Einleitende Bemerkungen

Der vorliegende Fall wurde als biographisch-narratives Interview (vgl. Schütze 1983, 1984) mit einem Fokus auf die Berufsbiographie erhoben. Er handelt von einem Schulsozialarbeiter, der an einer Haupt- und Realschule mit einem Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche mit besonderen Förderbedarf arbeitet. Der Schulsozialarbeiter ist 44 Jahre alt und hat auf dem zweiten Bildungsweg Soziale Arbeit studiert. Nachdem er einige Jahre als Einzelfallbetreuer mit Kindern mit besonderem Förderbedarf gearbeitet hat, wechselt er an die o.g. Schule. Die Auseinandersetzung mit kindlicher bzw. jugendlicher Sexualität wird von dem Schulsozialarbeiter als ein selbstverständlicher Aspekt seiner beruflichen Arbeit beschrieben. Die berufsbiographische Erzählung enthält insgesamt facettenreiche Thematisierungen von Sexualität, die von der besonderen Sympathie zu einer Schülerin über den Verdacht auf sexualisierte Gewalt gegen Schülerinnen bis zur Auseinandersetzung mit gewaltbetroffenen Kolleginnen reichen. In dem ausgewählten Erzählsegment, das aus dem Nachfrageteil des Interviews stammt, wird eine Situation aus der pädagogischen Praxis an der o.g. Schule thematisiert, die von dem Schulsozialarbeiter als alltägliches Ereignis eingeordnet wird.

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

1. Interaktive Aushandlung der Sprecherpositionen

Narrative Identität wird interaktiv ausgehandelt und hervorgebracht. In einem ersten Schritt werden daher jene zur Erzählaufforderung zugehörigen Sequenzen betrachtet, welche Auskunft über die Beziehung zwischen der Interviewerin und dem Schulsozialpädagogen, über die bestimmten Perspektive, die auf Sexualität[1]  eingenommen wird und über die Zuweisung von Sprecherpositionen und sozialen Identitäten gibt (Zeile 1-7).

Bezüglich der narrativen Selbstpräsentation der Interviewerin können drei Aspekte festgehalten werden. Erstens präsentiert sie sich mit einer auf Höflichkeit und Respekt zielenden Haltung gegenüber dem Schulsozialpädagogen („Ihnen“) und einem offenen Interesse an einer möglichst umfassenden Erzählung („weitere Situationen“, „irgendwie“). Der Fokus ihres Interesses liegt auf den persönlichen Erlebensdimensionen pädagogischen Handelns („wo sie gefordert waren“) bzw. auf der persönlichen Involvierung des Pädagogen, die als affektive Betroffenheit („geschmeichelt sein“) eingeführt wird. Es wird eine Beziehungsdimension angesprochen, die den spürbaren Körper bzw. Leib des Schulsozialarbeiters ins Zentrum rückt und die Möglichkeit der affektiven Verstrickung von Schulsozialarbeiter und Schülersubjekt(en) thematisiert. Zweitens präsentiert sich die Interviewerin in Bezug auf die Form der Thematisierung sexuell-affektiver Beziehungsdimensionen als ausdrucksunsicher („ich weiß nicht wie ich das sagen soll“). Drittens verändert sich die Anrede des Schulsozialpädagogen von der direkten Anrede („Sie“) innerhalb der ersten Teilfrage nach fordernden Situationen des pädagogischen Schulalltages, hinzu einer indirekten Anrede („man“) innerhalb der zweiten Teilfrage nach der affektiven Erlebensdimension pädagogischen Handelns. Diese Form der ent-individualisierten Adressierung verweist auf die Tabuisierung sexualitätsbezogener Aspekte und kann in dreierlei Hinsicht interpretiert werden:

• Als Form des Entlastungshandelns in der Thematisierung sexuell-affektiver Beziehungsaspekte. Es ist möglich, dass die Ansprache sexuell-affektiver Erlebensdimensionen bei der Interviewerin selbst Unbehagen bzw. Schamgefühle auslöst und eine Distanzierung vom Gegenstand erforderlich macht.

• Als Form der grenzsensiblen Thematisierung sexuell-affektiver Erlebensdimensionen im Interview, die das Gegenüber nicht in Bedrängnis oder einen Rechtfertigungsdruck bringen sollen.

