteur mit Bezug auf die höhersymbolische Ordnung einen Sachverhalt protokolliert, um diesen mit der Archivierung einer Verobjektivierung zuzuführen und zu Beweiszwecken verwenden zu können (z.B. über eine wissenschaftliche Analyse oder eine juristische Fallrechtsprechung). In diesem Fall würde zudem die Protokollierung – gleichwohl sie auch im Alleingang als monologischer Akt vorstellbar wäre – immer auf Interaktionsbeziehungen verweisen, die mehr oder weniger offensichtlich und planbar sein können, jedoch insgesamt von einer potentiellen Aufnahme der Protokollierung durch andere ausgehen. Statt einer Wiedereingliederung in eine alltägliche soziale Ordnung wäre hier gerade die Enthebung in eine höhersymbolische Ordnung in Interaktionsbeziehungen anzunehmen.

In beiden Varianten wird also deutlich, dass mit der Nennung des aktuellen Datums der Bezug auf alltägliche soziale Standardisierungen und die dadurch repräsentierte soziale Ordnung genommen wird. Dabei wirkt diese Einbettung im einen Fall als Re-Animation einer bedrohten Ordnung und im anderen Fall als Überführung in eine höhersymbolische verobjektivierte Ordnung durch eine Nutzung der sozialen Standardisierungen. Das Feld möglicher Kontextvarianten spannt sich somit zwischen dem psychiatrischen Patienten, dem Strafvollzugsinsassen, dem verschütteten Grubenarbeiter auf der einen Seite und dem Wissenschaftler und Gerichtsbeamten auf der anderen Seite sowie zwischen Monolog und kollektiven Interaktionsprozessen auf. Die monologische Variante wäre hier jedoch als Sonderfall kollektiver Interaktionsbeziehungen auszuweisen, die gewissermaßen fiktiv hergestellt und imaginiert werden. Ob hier nun eine existenziell hochbedrohliche Situation im imaginären Dialog bearbeitet oder im Gespräch ein Sachverhalt an eine höhersymbolische Sinnwelt angedockt wird, muss sich im Anschluss zeigen.

I: äh das folgende ist ein schülerinterview mit einer schülerin der . zehnten klasse .

Mit diesem Anschluss kann bereits die oben aufgefächerte Vielfalt an Varianten erheblich reduziert und eine spezifische Strukturvariante bei der Nennung des Datums bestimmt werden. Deutlich wird nun, dass hier als ‚Sachverhalt‘ ein Gespräch mit einer Schülerin der 10. Klasse thematisch im Zentrum der Vergewisserung des aktuellen Datums steht. Von daher kann hier festgehalten werden, dass eine Protokollierung vorliegt. Hier lassen sich wiederum zwei Varianten formulieren, auf welcher Ebene die Thematisierung erfolgt und protokolliert werden soll.

  • So ist einerseits vorstellbar – und das wäre auch die stringente Variante, da hier für das folgende ein Gespräch angekündigt wird –, dass direkt im Anschluss das Gespräch stattfindet. Das heißt, es müsste direkt im Anschluss an diese Protokollierung des Datums ein Gespräch folgen. Diese Variante enthält nun spezielle Problempotentiale, da zu konstatieren ist, dass dieses Gespräch vorab unter einer Strukturlogik verortet wird, die ihrem Kern selbst entgegenläuft. Denn während die Protokollierung tendenziell durch eine Verobjektivierung an höhersymbolische Sinnwelten ankoppelt und Analyse- und Beweisabsichten impliziert, weist das Gespräch eher die Strukturlogik symmetrischer und alltagsnaher Beziehungen auf. Diese mit dem Beginn des Gespräches zu aktivierenden Strukturprinzipien der Symmetrie und der Nähe bzw. vor allem der Nähe zur alltäglichen sozialen Ordnung wird nun durch die einschließende Rahmung der Protokollierung systematisch behindert oder gar gebrochen.
  • Andererseits wäre es auch noch möglich, dass im Weiteren nicht das Gespräch selbst, sondern seine nachträgliche Thematisierung im Sinne einer Kommentierung protokolliert wird. In dieser Variante würde die Spannung nicht derart auftreten, insofern das Gespräch nicht durch die Protokollierungslogik direkt betroffen wäre. Hier wäre gewissermaßen die Spannung dadurch abgemildert, dass die direkte Ankopplung an die höhersymbolische Sinnwelt erst in einem zweiten Schritt nach dem Gespräch erfolgt. Jedoch wäre auch das Gespräch selbst durch diese antizipierte Ankopplungsabsicht gerahmt. Schließlich ist diese Variante auch weniger stringent, insofern hier ein Gespräch und nicht dessen Kommentierung angekündigt ist, und daher nicht zu erwarten.

In beiden Varianten wäre demnach, jedoch in unterschiedlicher Dominanz, von einer strukturellen Widersprüchlichkeit zwischen Alltagsnähe und höhersymbolischer Sinnwelt auszugehen. Wie lässt sich nun aber die Strukturlogik des Gespräches und die behauptete Alltagsnähe begründen bzw. um welche Kontextvariation handelt es sich? Betrachten wir dazu noch einmal die Formulierung.

Der thematisch gekennzeichnete Tatbestand wird als Schülerinterview ausgewiesen. Wir sind hier zunächst eher unterschwellig und nicht expliziert von einer Gesprächssituation ausgegangen. Dies kann deshalb gerechtfertigt werden, weil mit ‚ Interview‘ ein Gespräch bezeichnet ist, jedoch handelt es sich hier um eine spezielle Strukturvariante des Gespräches selbst. So ist die Unterhaltung mit der besten Freundin oder mit der Oma gerade nicht als Interview zu bezeichnen. Mit Interview werden Interaktionsbeziehungen etikettiert, die zumeist von einem einseitigen Interesse ausgehen, welches zudem meist in ein institutionelles oder Organisationsinteresse eingebettet ist und damit eine strukturell asymmetrische Interaktion generiert. Zu denken wäre hier z.B. an die Befragung eines Medienstars in einer Talkshow oder an eine Prominentenbefragung in der Presse. Neben dem strukturellen Gefälle, durch welches diese Interaktionen gekennzeichnet sind, kann gleichermaßen auch davon ausgegangen werden, dass in der Kaschierungs- und Verschleierungsabsicht dieses Gefälles mit der Anlehnung und Imitation alltäglicher Interaktionsprozesse Strukturmomente symmetrischer Gespräche in die Interviewsituation hereingeholt werden. Das heißt, man kann als Strukturierung von Interviewsituationen zugleich von dem Gefälle wie von Versuchen der Veralltäglichung und Gesprächssymmetrie ausgehen.

Betrachten wir nun noch einmal das Zitat, dann zeigt sich, dass weder das Presseinterview noch die Talkshow besonders stimmig erscheinen, insofern der Schüler gerade nicht dem prominenten Gesprächspartner entspricht. Selbst wenn hier ein prominenter Schüler interviewt würde, so ist er doch vor allem als Schüler und nicht als Prominenter angesprochen. So sind hier weitere Spezifizierungen vorzunehmen. Wenn ein Gespräch mit einem Schüler durchgeführt werden soll, dieses zudem durch ein besonderes Interesse bestimmt und asymmetrisch strukturiert scheint, dann sind solche Kontexte vorstellbar, die ihr Interesse gerade auf den Schüler richten. So könnte z.B. in einer Schülerzeitung eine Schülersicht gefragt sein. Oder es handelt sich um ein wissenschaftliches fachliches Interesse an Schülersichtweisen. Mit der hier eingetretenen Verschiebung des Fokus von der Prominenz weg hin zu den alltäglichen Sichtweisen eines beliebigen Schülers spitzt sich jedoch die Spannung zwischen Alltag und höhersymbolischer Sinnwelt noch einmal zu, da die Prominenz selbst eine größere Entfernung zum Alltag impliziert.

Abschließend lässt sich somit festhalten, dass sich hier eine Interaktionssituation andeutet, in der ein Gespräch mit einem Schüler stattfindet, welches jedoch durch Spannungsmomente geprägt ist. Diese Spannungsmomente beziehen sich einerseits auf den Gegensatz der gleichzeitig angestrebten Alltagsnähe und Alltagsferne sowie andererseits auf den Gegensatz zwischen persönlicher spezifischer Sicht und dem durch Interessen- und Machtdifferenz antizipierten Auswertungs- und Beweisinteresse.

I: ja . wie ich dir bereits erzählt habe interessieren wir uns dafür wie dein leben bisher verlaufen ist ..

Im weiteren Anschluss wird nun einerseits die Variante Protokollierung des Gespräches und andererseits das bereits benannte Spannungsmoment zwischen alltäglicher Nähe im Gespräch und asymmetrischen Interesse in der Anbindung an höhersymbolische Sinnwelten weiter deutlich zum Ausdruck gebracht. Der Widerspruch manifestiert sich hier auf der einen Seite in dem ‚du‘, mit dem der Interviewte angesprochen wird, und auf der anderen Seite in der Markierung eines kollektiven Interesses, mit dem sich der Akteur selbst in ein anonymes Kollektiv, welches in der Situation nicht direkt verfügbar sein muss, integriert. Zugleich spitzen sich Spannungsmomente zu, weil deutlich wird, dass hier nicht nur eine subjektive Sicht gefragt ist, sondern umfassend das gelebte Leben zum Thema gemacht werden soll. Diese Spannungsmomente lassen sich hiermit wie folgt skizzieren:

  • Ein erstes Spannungsmoment resultiert aus der doppelten widersprüchlichen Rahmung der Interaktionssituation heraus, bei der einerseits an Alltagsnähe angeknüpft werden soll (‚du‘) und andererseits diese Orientierung durch die Ankopplung an höhersymbolische Sinnwelten (kollektives Interesse) konterkariert wird. So setzt gerade die Thematisierung der Lebensgeschichte eine Rahmung der Vertrautheit und Anonymität – gewissermaßen einen ‚therapeutischen‘ Schonraum – voraus, der mit der Absicht der Protokollierung und späteren Auswertung konfligiert.
  • Ein zweites Spannungsmoment liegt darauf aufbauend darin, dass hier eine Person und ihr Leben zum thematischen Mittelpunkt der Interaktion gemacht werden, gleichwohl in der Eröffnung gerade diese Person markant ausgeschlossen bleibt.
  • Ein drittes Spannungsmoment zeigt sich schließlich mit diesem Anschluss in zwei verschieden ausgerichteten Aufmerksamkeitsrichtungen des anvisierten Gespräches, die einerseits auf die Schülerrolle und andererseits umfassend biographisch orientiert sind. Während der erste Fokus zwar eine subjektive Sicht impliziert, sich jedoch auch leichter unter eine repräsentative oder generalisierende Sicht auf Schule subsumieren lässt und darüber den Schutz des Individuellen verspricht, fordert der zweite Fokus umfassend das Individuellste zum Thema, ohne bisher zureichende Schutzkonstellationen installiert zu haben.

Betrachten wir nun vor dem Hintergrund der herausgestellten Spannungsmomente der Interaktion, welche Anforderungen darin für den Interviewten enthalten sind, dann kann Folgendes konstatiert werden:

  • Zunächst scheint der Interviewte angehalten, die widersprüchliche Rahmung zu negieren und hierbei besonders die asymmetrische Interaktionsrahmung, die antizipierte Verobjektivierung der subjektiven Darstellung sowie den bisherigen Ausschluss und die darin enthaltene Anerkennungsproblematik des Selbst zu entthematisieren.
  • Daneben ist der Interviewte ohne nähere Hinweise aufgefordert, eine Balance zwischen den beiden Aufmerksamkeitsfokussierungen herzustellen.
  • Schließlich ist mit dem biographischen Aufmerksamkeitsfokus auch die Anforderung verbunden, ein spezifisches und in der Eröffnung impliziertes Modell der biographischen Präsentation zu erfüllen, nötigenfalls die eigenen biographischen Strukturierungen daran anzupassen. So impliziert die Kennzeichnung der lebensgeschichtlichen Präsentation eine tendenziell analytische und damit distanzierte Darstellung der Zusammenhänge und Linien des biographischen Verlaufes.

