Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten

Die Grundschulzeit zwischen stetigem schulischem Versagen und verhinderter Manifestation des Scheiterns in Form einer Klassenwiederholung

Die Grundschulzeit von Peter ist gekennzeichnet durch kontinuierliche Schwierigkeiten Peters, den schulischen Leistungsanforderungen zu entsprechen. Obwohl er nach Selbstauskunft eigenständig zuhause übt und die Hausaufgaben macht, sind seine Noten in der Regel schlecht. Dies führt zum Ende der dritten Klasse dazu, dass seine Versetzung in die 4. Klasse gefährdet ist, schließlich aber doch noch gelingt. Damit bleiben Peter in der Grundschulzeit größere Brüche wie Klassenwiederholungen, Schulwechsel oder auch eine Sonderschulzuweisung erspart. Es verfestigt sich jedoch über die Zeit eine zunehmende Gewissheit darüber, dass Peter keine guten schulischen Leistungen erbringen kann. Auf die Frage des Interviewers nach der Wichtigkeit guter schulischer Leistungen antwortet Peter wie folgt:

I: und wie wichtig is’n das für dich dass du gute noten in der schule hast’ (fragend) … P: wenn ich welche hätte ..

Die Erfüllung der schulischen Anforderungen in einer Art und Weise, die man erfolgreich nennen könnte und mit der Peter gute bis sehr gute Note erhalten kann, scheint über die Dauer der Grundschulzeit in weite Ferne gerückt zu sein. Gleichzeitig verfestigt sich darüber aber auch eine distanzierte Haltung gegenüber der Schule, die auch in den nur knappen Thematisierungen und dem häufigen Schweigen im Interview zum Ausdruck kommt.

Das kontinuierliche Versagen in der Schule weist bei Peter nur deshalb nicht die Dramatik auf, die z.B. im Fall Adam vorliegt, weil über die familialen Orientierungen prinzipiell Schule nicht der zentrale Stellenwert zugewiesen wird und Peter es damit gelingt, eine distanzierte Haltung gegenüber der Schule einzunehmen. Zwar hilft die Mutter bei den Hausaufgaben und schimpft bei schlechten schulischen Noten mit Peter. Aber diese „Sanktionen“ scheinen für Peter doch vergleichsweise harmlos auszufallen:

I: ne .. ‚und wie is’n das wenn du aus der schule , schlechte noten mit nach hause bringst’ (fragend) (16) P: da krieg ich eigentlich immer n bisschen ärger von meiner mutter (5)

Insgesamt betrachtet weist Peter sicherlich keine erfolgreiche Schulkarriere auf. Im Gegenteil zeigt sich bei ihm ein kontinuierliches Versagen gegenüber den schulischen Anforderungen, das ähnlich wie bei Michelle dazu führt, dass die besseren Schulnoten in unerreichbare Ferne zu rücken scheinen. Darin ist eine dauerhafte Verletzungsdisposition angelegt, die für Peter ein schwelendes Krisenpotential beinhaltet, dass bislang jedoch noch nicht zum Ausbruch gekommen ist.

„Aussitzen“ und oberflächliche Anpassung, die resignative Haltung der Indifferenz und Vermeidung – Ergebnisse der reflektierenden Interpretation

Das Interview mit Peter ist vor allem durch die vielen Pausen und ein „systematisches“ Schweigen gekennzeichnet. Schweigepausen mit einer Dauer von 25 Sekunden und mehr sind keine Seltenheit. Wenn Peter sich auf die Fragen und Aufforderungen des Interviewers bezieht, dann zumeist nur mit kurzen und knappen Aussagen.