• Als Form der Solidaritätspositionierung mit möglichen sexuell-affektiven Erfahrungen des Schulsozialarbeiters, die nicht ihm allein unterstellt, sondern auch auf andere, einschließlich der Interviewerin selbst, verallgemeinert werden.

Die Selbstpositionierungen des Schulsozialarbeiters in diesen ersten Sequenzen (Zeile 1-7) erfolgen komplementär zu den Positionierungsakten der Interviewerin. Er unterbricht die Interviewerin mehrfach während sie ihre Frage formuliert, und zwar dann, wenn sie Offenheit („irgendwie“) oder Unsicherheit („ich weiß nicht wie“) ausdrückt. Zum einen wird also komplementär zu der Deutungsoffenheit der Interviewerin von dem Schulsozialpädagogen  Deutungssicherheit ausgedrückt („[Naja das ist auch“). Zum anderen wird komplementär zu der Ausdrucksunsicherheit der Interviewerin die eigene Erzählbereitschaft signalisiert. Diese erfolgt nicht im Widerspruch zu der Interviewerin, sondern in Zustimmung („[ja“). Der Schulsozialarbeiter positioniert sich damit kooperativ in Bezug auf die von der Interviewerin eingebrachten Inhalte, er signalisiert zugleich eine unterstützende Haltung gegenüber der unsicheren Selbstpositionierung der Interviewerin und übernimmt aktiv (durch Unterbrechung) die Position des deutungssicheren Experten.

2. Narrative Identitätskonstruktion und Sexualität

Der Schulsozialarbeiter antwortet auf die Frage der Interviewerin auf der Basis eigener Erfahrungen. Es wird von einem sich im pädagogischen Alltag wiederholenden Ereignis („sag ich immer“) erzählt. Die Darstellung der sexualisierten Alltagserfahrung beginnt mit einer Faktizitätsbehauptung über die sexuelle Entwicklung von weiblichen Jugendlichen und einer Beschreibung der organisationalen Praxis. Beides rahmt die darauffolgende Beschreibung der Interaktion zwischen Schulsozialarbeiter und Schülerinnen, die in der Darstellung einiger interaktiver Elemente ihren Höhepunkt enthält. Die Darstellung endet im Modus der Argumentation und mit einer positiven Evaluation des zuvor dargestellten eigenen Handelns („das ist so () das Beste“).

2.1. Konstruktionen kindlicher bzw. jugendlicher Sexualität

Eine zentrale Kategorisierung, die der Schulsozialarbeiter vornimmt, um auf die Frage nach den persönlichen Verstrickungsdimensionen des pädagogischen Alltages zu antworten, ist die Kategorisierung der Schülersubjekte als „Mädchen“. Die Darstellung sexualisierter Alltagserfahrungen innerhalb des beruflichen Kontextes erfolgt somit in enger Verknüpfung mit der geschlechtlichen und generationalen Position weiblicher Schülersubjekte, die implizit der Position männlicher Schülersubjekte und der Position erwachsener Frauen (und Männer) gegenüber gestellt werden. Indirekt wird so eine generationale und vergeschlechtlichte Ordnung des pädagogischen Handlungszusammenhangs hervorgebracht, innerhalb derer sich der Schulsozialarbeiter selbst (weiter unten) als „Mann“ und Pädagoge positioniert.