I: erinnere dich bitte zurück . und erzähl einmal ruhig ausführlich . was dabei für dich bedeutsam ist .. ich werd erst einmal ruhig sein und dir zuhören

Mit dieser Passage endet zunächst die einführende Rahmung der Interaktionssituation durch den Sprecher. Dabei werden nach den eher latenten Rahmungen der Interaktion nun direkte Stimuli für den Fortgang bzw. das ‚In-Gang-Kommen‘ des Gespräches gesetzt und der Interviewte aufgefordert, sich in der hier explizierten Form an der Interaktion zu beteiligen. Betrachten wir diese Aufforderungen, dann deutet sich hier schließlich ein weiteres neues Spannungsmoment an. So wird der Interviewte zunächst aufgefordert, sich zurückzuerinnern. Diese Erinnerungsaufforderung impliziert nun – besonders nach dem formulierten Interesse am Lebensverlauf –, dass der Interviewte sich an seinen Lebensverlauf annähert und diesen somit im Modus der nachvollziehenden und affektiven Nähe reaktiviert.

In der weiteren Formulierung des Stimulus wird dann der Interviewte aufgefordert, diese reaktivierten inneren Bilder zu präsentieren, wobei diese Darstellung unter den Kriterien des Nacherlebens (dem Erzählen von Episoden) und einer großen Detaillierung strukturiert sein soll. In dieser Erweiterung des Stimulus wird also einerseits der Modus der nachvollziehenden affektiven Nähe über den Darstellungsmodus der Erzählung gestärkt und zugleich andererseits bereits ein Moment der tendenziellen Distanzierung von diesem Geschehen durch die Außenstrukturierung hoher Detaillierung eingeleitet. Dabei ist jedoch der dominante Modus der Darstellung eine nahe nachvollziehende und affektiv besetzte Reaktivierung und Präsentation des Lebensablaufs.

Schließlich wird als weiteres Strukturierungsmoment der Präsentation explizit auf die subjektiven Relevanzfestlegungen verwiesen und damit die Gestalt und Form der Präsentation in die autonome Verantwortung des Interviewten gestellt. Diese autonome Gestaltverantwortung wird dann noch verstärkt, indem der Interviewer hier seine eigene Zurückhaltung bei der Strukturierung der Präsentation ausdrückt. Mit der abschließenden Festlegung der eigenen Zurückhaltung durch den Interviewer ist schließlich auch der Punkt im Interaktionsverlauf markiert, an dem ein Wechsel in den Akteursrollen virulent wird. Im Weiteren ist also zu erwarten, dass der Interviewte die ihm zugewiesene Akteurs- oder Sprecherrolle übernimmt und mit Bezug auf die vom Interviewer dominant gesetzte formale und inhaltliche Interaktionsrahmung mit einer lebensgeschichtlichen Präsentation beginnt. Dabei muss der Interviewte sich jedoch auch auf die inhärenten Spannungsmomente der Interaktionsrahmung beziehen und dabei zum Teil paradoxe Anforderungen erfüllen.

Abschließend sollen die dominanten Spannungsmomente bei der Umsetzung der Akteurs- und Sprecherrolle und besonders mit Bezug auf die inhaltlichen Anforderungen an eine lebensgeschichtliche Präsentation noch einmal knapp zusammengefasst werden:

  • muss der Interviewte die Spannung bearbeiten, dass einerseits hier seine sehr subjektiven Erfahrungen zum Thema werden, dazu eigentlich einer bestimmten Rahmung bedürfen, die zudem auch vom Interviewten mit hergestellt werden muss, und andererseits jedoch diese Interaktionsrahmung unter Ausschluss seiner Ansprüche dominant gesetzt wird, unter Verweis auf höhersymbolische Ordnungen und ein kollektives Interesse legitimiert wird. Zusätzlich erschwerend für die Bearbeitung dieser Spannung wirkt dabei, dass nicht nur keine ‚natürliche‘ Interaktionssituation für die ausführliche Präsentation des eigenen Lebensverlaufs gegeben ist, sondern darüber hinaus eine instrumentelle und künstlich verfremdete Verwendung des somit generierten lebensgeschichtlichen Materials impliziert ist (nämlich deren Analyse zu Beweiszwecken). Als Bearbeitung werden dabei bereits in der Eröffnung des Stimulus einerseits eine tendenzielle Entthematisierung der Spannung und andererseits eine Verschleierung durch eine künstlich hergestellte Nähe und Vertrautheit angeboten.
  • ergibt sich bei der Übernahme der Sprecherrolle und der anschließenden Präsentation das Problem, zwischen den beiden Aufmerksamkeitsrichtungen zu unterscheiden oder beide miteinander zu koppeln. Hier ist also deutlich zwischen dem implizit gesetzten Interesse am rollenförmigen und damit repräsentativen Schülerhandeln und dem explizit formulierten lebensgeschichtlichen Interesse zu differenzieren. Der Interviewte kann hier entweder einen Fokus ausblenden, also nur unter der Perspektive der Schülerrolle oder des biographischen Verlaufes eine Darstellung präsentieren. Er kann aber auch versuchen, beide Aufmerksamkeitsrichtungen zu bedienen, wobei dann aber als neues Problem der Verbindungsmodus hergestellt werden muss. Dabei kann entweder die Perspektive der Schülerrolle dominant sein und aus der Sicht des schulischen Handelns die Lebensdarstellung strukturiert werden oder es ist eine biographische Perspektive dominant, in welche dann die schulische Erfahrung integriert wird.
  • ergibt sich schließlich das Problem, dass auch der Darstellungsmodus des lebensgeschichtlichen Verlaufes auf der einen Seite durch eine starke auch affektive Nähe zum erlebten Geschehen bestimmt ist, auf der anderen Seite aber durch die geforderten autonomen Strukturierungsleistungen der Darstellung (der Gestaltbestimmung nach Relevanzgesichtspunkten und der geforderten Detaillierung) tendenziell eine äußerliche distanzierte Perspektive auf die Darstellung und das Dargestellte impliziert.

Mit den hier ausdifferenzierten Spannungsmomenten ist nun zu fragen, wie der Interviewte darauf reagiert und wie gegebenenfalls die Präsentation strukturiert wird. Betrachten wir dazu nun den Anschluss des Interviewten.

M: . . soll ich jetzt irgendwas über mein leben erzählen . . irgend n ereignis oder was .

Ein erster Blick auf die Passage zeigt, dass hier noch nicht mit der Umsetzung einer biographischen Präsentation begonnen wird [1], sondern stattdessen offensichtlich Schwierigkeiten dabei bestehen, die hier in einer Rückvergewisserung und einen damit neu eröffneten Aushandlungsprozess über das Geforderte bearbeitet werden. Man kann bereits an dieser formalen Struktur folgende Ableitungen vornehmen. Wenn wir – wie geschehen – davon ausgehen, dass die Darstellungsaufforderung auf der einen Seite gewisse Spannungsmomente enthält und auf der anderen Seite (trotz der Thematik) unter Ausschluss des Interviewten in den Strukturmomenten gerahmt wurde, dann zeigt sich in der Nichteinlösung der zugewiesenen Akteurs- und Sprecherrolle nicht nur die Schwierigkeit der Umsetzung, sondern auch eine Art Verweigerung der gesetzten Rahmung für die Präsentation. Damit werden aber gerade nicht die zentralen Bearbeitungsvarianten des Stimulus selbst aufgegriffen (hier die Entthematisierung der Spannung und die Verschleierung der äußerlich konterkarierenden Strukturrahmung), sondern ein neuer Stimulus eingeklagt, der zumindest von einigen Spannungsmomenten bereinigt ist. Zudem bringt der Interviewte sich damit in die Rahmung der Darstellung ein und weist die verordnete passive Rolle im Konstitutionsprozess des Interviews implizit zurück. Man kann hier also riskant vermuten, dass der Interviewte offensiv auf Spannungen reagiert, Ungewissheiten aktiv bearbeitet und nicht dominant auf Entthematisierungs- und Verschleierungsstrategien bei Spannungsmomenten zurückgreift.

Betrachten wir den Inhalt dieser Passage, dann wird der aus der formalen Struktur abgeleitete Zusammenhang noch einmal deutlich. In der Form einer Nach- bzw. Rückfrage wird der Inhalt oder Gegenstand der geforderten Darstellung erneut zur Disposition gestellt. Dabei bezieht sich die Nachfrage auf die inhaltliche Ungenauigkeit, die aus den beiden Aufmerksamkeitsrichtungen Schule und Biographie entsteht. Die Nachfrage repräsentiert dabei durchaus die Ambivalenz zwischen Vergewisserung und Vorwurf, da damit auch zum Ausdruck gebracht wird, dass es dem Interviewer nicht gelungen ist, ein eindeutiges Anforderungsprofil für die inhaltliche Darstellung zu formulieren. Mit der Nachfrage bezieht sich der Interviewte zwar augenscheinlich auf den Schwerpunkt der lebensgeschichtlichen Darstellung. Es bleibt aber offen, ob als deren Kontrastfolie nicht auch der schulische Bezug verwendet wird.

In dem Bezug auf die lebensgeschichtliche Präsentation wird nun – in der Doppeldeutigkeit beinahe auch ironisch – die Strukturierung der biographischen Darstellung hinterfragt. Hier sind nun zwei Varianten denkbar:

  • In einer ersten Variante ist es vorstellbar, dass der im Stimulus formulierte Strukturierungsmodus nach den eigenen Relevanzfestlegungen zurückgewiesen und damit faktisch eine Fremdstrukturierung eingeklagt wird. In dieser Variante wäre aus der Sicht des Interviewten die Gestaltung der Darstellung nach eigenen Relevanzgesichtspunkten gleichbedeutend mit einer willkürlichen Aneinanderreihung von Ereignissen aus dem gelebten Leben. Diese Eigenstrukturierung wird damit als defizitär ausgewiesen, was hier auf Schwierigkeiten der geschlossenen Darstellung des biographischen Verlaufes hinweisen kann. Mit der geforderten Fremdstrukturierung würde dann dagegen eine geordnete Darstellung möglich sein.
  • In einer zweiten Variante kann mit der Rückfrage der Zweifel darüber zum Ausdruck gebracht sein, dass nach der bisherigen Rahmung nun wirklich eine eigenstrukturierte Darstellung möglich ist. Hier wäre nicht von einem Kompetenzmangel der Eigenstrukturierung auszugehen, sondern der Interviewte würde auf den latenten Widerspruch verweisen, dass hier quasi in einer Kippfigur die dominante Fremdstrukturierung nun in eine dominante Eigenstrukturierung umschlägt. So ist eine selbststrukturierte Darstellung zwar möglich, jedoch scheint diese nicht stimmig zur bisherigen Gesprächsrahmung durch den Interviewer zu passen. In dieser Variante würde keine Fremdstrukturierung eingeklagt, sondern eine explizite Bestätigung der Selbststrukturierung als stimmige Rahmung des Gespräches verlangt. Die zum Ausdruck gebrachte Willkürlichkeit wäre hier als ironisches Mittel zu verstehen, mit dem diese Inkonsistenz in der bisherigen Rahmung pointiert zum Ausdruck gebracht wäre. Denn unter den bisherigen Rahmungen kann das nach eigenen Relevanzsystemen geordnete für die implizierten Forderungen des Interviewers ungeordnet und willkürlich sein.

Generell wird mit dieser Nachfrage – und am deutlichsten in der ironischen Variante mit Vorwurfscharakter – der Interviewer unter Zugzwang gesetzt, eine eindeutigere Rahmung der Interaktion und einen deutlicheren Schwerpunkt zur inhaltlichen Ausrichtung zu formulieren. Zugleich signalisiert die Nachfrage aber auch die generelle Bereitschaft, sich auf die Anforderungen des Interviewers einzustellen, sofern dies durch eine Bearbeitung der Spannungsmomente möglich ist.

I: na was für dich so bedeutsam war wenn de jetzt also . sozusagen . . wir ham ja och zeit . das son bisschen . revue passieren lässt also was war für dich so . bedeutsam . wenn de dir so überlegst . .

