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Falldarstellung

Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll vom 7. Dezember 2006

 In der Frühstückspause: Während Hasan und Chiara ihr Pausenbrot essen, unterhalten sie sich auf Deutsch. Hasan bemerkt: „Du hast eben ,no’ gesagt, Chiara, n – o. Das ist Englisch.“ Hasan überlegt einen Augenblick und fährt dann fort: „Man kann auch sagen ,yes’, y – e – s.“ Chiara nickt und erwidert: „Im Italienischen sagt man auch ,no’.“ Die beiden werden vom Lehrer unterbrochen, der um Aufmerksamkeit bittet.

Diese Reflexionen über Sprachen werden regelmäßig außerhalb des regulären Unter­richts von den Schülerinnen initiiert. Hasan stellt hier fest, dass Chiara die Vernei­nung in einer anderen Sprache sagte. Er hört das italienisch ausgesprochene [no] und ordnet es der englischen Sprache [nou] zu. Das Schriftbild der Verneinungen in beiden Sprachen ist identisch, hier wird lediglich über die Lautung gesprochen, die allerdings voneinander abweicht. Hasan beweist, dass er auch die englische Beja­hung sowohl mündlich als auch schriftlich kennt: ,yes’ buchstabiert er in deutscher Sprache. Bejahungen und Verneinungen werden häufig als erstes in einer fremden Sprache gelernt. In dieser Klasse fließen ab und zu kleine Sequenzen in Englisch integrativ in den Unterricht ein [1], sodass die Schülerinnen zumindest die Lautung dieser beiden Wörter im Englischen kennen. Da keine Schrift als Referenz vorhan­den ist und er dennoch zwei unterschiedliche Sprachen miteinander verbindet, scheint Hasan, der selbst mehrsprachig ist, ein Bewusstsein für mehrere Sprachen zu haben.

Hasan und Chiara nutzen die deutsche Sprache um sich über Begriffe in anderen Sprachen zu unterhalten. Da sie unterschiedliche Herkunftssprachen haben, benut- zen sie das Deutsche als Kommunikationssprache, wie dies auch im Unterricht üb­lich ist. Obwohl der Lehrer offensichtlich nur die Deutschkenntnisse der Schülerin­nen fordert und keineswegs auf die Herkunftssprachen der Kinder eingeht, kommen dennoch die Einbeziehung und der Vergleich zwischen den Sprachen von den Schülerinnen selber. Dies lässt vermuten, dass mehrsprachige Kinder das Bedürfnis haben, sich über ihre Sprachen zu unterhalten. Der Lehrer bekommt von diesem Sprachpotential der mehrsprachigen Schülerinnen kaum etwas mit. Wäre dies je­doch der Fall und ginge er auf die Äußerungen von Chiara und Hasan ein, so könn­ten diese beiden Sprachen anhand von Begriffen wie „ja“, „nein“, „danke“, „bitte“, „guten Tag“, „hallo“, „auf Wiedersehen“, usw. verglichen und durch die vielen ‚mitgebrachten’ Sprachen der Klasse erweitert werden.

Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll vom 7. Dezember 2006

In derselben Frühstückspause hat der Lehrer mehrere imaginäre Namen an die Tafel ge­schrieben. Chiara zeigt auf einmal an die Tafel zum Namen ,Ritter Tasso’ und behaup­tet aufgeregt: „Guck mal, da steht Ritter Tasso! ‘tasso’ ist im Italienischen der Tast­sinn.“ und tippt sich mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf ihre linke Handfläche. Hasan blickt auf ihre Hände und murmelt: „hmm“. Mateiu guckt an die Tafel und meint: „Da steht auch was zu essen. Banane, Ba-na-ne, Ba-na-no. Haha.“ Das Wort Ba­nane steht nicht an der Tafel, dafür aber mehrere andere dreisilbige Wörter aus dem Themenbereich Nahrang (Ananas, Tomaten, Salami, Melone sowie Salat und drei Do­sen Datteln).

Chiara verbindet den Namen ,Ritter Tasso’ mit einem Begriff aus ihrer Erstsprache Italienisch. Sie wirkt aufgeregt und ihr scheint es von Bedeutung zu sein, ihre Ent­deckung den anderen mitzuteilen. Sogleich erklärt sie ihren beiden Mitschülern, dass es das Wort ,tasso’ im Italienischen auch gebe und unterstreicht den Begriff mit der entsprechenden Gebärde. Hasan scheint zwar zugehört zu haben, aber nicht sonder­lich beeindruckt zu sein. Im Gegensatz dazu nutzt Mateiu die Gelegenheit, um zu lesen, was außerdem an der Tafel steht. Da dort mehrere dreisilbrige Wörter ange­schrieben sind und Mateiu ebenfalls ein (ausgedachtes) Wort mit drei Silben ver­wendet, lässt sich seine ,Wortwahl’ durch den gleichen Wortklang erklären. Er sagt zunächst den Begriff ,Banane’, zerlegt ihn dann in Silben und ändert schließlich die Endung, die – ebenso wie das italienische ,nein’ – auf ,-no’ endet. Hat Mateiu even­tuell die Hypothese aufgestellt, dass alle italienischen Wörter auf ,-o’ enden? Bei der Verneinung ,no’ und ,tasso’ ist dies der Fall. Dies könnte der Grund dafür sein, weshalb er Banane zu Banano umändert. Da Mateiu lacht, ist anzunehmen, dass er die Silbe ganz bewusst verändert hat und so ein kreatives Wortspiel geschaffen hat. Inwiefern Mateiu der italienischen Sprache mächtig ist, kann ich nicht beurteilen. Denn erst einige Wochen später stellte sich heraus, dass die Mutter des rumänisch­stämmigen Jungen Italienisch mit ihm spricht und bis dahin gab es keine Anzeichen für seine Italienischkenntnisse. Im Rumänischen heißt Banane: bananä und wird wie im Deutschen ausgesprochen [banana], die Lautung ist also mit seinem ausgedach­ten Begriff ,banano’ nicht identisch.

Die spielerische Veränderung des Begriffs ,Banane’ lässt darauf schließen, dass Ma­teiu über ein Sprachbewußtsein verfügt, das nach Bartnitzky die Meta-Ebene meint, nämlich „das Nachdenken und Wissen über sprachliches Handeln.“ (Bartnitzky 2000, S. 20). Wie Oomen-Welke zudem erklärt, haben Kinder „[w]enn sie Sprachli­ches kommentieren, schon Vorstellungen von und Einstellungen zu Sprachlichem, die sie im Formulieren als Subjektive Theorie konstruieren. Lehrpersonen erfahren dadurch etwas über das Denken der Kinder, so dass sie ihr Lernangebot daran orien­tieren können.“ (Oomen-Welke 2000, S. 146).

Fußnoten:

[1] Dieses Vorgehen entspricht dem rheinlandpfälzischen Konzept der integrierten Fremdsprachenarbeit.

Literatur: 

Bartnitzky, H. (2000): Sprachunterricht heute. Sprachdidaktik – Unterrichtsbeispiele – Pla­nungsmodelle. Berlin: Coraelsen Lernhilfen.

Oomen-Welcke, I. (2000): Umgang mit Vielsprachigkeit im Deutschunterricht – Sprachen wahrnehmen und sichtbar machen. In: Deutsch lernen, Heft 2, S. 143-163.

 

Mit freundlicher Genehmigung des Schneider Verlages.
http://www.paedagogik.de/index.php?m=wd&wid=2196

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