Die Beschreibung der sexualisierten Alltagserfahrung basiert auf zwei zentralen Konstruktionen, über die das Wissen des Schulsozialarbeiters über und die Sichtweise des Schulsozialarbeiters auf die Sexualität von Jugendlichen rekonstruiert werden kann. Zum einen wird über die Verknüpfung von Geschlecht, Alter und Sexualität eine entwicklungspsychologische Vorstellung von Sexualität hervorgebracht, die davon ausgeht, dass es in der Lebensphase des Jugendalters grundsätzlich zu einer Auseinandersetzung mit dem sich verändernden eigenen Körper und der eigenen Geschlechtlichkeit kommt („es kommt natürlich vor dass Mädchen /äh/ gerade ich sag mal so dreizehn vierzehn ihre Weiblichkeit selber entdecken ()“). Die jugendlichen Schülerinnen werden als selbstbestimmt und autonom handelnde Subjekte fremdpositioniert („selber entdecken“). Die Darstellung enthält im Hinblick auf die Eindeutigkeit der geschlechtlichen und sexuellen Entwicklung jugendlicher Sexualität einige essentialisierende Aspekte („natürlich“, „Mädchen“, „Weiblichkeit“), wobei  implizit auch weitere Verknüpfungsmöglichkeiten von Geschlecht und Sexualität angedeutet werden („es kommt […] vor“). Mit dieser Darstellung wird ein implizites Wissen über die Entwicklung jugendlicher Sexualität angezeigt, die sich allerdings auf die weibliche Schülerschaft beschränkt, und an die eine Selbstpositionierung des Schulsozialarbeiters anschließt, der als Pädagoge auf die Verhaltensweisen seiner Schülerinnen vorbereitet ist, diese deuten und einordnen kann.

Eine zweite Konstruktion wird im Hinblick auf den schulischen Kontext hervorgebracht. Sexualisierte bzw. auf die eigene Geschlechtlichkeit und Sexualität bezogene explorative Handlungen weiblicher Schülerinnen werden als fester Bestandteil des Schulalltages dargestellt („und es ist auch bei uns völlig normal dass die sich ausprobieren“) und die schulische Ordnung wird in Bezug auf sexuell-exploratives Handeln von Schülerinnen als gewährend-unterstützend hervorgebracht. Die Fremdpositionierung der Schülerinnen als selbstbestimmt handelnde Akteure stützt diese Inszenierung der institutionellen Rahmung. Implizit wird so ein Wissen des Schulsozialarbeiters über den Zusammenhang von Sexualität und Autonomieentwicklung von Schülerinnen, sowie der Bedeutung der institutionellen Rahmung für diese Entwicklung angedeutet.

Mit der einleitenden Formulierung „guck mal meine Brüste sag ich immer“ wird die Sichtweise des Schulsozialarbeiters auf das explorativ-sexuelle Handeln weiblicher Schülersubjekte konkretisiert. Weibliche, jugendliche Sexualität wird hier auf der Ebene des selbstbestimmten Präsentierens und Sehens von Körpern bzw. bestimmter Körperstellen („Brüste“) verhandelt. Auf diese Weise wird zum einen ein kulturelles Muster aufgegriffen und reproduziert, nach dem „Brüste“ als das zentrale Symbol weiblicher Sexualität gelten und mit deren Veränderung ab Beginn der Adoleszenz Mädchen als sexuell wahrgenommen werden.[2]  Der gesamte Passus (Zeile 8-14) enthält eine starke Agentivierung  der Schülerinnen. Diese werden als handlungsmächtige Akteure positioniert, die über eine bestimmte Inszenierung des eigenen Körpers bzw. bestimmter Körperregionen („Brüste“, „hochgeschnallt“) ihr soziales Umfeld, also auch den Schulsozialpädagogen dazu auffordern[3] , sich mit ihnen als geschlechtliche und sexuelle Selbste auseinanderzusetzen, sie als diese wahrzunehmen und anzuerkennen. Das Handeln der Mädchen wird als zielstrebig („zack zack zack“) und intentional auf den Schulsozialarbeiter gerichtet, dargestellt („die kommen […] auf einen zu und sagen na“). Die Position des Sozialarbeiters wird komplementär zu der Positionierung der Schülerinnen als passiv dargestellt. Es wird eine Distanz zu den Schülerinnen ausgedrückt („die“), die sodann durch die Bewegung und Aktivität der Schülerinnen im Raum herausgefordert wird.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Thematisierung von jugendlicher Sexualität in diesem Segment auf die Darstellung von sexualisiertem Handeln weiblicher Schülersubjekte beschränkt. Sie basiert zum einen auf biologistischen bzw. entwicklungspsychologischen Konstruktionen von Sexualität, die in einem gewissen Alter im Zusammenhang mit einer festen geschlechtlichen Position für Schülerinnen an Relevanz gewinnt und von diesen selbstbestimmt über verschiedene (geschlechtsbetonte) Modifikationen des eigenen Körpers und einer bestimmten Form des Auftretens gegenüber anderen zum Ausdruck gebracht wird. Die Sexualität jugendlicher Schülerinnen erweist in der Perspektive des Schulsozialarbeiters somit als ein selbstbestimmter, lustvoller und spielerischer Umgangs mit dem eigenen Körper, der (auch) auf andere gerichtet ist und für diese mitunter herausfordernd und mitunter überwältigend wirken kann. Implizit wird so auch ein Wissen über das Bedürfnis der Schülerinnen an, von anderen, auch dem Schulsozialarbeiter, auch in ihrer erotischen Wirkung wahrgenommen und anerkannt zu werden.