Der Interviewer nimmt nun hier gezwungenermaßen die Forderung nach einer konkreteren inhaltlichen Rahmung der gewünschten Darstellung auf. Er muss sich damit auch auf eine Reduktion der komplexen und widersprüchlichen Interaktionsrahmung einlassen, wenn er nicht Gefahr laufen möchte, dass sich in einer Endlosschleife die Problematik wiederholt und vielleicht das Interviewvorhaben selbst scheitert. Welcher Art kann nun eine Reduktion der Komplexität nachgezeichnet werden?

Mit der Passage wird deutlich, dass der Interviewte auf das letztgenannte Strukturierungsmoment für die Darstellung insistiert und damit die eigenen Relevanzsysteme als zentrales und dominantes Gestaltungsprinzip ausweist. Damit geht der Interviewer auch auf den latenten Vorwurf ein, es könnte vielleicht die eigene Relevanz für den Interviewer, dessen Kollektiv und die höhersymbolische Ordnung gerade wenig relevant sein. Zugleich ist damit auch für den Interviewten signalisiert, dass dieser durchaus die Ereignisse aus dem Lebenszusammenhang aneinander reihen kann, sofern diese für ihn relevant sind. Der Beginn der erneuten Strukturierung des Interviewers ist somit relativ klar und eindeutig.

Im Weiteren reproduziert sich dann jedoch ein gewisses Maß an Komplexität und Widersprüchlichkeit des Interviews, das damit als konstitutiv für die Interaktionssituation angenommen werden kann. So zeigt sich, dass gleichzeitig mit der Zuweisung und Bestätigung der Selbststrukturierung auch die Darstellungskriterien der Detaillierung und der affektiv nahen Thematisierung des Lebensablaufs bedeutsam sind, damit also eine widersprüchliche Perspektive in der Betrachtung des gelebten Lebens angelegt ist. Zugleich wird in der Passage auch deutlich, dass der Detaillierungsdruck und damit auch die eine Seite einer widersprüchlichen Aufforderung tendenziell zurückgenommen und verschleiert wird. So hat zwar der Interviewte genügend Zeit, um eine ausführliche Präsentation hervorzubringen, jedoch reicht scheinbar auch ein bisschen der Erinnerungsarbeit aus, um den Ansprüchen des Interviewers zu genügen. Schließlich wird der Modus der eigenen Relevanz noch einmal genannt und damit betont und besonders hervorgehoben. Und insgesamt wird unter der Hand auch der Interaktionsrahmen deutlich auf den Nähemodus (das häufige ‚Du‘) fokussiert.

Beziehen wir die Überlegungen zur Reaktion des Interviewers auf die zeitweise Zurückweisung der Umsetzung der Sprecherrolle durch den Interviewten, dann sind vor dem Hintergrund der dort formulierten Varianten zwei Möglichkeiten für den weiteren Anschluss angelegt.

  • War die Nachfrage des Interviewten (die 2. Variante) vor allem formal auf die Interaktionsrahmung bezogen und nicht Ausdruck eines Kompetenzmangels einer selbststrukturierten lebensgeschichtlichen Präsentation, dann wäre mit der Intervention des Interviewers davon auszugehen, dass nun durch die eindeutige Dominanz der Selbststrukturierung nach eigenen Relevanzsystemen und der gleichzeitigen Reduktion der Komplexität und Widersprüchlichkeit der Interaktionsrahmung durch Entthematisierung und eine Fokussierung auf Nähe und Vertrautheit (du) eine Umsetzung der lebensgeschichtlichen Präsentation problemlos möglich ist. Insofern wäre hier im Anschluss der Beginn einer biographischen Darstellung zu erwarten.
  • War dagegen die Nachfrage Ausdruck eines generellen Kompetenzmangels für eine selbststrukturierte biographische Präsentation (die Variante 1 oben), dann wäre mit der Reaktion des Interviewers davon auszugehen, dass das der Ungewissheit zugrundeliegende Moment nicht beseitigt ist, sondern im Gegenteil mit der Passage gerade der Modus der Selbststrukturierung durch den Bezug auf eigene Relevanzsysteme noch verstärkt und gesteigert ist. Damit ist aber auch die Problematik des Interviewten zugespitzt, da dieser zwar den Anforderungen genügen möchte, jedoch unter den dominant gesetzten Bedingungen nicht genügen kann. In dieser Variante ist daher für den Anschluss zu vermuten, dass auch nach der Intervention eine biographische Präsentation nur schwer oder gar nicht in Gang kommen kann.

Wie schließt nun der Interviewte an?

M: hm na jetzt auf die schule bezogen oder allgemein

Man kann mit dieser knappen Reaktion des Interviewten und einer Betrachtung der Passage insgesamt zwei zentrale Ableitungen vornehmen, wenn wir deren Deutung vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen auf die Reduktion der Interviewaufforderung beziehen.

Zunächst kann mit dieser Passage festgestellt werden, dass der Interviewte hier erneut interveniert und noch nicht mit der Umsetzung der Interviewanforderung im Sinne einer Eröffnung der biographischen Präsentation beginnt. Die Intervention richtet sich inhaltlich auf eine weitere Klärung der Aufmerksamkeitsrichtungen für das Gespräch und damit auf die inhaltliche Gestaltung der eigenen Ausführungen. So ist hier durchaus stimmig anzunehmen, dass die Klärung der Aufmerksamkeitsrichtungen bereits mit der ersten Rückfrage des Interviewten angelegt war, sich hier jedoch noch scheinbar auf die inhaltliche Strukturierung der lebensgeschichtlichen Darstellung bezogen hat. Die Antwort des Interviewers wäre dann bezogen auf die beiden Aufmerksamkeitsschwerpunkte noch unzureichend. Mit dieser Überlegung wäre weiter davon auszugehen, dass auch diese Nachfrage sich um die Konkretion der Interviewanforderungen bemüht und mit der Klärung der inhaltlichen Aufmerksamkeitsrichtungen nun die Umsetzung der Darstellung erfolgen kann – sich hier also die obige Variante 1 bestätigt.

Zugleich kann die Passage trotz dieser inhaltlichen Stringenz auch Ausdruck eines generellen Kompetenzmangels bei der Erfüllung der Interviewanforderungen sein. Dies wäre dann der Fall, wenn über die Rückfragen der eigentliche Beginn der lebensgeschichtlichen Darstellung hinausgezögert wird und zudem über die Nachfragen unter der Hand externe Strukturierungen für die Darstellung hervorgerufen werden sollen – hier würde also die Variante 2 von oben bestätigt werden.

I: so dein leben also so . abjekoppelt auch von der schule

Der Interviewer reagiert hier auf diese zweite Nachfrage nur knapp. Dies kann zum einen Ausdruck dafür sein, dass intuitiv die Gefährdung des Interviewvorhabens allgemein und besonders durch die Komplexität der Anforderungen wahrgenommen wird. Zum anderen kann die knappe Reaktion auch dafür stehen, dass hier die Aushandlung über das Interviewvorhaben selbst kurz gehalten und im Endeffekt abgebrochen werden soll. Die Aussage ist dann auch relativ klar und geeignet, die angesprochene und nachgefragte Unsicherheit zu beheben, indem hier die Doppelseitigkeit der Aufmerksamkeitsrichtungen aufgelöst und eindeutig auf die Linie der biographischen Präsentation gelenkt wird.

Mit dieser Konkretion durch den Interviewer kann nun davon ausgegangen werden, dass die anfängliche Komplexität und Widersprüchlichkeit der Interviewaufforderung reduziert ist auf die zwei zentralen Anforderungen, einerseits eine lebensgeschichtliche Präsentation zu liefern und diese andererseits an eigenen Relevanzsystemen auszurichten und damit selbst zu strukturieren. Mit den beiden oben formulierten Varianten wäre nun im Anschluss zu vermuten, dass entweder eine biographische Präsentation einsetzt (1) oder auch mit diesen Konkretionen der Anforderungen aufgrund eigener Kompetenzmängel nicht in Gang kommt (2). Im weiteren soll nun der Anschluss des Interviewten vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen betrachtet werden.

M: . . hm

Betrachten wir die erste Reaktion des Interviewten auf die kurze Präzisierung des Interviewers bezüglich der inhaltlichen Fokussierung des angestrebten Gespräches und vor dem Hintergrund der bisher vom Interviewer gesetzten Rahmung der Interaktion, dann ist hier eine Reaktion materialisiert, die im Grunde vieles offen lässt, noch keine Zu- oder Absage zum Ausdruck bringt und damit einen neuralgischen Punkt im Interviewvorhaben markiert. Es ist gewissermaßen die Form einer Reaktion auf das Interviewvorhaben, die viele Wege offen lässt und doch selbst noch keinen Weg andeutet. Hier sind folgende Sinnzusammenhänge vorstellbar.

  • Auf der einen Seite kann das ‚hm‘ für eine unbestimmte Zustimmung stehen. Das heißt, dass sich der Interviewte nach den anfänglichen Bedenken hier auf die Interviewanforderungen und die Interaktionssituation einlässt und einstellt. Es wäre in dieser Variante davon auszugehen, dass mit der prinzipiellen Zustimmung auch die Bereitschaft vorhanden ist, im Weiteren – und nach den notwendigen, aber nun erfolgten Klärungen – eine biographische Präsentation zu beginnen. Jedoch ist hier eben von einer unbestimmten Zustimmung auszugehen, mit der ein Rest an Zweifeln bleiben kann und die Pause auf fortbestehende Strukturierungsschwierigkeiten hinweist.
  • Auf der anderen Seite ist hier als Gegenpol zur ersten Variante auch vorstellbar, dass mit der Pause und dem ‚hm‘ die Zweifel bei der Umsetzung noch dominant bleiben und daran im Anschluss eine dezidierte Zurückweisung der Interviewanforderungen erfolgt. Hier wäre also davon auszugehen, dass im Weiteren entweder der Aushandlungsprozess erneut aufgenommen wird oder aber eine materiale Verweigerung der Anforderungen zum Ausdruck kommt.

Die Entscheidung für eine der beiden Varianten und damit die Überwindung des neuralgischen Punktes muss sich nun im Anschluss deutlich zeigen. Betrachten wir deshalb, wie der Interviewte weiter anschließt.

M: . . hm wichtig

Mit diesem Anschluss wird explizit auf Relevanzverhältnisse verwiesen und ein konkreter Bezug bzw. eine Darstellung dieser Relevanzverhältnisse in Aussicht gestellt. Das heißt, wir können mit diesem Anschluss davon ausgehen, dass der strukturierende Rahmen weiterer Darstellungen durch hier angedeutete – jedoch im Weiteren noch näher zu bestimmender – Relevanzsysteme aufgespannt ist oder aber, dass die Relevanzverhältnisse selbst zum Thema des Diskurses gemacht werden. Damit kann mit Bezug auf die bisherige Interpretation Folgendes angenommen werden:

  • In einer ersten Variante kann davon ausgegangen werden, dass der Interviewte nun, nachdem die Strukturierung des Interviewvorhabens auch durch die eigenaktive Beteiligung hergestellt ist und dabei die zuvor implizierten Widersprüche und Unklarheiten reduziert sind, nun die eigenen Relevanzsysteme zum Bezugspunkt der eigenen Darstellung gemacht werden. In dieser Variante wäre also zu erwarten, dass im Anschluss die Umsetzung des Interviewvorhabens und damit der Beginn einer lebensgeschichtlichen Präsentation nun nach eigenen Relevanzgesichtspunkten beginnt. Damit wäre zugleich die Umsetzung der Interviewanforderungen signalisiert und die Aushandlungspassage abgeschlossen.
  • In einer zweiten Variante ist es dagegen möglich, dass der Interviewte (noch) nicht auf die Interviewanforderung eingeht, sondern die Aushandlung um die Strukturierung der Interviewsituation hier fortgesetzt und auf ein neues qualitatives Niveau gebracht wird, das in der Übernahme einer Metaperspektive besteht, bei der nun die Frage der Relevanzverhältnisse und deren Perspektivität verhandelt werden soll. In dieser Variante würde also die ‚Verweigerung‘ der Interviewaufforderung fortgesetzt und nun eher metatheoretisch auf einem neuen Niveau zu begründen versucht. Damit kann diese Variante auch weiter Ausdruck für die Schwierigkeit der biographischen Präsentation unter den gegebenen Bedingungen sein, wobei sich ein distanzierter und eher abstrakter Umgang mit dem eigenen Leben andeuten würde.