Eine erste für die Analyse ausgewählte Passage des Interviews bezog sich wie bei den anderen Fällen auf die Thematisierung des bevorstehenden Übergangs und die Art und Weise, wie es zu dieser Übergangsentscheidung gekommen ist. Nachdem Peter hier gegenüber dem Interviewer die Einstiegsfrage danach bestätigt hat, dass er nun zum nächsten Schuljahr auf eine neue Schule wechselt, wird die Erzählaufforderung, wie es dazu gekommen ist, in einer 26 Sekunden dauernden Schweigepause ausgesessen. Da für diese Passage (wie auch für das Interview insgesamt) einerseits davon auszugehen ist, dass Peter nicht gegen die Strukturierung und das vom Interviewer gesetzte Gesprächsarrangement offen rebelliert, sondern prinzipiell diese Rahmung als Hegemonialstruktur akzeptiert, und andererseits deutlich wird, dass Peter prinzipiell und ohne große Überwindung in der Lage ist zu formulieren, dass er nicht weiß, wie diese Übergangsentscheidung zustande gekommen ist, muss hier die Pause als Dokument dafür genommen werden, dass sich Momente der schulischen Indifferenz hier koppeln mit Momenten des Unterliegens und der Beschämung in der Thematisierung dieses Übergangs.
Die Haltung und das Bewältigungsverhalten, die sich in diesem Schweigen dokumentieren, sind die Haltung der oberflächlichen Anpassung und die Problem- und Krisenbewältigung des passiven Aussitzens der unangenehmen Interviewsituation.

Die Anpassung zeigt sich darüber, dass Peter trotz der in vielen Belangen bestehenden Haltung der schulischen Indifferenz der Interviewsituation und den impliziten Erwartungshaltungen des Interviewers im Sinne einer Hegemonialsituation zu entsprechen versucht und nicht prinzipiell das Ansinnen des Interviews zurückweist. Zugleich dokumentiert sich in den knappen Antworten, dass hier eine Anpassung an die Erwartungen der Hegemonialkultur vorliegt, die nur oberflächlich erfolgt und gewissermaßen mit minimalem Aufwand auskommt. Dabei verbinden sich mit dieser oberflächlichen Anpassung permanent Momente des Unterliegens, weil ja klar ist, dass Peter den impliziten Orientierungen dieser hegemonialen Rahmung nicht genügen kann. Hier wiederholt sich im Interview die Positionierung, die Peter schon in und gegenüber der Schule einnimmt.

Das zeigt sich z.B. auch darin, dass Peter ja mit der Frage nach dem Wissen um die Übergangsentscheidung implizit mit der Hegemonialdeutung konfrontiert ist, dass ein solches Wissen zum Normalitätsentwurf gehört. Dass man also nicht weiß und damit auch nicht sagen kann, wie diese Übergangsentscheidung zustande gekommen ist, fällt schon hinter diese Ansprüche der Hegemonialkultur zurück. Zugleich dokumentiert sich aber darin auch eine insgesamt auf Schule und auf die Schulkarriere bezogene indifferente, vergleichgültigte und fatalistische Haltung.

Dennoch ist Peter die Schule bzw. die Frage des schulischen Erfolgs oder Misserfolgs nicht völlig gleichgültig. In den Formulierungen, mit denen Peter darstellt, auf welche Schulen seine Freunde mit dem Übergang in Klasse 5 wechseln, zeigt sich deutlich, dass er in seinem Bezug auf die Schulformen bei aller schulischen Indifferenz durchaus in der Lage ist, Unterschiede wahrzunehmen. Dabei gibt es gerade durch die indifferente Haltung gegenüber dem Schulischen eine stärkere Orientierung auf jene Schulformen, die sich nicht durch Steigerungsformen des Schulischen auszeichnen. Die größte Distanz und Fremdheit besteht daher gegenüber der Schulform des Gymnasiums. Zeitgleich realisiert Peter aber durchaus die stigmatisierenden und sekundär benachteiligenden Etikettierungseffekte von Schulformen, die im Übrigen von Peter geteilt und nicht kritisch hinterfragt werden. Dadurch wird die Gesamtschule für Peter die favorisierte Schulform, weil diese mit dem Versprechen, bildungsfernere Schüler aufzunehmen, die stigmatisierenden Effekte der Hauptschule ausschließen kann. Bedeutsam ist also innerhalb des Orientierungsrahmens von Peter nicht, eine Schulform auszusuchen, die größere Bildungs- und Statusversprechen macht, sondern die Schule anzuvisieren, welche Bildungsferne und die Vermeidung von Stigmatisierung in ein optimales Verhältnis zu bringen vermag.

