Einleitende Bemerkungen

Die Gruppendiskussion fand grundsätzlich in einem Nebenraum, in Kleingruppen (drei bis maximal fünf Kinder) parallel zum Unterricht statt. Wir traten dabei den Kindern bei der Information über das Projekt als „Forscher bzw. Forscherinnen“ gegenüber, die sie als „Experten über ihre Welt“ befragen wollten. Die Kinder wurden vorab von den Lehrerinnen und Lehrern informiert, dabei wurde neben „Befragung“ auch der den Kindern geläufigere Terminus „Interview“ verwendet. Dadurch entstand offensichtlich die Erwartungshaltung einer Interviewsituation, wie sie die Kinder wohl aus den Medien kennen. Dies zeigte sich in den Gruppendiskussionen häufig zu Beginn, indem die Kinder, wenn die Erzählungen stockten – manchmal mit Blick auf unsere Themenkarten – immer wieder nach der „nächsten Frage“ verlangten. Durch starke Zurücknahme des Interviewers bzw. der Interviewerin und die offenen Impulse ergab sich jedoch meist relativ schnell eine „echte“ Diskussion und längere Erzählphasen in den Gruppen, die – abgesehen von wenigen Impulsen – inhaltlich und in ihrem Ablauf stark von der Gruppe selbst bestimmt wurde. Obwohl wir nicht als „Lehrer/innen“ auftreten, wird die Interviewsituation in manchen Gruppen zunächst als „schultypische“ Situation eingeordnet. So verstanden die Kinder z.B. Bildimpulse nicht als Anregung für eigene Geschichten, sondern für Bildbetrachtungen und erzählten zu den Bildern: „Auf dem Bild sehe ich …“. Die geplanten Bildimpulse wurden daraufhin nicht mehr verwendet, da sie die „Selbstläufigkeit“ der Gruppendiskussionen eher behinderten als förderten.

Ein die Aussagen der Kinder stark beeinflussendes „Machtgefälle“ zwischen Erwachsenen und Kindern (vgl. Heinzel, 2000) war kaum festzustellen. Im Gegenteil, in den Gesprächen zeigt sich, dass die Kinder mit Fragen und Impulsen selbstbewusst und kreativ umgehen, Themen selbst einbringen, auf Fragen nicht antworten, wenn sie ihnen kaum bedeutsam erscheinen. Für die Gruppendiskussionen hatten wir verschiedene Arten von Gesprächsimpulsen vorbereitet: sehr offene Fragen und Impulse zu verschiedenen Lebensbereichen der Kinder, Fotos mit Szenen und Situationen aus dem Alltag sowie Impulsgeschichten.

Häufiger mussten wir feststellen, dass die Themen, die wir meinten damit anzusprechen, von den Kindern nicht aufgegriffen wurden. Sie suchten sich allerdings einzelne Aspekte heraus und entwickelten dann daraus ihre eigenen Themenschwerpunkte. So entstanden Gespräche auch zu völlig anderen als den von uns erwarteten Inhalten.

 

Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Im folgenden Beispiel zielt der Interviewer mit dem Begriff „erträumt“ auf die Zukunftsvorstellungen der Jungen. Sie entwickeln daraus jedoch ein intensives Gespräch über abenteuerliche nächtliche Träume.

I: Herausfinden, was sie denken, was sie wollen oder was ihr euch erträumt auch. Und:
Philipp: Das is komisch wenn
I: Äh ob s euch gut geht?
J: Ja::::
Philipp: Ich träume und wenn ich aufwache, dann vergiss ich alles, was ich im Traum gehabt hab.
Richard: Denkst du ich nicht! Ich träume jeden Tag noch vom Geburtstagsfest.