M: . . hm wichtig für

Mit diesem Anschluss kann zwar einerseits die oben aufgemachte Spannung der weiteren Positionierung des Interviewten zur Erzählaufforderung noch nicht entschieden werden, bleibt die Situation noch offen, deutet sich jedoch andererseits eine tendenzielle Verschiebung der Wahrscheinlichkeiten an, die eher für die Variante 2 sprechen. Wie ist diese Interpretation begründet?

Wenn man die erste Variante nimmt und vermutet, dass hier die Relevanzsysteme markiert werden, an denen sich die weitere Darstellung entfalten soll, dann wäre am stimmigsten die Ausweisung der eigenen Relevanzsysteme anzunehmen. Dies scheint jedoch mit dieser Formulierung wenig wohlgeformt möglich zu sein. Während zuvor man mit ‚wichtig ist für mich‘ eine explizit subjektive Relevanz deutlich zum Ausdruck gebracht hätte, scheint dies nunmehr verbaut zu sein. Die Formulierung ‚wichtig für mich ist‘ ist hier – wie festgestellt – weniger wohlgeformt und gebräuchlich.

Stimmiger ist der Anschluss, mit dem eine Relevanzperspektive markiert und ausgewiesen wird, die dann selbst zum Thema im Sinne einer Metathematisierung der Relevanzverhältnisse wird. So kann z.B. der Interviewte fragen: ‚wichtig für sie oder für mich‘, womit sehr deutlich der (fast provokative) Aushandlungsprozess fortgesetzt würde, aber nicht die direkte Umsetzung einer biographischen Präsentation angedeutet wird – also eher Variante 2.

Betrachten wir nun die beiden Varianten gemeinsam, dann fällt auf, dass generell mit der abstrakten Ausweisung und Markierung eines Relevanzsystems die eigentliche Präsentation zurückgestellt bleibt und eine Perspektivität der Thematik und damit Beliebigkeit des Folgenden oder doch zumindest deren Vielfalt signalisiert wird. Damit können wir auf eine spezifische Haltung zur Thematik schließen, die ja hier das eigene gelebte Leben beinhaltet. In beiden Varianten zeigt sich also eine Haltung zur eigenen Lebensgeschichte und deren Präsentation, die von einer gewissen Distanz geprägt ist und darin die Perspektivität bei der Betrachtung der Lebensgeschichte in Rechnung stellt. Hier handelt es sich um eine quasi konstruktivistische Auffassung bezogen auf die Lebensgeschichte, mit der davon ausgegangen wird, dass verschiedene Perspektiven möglich sind und die jeweilige Perspektive auch die Gestalt und Struktur des Gegenstandes bestimmt. In der ersten Variante würde diese konstruktivistische Haltung der eigenen Lebensgeschichte gegenüber darüber zum Ausdruck kommen, dass das eigene Relevanzsystem explizit zum Bezugsrahmen der weiteren Darstellungen gemacht wird, somit die Präsentation in dieser Hinsicht als wahrhaftig gelten kann, jedoch implizit auch auf andere Perspektiven verwiesen wird, mit denen eine andere Präsentation zu erwarten wäre.

Noch deutlicher wäre die konstruktivistische Perspektive in der zweiten Variante entfaltet, weil hier explizit die Aushandlung um die Perspektive eingefordert würde und darüber die mögliche Vielfalt der präsentierten Lebensgeschichte anklingt. Dabei wird diese konstruktivistische Haltung sehr deutlich auch dem Interviewer vorgetragen und implizit die Reichhaltigkeit des Vorhabens selbst in Frage gestellt. In dieser Variante wäre es auch denkbar, dass mit dem Verweis auf die Abhängigkeit der Darstellung von der zugrundeliegenden Perspektive und der damit ausgewiesenen Vielfalt der Darstellungsmöglichkeiten das Interviewvorhaben selbst als irrelevant zurückgewiesen wird.

Somit bleibt abschließend festzuhalten, dass hier mit dem expliziten Bezug auf die eingenommene Perspektive zur anvisierten lebensgeschichtlichen Thematik eine distanzierte und konstruktivistische Einstellung gegenüber dem eigenen Lebensverlauf zum Ausdruck kommt, mit der nicht nur eine distanzierte und tendenziell analytische bzw. sozialwissenschaftliche Haltung zum Lebensverlauf zum Ausdruck kommt, sondern mit der auch das Interviewvorhaben selbst noch als irrelevant zurückgewiesen werden kann. Deutlich wird auch die eigene Sicht auf das Leben durch mögliche andere Perspektiven relativiert und somit die eigene Perspektive als differente und tendenziell defizitäre markiert, da aus einer anderen Sicht andere Aspekte dominant werden könnten, die in der eigenen Sichtweise fehlen oder unterbelichtet bleiben. Prinzipiell zeigt sich in dieser konstruktivistischen Haltung aber auch ein Unvermögen, gemäß der einen Komponente der Interviewaufforderung eine nahe und emotional betroffene Erzählung des gelebten Lebens zu liefern, was sich in der Zurückweisung des Interviewvorhabens am deutlichsten manifestieren würde. Gleichzeitig wird hier jedoch auch auf den Erzählstimulus reagiert, indem die Komponente der distanziert analytischen Darstellung umgesetzt wird. Wie schließt nun der Interviewte weiter an?

M: . . hm wichtig für mich

Hier werden nun die angedeutete Perspektivenvielfalt und die daraus resultierende Abhängigkeit mit der exemplarischen Nennung einer in Rede stehenden Perspektive konkretisiert. Die hier ausgewiesene Perspektive ist die eigene des Interviewten, nach den eigenen subjektiven Relevanzkriterien. Die beiden oben formulierten Varianten können damit weiter fortgeführt werden.

Die vermutete erste Variante kann hier somit folgendermaßen reformuliert werden. Nach den eingeforderten und auch gelieferten Konkretionen der Interviewaufforderung, die damit auf die subjektiven Relevanzkriterien fokussiert, nimmt der Interviewte dieses Strukturierungskriterium zur Darstellung des eigenen Lebensablaufes auf und expliziert diese Perspektive und damit die Perspektivität, bevor die Umsetzung der biographischen Präsentation beginnt. Damit deutet sich nun zweierlei an. Erstens zeigt sich auch hier eine konstruktivistische Einstellung zum gelebten Leben, insofern hier verschiedene Strukturierungsperspektiven implizit angenommen und das Ergebnis der Präsentation von ihnen abhängig gemacht wird. Zweitens scheint jedoch die nun gewählte eine zu sein, mit der die Umsetzung des Interviewvorhabens leichter bewältigt werden kann, da nach deren Klärung und expliziter Setzung dann die zuvor zurückgewiesene und verweigerte biographische Präsentation einsetzt (wenn sie einsetzt).

In der oben vermuteten zweiten Variante würde nun gewissermaßen ein Metadialog über die vielgestaltete Perspektivität der biographischen Präsentation und die damit drohende Irrationalität des Interviewvorhabens durch die Vielgestalt der möglichen Präsentationen zum Thema werden. Hier könnte man sich als weiteren Anschluss auch vorstellen, dass eine weitere Aushandlung über das Interviewvorhaben selbst in Gang gesetzt wird: ‚wichtig für mich oder wichtig für meine Eltern oder wichtig für die Schulforschung‘. In dieser Variante müsste man daher davon ausgehen, dass mit der Einsicht in die Perspektivität des gelebten Lebens auch die Unsicherheit über deren Präsentation verbunden ist, wobei anders als bei Variante 1 die Perspektive nach eigenen Relevanzkriterien entweder noch nicht deutlich erlaubt oder gefordert scheint (was man jedoch nach der Reaktion des Interviewers eher ausschließen kann) oder diese nicht die Attraktivität zur Strukturierung einer biographischen Präsentation entfalten kann, weil diese Perspektive nicht dominant ist oder immer nur relativiert neben anderen Perspektiven steht.

Als Fazit bleibt auch bei dieser Sequenz festzuhalten, dass zwar in unterschiedlichen Ausprägungen jedoch generell mit der konstruktivistischen Sicht auf das eigene Leben eine Unsicherheit zum Ausdruck kommt, da die eigene Perspektive zwar dominant sein kann, jedoch vor dem Hintergrund möglicher anderer Perspektiven defizitär erscheint und relativiert werden muss.

M: . . hm wichtig für mich warn

Mit dieser Sequenz kann nun die oben polar aufgefächerte Varianz geschlossen und eine Variante als zutreffend markiert werden. So zeigt sich hier, dass offensichtlich nicht in eine Metadiskussion über die Perspektivität lebensgeschichtlicher Präsentationen überführt werden soll, sondern stattdessen hier als Ausgangspunkt der biographischen Präsentation die eigenen subjektiven Relevanzsysteme expliziert werden. Damit können zunächst die bereits vorsichtig formulierten Annahmen rekapituliert werden. Wir können nun davon ausgehen, dass einerseits die Aufforderungen des Interviewvorhabens aufgenommen und umgesetzt werden sollen. Andererseits zeigt sich darüber, dass die Perspektive der subjektiven Relevanz bei einer lebensgeschichtlichen Präsentation insofern weniger problematisch für den Interviewten sind, als mit deren Festlegung auch die ‚Verweigerung‘ des Vorhabens aufgehoben wird. Zugleich muss jedoch auch festgehalten werden, dass auch die interpretierte distanziert analytische Einstellung dem eigenen Lebensverlauf gegenüber sowie die damit verbundene konstruktivistische Haltung und die Relativierung der eigenen Perspektive weiter bestehen bleiben – hier also auch das Defizitäre der eigenen Perspektive und der lebensgeschichtlichen Präsentation vorab unterschwellig zum Ausdruck kommt.

Diese hier implizit zum Ausdruck gebrachte Relativierung der eigenen Perspektive und die damit eingestandene Unvollkommenheit und Ergänzungsfähigkeit der Präsentation zeigt sich nun zudem auch in einer neuen Qualität. So wird hier in dem realisierten Anschluss deutlich eine Vergangenheitsperspektive ausgewiesen und darüber eine Transformation der eigenen Relevanzkriterien selbst angedeutet. Somit wird hier als Strukturierungsmodus ein vergangenes Relevanzsystem markiert (‚war‘). Damit konkretisiert sich jedoch genau jene Relativierung und Defizitmarkierung, die bisher nur unterschwellig zum Ausdruck kam, und zugleich auch die Schwierigkeit der Präsentation des Lebensverlaufes selbst nach eigenen Relevanzkriterien. Denn hier zeigt sich ein deutlicher Bruch bzw. eine Transformation der subjektiven Bedeutsamkeit, indem sich die früheren Relevanzfestlegungen von den späteren/heutigen deutlich unterscheiden. Während hier nun der frühere Relevanzfokus eingestellt wird, muss zugleich gegen die spätere und oder aktuelle Relevanzsetzung verstoßen werden.

Hier ist jedoch eine problematische Spannung impliziert. Denn wenn auf der einen Seite hier zur Strukturierung der lebensgeschichtlichen Präsentation ein früherer Relevanzfokus gewählt wird, dann heißt das nicht nur, dass vor dem Hintergrund späterer Relevanzkriterien die dargestellten Zusammenhänge nicht derart dargestellt würden, sondern auch, dass offensichtlich spätere Relevanzgesichtspunkte als Bezugssystem der Darstellung weniger geeignet sind. Damit ist jedoch unterschwellig impliziert, dass die späteren und vielleicht auch aktuellen Bezugspunkte nicht oder weniger geeignet sind, eine biographische Präsentation zu strukturieren. Dies beinhaltet jedoch genau die zentrale Schwierigkeit, zur biographischen Präsentation auf frühere und längst transformierte Relevanzsetzungen zurückgreifen zu müssen, obwohl diese zu den späteren und heutigen Bezugskriterien in Kontrast stehen. Somit steht der Interviewte zu den eigenen Darstellungen zwangsläufig selbst in einem Spannungsfeld und sind die nach diesen Bezugskriterien ausgewählten Ereignisse aus der jetzigen Sicht eher weniger bedeutsam.

