Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

1. Handgruß1

Regulär fassen sich im Anschluss an das Morgenlied alle Kinder wieder an den Händen. Ein Kind wird von der Klassenlehrerin ausgewählt, den Handgruß zu verschicken. Dies macht es, indem es die Hand seines rechten Nachbarn drückt und dann „Abgeschickt!“ sagt. Ist der Handgruß wieder bei dem Kind angekommen, welches ihn verschickt hat, meldet es: „Angekommen!“. Wie auch das Morgenlied fördert der Handgruß das Gemeinschaftsgefühl und schafft Nähe zwischen den Kindern. Sie fassen sich an den Händen und müssen sehr genau darauf achten, was der Nachbar macht, damit sie mitbekommen, wann der Gruß sie erreicht hat. So wird auch die Aufmerksamkeit gesteigert und ebenso können die Kinder auf diese Weise Geborgenheit erfahren und einen ruhigen, entspannten Moment erleben. Dies wird von der Klassenlehrerin betont.

Ja, weil ich das schön finde, weil halt die wirklich zur Ruhe kommen dabei und normalerweise konzentrieren die sich auch wirklich dann auf die Hände. Also das ist, dann sind auch eigentlich leise. Also es klappt am Ende, klappt das normal auch immer gut. Was wir jetzt haben, dass da Kinder bei sind, die es einfach nicht verstehen, ne, das ist halt, natürlich muss ich deshalb dann rumgehen, dass die das Mal begreifen, was sie wirklich da machen sollen, aber das [den Handgruß (C.M.)] find‘ ich wirklich ganz schön, auch.(.) Ich kenn’s halt auch vom Religionsunterricht, dass man das macht, einfach so, dass man die Kinder (einmal) (wieder runter) und das die dieses Stillegefühl einfach mal kennenlernen. Das kennen die oft gar nicht.

1.1 Einführung

Der Handgruß war den Zweitklässlern ebenfalls schon aus ihrem ersten Schuljahr bekannt. Für die Erstklässler wird er an ihrem zweiten Schultag eingeführt. Die Klassenlehrerin erklärt ihnen, wie dieser Gruß „verschickt“ wird. Den verantwortungsvollen Teil des Losschickens bekommt beim ersten Mal ein Junge übertragen, dem der Handgruß schon bekannt ist.

Anschließend wird der Handgruß eingeführt. Frau J. erklärt den Kindern, dass dies ein ganz besonderer Gruß sei und immer ein Kind ausgesucht werde, welches den Gruß verschicken darf. Alle Kinder drücken sich dann nacheinander die Hände, bis der Gruß wieder beim Kind das ihn gestartet hat, angekommen ist. Samed kennt den Gruß schon aus dem Kindergarten. Heute darf er den Gruß verschicken. Ein paar Kinder müssen erinnert werden, den Gruß weiterzuschicken, aber den meisten Kindern gelingt es schon gut.

Der Handgruß wird aufgrund des unterschiedlichen Schulbeginns der ersten und zweiten Klassen nicht immer im Anschluss an das Morgenlied praktiziert. Die Klassenlehrerin verschiebt, ab der zweiten Woche, den Handgruß auf den Schulbeginn der Zweitklässler, sodass sie am Gruß teilnehmen können. Dies scheint keines der Kinder zu stören.

1.2 Entwicklung und Akzeptanz

Bei der Durchführung haben einige Kinder, sowohl der ersten, als auch der zweiten Klasse noch Probleme, die auch durch die Klassenlehrerin im Interview angesprochen werden (s. o.). Zum Teil scheinen sie nicht verstanden zu haben, was sie machen sollen. Dies gilt vor allem für drei Kinder, die nur sehr geringe Deutschkenntnisse haben. Wenn Kinder Hilfe brauchen oder der Handgruß nicht mehr weitergeleitet wird, weil Kinder nicht aufgepasst haben, hilft in den meisten Fällen die Lehrerin, in dem sie zum Beispiel zu den Kindern hingeht, die Hilfe benötigen oder sogar den Handgruß von Neuem starten lässt. Nur selten reagieren die Kinder, indem sie den anderen Kindern weiterhelfen. Probleme haben viele Kinder mit dem Sprechakt in dieser Handlung. So vergessen einige „Abgeschickt!“ bzw. „Angekommen!“ zu sagen. Sie werden aber nur teilweise erinnert, dies doch noch zu tun. Auch scheint einigen Erstklässlern noch nicht klar zu sein, dass der sprachliche Part des Handgrußes nur vom ersten Kind erfüllt wird. Einige geben zwischendurch Bescheid, dass sie den Gruß „abgeschickt“ haben. In diesen Fällen erinnert die Klassenlehrerin sie daran, dass nur das erste Kind dies sagen darf. Die Kinder sind aber generell darum bemüht, dass der Handgruß verschickt wird. So schlugen sie eine alternative Zeit vor, als dies einmal nicht klappte. Die Klassenlehrerin stimmte dem zwar zu, vergaß es später allerdings.