Teilweise konnten die Kinder bei Bildern und Impulsgeschichten keinen Zusammenhang zu ihren eigenen Erlebnissen herstellen. Kurze offene Fragen und Impulse, die sich auf die verschiedenen Lebensbereiche der Kinder beziehen, erweisen sich als besser geeignet (z.B. Fragen nach Zukunfts- und Berufswünschen, Freizeitaktivitäten und Schule). Sie führen meist rasch zur Selbstläufigkeit des Gesprächs in der Gruppe und erscheinen uns deshalb geeigneter als Impulsgeschichten oder Bilder. Direkte Nachfragen nach Themen („Wie ist es, ein Junge zu sein?“) sind wohl zu abstrakt und führen häufig zu kurzen Antworten oder den Kindern fällt es schwer, dazu zu erzählen. Relativ rasch gehen sie jedoch dann dazu über, Geschichten zu erzählen. Dies werten wir als ein Zeichen kommunikativer Kompetenz: Kinder wählen hier kindtypische Ausdrucksformen (z.B. das Erzählen von Geschichten), um auf unsere Fragen einzugehen. Auf kurze Impulse und Stichworte (Haustiere, Schule, Hobbies) hin entwickeln sich häufig ausführliche Diskussionen und längere Erzählungen, in denen sich Selbstläufigkeit einstellt.

Gruppengröße und Gesprächsbeteiligung

Insgesamt zeigte sich eine hohe Konzentration der meisten Kinder über die Dauer der Gruppendiskussionen (max. ca. 45min.). Die Gruppengröße scheint hier auch entscheidend, ab fünf Kindern in der Gruppe entstehen für einzelne Kinder zu lange Wartephasen oder das Gespräch verlagert sich auf „Redeführer“.

Beobachtbar in den Videoaufnahmen ist, dass erst bei längerer Gesprächsdauer Kinder häufig die Sitzhaltung wechseln, etwas „hibbelig“ werden. Es bestehen teilweise untereinander viele Körperkontakte. Kinder stehen auf, schubsen sich gegenseitig, wechseln den Platz. Sie haken sich im Sitzen mit den Füßen ein, klopfen einander zustimmend auf die Schulter, knuffen und boxen sich spielerisch. Die vielfältige nonverbale Kommunikation zu analysieren erscheint als eine spannende Aufgabe, da die Körpersprache der Kinder sich scheinbar sehr von erwachsenem Gesprächsverhalten unterscheidet. Hier lassen sich mit Hilfe der Videoaufnahmen weitere Auswertungen vornehmen.

Sich ausbildende Gesprächsstrukturen

Bei einer Gruppendiskussion entfalten die Teilnehmenden ihre kollektiven Muster, wenn sie miteinander ins Gespräch kommen. Passagen, in denen diese Selbstläufigkeit entsteht, sind somit für unsere Analyse zentral.

In allen Diskussionen mit den Kindern entstehen immer wieder selbstläufige Passagen. Das Gespräch verläuft dann zwischen den Kindern über lange Strecken ohne inhaltliche Beeinflussung durch die Gesprächsführung. Bei stärkerer Lenkung durch uns, die wir zu vermeiden suchten, kommt es zur Unterbrechung dieser Selbstläufigkeit. Das Gespräch der Kinder untereinander wird durch stärkere Steuerung unterbrochen, die sich ausbildende eigene Gesprächsstruktur der Kinder wird gestört.

Den Kindern sollte in der Erhebungssituation möglichst viel Freiraum gelassen werden, die Gesprächs- und inhaltlichen Strukturen selbst zu gestalten. Auf der nonverbalen Ebene zeigte sich Selbstläufigkeit häufig darin, dass die Kinder „den Kreis schließen“ und damit den Interviewer bzw. die Interviewerin ausschließen.[1] Sie beachteten auch die Kamera nicht mehr. Der Schwerpunkt unserer Auswertung liegt auf Gesprächsphasen, in denen diese „Selbstläufigkeit“, also das Gespräch der Kinder untereinander, realisiert wird.