Schließlich kann mit dieser Sequenz auch auf die bereits vermutete Distanzierung und die konstruktivistische Haltung zum eigenen Lebensverlauf rückgeschlossen werden. Hier deutet sich ein Zusammenhang in der Art an, dass zentrale biographische Erfahrungen eine Transformation der Bezugskriterien bei der Betrachtung des eigenen Lebens bewirken und dieses damit erst unter einer konstruktivistischen Haltung erfahrbar wird. Abhängig von den biographischen Erfahrungen ändert sich die Sicht auf das eigene Leben und werden verschiedene (biographische) Bedeutsamkeiten generiert. Damit erscheint aber das lebensgeschichtliche Bezugssystem selbst hochgradig anfällig, veränderlich und ungewiss. Diese Ungewissheit macht schließlich die Schwierigkeit einer biographischen Thematisierung aus. Diese kann so entweder mit der jeweiligen Explikation der Relevanzkriterien als veränderliche Thematik entfaltet werden oder sie scheitert von vorn herein angesichts der Beliebigkeit der Gestalt des Lebensablaufes. Hier deutet sich nun an, dass der Interviewte den Versuch einer biographischen Präsentation unternimmt – hier auch den Interviewanforderungen zu entsprechen versucht – und dies mit dem jeweils expliziten Ausweis des biographischen Bezugssystems verbindet. Dabei werden scheinbar immer die jeweils dominanten Bezüge zu den thematisierten Lebensabschnitten aktiviert, was jedoch die Distanzierung aus der aktuellen Sicht erfordert. Für den Fortgang ist dann zu erwarten, dass auf einen früheren lebensgeschichtlichen Abschnitt Bezug genommen wird, der jedoch zu den aktuellen Lebenserfahrungen in Distanz gesetzt ist.

M: . . hm wichtig für mich warn eigentlich

Mit der Formulierung ‚eigentlich‘ wird nun der Aspekt der Relativierung des Darzustellenden fortgesetzt und weiter gestärkt. Somit wird hier noch immer und gewissermaßen als Vorbereitung auf den zu präsentierenden Gegenstand vorbereitet. Dieser Gegenstand und das Thema sind damit durch eine eigentümliche Bedeutungsspanne charakterisiert, sie sind zugleich hochbedeutsam und von geringerer Bedeutsamkeit. Die Differenz der Bedeutsamkeit der folgenden lebensgeschichtlichen Thematik kann sich mit der Formulierung ‚eigentlich‘ in zwei Varianten ausformen.

  • In einer ersten Variante ist es möglich, dass sich die Relativierung auf die bereits rekonstruierte Spannung differierender Relevanzsysteme bezieht und hier die einstige Bedeutsamkeit mit der heutigen Irrelevanz zu verbinden sucht. Zentral ist dabei der Aspekt, dass sich mit der Relativierung und Brechung der einstigen zentralen Bedeutsamkeit auch eine Ferne zum damaligen Geschehen manifestiert und hier dem Interviewten ein spannungsfreier Umgang mit der angekündigten Thematik verhindert ist. In dieser Variante würde somit der Bruch zwischen den früheren und heutigen Relevanzsystemen verstärkt und die Distanzierung deutlicher zum Ausdruck gebracht.
  • In einer zweiten Variante kann aber auch das ‚eigentlich‘ im Sinne von ‚im Grunde genommen‘ mit der Relativierung zugleich den zentralen Stellenwert des Folgenden markieren. So würde zwar kenntlich gemacht, dass später unter wechselnden Relevanzgesichtspunkten ein neuer Stellenwert des Folgenden generiert wurde. Jedoch würde zugleich neben der Relativierung auch darauf verwiesen, dass sich an der grundsätzlichen Bedeutsamkeit der lebensgeschichtlichen Ereignisse nichts geändert hat. Anders als in Variante 1 wäre hier also ein Verbindungsfaden zu den früheren Relevanzsystemen und den danach strukturierten lebensgeschichtlichen Darstellungen gegeben, der quasi nach einem übergeordneten Bezugssystem hergestellt wird. Damit können wir in dieser Variante anders als bei 1 zwar von einem Bruch und einer Transformation in der Positionierung und Haltung zum eigenen Leben ausgehen, der hier jedoch weniger radikal wäre und durch einen übergreifenden Bezugshorizont eine Verbindung der lebensgeschichtlich getrennten Phasen weiter aufrechterhalten würde.

Somit kann abschließend formuliert werden, dass sich in den beiden Varianten gleichermaßen der Bruch der Positionierung zum Lebensverlauf und die distanzierte konstruktivistische Perspektive auf die biographische Präsentation reproduziert haben, jedoch dieser Bruch unterschiedlich radikal ist und in unterschiedlicher Weise eine Verbindung zwischen den voneinander getrennten Lebensphasen hergestellt werden kann, da die Relativierung in der einen Variante die Distanzierung steigert, in der anderen Variante aber eine grundlegendere Verbürgung der früheren Relevanzsysteme impliziert.

M: . . hm wichtig für mich warn eigentlich immer

In scheinbaren Gegensatz zu der oben abgeleiteten Relativierung und Distanzierung gegenüber den früheren Relevanzkriterien und den damit strukturierten Darstellungen vergangener Lebenspassagen wird mit der Formulierung ‚immer‘ auf eine dauerhafte Gültigkeit der Relevanzkriterien verwiesen. Dabei konstituiert sich der Widerspruch zwischen der einerseits signalisierten begrenzten Reichweite der Relevanzsysteme, deren Einsicht zu einer konstruktivistischen Haltung dem eigenen Lebensablauf und dessen Präsentation gegenüber bedingt, und andererseits der nunmehr zum Ausdruck gebrachten uneingeschränkten Gültigkeit dieser Relevanzen. Wie ist dieser Widerspruch nun zu verstehen, bzw. welche Motivationsmöglichkeiten lassen sich hier konstruieren?

  • In einer ersten Variante kann man von einer Bedeutung ausgehen, bei der sich die mit dem ‚immer‘ signalisierte Gültigkeit von subjektiven Wichtigkeiten auf einen zeitlich begrenzten Zeitraum bezieht und hier schon die Explikation der Relevanzkriterien für den in Rede stehenden – jedoch noch nicht explizierten – Lebenszeitraum begonnen wird. So kann z.B. auf die Relevanzkriterien in der Kindheit verwiesen werden, die sich von späteren/heutigen Wertsetzungen unterscheiden, jedoch in sich über einen längeren Zeitraum stabil blieben und sich deshalb durch eine dauerhafte dominante Orientierung auszeichneten. In diesem Sinne kann das ‚immer‘ diese Dauerhaftigkeit signalisieren und zugleich jedoch auf eine Zeitspanne begrenzt und relativiert sein. Hiermit würde also die obige Variante 1 fortgeführt, wonach die Lebensabschnitte nach den jeweils dominanten Relevanzkriterien strukturiert werden, gleichwohl sich diese voneinander unterscheiden und teilweise distanziert gegenüberstehen. Jedoch bleibt der grundlegende Widerspruch auch hier zwischen Relativierungen und dauerhafter Gültigkeit bestehen und bezieht sich hier auf die z.T. gegenläufigen Relevanzsysteme.
  • In einer zweiten Variante würde der Widerspruch nicht auf die inhaltliche Ausformung der jeweiligen Relevanzsysteme anspielen, sondern tiefgreifender darauf bezogen sein, dass einer oberflächlichen Veränderlichkeit der Relevanzkriterien eine unterschwellige Kontinuität gegenübersteht, die jedoch vom Interviewten nicht bewusst thematisiert werden kann, sondern eher latent tradiert ist. Dann müssen wir aber davon ausgehen, dass auf der Ebene subjektiver Repräsentanz diese Kontinuität der Orientierungen nicht verfügbar ist, was wiederum darauf verweist, dass diese Kontinuität nicht zugelassen ist. Riskant kann in dieser Variante davon ausgegangen werden, dass der bewusste Versuch der Distanzierung vorgenommen wird, gleichwohl unterschwellig diese Distanz nicht material abgedeckt ist. Das heißt nun für die folgende Thematik, dass hier eine Lebensphase und die zugrundeliegende Orientierung distanziert präsentiert werden, sich mithin ein Bruch zu späteren Lebensphasen und zur aktuellen Orientierung andeutet, jedoch dieser Bruch unterschwellig aufgehoben scheint. Die Differenz besteht demnach nicht in den Relevanzkriterien und Wertorientierungen selbst, sondern in dem zu verschiedenen Lebensphasen unterschiedlichen Grad, mit dem diese Wertorientierungen bewusst verbürgt und zugelassen werden. Hier kann sich andeuten, dass der Interviewte unter neuen sozialen Anforderungen und Anerkennungsstrukturen früher verbürgte Relevanzen nicht mehr unproblematisch fortschreiben kann, sich deshalb bewusst von diesen distanziert, dabei jedoch auf der Ebene latenter Sinnstrukturen diesen Bruch nicht vollziehen kann.

Da beide Varianten sehr stark an den noch zu thematisierenden Inhalt der Präsentation – also die entsprechende Lebensphase – gebunden sind, soll nun der weitere Anschluss der Textfolge betrachtet werden.

M: . . hm wichtig für mich warn eigentlich immer früher

Auch mit dieser Formulierung im Anschluss reproduzieren sich zentrale Strukturierungen, die bereits rekonstruiert werden konnten. So wird auf der einen Seite deutlich, dass sich die Aussagen hier auf einen Lebensabschnitt und die dort dominanten Wertorientierungen und Relevanzkriterien beziehen, die von späteren und besonders der aktuellen Lebensphase verschieden ist. Zugleich wird in dieser Darstellung aber auch die Spannung dieser Thematik für den Interviewten reproduziert. Während auf der einen Seite hier erneut auf die Distanzierung und den Bruch verwiesen wird, indem das ‚früher‘ als eine vom Heute qualitativ verschiedene Lebensphase markiert ist, bleibt doch zugleich auch die widersprüchliche Spannung der in Rede stehenden Lebensphase bestehen. Zwar wird mit dem nachgeschobenen ‚früher‘ die zuvor signalisierte Dauerhaftigkeit der Relevanzkriterien nochmals relativiert und begrenzt. Dennoch kann damit die latente Dauerhaftigkeit und Kontinuität dieser Relevanzkriterien allenfalls verdeckt, nicht aber aufgelöst werden. Die Schwierigkeit einer biographischen Präsentation scheint mit dieser Konstellation – also der bewussten Distanzierung und Kennzeichnung des Bruchs bei gleichzeitiger latenter kontinuierlicher Verbürgung – nochmals gesteigert. Denn während einerseits in der lebensgeschichtlichen Darstellung die Thematik des Bruchs und der Distanzierung – die vielleicht durch Anerkennungsverhältnisse erzwungen sind – bewusst zum Ausdruck gebracht werden soll, impliziert die latente Kontinuität dieser Orientierungen, dass die bewusste Zielsetzung vielfältig unterwandert und selbst gebrochen werden kann. Hier kann noch einmal deutlich gemacht werden, dass gerade in dieser Konstellation der Zerrissenheit der Strukturierung der eigenen Biographie und schließlich in der vom Interviewer dominant gesetzten Strukturierungslogik der Darstellung nach subjektiven Relevanzkriterien auch die Schwierigkeit der Umsetzung des Interviewvorhabens impliziert sind und diese selbst deshalb eher schwer in Gang gesetzt werden kann. Gerade durch den Bruch in den Relevanzkriterien und der Verdrängung latent tradierter Kontinuität ist die dominante Festlegung der Strukturierung durch die eigene Bedeutsamkeit so schwierig und problematisch.