2.2. Grenzziehungen in der pädagogischen Beziehungsgestaltung

Eine erste Grenzziehung wird von dem Schulsozialarbeiter bereits zu Beginn des Segments (Zeile 9-10) über die Selbstverortung innerhalb eines kollektiven Zusammenhangs vorgenommen („uns“), der mit der Position der Schülersubjekte kontrastiert wird („die“). Auf diese Weise wird die Selbstpositionierung des Schulsozialarbeiters als Vertreter der schulischen Ordnung sowie innerhalb eines generationalen Verhältnisses, das von einer Distanz zu den Schülerinnen gekennzeichnet ist, hervorgebracht. Die von der Interviewerin nachgefragten, persönlichen Erlebensdimensionen im Umgang mit Sexualität werden so institutionell abgesichert. Folgt man der sequentiellen Darstellung im weiteren Verlauf geraten weitere Grenzziehungen in den Blick, in denen der Schulsozialarbeiter sich zu dem dargestellten sexuellen Handeln der Schülerinnen ins Verhältnis setzt (Zeile 14-18).

Zum einen positioniert der Schulsozialarbeiter sein erzähltes Ich als Zuschauer, der von dem, was ihm geboten wird, amüsiert ist („((lachen)) und das das /äh/ ist ja auch eher eher () lustig anzusehen“). Diese Positionierung kann – in einer ersten Lesart – als der Versuch gelesen werden, das Handeln der Schülerinnen ins Lächerliche zu ziehen um den sexuellen Bedeutungsgehalt der Interaktion abzuschwächen und sich auf diese Weise zu distanzieren. Sie kann aber – in einer zweiten Lesart – auch als Ausdruck eines inneren Spannungszustandes interpretiert werden, der aus der eigenen affektiven Betroffenheit erwächst, die neben der angedeuteten Passivität/Überwältigung auch eine lustvolle Dimension enthält („((lachen))“, „lustig“), und der als notwendig empfundenen Distanzierung von dem sexuellen Bedeutungsgehalt der Situation erwächst. Das Lachen erscheint als Modus, mit dem ein Teil dieser erlebten Spannung entladen wird und mit dem, ebenso wie mit den Wortwiederholungen in dieser Sequenz  („das das“, „eher eher“), Zeit im Prozess des Erzählens gewonnen wird. Eine Auflösung dieses Spannungszustandes wird über die Kontrastierung der sich noch entwickelnden Sexualität („als Junge“) und der ‚gereiften‘ Sexualität („als Mann“) und der damit verbundenen generationalen Ordnung sexueller Beziehungen herbeigeführt. Implizit wird dabei auf sexualmoralische Vorstellungen rekurriert, die sexualisierte Beziehungen zu Schülerinnen bzw. zwischen Erwachsenen und Jugendlichen ausschließen. Mit Bezug auf die eigene Person wird eine affektive Betroffenheit von dem sexualisierten Handeln der Schülerinnen für die Gegenwart nicht gänzlich („etwas“), aber weitgehend ausgeschlossen und in die Vergangenheit verortet. Die eigene Position erscheint damit als Ergebnis eines (sexuellen) Bildungsprozesses. Sie kennzeichnet sich dadurch, dass eine Erzählung über die Erfahrung von Sexualität in pädagogischen Generationenverhältnissen möglich wird, die Sexualität in der pädagogischen Generationenbeziehungen zugleich ein- und ausschließt.