Um diesen Bezug auf Schule und schulische Selektion noch genauer herausarbeiten zu können, haben wir als zweite Passage aus dem Interview eine Stelle ausgewählt, in welcher es um seine Positionierung zu Noten geht. In dieser Passage erfolgt der Einstieg in die Thematisierung seiner Noten über die Frage, ob er manchmal an die Schule denke und worüber er dann nachdenken würde.

I: ne . ‚denkst du oft über schule nach’ (fragend) P: ja manchmal I: hm , ‚was denkst du da so’ (fragend) .. P: wenn ich zum beispiel ne mathearbeit geschrieben hab was ich da für ne note hab I: mh (14) ‚und wie is das wenn du dann die mathearbeit zurückbekommt’ (fragend) P: ja da bin ich eigentlich immer aufgeregt (4) dann hab ich meistens ne vier oder ne fünf.. I: ‚und wie geht’s dir dabei’ (fragend) (16) P: eigentlich nich so gut I: mh , ‚was heißt’n eigentlich nich so gut’ (fragend) .. P: wenn ich ne fünf schreibe krieg ich ärger //hm// , bhuh . I: ‚und bei ner vier’ (fragend) P: mh .. ((türquietschen, eintreten einer person, person läuft im raum umher)) …‚eigentlich auch nich so gut’ (geflüstert) (4)

Hier zeigt sich zunächst, dass für Peter Schule als Thema auftaucht, wenn es um die Frage der Benotung geht, also um die Statuszuweisungen der Institution Schule, die über die Beurteilung erbrachter Schülerleistungen geht. Für den Orientierungsrahmen von Peter dokumentiert sich in dieser Passage zweierlei. Erstens wird deutlich, dass Peter die schulischen Statuszuweisungen mit unterschiedlichen Leistungsniveaus in Verbindung bringen kann und (ähnlich etwa wie Michelle) realisiert hat, dass bessere Noten ganz berechtigt mit Statusvorteilen verknüpft sind. Diese Statuszuweisungen werden also nicht infrage gestellt oder kritisiert, sondern anerkannt. Das zeigt sich z.B. darin, dass Peter aufgeregt ist, wenn er eine Klassenarbeit zurückbekommt. Dass diese Aufregung aber nicht damit zu tun hat, dass er etwa unter einem verwehrten Status leidet, wird im weiteren Anschluss deutlich. Zunächst ist aber zweitens darauf hinzuweisen, dass innerhalb des Orientierungsrahmens von Peter auch davon auszugehen ist, dass er den Eigenanteil an der jeweiligen Leistungsbeurteilung anerkennt. Es erfolgt also keine Externalisierung oder Negation dessen, was an Eigenaktivität in die gefällten Leistungsbeurteilungen mit eingeht. Deutlich wird auch, dass Peter damit insgesamt ein begrenztes Leistungsniveau aufweist und sich auch so einschätzt.

Gerade gegen Ende der Passage dokumentiert sich in den Formulierungen von Peter, dass er selbst zumindest keine deutlichen Probleme mit der Zensierung der Lehrer hat, die ihm mit den Noten 4 und 5 ja ein niedriges Leistungsvermögen bescheinigen und zugleich gegenüber den Schülern mit besseren Noten einen niedrigeren Status zuweisen. Problematisch werden diese schlechteren Zensierungen für Peter vor allem deshalb, weil die Mutter hier als Kontroll- und Sanktionsinstanz auftaucht und Peter gegenüber entsprechend agiert. Der Ärger der schlechten Noten ist damit vor allem auch eine Vermeidung von Negativsanktionen im familialen Nahraum. Inwieweit die Mutter tatsächlich als harte Sanktionsinstanz in der Familie Peter gegenüber auftritt, ist dabei anhand dieses Textmaterials und auch im Rahmen der hier angewandten dokumentarischen Methode nicht zu entscheiden und auch unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, dass innerhalb des Orientierungsrahmens von Peter der Negativaspekt der Benotung vor allem und zuallererst durch die Sanktionen der Mutter markiert wird. Zudem wird auch die Betroffenheit im Bezug auf die Sanktionen der Mutter deutlich relativiert („eigentlich“).
Damit bestätigt sich auch in dieser Passage eine weitgehend indifferente Haltung gegenüber Schule und schulischer Selektion. Als neuer Aspekt des individuellen Orientierungsrahmens von Peter zeigt sich zudem eine Haltung, welche die Eigenanteile und die Eigenverantwortung für die erbrachte und beurteilte Leistung anerkennt und akzeptiert.