M: . . hm wichtig für mich warn eigentlich immer früher so

Auch mit dieser Sequenz wird die Relativierung des ‚eigentlich immer‘ bedeutsamen fortgesetzt. Dies wird deutlich, wenn man die Passage weiterdenkt und mit der Variante kontrastiert, bei der das ‚so‘ nicht enthalten ist. Dann wird deutlich, dass schon die Anwesenheit des Wortes die Explikation des Bedeutsamen aufschiebt und damit weiter fortschiebt – sich also der Interviewte weiter davon distanziert. Zugleich bedeutet die Formulierung aber auch inhaltlich eine Relativierung, weil die Klarheit und Bestimmtheit des Folgenden zurückgenommen ist. Man kann angesichts der vielen Relativierungen (‚waren‘, ‚eigentlich‘, ‚früher‘ und ‚so‘), die doch die eine unbewusst gesetzte dauerhafte Gültigkeit der folgenden Orientierungen nicht vollständig aufheben können, als symbolische Arbeit an der herausgearbeiteten Spannung interpretieren, mit der eine bewusste Distanzierung und eine Manifestation des Bruchs der biographischen Relevanzsysteme und dominanten Orientierungen angestrebt wird, zugleich jedoch die unterschwellige kontinuierliche Fortschreibung nicht aufgehoben werden kann.

M: . . hm wichtig für mich warn eigentlich immer früher so meine aktivitäten

Mit dieser Sequenz wird nun einführend die in Rede stehende Thematik markiert und zugleich die dabei im Hintergrund stehende dominante Orientierung zur Strukturierung der Darstellung deutlich gemacht. Dies erscheint angesichts der Textstelle zunächst banal, da hier die eigenen Aktivitäten als wichtigstes Strukturierungsmoment einer biographischen Erzählung ausgewiesen werden. Dies deshalb, weil man diesen Modus wohl in allen biographischen Präsentationen mehr oder weniger erwarten kann, also jeweils die eigenen Tätigkeiten und die daran gebundenen Erfahrungen im Zentrum biographischer Thematisierungen stehen. Jedoch ist auf den zweiten Blick diese Sequenz aufschlussreicher. So irritiert zunächst, warum die eigenen Aktivitäten hier als besondere Charakterisierung einerseits scheinbar auf einen Lebensabschnitt begrenzt werden und andererseits sich von dieser Orientierung auf eigene Aktivitäten offensichtlich für spätere und aktuelle Lebensdarstellungen distanziert werden soll. Dies kann nun wieder auf zwei mögliche Varianten verweisen:

  • In einer ersten Variante kann stimmig angenommen werden, dass hier nicht die eigenen Aktivitäten allgemein, sondern diese in einer ganz bestimmten Ausrichtung und Konkretion eingeführt werden und deren noch folgende Kennzeichnung hier zunächst eine allgemeine – jedoch verwirrende – Ausweisung erfährt. Das heißt, hier steht nicht die eigene Aktivität selbst in Differenz zu späteren Lebensphasen, sondern die besondere Aktivitätsform.
  • In einer zweiten Variante kann man dagegen die latente Kennzeichnung der Strukturierung der in Rede stehenden Lebensphase und darüber die in dieser Lebensphase dominante Erfahrungsqualität ernst nehmen und diese zu späteren Lebensphasen kontrastieren. Dann wäre davon auszugehen, dass der Interviewte besonders in dieser ersten thematisierten Lebensphase durch Handlungsaktivität gekennzeichnet war, die im Unterschied dazu in späteren Lebensphasen ein deutlich weniger bedeutsames Strukturierungsmuster darstellt. In dieser Variante wäre also davon auszugehen, dass die zentrale Differenz dieser frühen Lebensphase zu späteren Lebensphasen genau darin besteht, dass später das Selbst nicht dominant als Handlungs- und Aktivitätszentrum erfahren wird. Dies würde darauf verweisen, dass der Interviewte später sein Leben eher passiv erfährt und somit die Abhängigkeiten von heteronomen Einflüssen steigen. Gerade diese Veränderung wäre Ausgangspunkt für den Bruch der lebensgeschichtlichen Wahrnehmung, wobei jedoch erklärungsbedürftig bleibt, warum dann die symbolische Arbeit bei der Distanzierung von der früheren Wahrnehmung als aktives Handlungszentrum investiert werden muss.

Somit kann mit der Eröffnung der biographischen Präsentation nicht nur auf eine Schwierigkeit und einen Bruch in der lebensgeschichtlichen Wahrnehmung geschlossen werden, sondern es öffnet sich ein Spannungsfeld, in dem auf der einen Seite eine bestimmte Aktivitätsausrichtung auf der Ebene subjektiver Repräsentanz nicht mehr – unterschwellig jedoch weiter – verbürgt wird und auf der anderen Seite die Wahrnehmung als aktives Handlungszentrum selbst im lebensgeschichtlichen Verlauf bricht und zu einer distanzierten gebrochenen Präsentation führt. Um diese beiden Varianten zu prüfen, betrachten wir nun den Fortgang des Textes.

M: . . hm wichtig für mich warn eigentlich immer früher so meine aktivitäten was ich so gemacht habe

Hier findet sich im Text eine Spezifizierung der als dominant ausgewiesenen Orientierung in der frühen Lebensphase. Mit der Formulierung ‚was ich so gemacht habe‘ lässt sich dabei das Spannungsfeld der beiden Varianten noch nicht auflösen. Auf der einen Seite deutet sich dabei an, dass hier auf die Spezifik der Aktivitäten angespielt wird. Diese sind jedoch hier noch nicht expliziert, so dass der Versuch der Konkretion tendenziell scheitert – gleichwohl dies im weiteren Fortgang noch durch Ergänzungen gelingen kann. Auf der anderen Seite deutet sich an, dass gerade in der Allgemeinheit der Konkretisierung auf die generelle Wahrnehmung als Aktivitätszentrum angespielt wird. Damit könnte nun die weitreichendere Problematik des lebensgeschichtlichen Verlaufes markiert sein, wenn der Bruch in der Wahrnehmung eigener Aktivität begründet ist.

Zugleich steht diese Sequenz auch für die fortgesetzte Spannung zwischen Bruch und Kontinuität des lebensgeschichtlichen Verlaufes, indem hier erneut die Relevanz und deren Relativierung zum Ausdruck kommen. Denn einerseits wird die Bedeutsamkeit der eigenen Aktivitäten zur Wahrnehmung und Präsentation des lebensgeschichtlichen Verlaufes durch die wiederholte Kennzeichnung dieses Kriteriums deutlich, während sie andererseits durch die inhaltliche Leere und die Relativierung (‚so‘) und Vergangenheit zugleich zurückgenommen wird. Auch hier lässt sich somit die Spannung in den beiden Varianten aufspüren.

Schließlich verwundern in diesem Zusammenhang gerade die inhaltsleere und uneffektive Umsetzung des angestrebten Nachweises der zentralen Relevanzkriterien und deren Einlösung in dieser Lebensphase. So transformiert die als Spezifizierung gestartete Konkretion in eine bloße Wiederholung der allgemeinen und unbestimmten Aktivitätsorientierung. Dennoch: diese wird darüber – wie bereits festgestellt – nochmals in ihrer Bedeutsamkeit gefestigt, wenngleich deren Relevanz auch gebrochen ist.

M: also . ballett oder tanz //mhm// oder kung fu oder sowas . //mhm//

Mit dieser Sequenz kann nun die Spannung konkreter bestimmt und eine der Varianten als zutreffend markiert werden. Mit der hier vorgenommenen inhaltlichen Konkretion der zunächst allgemein etikettierten Aktivitäten wird deutlich, dass es sich hier nicht um die Umsetzung von Aktivität allgemein und damit um eine spezifische Wahrnehmung als aktives Handlungszentrum handelt – zumindest nicht nur und auf den ersten Blick –, sondern ganz spezifische Aktivitäten angesprochen sind, die hier zunächst als Freizeit- bzw. sportliche Aktivitäten gekennzeichnet werden sollen. Vorläufig und teilweise gebrochen kann damit die Variante bestätigt werden, die den Bruch innerhalb der Lebensgeschichte durch spezifische inhaltliche Orientierungen vermutet hatte und die mit einer Distanzierung von diesen Orientierungen in späteren Lebensphasen zusammenhing.

Mit dieser Sequenz können nun die Orientierungen konkret benannt und weitere Ableitungen zur Lebensgeschichte und zu biographischen Spannungsmomenten vorgenommen werden. So wird deutlich, dass die aufgezählten Aktivitäten auf den Freizeit- und Sportbereich bezogen sind. Damit positioniert die Interviewte [2] ihr Selbst und ihre Lebensführung in einem Bereich, der deutlich von den Sozialisationsräumen der Familie aber auch der Erziehungs- und Bildungsinstitutionen getrennt ist, ja oftmals als deren Kompensationswelt in Erscheinung tritt. Wenn auch in den genannten Sportarten eine institutionelle Organisation dieser Tätigkeiten angenommen werden kann, scheint die Interviewte doch gerade außerhalb der zentralen Sozialisationsinstanzen nach den angelegten Kriterien der biographischen Präsentation ihr Leben zu verorten. Damit wird aber implizit auch deutlich, dass gerade nicht in der Familie, den familialen Bindungen, und den Einrichtungen des Kindergartens und der Schule die dominante Lebenserfahrung liegt. Dies kann zunächst konstatiert werden, weil damit implizit auf spezifische Erfahrungsqualitäten im biographischen Verlauf hingewiesen wird, die auch Individuationsproblematiken enthalten können. Dies wird dann ersichtlich, wenn man mögliche Konstellationen für den besonderen Stellenwert und die zentrale Wichtigkeit der sportlichen Aktivitäten konstruiert. Hier lassen sich zwei Pole ausdifferenzieren:

  • Auf der einen Seite könnte es sein, dass die Interviewte eher zufällig mit diesen Tätigkeitsbereichen in Berührung gekommen ist und eine besondere Passung zum eigenen Individuationsverlauf intuitiv realisiert hat. Mit der Wahrnehmung dieser Passung könnte dann aus einer „inneren Natur“ heraus ein besonderes Interesse an diesen Tätigkeiten entstanden sein, dass sich dann festigen kann, wenn zentrale Funktionen aus der Sicht der Interviewten in diesem Lebensbereich abgedeckt werden. Faktisch beinhaltet diese Naturwüchsigkeitsvariante aber auch, dass eine biographische Disposition angenommen werden muss, die einerseits hier einen Bedarf fordert, der andererseits über die sportliche Betätigung abgedeckt werden kann. Offen bleibt dabei bisher auch, inwieweit dabei auch signifikante Bezugspersonen in den sportlichen Bereichen eine Rolle spielen bzw. welcher Art die funktionalen Leistungen dieses Lebensbereiches letztlich waren.
  • Auf der anderen Seite der polaren Konstruktion kann die Motivation für diese besondere Wertigkeit der sportlichen Tätigkeiten äußerlich angenommen werden. Dann sind quasi Transmissionsprozesse anzunehmen, in denen durch signifikante Personen bestimmte Orientierungen vermittelt werden. Mit diesen Transmissionsprozessen sind zugleich auch bestimmte Projektionen und Aspirationen der signifikanten Personen verbunden, die mit den übertragenen Orientierungen ein bestimmtes Bild von der Interviewten umgesetzt sehen. Als solche Personen – die hier im Weiteren noch benannt werden müssten oder die gerade aufgrund der Distanzierungen entthematisiert werden, weil sie mit der lebensgeschichtlichen Problematik verbunden sind – können vor allem die Eltern vermutet werden. Diese würden in dieser Variante aber in einer ganz spezifischen Position zur Interviewten in Erscheinung treten. Sie wären dann nämlich gerade nicht als Bindungspersonen ins Spiel gebracht, sondern als latent fordernde Personen, die in eigenen Projektionen bestimmte Anforderungen an die Interviewte herantragen, die diese nun erfüllen muss.