Expertenstatus

Bei der Vorstellung unseres Projekts erläuterten wir den Kindern, dass wir uns für die Meinungen und Gedanken von Jungen interessierten und wir sie deshalb als „Experten“ befragten. Dieser Status „als Experten“, den sie durch unser Interesse als Forscherinnen und Forscher zugewiesen bekamen, gab der Erhebungssituation Ernstcharakter und Wichtigkeit. Die Kinder versuchten überwiegend mit großer Gewissenhaftigkeit die in den Impulsen angesprochenen Themenbereiche miteinander zu diskutieren und zu bearbeiten. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Kinder die Gelegenheit zu erzählen, sich über Themen zu unterhalten und uns etwas über sie mitzuteilen in den geführten Gruppendiskussionen ausgiebig nutzten.

Die Gesprächsleitung hält sich soweit als möglich aus dem Gespräch zurück. So entsteht eine Situation, die den Erwartungen der Kinder an die Gesprächsleitung wohl nicht entspricht. Auch durch den schulischen Rahmen der Erhebungssituation könnten diese teilweise entstandenen Unsicherheiten erklärt werden.

Es fanden sich jedoch relativ rasch verschiedene „Moderatoren“ unter den Kindern, die eine gewisse Gesprächsleitung übernahmen und damit neben dem Gesprächsinhalt den Gesprächsverlauf im Blick behielten und mit steuerten. In allen Gruppen schien unumstrittener Konsens zu sein, dass alle Kinder sich äußern dürfen. Diese Gesprächsregulierung unter Kindern wurde in der Regel akzeptiert, die Gesprächsleitung wurde meist abwechselnd von verschiedenen Kindern übernommen. Sie achteten aufeinander, gaben einander das Rederecht und sorgten dafür, dass alle „drankamen“.

Die Gesprächsregulation wird auch übernommen, wenn das Gespräch sich nach Ansicht der Kinder zu weit vom Ausgangsthema oder dem Impuls entfernt hat. Es ist somit für die Kinder problemlos möglich, sowohl den inhaltlichen Verlauf als auch die Gesprächsstruktur (wer spricht wann und wie viel, welches Thema steht im Raum,…) zu beachten.[2]

Die nachfolgenden Ausschnitte aus einer Gruppendiskussion zeigen dies am Beispiel einer Gruppe (Hierbei sind nur Teile der Diskussion, die sich auf die Gesprächsleitung beziehen, zusammengestellt – die Zahlen beziehen sich auf die einzeln durchnummerierten Gesprächsbeiträge):

Peter: O.k. dann fangen wir an. (42)
Eric: Halt, ja, von da nach der Reihe? (46)
Eric: Jetzt mach ma die Fragen. (200)
Markus: Können wir jetzt mal beim Thema vom Robert bleiben? (216)
Peter: Darf ich jetzt nen Witz erzählen, Robert?
Robert: Ja. (228f)
Markus: Jetzt woll ma doch mal die Fragen machen, oder? (235)
Eric: Also mach ma die Fragen? (249)
Eric: Mach ma jetzt die Fragen Robert: Weiß net.
Eric: Der Markus no und dann mach ma die Fragen.
Markus: Irgendwas wolltst ihn fragen, mitm Fisch oder so.
Robert: Ah ja jetztat. Beim Angeln jetzt fällts mir wieder ein. (298-302)

Aushandlungsprozesse

Billmann-Mahecha beschreibt in ihren Studien, wie Kinder in Gruppendiskussionen Meinungen, Einstellungen und Werthaltungen miteinander aushandeln und entwickelt daraus drei Typen von Aushandlungsprozessen, „die sich in nahezu jeder Kindergruppendiskussion finden lassen“ (2001, S. 14):

„1. Den Typus der – gelingenden oder misslingenden sozialen Beeinflussung einzelner;
2. den Typus der (partiellen) Zurücknahme von Einstellungen und Meinungen aufgrund von Argumenten; und
3. den Typus der ko-konstruierenden Gesprächsentfaltung, die aus gegenseitiger Bestärkung mit zusätzlichen Beispielen und Argumenten und ggf. in einer gemeinschaftlichen Herausbildung von Vorstellungsgehalten oder einer Gruppenmeinung besteht.“

Diese Typen konnten wir in unseren Daten auch rekonstruieren. Darüber hinaus fand sich in unseren Gruppendiskussionen ein weiterer, vierter Typ: Verschiedene Meinungen werden nebeneinandergestellt – die einzelnen Teilnehmenden grenzen sich von anderen Meinungen ab und stellen ihre daneben.