Um den Bezug Peters auf die schulischen Leistungsbeurteilungen sowie die Bedeutung dieser für das Selbsterleben im Rahmen des Orientierungsrahmens noch weiter ausdifferenzieren zu können, wurde als dritte Interviewpassage eine Stelle ausgewählt, die explizit auf Noten und die Positionierung darauf bezogen war. Die Passage wird kurz wiedergegeben:

I: kannst dich noch an dein letztes zeugnis erinnern’ (fragend) … P: ja n bisschen I: ‚warst damit zufrieden’ (fragend) P: nee I: ne , ‚warum denn ne’ (fragend) .. P: in mathe hat ich glaub ich ne fünf //mh// .. in sport glaub ich auch (5) religion hab ich glaub ich ne vier .. bhuh (4) ja und mehr weiß ich jetzt nich (5) I: ‚und wie wichtig is’n das für dich dass du gute noten in der schule hast’ (fragend) … P: wenn ich welche hätte ..

Mit dieser Passage lässt sich nun tatsächlich der Orientierungsrahmen von Peter genauer bestimmen und teilweise korrigieren. Wir sehen in dieser Passage, dass Peter trotz der auch hier deutlich werdenden distanzierten und tendenziell indifferenten Haltung gegenüber der schulischen Leistungsbeurteilung und Selektion doch davon nicht völlig unbeeindruckt bleibt.
Es zeigt sich also mit dieser Stelle deutlicher ein Leiden daran, dass Peter den schulischen Anforderungen nicht entsprechen kann. Gerade der Schlusssatz dieser Passage bringt dieses Leiden deutlich zum Ausdruck. Dies im Übrigen auch dann, wenn man – was nach dem bisherigen Interviewverlauf und für dieses Lebensalter eher nicht zu erwarten wäre – hier von einer ironischen Verwendungsweise ausgehen wollte. Denn die ironische Verwendung setzt ja konstitutiv voraus, dass ein tatsächliches Leiden an diesem im Witz verharmlosten Umstand vorhanden ist.

Wir gehen also mit dieser Interviewstelle davon aus, dass auch für Peter und innerhalb seines Orientierungsrahmens Schule, gute schulische Beurteilungen und die darüber zugewiesenen Statusplatzierungen bedeutsam sind. Ähnlich wie dies im Fall Michelle deutlich wird, kann aber Peter aufgrund des eigenen Leistungsvermögens diesen schulischen Anforderungen und den damit verbundenen Statusniveaus nicht entsprechen. Damit ist Peter dauerhaft von dieser Anerkennung ausgeschlossen. Überdeckt wird diese grundlegende Bejahung der schulischen Institution durch die Haltung, mit der das dauerhafte Versagen bearbeitet wird. Anders als es z.B. im Fall Clemens vorliegt, finden sich bei Peter keine Aktivitätspotentiale und produktive Bearbeitungsformen, mit denen offensiv gegen die Nichtentsprechung angegangen werden könnte. So finden wir keine Pläne, keine Vorsätze und keine Strategien z.B. durch Üben, Nachhilfe oder anderes die Passungssituation eigenaktiv zu gestalten. Stattdessen finden wir bei Peter die Haltung der Aufgabe, der Scham, der Entthematisierung. Im Kontrast zur Bearbeitungsfigur des Strebens zeigt sich hier eine Haltung der Resignation. Die Haltung und der Orientierungsrahmen von Peter entsprechen damit viel stärker der Prozessstruktur der Verlaufskurve. Peter hat in seinem Leiden den Anforderungen und Konstellationen nichts mehr entgegen zusetzen. Dabei finden sich durchaus Parallelen zur Figur der „intern Ausgegrenzten“ bei Bourdieu – obwohl am stärksten vom schulischen System entwertet, tragen diese doch noch zu seiner Legitimation und letztlich zu seiner Stabilisierung bei (vgl. Bourdieu u.a. 1997, S. 527ff.).

