Zugehörig hierzu sind die Dokumente:
- Der Fall Rainer
- Kontrastierung der Fälle Rainer, Henriette und Clemens
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 1
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 2
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 3
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 4
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 5
- Interpretationsprotokolle zum Fall Rainer 6
Falldarstellung mit interpretierenden Abschnitten
Die „eigentlich perfekte Grundschulzeit“ – Die Beschreibung der Grundschulzeit von Rainer
Rainer findet seine Grundschulzeit vom ersten Tag an „aufregend“, wird in eine sehr kleine Klasse von 16 Schülern eingeschult und erlebt eine fast „perfekte Grundschulzeit“. Auf die Einschulung bezieht sich Rainer sehr positiv. Neben der Erzählung des detaillierten Ablaufs der Feierlichkeiten in der Schule berichtet er vom Fest mit der ganzen Familie im Garten.(1) Er fühlt sich von Beginn an in seiner Grundschulklasse sehr wohl und genießt auch außerschulische Aktivitäten wie Klassenfahrten und Projekttage. Beim Erzählen orientiert sich Rainer stark an der institutionellen (räumlich, zeitlich und sozial) Struktur der Schule und entfaltet vor diesem Hintergrund seine Grundschulzeit.
Rainer geht sehr gern in die Schule und bezieht sich positiv auf schulische Anforderungen im Interview. Er ist ein sehr wissbegieriger, leistungsstarker und interessierter Schüler. In den ersten zwei Klassen bekommt er noch keine „echten“ Zensuren und lernt Lesen, Schreiben und Rechnen. Die fiktiven Noten, die sie bis zur 2. Klasse erhalten, haben für Rainer keine Relevanz. Erst im Zusammenhang mit der Einführung der realen Benotung spricht Rainer von einer Umstellung: „aber dann halt die umstellung da hieß es dann auch mehr anstrengen und nich mehr mal n bisschen spaß machen hier n bisschen albern da sondern ernsthaft Schule“. Rainer ist ein Schüler für den Schule erst durch das Bewertungssystem zur „ernsthaften“ Schule wird. Noten und Leistungen haben im weiteren Verlauf der Grundschulzeit von Rainer eine sehr hohe Bedeutung. Auf seinen Grundschulzeugnissen erhält er ausschließlich Einsen in den Kernfächern und ein paar wenige Zweien in einigen Nebenfächern. Er kann sich den Stoff bereits in der Unterrichtssituation merken und schreibt hervorragende Arbeiten. Ebenfalls in den Kurzkontrollen hat Rainer durchweg Einsen und Zweien. In der mündlichen Mitarbeit ist Rainer so exzellent, dass er viele Zensuren sammelt und von den Lehrern im letzten Halbjahr nicht mehr dran genommen wird. Rainer ist ein Schüler der schulische Leistungsanforderungen in der Grundschule fast spielerisch erledigt. Gleichfalls die gesamte Klasse ist mit einem Schnitt von eins Komma acht leistungsstark, so dass bis auf einen alle SchülerInnen seiner Klasse auf ein Gymnasium wechseln. Allerdings gibt es in der Grundschulzeit von Rainer auch Ausrutscher: zum einen in Werken, wo er absolut „keinen Bock“ zum Lernen hat und er die volle Verantwortung dafür übernimmt („meine Schuld“, „habe es vermasselt“), die Note für ihn aber nicht so wichtig ist. Zum anderen erlebt er sehr emotional einen Ausrutscher, eine Zwei in Mathe, da dieses Fach sehr wichtig für ihn ist. Neben Noten haben auch schulische Inhalte, wie das Anwenden von lateinischen Fachbegriffen, für Rainer Relevanz. Rainer ist so aktiv im Unterricht, dass er auch schon mal Grenzen überschreitet und die Lehrerin ihm bereits in der 1. Klasse Klebeband androht. Diese Situationen erlebt Rainer als „brenzlig“.
In der 3. Klasse werden die kleinen Klassen der Grundschule zusammengelegt. Diese organisationsbedingte Neueinteilung hat zur Folge, dass Rainer sich in einem größeren Klassenverband von 22 Schülerinnen und Schülern platzieren(2) und „eingewöhnen“ muss und einige neue Lehrer bekommt. Die Beziehungen zu den Lehrern sind für Rainer wichtig und so thematisiert er alle Lehrer, die er in der Grundschulzeit hat und beschreibt sie in ihren zentralen Eigenschaften sehr detailliert. Besondere Bedeutung in seiner Grundschulzeit hat dabei seine Klassenlehrerin, da sie sehr nett, zuverlässig und humorvoll ist, aber auch streng sein kann. Mit einigen Lehrerinnen, wie der Werklehrerin, muss er sich „rumschlagen“, andere wie die Schulleiterin findet er „übernett“, da sie viel zu viel dulden.
Die Anforderungen in der 4. Klasse findet Rainer „strenger als es sein müsste“ und er kritisiert implizit die Lehrer. Auch an anderen Stellen wird deutlich, dass Rainer ein schulorientierter aber kein angepasster Schüler ist.
Rainer gewöhnt sich im Verlauf seiner Grundschulzeit an die selbstständige Hausaufgabenerledigung, da seine Eltern kaum zu Hause sind. Den Abschied von den Lehrern und einigen Mitschülern der Grundschule erlebt Rainer aus einer Mischung von „Trauer und Freude“. Insgesamt durchläuft Rainer eine harmonische und unproblematische Grundschulzeit, die jedoch durch ein paar Ausnahmetage gekennzeichnet ist, so dass er selbst seine bisherige Schullaufbahn als „eigentlich perfekte Grundschulzeit“ bilanziert.