Zwischen innerer Passung durch kompensatorische Funktionen zur Familie (und Schule) oder äußerer Projektion verbunden mit bestimmten Aspirationen kann die besondere Wertigkeit der sportlichen Tätigkeit angesiedelt sein. In beiden Fällen entsteht jedoch eine eigene wertbezogene Einstellung zu den Tätigkeiten, so dass auch beim äußerlichen Anstoß letztlich von einer inneren Passung ausgegangen werden muss. Jedoch beinhalten beide Varianten auch unterschiedliche Implikationen mit Bezug auf die angedeutete lebensgeschichtliche Problematik. Um dies zu verdeutlichen, sollen noch einmal die beiden Varianten aufgegriffen werden.

  • In der ersten Variante wurde davon ausgegangen, dass zwar eine bestimmte Rahmung des lebensgeschichtlichen Erfahrungsraumes vorhanden sein musste, sich jedoch der dominante Bezug auf die sportlichen Tätigkeiten vor allem durch eine biographische Disposition generierte, hier also eine bestimmte Bedürftigkeit im Sinne einer „inneren Natur“ vorhanden war. Betrachten wir vor diesem Hintergrund die aufgezählten Sportarten, dann fällt – neben dem markanten inhaltlichen Sprung, auf den noch einzugehen ist – auf, dass hier dominant ästhetisch körperliche Bewegungssportarten ausgewählt sind. Damit können wir vermuten, dass als biographische Disposition ein besonderes Interesse an solchen Bewegungsformen vorhanden war, was zugleich eine gewisse Bewegungsarmut im sonstigen Lebensumfeld der Interviewten impliziert. Der besondere Bezug auf diese ästhetischen Bewegungsformen deutet also an, dass der sonstige Erfahrungsraum deutlich anders strukturiert sein muss und somit hier ein Kompensationsraum in der sportlichen Betätigung freigesetzt wurde. Als solche kontrastiven Strukturierungen des Lebensraumes ließe sich riskant auf wenig körperbezogene und stärker rational bzw. leistungsorientierte Rahmungen z.B. in der Familie schließen. Mit der dominanten Orientierung auf die kompensatorische ästhetische Bewegungsform wurde zugleich auf der einen Seite auf das subjektive Leiden unter den dominanten Strukturierungen (in der Familie), die Verweigerungshaltung dieser Strukturierung gegenüber sowie die aktive Bearbeitung des subjektiven Leidens (zumindest in der kompensatorischen Lebenswelt) verwiesen. Auf der anderen Seite zeigt sich dagegen auch in der Verweigerungshaltung, die nur kompensatorisch ausgelebt werden kann, eine dauerhafte Verstrickung, die letztlich nicht aufgehoben werden kann und somit als dauerhaftes Leiden fortbesteht. Ja mehr noch: Mit der in der Eröffnung zum Ausdruck gebrachten Distanzierung und Relativierung einer dominanten Kompensationsorientierung wird deutlich, dass deren lindernde Wirkung an Kraft eingebüßt hat, ja vielleicht letztlich dominant verhindert ist und somit eine Krisenhaftigkeit ihrer Bearbeitung beraubt erneut zugespitzt ist.
  • In der zweiten Variante gingen wir dagegen von einer projektiven Übertragung der körperlich-ästhetischen Bewegungsformen aus, die von bestimmten Aspirationen signifikanter Anderer (vielleicht der Eltern) begleitet ist. Diese könnten mit den ersten beiden Sportarten (Ballett und Tanz) auf bestimmte Statusaspirationen verweisen, mit denen die Tochter zum elterlichen Projekt eines angesehenen Bildungsprozesses wird. Zwar würde auch in dieser Variante durch die Übernahme der hohen Wertigkeit dieser Orientierungen auf biographische Dispositionen verwiesen, jedoch deuten sich über den Bruch und die Distanzierung andere lebensgeschichtliche Problematiken an. Zunächst hätte die Übernahme dieser Orientierungen nicht den Charakter kompensatorischer Funktionen und kann somit nicht auf eine körperlich-ästhetische Armut im familialen Raum geschlossen werden, sondern wäre im Gegenteil von einer Ergänzung und Steigerung dieser Orientierungen in Familie und Biographie auszugehen. Der zum Ausdruck gebrachte Bruch und die Distanzierung hätten dann eher den Charakter einer Abkehr von dem (elterlichen) Bildungsprojekt. Diese kann wiederum unterschiedlich motiviert sein. Sie scheint jedoch besonders durch konkurrierende Anforderungen außerhalb der Statusaspirationen der signifikanten Anderen verortet zu sein. So kann entweder mit qualitativ anderen Anforderungen (z.B. in der Schule) die Dominanz dieser Orientierung bedroht sein und schließlich gebrochen werden. Es wäre aber auch möglich, dass aufgrund lebensgeschichtlicher Erfahrungen die Transmissionsbeziehung zu den Eltern bricht und sich die Interviewte dem übertragenen Projekt verweigert. Beide Linien wären jedoch auf der Oberfläche angesiedelt, der eine unterschwellige Verbürgung des Statusprojektes zur Seite steht. Denn hier zeigte sich ja, dass die Distanzierung selbst gebrochen ist. Das heißt, wir müssen in dieser Variante von einer lebensgeschichtlich oder durch äußere Anforderungen bedingten Distanzierung und Verabschiedung vom mit dem Sport verbundenen Statusprojekt ausgehen, die jedoch nicht vollständig erfolgen, hier also eine heimliche Sehnsucht transportieren und darüber eine biographische Krisenproblematik und ein subjektives Leiden (hier an den neuen Anforderungen) implizieren.

Beide Varianten münden schließlich in eine qualitativ verschiedene Prognose des subjektiven Leidens und einer lebensgeschichtlichen Krisenproblematik, die zum Zeitpunkt des Interviews dominant ist und auf die bereits unbestimmt mit den Eröffnungsformulierungen der biographischen Präsentation geschlossen wurde.

Schließlich ist die jeweilige Variante noch einmal um den qualitativen Sprung zwischen den ausgewiesenen Sportarten zu erweitern. Für die erste Variante kann der Wechsel vom Ballett zum Kampfsport bereits erste Transformationen in der Form der Kompensation der Anforderungen aus dem Lebensraum der Interviewten andeuten, mit denen nun – zwar in der Kontinuität körperlich-expressiver Bewegungsformen, aber – deutlich aggressivere Strategien erforderlich sind, und damit auf eine Zuspitzung der Krisenproblematik hinweisen. In der zweiten Variante könnte dieser Wechsel einerseits erste Verweigerungen gegenüber elterlichen Statusprojekten beinhalten, oder aber ähnlich zu 1. auf eine den neuen Anforderungen angepasste – weil transformierte – Form der Fortführung zentraler Orientierungen verweisen, wobei die neue Betätigungsform bereits den Bruch im Versuch der kontinuierlichen Fortführung der dominanten Orientierungen markiert.

M: weil ich . bin eigentlich en mensch der sich sehr viel bewegen muss . //hmm//

Mit dieser Sequenz wird nun eine argumentative Struktur umgesetzt, mit der deutlich auf Begründungszusammenhänge verwiesen wird, die hier nun entweder auf die Dominanz der Orientierung oder aber auf die Distanzierung und den späteren Bruch bezogen sein können. Jeweils unterschiedlich würde sich darüber eine Bezogenheit auf die hier thematisierten dominanten Orientierungen ableiten lassen. Wird die Orientierung selbst argumentativ begründet, dann zeigen sich darüber bereits die fehlende unhinterfragte Verbürgung derselben und damit die kritische Distanzierung davon. Wird dagegen die Begründungsnotwendigkeit für den Bruch beansprucht, dann zeigen sich ein unterschwelliges Fortbestehen und eine Kontinuität, die den Bruch erst begründungsnotwendig macht. Damit steht jedoch die zentrale Krisenproblematik in der einen oder anderen Ausformung selbst als thematischer Bezugspunkt der weiteren Darstellung im Raum. Wie lassen sich nun diese Überlegungen fortführen?

Betrachten wir hier die Sequenz insgesamt, dann zeigt sich schnell, dass mit dieser Sequenz die damaligen Orientierungen und das somit in der Vergangenheit präsentierte Selbst begründet werden sollen. Dies wird hier in der Figur einer biologischen und anthropologischen Formel getan, mit der Menschen qua Geburt mit spezifischen Eigenschaften versehen werden, die sie voneinander trennen. In dieser Figur, mit der zugleich die in Rede stehende Orientierung dauerhaft und unveränderlich installiert wird, zeigt sich ein biographisches Selbstverständnis, das von einer grundlegenden Rahmung des Selbst durch die biologisch vermittelte „innere Natur“ ausgeht. Diese steckt gewissermaßen den Möglichkeitsraum der Entwicklung und Entfaltung des Selbst deterministisch ab, so dass man sich als Subjekt nur in zwei polaren Ausformungen verhalten kann. Entweder man gibt dem inneren Zwang nach, und entfaltet so das biologisch angelegte Potential des Selbst und kann hier auch im Rahmen des Determinierten Aktivitätspotentiale entwickeln. Oder aber, man versperrt sich den Neigungen der „inneren Natur“ und ist aber dann nicht nur mit einer Behinderung subjektiver Entfaltungsprozesse konfrontiert, sondern auch mit Entfremdungen gegenüber dem eigenen Selbst und einem daran gebundenen Leiden.

Das heißt nun aber, dass in der Begründung des vergangenen Selbst und dessen Orientierungen, von denen man sich zugleich oberflächlich distanziert, die Orientierung als dauerhafte maximal festzementiert wird und sich darüber aber auch die Zerrissenheit und Selbstproblematik in der Sequenz reproduziert. Diese Zerrissenheit und Selbstproblematik kann nun wie folgt bestimmt werden: In der lebensgeschichtlichen Erfahrungsaufschichtung entsteht eine Selbstkonzeption, in der die körperlich ästhetischen Bewegungsformen einen sehr hohen Stellenwert einnehmen und darüber dominant das Selbst als auch das Selbstwertgefühl bestimmen. Zwar muss noch immer offen bleiben, woher diese dominante Selbstorientierung motiviert ist – ob sie also eher zufällig durch die starke Passung zum bisherigen biographischen in Erscheinung tritt oder durch signifikante andere verbunden mit Aspirationen übermittelt wurde. Dennoch scheint deutlich, dass in beiden Varianten eine innere Verbundenheit mit diesen Orientierungen entsteht, die hier als quasi biologische Selbstverwurzelung in Erscheinung tritt und zu einer dominanten Selbstkonzeption über die körperliche Bewegung führt. Das heißt, dass die Interviewte hier in einem lebensgeschichtlichen Prozess eine maximal dominante Bezogenheit der Selbstwahrnehmung entwickelt und ihr Selbst dominant über die damit verbundenen Orientierungen bestimmt. Soweit, so gut.