Eine weitere Grenzziehung wird symbolisch über die Bewertung des Kleidungsstils der Schülerinnen vorgenommen, die von dem Schulsozialarbeiter als nicht stilvoll und für den Schulkontext angemessen dargestellt werden („da hättest du mal besser nicht anziehen sollen“, „ne Strickjacke drüber wäre auch ganz gut“). Sexuelle Attraktivität wird hier zu einer Frage des Geschmacks erklärt, an der sich die Positionen des Schulsozialarbeiters und der Schülerinnen scheiden und anhand derer auf Seiten des Schulsozialarbeiters auf bestimmte Normalitätserwartungen hinsichtlich der schulisch-adäquaten Bekleidungsform geschlossen werden kann. Zugleich erfolgt die Bewertung des Kleidungsstils der Schülerinnen auf eine mit dem Anliegen der Schülerinnen mitfühlende Weise („oh weih oh weih oh weih“), was auf ein implizites Wissen des Schulsozialarbeiters über das Potential der Verletzbarkeit in den Dimensionen des Sexuellen und eine gewisse Sensibilität für die Bedürfnisse der Schülerinnen verweist.

Eine weitere Lesart legt nahe, dass über die bewertenden Äußerungen des Kleidungsstils, die auch gegenüber den Schülerinnen direkt geäußert werden, – trotz einfühlsamer Selbstpositionierung des Schulsozialarbeiters – auf einer symbolischen Ebene Gewalt ausgeübt wird. Bezogen auf die Ebene der schulhierarchischen Ordnung ist diese Form der Gewalt in der Möglichkeit des Schulsozialarbeiters enthalten, den Kleidungsstil der Schülersubjekte zu bewerten und durchzusetzen. Darüber hinaus wird auch auf der Ebene einer hierarchisierten Geschlechterordnung symbolisch Gewalt ausgeübt, indem auf Seiten des Schulsozialarbeiters in der pädagogischen Intervention die potentielle Modifizierung des weiblichen Körpers ins Zentrum gerückt wird. Begleitet wird diese Form der Gewaltausübung im vorliegenden Fall jedoch durch die aktive Grenzziehung und den Rückzug des Schulsozialarbeiters aus der Interaktion mit den Schülerinnen einerseits und der widerständigen Positionierung der Schülerinnen gegenüber der modifizierenden Intervention des Schulsozialarbeiters („wieso::“) andererseits, die als ein implizites Wissen über die Begrenzung der eigenen Handlungsmacht als Pädagoge interpretiert werden kann.

2.3. Konstruktionen pädagogischer Professionalität im Umgang mit Sexualität

Der pädagogisch-professionelle Selbstentwurf des Schulsozialarbeiters erschließt sich aus den vielfältigen Positionierungsakten, die in der Beschreibung der pädagogischen Alltagssituation herausgearbeitet wurden und weiteren selbstbezüglichen Positionierungsakten, die zum Abschluss des Erzählsegments vorgenommen werden.