Faruk: Zum Beispiel wir wollen gerne mit Plastikpistolen spielen, so wie Klaus: Das macht der Faruk gern.
Marcello: Ich net.
Klaus: Ich bau lieber gerne Lego. Mit Anleitungen natürlich.
Samuel: Und ich geh auch ganz gern mit Nicolas zum Bubenturnen. Voll spät am Abend.
Nicolas: Ja, gell?!

Inhalte von Gruppendiskussionen – Perspektive der Kinder auf schulische Themen[3]

Die Themen, die in den verschiedenen Gruppen bearbeitet wurden, variieren. Bei der Analyse muss grundsätzlich unterschieden werden zwischen Inhalten, die durch einen Impuls angestoßen und von der Gruppe aufgenommen werden und solchen, die von den Kindern selbst thematisiert werden. In der folgenden Abbildung sind alle Themen, die in den bisher ausgewerteten 11 Gruppendiskussionen angesprochen wurden, aufgeführt und in Themenbereiche gegliedert dargestellt.

Bezugspersonen nehmen viel Raum in den Gesprächen und Erzählungen der Kinder ein. Gespräche und Unternehmungen mit Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten, Aufgabenverteilung und Regeln in der Familie sowie die Berufe der Eltern sind zentrale Themen. Bei Gesprächen über Freunde, Geschwister und Peers geht es häufig um Spiel- oder Konfliktsituationen. Haustiere wurden hier unter „Bezugspersonen“ eingereiht, weil sie in den Erzählungen der Kinder als wichtige Bezugspersonen beschrieben werden. Deutlich wird ein großer Wunsch nach Haustieren, die versorgt werden, Haustiere sind aber auch „Ansprechpartner“, denen Kinder von ihren Erlebnissen und Sorgen erzählen. Beziehungen und Situationen mit Klassenkameraden/innen, anderen Kindern in der Schule und Lehrer/innen sind ebenfalls häufige Themen in den Gruppendiskussionen.

In den Gruppendiskussionen sind Erlebnisse, Erzählungen, Diskussionen und „Fachgespräche“. Mit „Fachgesprächen“ bezeichnen wir Gesprächsteile, die sich von den anderen Formen insoweit unterschieden, als sich die Kinder in ein Thema vertiefen und intensiv und sachorientiert, weniger erzählend, über verschiedene Aspekte austauschen, z.B. über Computer, Fernsehsendungen, Sport, Lego o.ä.

Viel Raum nehmen auch Erzählungen von Naturerfahrungen, Freizeit- und Spielsituationen (z.B. Spielen im Wald), Unternehmungen mit der Familie und Familienfeste ein. Fernsehsendungen werden des Öfteren angesprochen. Das Erwachsensein wird thematisiert im Gespräch über „eine Familie haben“, über den Wunsch nach Selbstständigkeit, die Führerscheinprüfung und über berufliche Vorstellungen.

In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf die Analyse der Inhalte zum Bereich „Schule“, der in allen Gruppendiskussionen thematisiert wurde. Kommt das Thema „Schule“ zum ersten Mal zur Sprache, drücken die Kinder häufig sprachlich, aber auch in Mimik und Gestik, ihr Missfallen aus.

Katharina: Schule?
I: Schule.
Katharina: Na ja
Karin: Schule, naja.

Sie geben aber teilweise auch gleich Begründungen für ihre Reaktion an oder relativieren sie:

Armin: Ich liebe sie manchmal und hasse sie.