2. Folgerungen

Der  Schulalltag  in  der Froschklasse wird vor  allem  durch  Rituale  und ritualisierte  Handlungen gestaltet.  Den  täglichen Unterrichtsverlauf beeinflussen besonders die ritualisierten Handlungen. Regeln spielen in ihrer reinen Form keine große Rolle. Sie werden meist mit Hilfe von ritualisierten Handlungen umgesetzt und so bei ihrer Einhaltung unterstützt, wie zum Beispiel die Klassenregeln mit Hilfe der Ampel durchgesetzt werden.

In der  Froschklasse gibt es hauptsächlich Rituale und ritualisierte Handlungen, die bewusst durch die Lehrerin eingeführt wurden bzw. die ganze Schule betreffen, wie die Einschulungsfeier und der Offene Anfang. Eine Ausnahme ist das Stillezeichen, dass durch die Kinder von der vorherigen Klassenlehrerin weiter getragen wurde. Es gibt ansonsten keine Rituale oder ritualisierte Handlungen, die durch die Kinder initiiert wurden.

Die Rituale, die sich in der Eingangsklasse finden, dienen vor allem der Förderung des Gemeinschaftsgefühls und zur Integration in die Gruppe, geben den einzelnen Kindern aber auch Möglichkeiten sich auszudrücken, wie beim Erzählkreis am Montag. Die  ritualisierten Handlungen der Klasse, die eine entscheidende Rolle spielen, bieten den Kindern vor allem Struktur und Orientierung, wie sich am Beispiel des Tagesplans zeigt. Ebenso hilft die Ampel den Kindern dabei, sich zu orientieren,  ob das gezeigte  Verhalten angemessen war. Oft dienen die ritualisierten Handlungen als Arbeitserleichterung und zur Minimierung des Sprechanteils der Lehrerin, wie bei der Triangel und den Symbolkarten.

Die Vorteile die sich aus dem jahrgangsübergreifenden Unterricht ergeben können, wie Mayer dies beschreibt (Mayer 1994, S.227), sind in der Froschklasse kaum genutzt. Die Lehrerin übernimmt die Einführung der Rituale und lässt dies nicht über die Nachahmung der Zweitklässler geschehen. Hierfür liegen unter anderem zwei Probleme zugrunde. Zum Ersten haben die Erstklässler in den ersten Wochen einen unterschiedlichen Schulbeginn und zu einer anderen Zeit Schulschluss, als die Zweitklässler. So erleben sie, zumindest in den ersten Wochen, in der Klasse wichtige Rituale getrennt von den Zweitklässlern und es wäre schwierig diese dennoch mit der ganzen Klasse durchzuführen. Zum Zweiten  ist die Größe der Klasse für  jahrgangsübergreifenden Unterricht problematisch. Schwarz sieht die Grenze, bei der jahrgangsübergreifender Unterricht Vorteile bringt, bei zwanzig Kindern in einer Klasse (Schwarz 1994, S.77). Die Froschklasse jedoch hat 31 Kinder und zudem keine zweite Pädagogin, die diesen Umstand eventuell ausgleichen könnte.

Veränderungen, die von den Kindern vorgeschlagen werden, wie zum Beispiel  die  angepasste  Zeile des  Abschiedsspruchs,  werden nicht  immer angenommen. Dies liegt zum Teil daran, dass die Vorschläge der Kinder im Trubel des Schultages untergehen. Wichtige Veränderungen, wie eben die des Abschiedsspruches, werden von der Lehrerin angenommen.

Fußnoten:

(1) Beobachtet wurde drei Wochen in der Eingangsklasse E b. Zudem wurde ein Interview mit der Klassenlehrerin geführt. Die Eingangsklasse E b, die Froschklasse, bestand am ersten Tag nach den Sommerferien aus neun Mädchen und fünf Jungen, die bereits im letzten Schuljahr diese Klasse besucht haben. Zusammen mit den Erstklässlern sind in der Klasse 16 Mädchen und 15 Jungen. Drei Kinder gehen regelmäßig in eine Gruppe für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache, welche die Schule für Kinder mit sehr geringen Deutschkenntnissen ab der zweiten Klasse anbietet.

Literatur:

Mayer, Werner G. (1994): „Riten, Regeln, Rituale“. In: Kohls, Eckhard (Hrsg.): Grundbegriffe zur Erziehung, zum Lernen und Lehren in der Grundschule. Heinsberg: Agentur Dieck, S. 226-240.

Schwarz, Hermann (1994): Lebens- und Lernort Grundschule. Prinzipien und Formen der Grundschularbeit, Praxisbeispiele, Weiterentwicklungen. Frankfurt am Main: Cornelsen Scriptor (=Lehrer-Bücherei: Grundschule).

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