Auch in der letzten zu interpretierenden Passage – bei der es noch einmal explizit um das Thema Üben und Hausaufgaben geht, um zu überprüfen, ob die bisherigen Interpretationen zum fehlenden Aktivitätspotential haltbar sind – bestätigen sich die bisherigen Linien des rekonstruierten Orientierungsrahmens.

I: ‚is das wichtig für dich … übst du viel zu hause machst du was’ (fragend)
P: mh ja
I: ja , ‚machst du’s alleine //((räuspern))// , oder hilft dir jemand’ (fragend)
P: ich mach’s alleine
I: mhm , ‚und die hausaufgaben machst du die’ (fragend)
P: mh ja auch alleine
I: ‚wie läuft’n das ab wenn du hausaufgaben machst’ (fragend)
P: wenn ich mich- wenn ich was nich weiß dann , geh ich immer zu meiner mutter //mhm// (4) sonst mach ich eigentlich immer alleine (13) I: mh deine deine eltern , redest du oft mit deinen eltern über schule
P: hm nee

Auf den ersten Blick könnte man mit dieser Passage den Eindruck gewinnen, dass Peter hier ein Schüler ist, der die schulischen Anforderungen bejaht und eigenaktiv zu entsprechen versucht, wobei er mit einer hohen Selbständigkeit agiert. In der genauen sequenziellen Rekonstruktion zeigt sich jedoch, dass Peter hier eher eine bestimmte Konstruktion seiner selbst präsentiert, mit der er wiederum den bestehenden Hegemonialerwartungen zu entsprechen versucht.
Unter diesem repräsentierten Bild eines selbständigen, aktiven und schulaffinen Schülers zeigt sich ein Junge, der stetig den schulischen Anforderungen unterliegt und diesem Unterliegen keine aktiven Bearbeitungsformen entgegenzustellen hat. Somit dokumentiert sich auch in dieser Passage der Orientierungsrahmen einer oberflächlichen Anpassung an hegemoniale (schulische) Erwartungshaltungen.

Zusammenfassung zum Orientierungsrahmen und Ausblick auf die weiterführende Schule

Fasst man hier die Interpretationen der einzelnen Passagen zusammen, dann ist festzuhalten, dass Peter den schulischen Leistungsbeurteilungen und den daran gebundenen Statuszuweisungen nicht völlig unempfindlich gegenübersteht. Im Gegenteil werden innerhalb seines Orientierungsrahmens diese Leistungsbeurteilungen und Statuszuweisungen legitimiert und stabilisiert. Trotz dieser prinzipiell legitimierenden Bezugnahme ist es Peter aber über den gesamten Verlauf der Grundschulzeit nicht möglich, den schulischen Leistungsanforderungen so zu entsprechen, dass ihm die in den so genannten „guten Noten“ kodifizierte Anerkennung der Institution Schule zuteil wird. Die zentrale und grundlegende Erfahrung für seinen Orientierungsrahmen ist daher das Scheitern und Versagen an den schulischen Leistungsanforderungen und Beurteilungen. Diesem Scheitern hat Peter innerhalb seines Orientierungsrahmens keine Aktivitätspotentiale entgegenzusetzen, sondern nur eine resignative Haltung und der Versuch, auf der Präsentationsebene die Erfüllung der schulischen Erwartungshaltungen zu simulieren. Es liegt demnach ein Orientierungsrahmen des Unterliegens und der oberflächlichen Anpassung an die hegemonialen Erwartungshaltungen vor. Situationen, in denen die hierin eingeklammerte Diskrepanz allzu deutlich hervorgelockt würde, werden in der Strategie des passiven Aussitzens bewältigt.