Soziale Beziehungen in der Schule sind das zentrale Thema in den Gruppendiskussionen. Viele Geschichten und Erlebnisse mit Klassenkameraden/innen scheinen die Bedeutung von Peers für Kinder in diesem Alter zu bestätigen. Da die Gruppendiskussionen in der Schule stattfanden, liegt jedoch auch nahe, dass dies dazu beitrug, das Zusammenleben in der Schule zu thematisieren. Aspekte, die hier angesprochen werden, sind Mitschüler/innen und deren Verhalten, Konfliktsituationen und Beziehungen zwischen Mädchen und Jungen (Necken, Verliebt-Sein[3]). Häufig erzählen die Kinder auch von lustigen Begebenheiten, Quatsch machen, Streichen, Ironie und Spaß.

Samuel: Da haben wir uns immer in Musik totgelacht.
Pascal: Wenn wir zwei zu laut lachen
Timo: Wenn die zu laut lachen, dann fängt Pascal an, dann fängt Clarissa an, dann fängt der Michi an, dann fängt der Frank an

Dies bestätigt, was auch Beck & Scholz (1995) und Oswald & Krappmann (1988) in ihren Studien betonen: Die Bedeutung von Spiel, Spaß und Unsinn in den Interaktionen von Grundschulkindern.

Häufig ohne besondere Nachfrage, aber auch bei dem Impuls, was Kindern gut an der Schule gefällt, werden „Lieblingsfächer“ genannt. Die zentrale Thematik, die vor allem in Zusammenhang mit der Nennung von Lieblingsfächern entfaltet wird, ist die der Noten und damit der Leistungsbewertung. Dies erscheint uns besonders bedeutsam, da von den Diskussionsleitungen nie nach Noten oder Leistungsbewertung gefragt wurde, die Kinder aber in fast allen Gruppendiskussionen von sich aus auf dieses Thema – z.T. sehr ausführlich – zu sprechen kommen. In welchem Zusammenhang sprechen Kinder über Noten – welche Aussagen machen sie darüber? Wenn Kinder in den Gruppendiskussionen über ihre Lieblingsfächer sprechen, ist dies fast immer damit verbunden, dass gute Noten quasi „als Beleg“ dazu genannt werden:

Philipp:  Ich liebe sie aber nur ich liebe sie aber unter einer Bedingung. Wenn ich bei ähm eigentlich stimmt ich liebe sie eigentlich schon. Wegen im Diktat hab ich ne 1-2, beim Mathetest hab ich ne 1-2, beim Aufsatz hab ich ne 1-2

Durch die Nennung der Schulnoten im Zusammenhang mit Zu- oder Abneigung zu bestimmten Fächern wird deutlich, dass nicht die eigene Einschätzung von Fähigkeiten für die Kinder zentral ist, sondern sie die von außen gegebene für sich übernehmen. Obwohl die Kinder zu Beginn der dritten Jahrgangsstufe erst kurz mit der Bewertung durch Noten in Kontakt sind, haben diese schon eine große Bedeutung für die Bewertung und Einschätzung der eigenen Fähigkeiten.

Als Lieblingsfächer werden vor allem Fächer genannt, in denen die Kinder gute Noten erreichen. Dies legt die Vermutung nahe, dass es schwierig ist, trotz Misserfolg Motivation und Interesse für ein Schulfach aufrecht zu erhalten. Wesentlich für die Kategorisierung eines Faches als Lieblingsfach ist in den Gesprächen der Kinder vor allem die gute oder sehr gute Note. Bei den Gesprächen über Noten wird auch sehr deutlich, dass die Kinder gut darüber informiert sind, wer welche Noten in welchem Fach hat. Die Kinder übernehmen als wichtigen Maßstab für die Kategorisierung von „Lieblingsfächern“ das Zensurensystem. In der Studie von Faust-Siehl und Schweitzer (1992) wird auf die auch unseres Erachtens problematischen Folgen dieser schulischen Sozialisation in Bezug auf Noten hingewiesen: „Schulerfolg wird auch von Viertklässlern nicht mit (zeitstabilen) Fähigkeiten (Hervorh. i. O.) in Verbindung gebracht. Ausschlaggebend sind in ihren Augen vielmehr die Situation der Rückmeldung, in denen Schulerfolg oder -misserfolg explizit gemacht werden.“ (a.a.O., S. 54)[4]