Die Problematik als Krise des Selbst entsteht nun, als diese dominante Orientierung bedroht und damit die Stabilität der Selbstkonzeption gefährdet ist. Dies kann jedoch nur durch veränderte Rahmungen des Selbst (z.B. in der Familie oder der Schule) motiviert sein, was im Weiteren noch durch die Interviewte zu thematisieren wäre. Faktisch ist jedoch nach den bisherigen Überlegungen von einer derartigen Bedrohung auszugehen, die zu einem Bruch der Dominanz der hier dargestellten Orientierungen führt. Hier wurde weiter oben bereits darauf geschlossen, dass die neuen und bedrohlichen Anforderungen in kontrastiven Bereichen zu der ästhetisch-körperlichen Bewegung liegen müssten und hier vielleicht anfangs kompensiert werden konnten, später sich aber dominant durchsetzen können. Damit war die Interviewte praktisch mit einem erzwungenen Bildungsprozess konfrontiert, in dem sie ihr Selbst neu abstützen und konstituieren musste, ohne auf die alten Stützen zurückgreifen zu können. Dieser Bildungsprozess war besonders deshalb so schwierig und schmerzhaft, weil er sehr tiefliegende Ebenen der Selbstkonzeption betraf, die hier als biologisch anthropologische Selbstkonzeption rekonstruiert werden konnten. Gerade diese Umorientierung gelingt der Interviewten nun nicht. Dies führt nun dazu, dass auf der einen Seite – auf der Ebene manifester Selbstdeutungen – ein deutlicher Bruch im lebensgeschichtlichen Verlauf erfahren wurde, mit dem eine biographische Gesamtsicht bzw. Gesamtgestalt nicht realisiert werden kann, und auf der anderen Seite – auf der Ebene latenter Selbstkonzeption – die damaligen Orientierungen und Wertmaßstäbe, besonders aber die damit verbundene anthropologisch biologische Selbstkonzeption tradiert werden. Damit sind aber nicht nur die Orientierungen und die Wertmaßstäbe in sich widersprüchlich und zerrissen, sondern die Reproduktion des grundlegenden Selbstkonzeptes als biologisch determiniertes Selbst begründet eine massive Entfremdungsproblematik und das Leiden an der veränderten Rahmung des Selbst. Die neuen und anders gearteten Anforderungen werden hier als widersprüchlich zur „inneren Natur“ wahrgenommen. Sie verhindern eine Entfaltung des Selbst gemäß seiner inneren Veranlagung und konstituieren darüber das Leiden und zugleich das Begehren daran, das Selbst über die Umsetzung der körperlich-ästhetischen Orientierungen zu stützen. Die Erfahrung des Selbst über körperlich ästhetische Bewegungsformen ist damit zwar manifest zurückgedrängt und kann vermutlich nicht in dem gewünschten Maße ausgeführt werden, jedoch bleibt sie (verbotenes und abgespaltenes) dominantes Bezugskriterium der Selbstkonzeption und dominante Kompensationsstrategie der Krisen des Selbst.

Die hier hypothetisch formulierte Zerrissenheit des Selbst durch die abgespaltene und zurückgedrängte Selbstkonzeption, die jedoch weiterhin dominant und bestimmend bleibt, zeigt sich vor allem in der widersprüchlichen Figur der Distanzierung und Relativierung bei gleichzeitiger Relevanzmarkierung der betreffenden Orientierungen und Aktivitäten. Diese widersprüchliche Figur findet sich auch in dieser Passage, bei der einerseits die Selbstkonzeption und die dominante Orientierung biologisch anthropologisch begründet als immer andauernd und überdauernd zum Ausdruck kommen, zugleich aber andererseits gerade diese Dauerhaftigkeit durch Relativierungen gebrochen ist. Dem Zwang der Umsetzung der biologisch angelegten Potentiale steht zugleich der kulturelle Zwang der Entfremdung gegenüber. Das gezwungene Selbst scheint damit eingekerkert und jeder Fluchtmöglichkeit beraubt.

M: und deshalb wars für mich och ne ziemliche umstellung in der schule eben so stillzusitzen und nich mehr nichts mehr zu machen

Auch in dieser Sequenz zeigt sich die zentrale Problematik der Interviewten, die hier weiterhin die Krisenproblematik thematisiert, hier deutlich an die neue Rahmung des Selbst in der Schule ankoppelt und auf die Entfremdungsphänomene verweist. So deutet sich mit dieser Passage an, dass gerade durch die Einschulung die den eigenen Orientierungen entgegengesetzten Anforderungen dominant werden und eine ungebrochene Reproduktion bisheriger Wertmaßstäbe verhindern. Die ‚ziemliche Umstellung‘ verweist auf die im Bildungsprozess angelegte Notwendigkeit der Umorientierung und zugleich auf das daran gebundene subjektive Leiden. Diese spitzt sich schließlich in einer existenziellen Bedrohung zu (‚nichts mehr machen‘ als Synonym für ‚nicht mehr sein‘). Zugleich zeigt sich in der Darstellung der Krise und der erlittenen Bedrohung des Selbst, dass das Selbst noch heute nicht umfassend gesichert ist. Die alte Konzeption wurde nicht aufgegeben oder transformiert, sondern lediglich abgespalten und verdrängt bzw. durch eine transformierte jedoch oberflächliche Selbstkonzeption ersetzt. Diese neue Selbstkonzeption ist bisher nicht expliziert und kommt allenfalls in den Brüchen und halbherzigen Distanzierungen als polares Gegenkonzept zum Ausdruck. Es entfaltet aber eine nur geringe Stabilitätswirkung, da unterschwellig das biologisch determinierte Selbst weiter fortbesteht. Schließlich kann mit dieser Sequenz die zuvor formulierte Strukturhypothese zur Krisenproblematik des Selbst hier bestätigt und konkretisiert werden. Sie soll nun abschließend zusammengefasst werden:

Bereits die Eröffnung der Darstellungen der Interviewten, die sich zu Anfang zunächst noch auf die Aushandlung der Strukturierung der biographischen Präsentation bezogen hatte, machte deutlich, dass in der dominant gesetzten Rahmung der Interaktionssituation durch den Interviewer die Umsetzung einer biographischen Darstellung erschwert ist. Dabei hatte die Interviewte nicht nur die Komplexität hinter den Erzählaufforderungen zu reduzieren und zwischen widersprüchlichen Anforderungen eine Balance herzustellen versucht, sondern sie musste vor allem das dominante Gestaltungsprinzip der eigenen subjektiven Relevanzen mit einem markanten Bruch in den eigenen Relevanzkriterien und der daraus resultierenden konstruktivistischen Wahrnehmung des Lebensverlaufs vermitteln. Somit zeigte sich zu Beginn bereits in Ansätzen eine zentrale Krisenproblematik der Interviewten, die sich auch in der Schwierigkeit einer lebensgeschichtlichen Darstellung äußerte.

Als zentrale Krisenproblematik kann nun bei Maren auf einen durch veränderte Rahmenbedingungen ausgelösten und erzwungenen Bruch bzw. einer erzwungenen Behinderung der bis dahin das Selbst dominant prägenden Orientierungen verwiesen werden. So konnte herausgearbeitet werden, dass besonders in der lebensgeschichtlichen Zeit bis zur Einschulung die Orientierung auf körperlich-expressive Bewegungsformen (hier Ballett und Tanz) nicht nur das Selbst konstituierten, sondern auch die habituellen Orientierungen und Wertvorstellungen prägten. Dabei ist zwar noch offen, ob Maren eher ‚zufällig‘ mit diesen Betätigungsfeld in Kontakt kam oder durch die Eltern (bzw. andere signifikante Bezugspersonen) darauf verwiesen wurde. In beiden Varianten stellt sich jedoch eine starke und positive Selbstbezogenheit zu diesen Tätigkeitsbereichen her, die schließlich zur Ausprägung einer Selbstkonzeption führt, in der das Selbst und der Selbstwert vor allem über die Umsetzung dieser Tätigkeiten bestimmt werden. So generiert sich ein biologisch-anthropologisches Selbstkonzept, in dem die erfahrene Kompensationsfähigkeit oder die erfolgreiche Transmission an die Tätigkeit gebundener habitueller Orientierungen in ein festes Selbstkonzept der angeborenen Wesensmerkmale überführt werden.

Zum Ausbruch der Krisenproblematik kommt es mit den neuen Anforderungen durch die Schule. Hier werden nicht nur andere (z.B. rational-leistungsbezogene) Anforderungen gestellt, sondern auch die dominante Wertigkeit der ästhetisch-körperlichen Bewegungsformen markant geringer anerkannt. Zudem kann die neue Rahmung mit dem Schulbesuch auch neue Anforderungen in der Familie hervorbringen, insofern dort die bisherigen Anerkennungsmodi ebenfalls modifiziert werden. Maren ist hier in die biographische Situation eines erzwungenen Bildungsprozesses gestellt, bei dem sie neue Anforderungen in ihr Selbstkonzept integrieren und die Dominanz früherer Orientierungen aufweichen muss. Die parallel zu markierende Krise scheint jedoch so stark, dass eine Umorientierung nicht gelingt.

Hier können zunächst zwei Strategien des Umgangs aufgezeigt werden. Auf der einen Seite deutet sich eine Modifikation der sportlichen Aktivitäten an, die mit dem Wechsel zum Kampfsport einerseits bessere Kompensationsmöglichkeiten bieten (auch Aggressionen freisetzen können) und andererseits sich vielleicht dem neuen Anerkennungsmodus der Leistungserbringung annähern. Auf der anderen Seite kann eine tendenzielle Distanzierung von den früher dominanten Orientierungen nachgezeichnet werden. Jedoch zeigt sich hier, dass die Distanzierung eher oberflächlich erfolgt, über kontinuierliche Tradierungen des Selbstkonzeptes mit Entfremdungs- und Leidensprozessen verbunden ist und letztlich eine Abspaltung und Trennung des Biographischen bewirkt, die einerseits die Schwierigkeit der biographischen Präsentation durch eine konstruktivistische Sicht auf das gelebte Leben begründen kann, andererseits aber auf die Verstrickung in eine zentrale Krisenproblematik verweist, bei der Anteile des Selbst zugleich hochbedeutsam und nicht zugelassen (sondern abgespalten) sind.

So zeigt die Rekonstruktion, dass Maren sich auf der einen Seite von den früheren habituellen Orientierungen zu distanzieren sucht und darüber ihr Selbst bzw. die Selbstkonzeption an den neuen Anforderungen und Rahmungen angleicht, andererseits aber diese Orientierungen jedoch derart habitualisiert und zudem auf ein grundlegenderes biologisch-anthropologisches Selbstkonzept bezogen sind, dass diese latent tradiert werden. Da diese Kontinuität nun nicht zugelassen ist und bewusst gemacht werden kann, entsteht nicht nur die Getrenntheit von Lebensphasen (vor und nach der Einschulung), sondern auch eine Zerrissenheit der Selbstkonzeption und des Selbstwertes. Die damit verbundenen Selbstspannungen bestehen einerseits darin, dass bestimmte Orientierungen, Wertehaltungen und Aktivitäten immer zugleich bedeutsam und bedeutungslos (hier also konstruktivistisch) erscheinen. Andererseits erscheinen aber auch die Selbstbezogenheit und das lebensgeschichtliche Bezugssystem hochgradig anfällig, veränderlich und ungewiss. So bleibt das biologisch-anthropologische Selbstkonzept und die daran gebundenen habituellen Orientierungen – gleichwohl abgespalten und in das Unbewusste verdrängt – der zentrale Bezugspunkt der Selbstwahrnehmung und des Selbstwertes. Das latente Selbstkonzept konfligiert jedoch zwangsläufig nicht nur mit qualitativ anderen Anforderungen z.B. in der Schule, sondern auch mit den eigenen manifesten Selbstkonzepten und Orientierungen. Gerade deshalb generiert sich hier das dominante Krisenpotential, weil die Orientierung, die dominant das Selbst und den Selbstwert bestimmt, hier auch die Krisen und Verletzungen des Selbst kompensieren kann (z.B. im Versagen bei schulischen Anforderungen), zugleich jedoch vom Bewusstsein abgespalten ist und sich in der latenten Reproduktion eines biologisch determinierten Selbst eine massive Entfremdungs- und Leidensproblematik unter den neuen Rahmungen (der Schule) bildet, die unterschwellig fortbesteht.

Fußnoten

[1] Ich gehe deshalb bei dieser Passage noch nicht Wort für Wort in der Rekonstruktion vor, sondern betrachte wie im Stimulus die Passage insgesamt als Sequenz (vgl. auch das Vorgehen von Oevermann u.a. 1979).

[2] An dieser Stelle wird die bisher konsequent verwendete männliche Form des Interviewten aufgegeben. Diese diente vor allem einer Disziplinierung der rekonstruktiven Perspektive und der damit verbundenen künstlichen Naivität. Mit dieser Passage ist jedoch eher von einer weiblichen Interviewten auszugehen, gleichwohl die Sportarten auch maskuline Charakteristika enthalten (besonders beim Kampfsport). Selbstverständlich wäre eine Ableitung geschlechtspezifischer Besonderheiten möglich, würde hier jedoch eher von der schon herausgearbeiteten Strukturproblematik ablenken. Denn ob nun eine Junge oder ein Mädchen mit typisch weiblichen Anforderungen bricht und diese latent doch weiter verbürgt ist letztlich für die Feststellung des Bruches selbst und der daraus resultierenden Krisenproblematik nicht zentral.

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