Welche Chancen- und Krisenpotentiale sind nun mit diesem individuellen Orientierungsrahmen im Übergang auf die Hauptschule verbunden? Ein starkes Krisenpotential geht mit dem Übergang – wie von jeder Schule – von den steigenden Leistungsanforderungen aus. Hier ist klar, wenn sich die labile Stabilität der Erfüllung der Anforderungen auf einem niedrigen Niveau wie in der Grundschule nicht fortsetzen lässt, sondern anders als bisher deutlichere Brüche in der Schulkarriere generiert werden, dann wird die Frage der Legitimität und Verbürgung des Schulischen neu zu beantworten sein. Hier könnte sich der Orientierungsrahmen so transformieren, dass Peter der Schule gegenüber deutlich feindlicher und oppositioneller eingestellt ist und die gegenwärtig noch vorliegende Anpassung an die Hegemonialerwartungen aufgegeben werden. Ein weiteres Krisenpotential würde dann vorliegen, wenn die Hauptschule eine Schule wäre, in der die minimale Beteiligung und das „Aussitzen“ von Problemen nicht geduldet wären. In einem solchen Fall würde die Schule zur Zuspitzung und Manifestation der Krisen im Verhältnis von Orientierungsrahmen und Schule beitragen. Chancenpotentiale würden im Übergang auf die Hauptschule dann vorliegen, wenn im Unterschied zur Gesamtschule und zum Gymnasium moderatere Leistungsanforderungen dazu führen, dass Peter hier die Erfüllbarkeit dieser Anforderungen und eventuell gar eine Steigerung seiner Leistungsfähigkeit erfahren könnte. Allerdings könnte als weiteres Krisenpotential die tendenziell stigmatisierende Etikettierung der Hauptschule auch Anerkennungs- und Statuskonflikte bei Peter verstärken.

Beschreibung des Ankommens von Peter auf der Hauptschule

Im zweiten Interview mit Peter, das nach dem Übergang in die Hauptschule geführt wurde, finden sich sehr viele Parallelen zum ersten Interview. Das betrifft schon die Interviewführung, die sich auch beim zweiten Mal – obwohl die langen Pausen des ersten Interviews so nicht auftauchen – durch eine minimale Beteiligung und Anpassungsbereitschaft auszeichnet. Auch in den Inhalten scheint sich auf den ersten Blick eine hohe Kontinuität abzubilden.

I: mmhh wenn du so an die . ((ausatmen)) . an den schulwechsel denkst dass du jetzt auf die neue schule gehst mh was meinst du hat sich dadurch in deinem leben verändert … P: eigentlich gar nichts I: ‚nicht’ (fragend) P: nö ..

So haben sich bisher die schulischen Leistungsanforderungen kaum geändert und erscheinen im Gegenteil durch die Anknüpfungen an die Grundschulzeit teilweise leichter. Mit den ersten Noten steht Peter im Durchschnitt fast eine Note besser da, wobei er aber für sich selbst nicht von einer Leistungssteigerung ausgeht, sondern dies dem Anfangseffekt nach dem Übergang zuschreibt. Zumindest scheint aber das prognostizierte Krisenpotential einer Steigerung der schulischen Leistungsanforderungen bisher nicht eingetreten zu sein.

I: ähm . wie erlebst n du die leistungsanforderungen hier an der neuen schule .. P: mhmh . die erleb ich eigentlich ganz normal wie aufer grundschule .. I: findest du dass es leichter oder schwerer für dich geworden ist ‚im vergleich zur grundschule’ (leise) P: m nee is eigentlich ‚gleich’ (betont) geblieben ..

Immerhin sieht sich Peter – auch aufgrund der anfänglich besonders einfachen Anforderungen und der entsprechend besseren Leistungen – leistungsmäßig gegenwärtig im Mittelfeld der Klasse platziert und nicht am Ende des Leistungsspektrums.