Unsere Ergebnisse bestätigen damit erneut, dass Ziffernnoten eine ungeeignete Form der Rückmeldung sind und dass die Entwicklung einer ermutigenden Leistungs-, Rückmelde- und Bewertungskultur in vielen Schulen eine noch viel zu wenig eingelöste Aufgabe ist (Bartnitzky et al., 2005, Schönknecht & Klenk, 2005).

 

Fußnoten:

[1] Die Kinder und die Gesprächsleitung saßen im Halbkreis.

[2] Ähnliches zeigt sich auch im Umgang der Kinder mit der Gesprächsleitung.

[3] Im Rahmen dieses Beitrags kann auf die Themen und Inhalte der Gruppendiskussionen nur kurz eingegangen werden, ausführlich ist dieser Bereich dargestellt in Schönknecht, i. Di.

[4] Vgl. auch die Bedeutung des „Diskurs der Verliebtheit“ bei Breidenstein (1997, S. 158).

 

Literaturangaben:

Bartnitzky, H., Bügelmann, H., Hecker, U., Schönknecht, G. (Hrsg.). (2005). Pädagogische Leistungskultur: Materialien für Klasse 1 und 2. Frankfurt a.M.: Grundschulverband.

Billmann-Mahecha, E. (2001). Soziale Aushandlungsprozesse im Kindesalter. Ein qualitativer Zugang über das Gruppendiskussionsverfahren. In: Mey, Günter (Hrsg.), Qualitative Forschung in der Entwicklungspsychologie. Potentiale, Probleme, Perspektiven. Forschungsbericht aus der Abteilung Psychologie im Institut für Sozialwissenschaften der Technischen Universität Berlin, Nr. 2001-1, S. 12-18.

Breidenstein, G. (1997). Verliebtheit und Paarbildung unter Schulkindern. In: Hirschauer, S. & Amann, K. (Hrsg.), Die Befremdung der eigenen Kultur. Zur ethnographischen Herausforderung soziologischer Empirie (S. 53-83). Frankfurt a.M: Suhrkamp Verlag.

Faust-Siehl, G. & Schweitzer, F. (1992). Anstrengung ist alles! Wie Kinder schulische Leistungen verstehen. In: Bartnitzky, H.; Portmann, R.. Leistung der Schule – Leistung der Kinder (S. 50-60). Frankfurt a.M.

Heinzel, F. (Hrsg.) (2000): Methoden der Kindheitsforschung. Ein Überblick über die Forschungszugänge zur kindlichen Perspektive. Weinheim: Juventa.

Schönknecht, G. (i. Dr.).: Themen und Inhalte in Gruppendiskussionen mit Jungen-   Schwerpunkt Jungen und Schule. In: Fuhr, T., Schultheis, K., Strobel

Eisele, G. (Hrsg.) (i. Dr.). Kinder: Geschlecht männlich. Stuttgart: Kohlhammer.

Schönknecht, G. &Klenk, G. (2005). Sachunterricht. Pädagogische Leistungskultur: Materialien für Klasse 1 und 2. Frankfurt a.M.: Grundschulverband. Zinnecker, J. (1996). Grundschule als Lebenswelt des Kindes. Plädoyer für eine pädagogische Ethnographie. In: Bartmann, Th. & Ulonska, H. (1996). Kinder in der Grundschule. Anthropologische Grundlagenforschung (S. 41-74). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

 

Mit freundlicher Genehmigung des StudienVerlag.

http://www.studienverlag.at/page.cfm?vpath=buecher/buchdetail&titnr=4260

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