Hinweis – Der Fall kann gemeinsam gelesen werden mit:

 

Einleitende Bemerkungen

Während sich die bisherigen Ausführungen allesamt auf die mit den Lehrkräften geführten Interviews beziehen, steht im Folgenden tatsächlich beobachteter Unterricht im Mittelpunkt der Analyse. Der beschriebene Unterricht findet in einer 6. Klasse eines niedersächsischen Gymnasiums statt. Die Lehrkraft ist männlich und hat keinen Migrationshintergrund. Thema der Stunde ist die römische Familie.

Zu Beginn der Stunde begrüßt der Lehrer die Schüler_innen mit »Hallo«, fordert sie auf, sitzen zu bleiben und fragt nach einer anderen Sprache für die Begrüßung. Darauf antwortet ein Schüler: »Hola.« Der Lehrer begrüßt die Schüler_innen mit »Hola« und diese erwidern seinen Gruß. Die Begrüßung wird fortgesetzt:

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Herr Ludwig: »Welche Sprache ist das?«

Joachim: »Spanisch.«

Herr Ludwig »Ja genau. Super.«

Alexander: »Salut.«

Herr Ludwig zur Klasse: »Salut.«

Klasse: »Salut.«

Herr Ludwig: »Welche Sprache ist das?«

Alexander: »Französisch.«

Da die Schüler_innen nicht überrascht auf die Aufforderung reagieren, die Begrüßung in einer anderen Sprache als Deutsch vorzunehmen, ist anzunehmen, dass die Lehrkraft den Unterricht häufig so beginnt. Es könnte sich also um einen ritualisierten Unterrichtsbeginn handeln (aber auch um einen durchaus nicht ungewöhnlichen Ausdruck spontaner Kreativität). Ein Abgleich mit dem Fragebogen, in dem erhoben wurde, welche Sprachen die Schüler_innen zuhause sprechen, zeigt, dass die Schüler_innen hier keine Begrüßungen wählen, die ihnen von dort bekannt sind. Der Großteil der Schüler_innen, die in der Familie neben Deutsch noch eine andere Sprache sprechen, nennt hier Türkisch. Weitere Sprachen, die von einigen Schüler_innen gesprochen werden, sind Polnisch, Russisch, Georgisch, Griechisch, Albanisch und Usbekisch.

Diese kurze Sequenz ist zum einen ein Beispiel dafür, wie Fremdsprachen im Unterricht wertgeschätzt werden können, zum anderen zeigt es, dass diese Wertschätzung nicht mit einer Besonderung einzelner Schüler_innen einhergehen muss; einer Besonderung, wie sie oben bereits beschrieben wurde. Die Lehrkraft fragt hier nicht, wie die Schüler_innen (mit Migrationshintergrund) ihre Eltern, Geschwister oder Verwandte begrüßen, sondern baut ganz allgemein Begrüßungsfloskeln anderer Länder in den Unterricht ein. Antworten können hier sowohl die Schüler_innen mit als auch die ohne Migrationshintergrund. So erfahren (potenziell) alle Schüler_innen den positiven Wert von (Fremd-)Sprachenkenntnissen. Es handelt sich u.E. hierbei um eine besondere Spielart oder ein Unterlaufen des Prinzips Interkulturelles Frühstück, das nicht einzelne Schüler_innen in den Mittelpunkt rückt und so ihr »Anderssein« im Vergleich zu den Mitschüler_innen hervorhebt. Ebenso wie Frau Önal (siehe Interviewpassage zu »Motiven für Migration«) ermöglicht Herr Ludwig so seinen Schüler_innen, einen Expertenstatus aufgrund eines Migrationshintergrundes zu zeigen, erzwingt ihn aber nicht.

Es ist allerdings etwas irritierend, dass keine der »Familiensprachen« der Schüler_innen zum Zuge kommt. Warum? Hat dies mit der unterschiedlichen und von den Schüler_innen verinnerlichten Bewertung je spezifischer Sprachenkenntnisse zu tun, wonach ein deutsch-französischer Bilingualismus mehr gilt als etwa ein deutsch-türkischer?

Anmerkung der AutorInnen

Zum Schluss […] gilt es noch festzuhalten, dass die aufgeführten Beispiele weitgehend – die Migrationsgeschichten von Frau Önal bilden hier eine Ausnahme – keinen fachspezifischen Bezug aufweisen, der Geschichtsunterricht hier mithin zumeist ein eher zufälliger Ort ist und die Beispiele sich auch in anderen Fächern hätten ereignen können. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass wir das Prinzip Interkulturelles Frühstück in der beispielsweise von Frau Önal kritisierten Variante in dem von uns erhobenen Videomaterial von Unterrichtsstunden des Faches Geschichte nicht finden konnten. Das mag zum einen daran liegen, dass es sich um eine besondere Situation handelt, die nicht in die täglichen Unterrichtsabläufe integriert ist. Es kann jedoch auch sein, dass das Prinzip Interkulturelles Frühstück zwar vielen Lehrkräften bekannt ist – schließlich spielt es ja auch in außerschulischen Kontexten eine prominente Rolle – und quasi als Prototyp des interkulturellen Lernens gelten mag. Daher müssen und wollen sich Lehrkräfte unter Umständen in den von uns geführten Interviews dazu positionieren.

Fußnote

[1] Zu diesem Beispiel s. a. Konrad & Kölbl (2014).

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