Der narrative Selbstentwurf kennzeichnet sich zum ersten durch das vielfältig, implizit hervorgebrachte Wissen über die sexuelle Entwicklung weiblicher Jugendliche, eine Sensibilität im Umgang mit den Schülerinnen, sowie eine reflexive Verortung seiner Selbst und der Schülerinnen innerhalb einer Generationen- und Geschlechterbeziehung. In Bezug auf die pädagogisch-professionelle Positionierung, bringt sich der Schulsozialarbeiter als väterlich-sorgender Pädagogen hervor, der sich zwar verständnisvoll über die sexualisierten Handlungen der Schülerinnen äußert, sich aber nicht näher auf die diffuse Ansprache einlässt. Der Selbstentwurf kennzeichnet sich durch eine Zurückhaltung und Beiläufigkeit der pädagogischen Intervention, hier bezogen auf die Kommentierung des Kleidungsstils der Schülerinnen („mal“), die nur eine indirekte Bezugnahme auf den Körper der Schülerinnen beinhaltet („ne Strickjacke drüber“) und eher als Ratschlag, denn als Anweisung erfolgt („wäre auch ganz gut“). Implizit wird so die Grenze dessen abgesteckt, was aus Sicht des Schulsozialarbeiters als professioneller Umgang eines Pädagogen mit sexuell konnotierten Handlungsäußerungen von Schülerinnen erachtet: Es wird unterschieden zwischen dem beiläufigen, sorgenden Umgang eines im Hinblick auf die eigene sexuelle Geschichte reflektierten Pädagogen, der sexuelle Aspekte der pädagogischen Interaktion in die eigene Identitätskonstruktion zugleich ein- und ausschließen kann, und einer durch den (möglicherweise unreflektierten) Pädagogen herbeigeführten Vertiefung der sexuell konnotierten Interaktion. Die Zuordnung des Schulsozialarbeiters wird als eindeutig hervorgebracht und in einer meta-narrativen Kommentierung als eine Selbstverständlichkeit dargestellt („also das muss ich dir glaube ich nicht erklären“). Die hier zum Ausdruck gebrachte Gewissheit über die eigene Positionierung ermöglicht dem Schulsozialarbeiter auch, abschließend jegliche Ambivalenzen der eigenen Identitätskonstruktion auszuklammern. Die Interviewerin wird zugleich zur Komplizin der eigenen professionellen Selbstpositionierung gemacht. Die eigene Position wird abschließend im Modus der Argumentation erneut direkt geäußert („man darf es dann halt einfach nicht so vertiefen ()“) und das eigene Handeln wird positiv evaluiert („na ich glaube () das ist so () das Beste“).

Fazit

Die vorliegende Rekonstruktion, das ist an verschiedenen Stellen bereits deutlich geworden, verweist darauf, dass die narrative Identitätskonstruktion des Schulsozialarbeiters von dem spezifischen Entstehungskontext beeinflusst ist. Sie ist zum einen das Ergebnis einer bestimmten Fragestellung und Aushandlungsinteraktion zwischen Interviewerin und Schulsozialarbeiter. So ist jene Eindeutigkeit und Sicherheit der Identitätskonstruktion des Schulsozialarbeiters bereits in den ersten Sequenzen des Segments angelegt und wird auch in der weiteren Darstellung hinsichtlich des Umgangs mit sexualisierten Situationen des pädagogischen Alltags nicht revidiert. Für den Schulsozialarbeiter wird es so möglich, sexualisierte Dimensionen der pädagogischen Interaktion zugleich relativ explizit anzusprechen und für sich selbst ausschließen. Dennoch ist das Erzählsegment auch durch ein auffallend hohes Maß an implizitem Wissen gekennzeichnet – es wird viel angedeutet, aber nur relativ wenig ausgeführt. Eine mögliche These wäre, das dies zum einen zur Aufrechterhaltung des professionellen Selbstentwurfes notwendig ist, um sich nicht in möglichen Widersprüchen zu verstricken und zum anderen aus demselben Grund als Erzählstrategie im Kontext der Thematisierung sexueller Beziehungsdimensionen im pädagogischen Generationenverhältnis häufig angewandt wird. Darüber hinaus verweist der vorliegende Identitätsentwurf des Schulsozialarbeiters auch darauf, was derzeit für (Schul-)Pädagogen über sexualisierte Dimensionen der beruflichen Arbeit thematisierbar und was nicht thematisierbar ist.

Fußnoten:

[1] Sexualität wurde als Thematik bereits zuvor über eine offene Frage nach den eigenen Erfahrungen mit Sexualität im Kontext der pädagogischen Arbeit eingeführt.

[2] Vgl. Flaake (2012), S. 144. Die Autorin verweist zugleich auf den spielerischen Aspekt und die Aneignungsprozesse, die Mädchen in Bezug auf die eigene erotische Ausstrahlung auch genießen können. Im Gegensatz zur sexuellen Bedeutung der körperlichen Veränderung von Mädchen seien die körperlichen Veränderungen von Jungen, d.h. Stimmbruch oder Bartwuchs, weniger sexuell konnotiert, sondern stärker als Ausdruck von Männlichkeit zu verstehen.

[3] Der Begriff wird angelehnt an Lucius-Hoene (2012) verwendet. Inhaltlich wird hier der von der Interviewerin eingeführte Forderungscharakter von Sexualität in pädagogischen Beziehungen aufgegriffen und als Aufforderung interpretiert.

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