Besonders positiv bezieht sich Peter auf die neuen Fächer, die eine stärkere praktische und tätige Ausrichtung haben. Das ist neu und darin könnten sich Transformationspotentiale andeuten. So schildert Peter für seine Verhältnisse ausführlich, wie sie in den ersten Tagen an der neuen Schule durch die Fachräume geführt wurden und welche Möglichkeiten der tätigen und produktiven Beschäftigung damit verknüpft waren. Hier könnte es sein, dass diese zu den eher abstrakten und theoretischen Weltbezügen alternative Bezugnahme und Auseinandersetzung mit Inhalten seinem Orientierungsrahmen entgegen kommt.

Prognosen zur weiteren Schullaufbahn von Peter

Vor dem Hintergrund der beiden mit Peter geführten Interviews und mit dem Vorbehalt, dass zum zweiten Interview noch keine Rekonstruktionen am Material vorgenommen wurden, lässt sich doch zunächst in hohem Maße von einer Kontinuität im Bezug zur Schule und zu den schulischen Leistungsbeurteilungen sowie Statuszuweisungen ausgehen. Es finden sich bei Peter bislang weder die dramatischen Einbrüche und Problemsteigerungen wie bei Adam noch die Andeutungen eines Aufstiegs wie bei Michelle. Stattdessen lassen sich bei Peter die Prognosen, die nach dem ersten Interview von uns aufgestellt worden wiederholen. Allerdings gibt es auch eine erst neu über die Hauptschule konturierbare Prognose, die hinzukommt. Für Peter ist davon auszugehen, dass – wenn auch weiterhin dramatische Einbrüche ausbleiben – eine prinzipiell legitimierende und verbürgende Grundhaltung gegenüber der Schule und den schulischen Statuszuweisungen bestehen bleibt. Das stetige Versagen gegenüber den schulischen Leistungsanforderungen wird die bereits bestehende resignative Haltung weiter festigen und auch den Versuch, den Hegemonialerwartungen weiterhin und sei es nur zum Schein gerecht zu werden. Der Einsatz und die Anpassungsleistung werden dabei minimal bleiben. Das wäre die Prognose, wenn es für Peter kontinuierlich an der Hauptschule so weiter läuft, wie es sich bisher im zweiten Interview andeutet. Damit würde sich im Übrigen Peter optimal in die für die Hauptschule getroffene Fallauswahl einfügen. Neben den Eckfällen Adam, der für die dramatische Zuspitzung des Abstieges steht, und Michelle, für die die Möglichkeit der Steigerung und des Aufstieges gegeben scheint, würde Peter als Eckfall die unauffällige und kontinuierliche Hauptschulkarriere repräsentieren, die genau zwischen den beiden anderen Fällen steht.

Es lassen sich jedoch auch nach dem zweiten Interview Transformationen prognostizieren, die wiederum Chancen- und Krisenpotentiale beinhalten. Krisenpotentiale gehen nach wie vor von den schulischen Leistungsanforderungen aus, besonders dann, wenn sich diese nach der Eingewöhnungszeit zu Beginn der Hauptschulkarriere im Weiteren steigern. Ein Krisenpotential würde auch dann bestehen, wenn die Form der oberflächlichen Anpassung und scheinbaren Erfüllung der Hegemonialerwartungen von der Schule zurückgewiesen wird, indem z.B. explizitere und deutlichere Positionierung von Peter gefordert werden. Als Chancenpotential lässt sich nach dem zweiten Interview auf die positive Bewertung der praktischen, technischen und tätigen Weltbezüge der Hauptschule verweisen. Sollte die Hauptschule diese „praktischen“ Weltbezüge tatsächlich deutlicher berücksichtigen und auch anerkennen, dann könnte sich damit ein neues Passungsverhältnis zwischen Peters Orientierungsrahmen und der schulischen Anforderungsstruktur herstellen. Sollte Peter diesen Anforderungen besser entsprechen können, dann sind Steigerungen der schulischen Leistungen und der darüber vermittelten Anerkennung zu erwarten. Diese würden dann selbstverständlich auch die affirmativen und legitimierenden Bezüge zu Schule insgesamt stärken.

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