Kulturelle Bildung und Bestleistungen zur Statussicherung und -reproduktion – Ergebnisdarstellung des 1. Interviews
Bereits die Beschreibung von Rainer zeigt, dass er ein Schüler ist, der exklusive Bildungsorientierungen aufweist. Neben einer Affinität zu Bildung in der Schule besitzt er spezielle Bildungsinteressen z.B. im Bereich Wirtschaft, Politik, Geschichte und Geographie und besucht einen Mathematikkurs für Fortgeschrittene in außerschulischen Kontexten. Demnach haben wir eine Stelle im Interview rekonstruiert, wo diese speziellen Bildungsneigungen und -Interessen besonders dicht zum Ausdruck kommen:
R: also zum beispiel was ungewöhnliches oder was total niemand überhaupt macht waswas niemand verstehen kann ich lese jeden tag zeitung (…) im grunde guck ich immer nachrichten es sei denn es kommt irgendwelche themen . äh die jetzt total langweilig sind oder die ich jetzt überhaupt nicht leiden kann . irgendwelche promigeschichten oder so was höre ich mir erst gar nicht an .. ähm das macht also keiner in der klasse
Dieser Auszug aus dem Interview verweist auf den positiven Gegenhorizont von Rainer: die Aneignung von (hoch)kulturellem Kapital. Er orientiert sich im Alter von zehn Jahren auf Zeitungen wie die FAZ, Die Welt und auf seriöse Nachrichten und grenzt sich von populären Boulevardgeschichten und einer Profankultur ab. Über seine Interessen, die Aneignung von speziellem Wissen und seinem Geschmack erfolgt eine Distinktion zu Mitschülern und eine imaginierte Integration in die Erwachsenenwelt(3). Folglich besitzt Rainer einen individuellen Orientierungsrahmen, eines sich über bestimmte, hochkulturelle Bildungsinteressen abgrenzenden und einzigartigen („das macht niemand in der Klasse“) Schülers. Rainer hat bildungsorientierte, elitäre Haltungen zur Sicherung eines exklusiven Status.
Diese Exklusivität und Einzigartigkeit zur Statussicherung wird in den schulischen Erzählungen in der Passage zu den Noten durch die Orientierungen auf Bestleistungen und Leistungsvergleiche eingeführt:
R: na geheult einfach n bisschen weil das hätt ich aber wirklich besser machen können also . das eine mal das war in mathe da war da hatte ich in der einen arbeit ne zwei geschrieben . ich hatt ja vorhin schon gesagt es ist im grunde meine schlechteste zensur in mathe (…) was bei mir hochinteressant ist . ich sag mal in achtzig prozent (betont) meiner arbeiten in mathe hat ich immer ne eins //hm// es gab aber noch- aber in null prozent (betont) meiner arbeiten in denen ich eine eins hatte . hat ich null fehler
Rainer thematisiert hier weniger die Wissensaneignung in der Schule, vielmehr werden Leistungen, Ergebnissen und Noten Bedeutung zugeschrieben. Dabei geht es ihm vor allem darum, die „perfekte Eins“ mit null Fehlern zu erreichen und, wie er an anderer Stelle sagt, in Vergleichsarbeiten herausragend abzuschneiden. Eine Zwei in Mathe oder in anderen zentralen Kernfächern (z.B. Deutsch) wird von Rainer als Versagen gedeutet und auch emotional gezeigt („geheult“). Für Rainer ist nicht nur die Note entscheidend, sondern darüber hinaus die Art und Weise wie er die Note erreicht. Für die Eins erfolgt eine Ausdifferenzierung nach Punktzahlen, was ein breites Spektrum von Einsen im Horizont von Rainer dokumentiert. Er erstellt eine eigene Zensurenskala, die lediglich die Eins und die Zwei enthält und alle anderen Zensuren ausblendet. Rainer ist demnach ein Schüler, bei dem individuelles Versagen auf hohem Niveau zum Ausdruck gebracht wird. Diese Misserfolge werden von Rainer durch analytische Statistiken bearbeitet. Rainer hat in Bezug auf Schule den individuellen Orientierungsrahmen eines erfolgsorientierten Charakters, der sich über Bestleistungen von anderen Schülern abhebt und eigene Anspruchs- und Aspirationsniveaus besitzt. Rainer verbürgt das schulische System der objektiven Leistungsmessung und die formale Bildungsinstitution dient als (Bewertungs-)Instanz, in der er durch Erfolge die Exklusivität und die Abgrenzung zu anderen herstellen und einen hohen Leistungsstatus einnehmen kann.
Dieser Entwurf, über Bildung und Bestleistungen als einzigartiger und exklusiver Schüler einen hohen Status zu sichern, bestätigt sich in einer Passage der Grundschulzeit, in der seine (Status-)Position durch eine organisatorische Veränderung der Klassenzusammenlegung und eine neue Mathematiklehrerin bedroht wird und er sich vor der Klasse gedemütigt fühlt.
R: ich sag mal ein (betont) tag gabs jetzt am anfang des dritten schul- jahrs wo ich von der einen lehrerin n bisschen erniedrigt wurde . //hmm// oder gedemütigt wurde vor der ganzen klasse
Rainer erzählt von einer weiteren Ausnahmeerfahrung einer „eigentlich perfekten“ Grundschulzeit, bei der sein Perfektionsideal gefährdet ist. In der organisationsbedingten Zusammenlegung mit der Parallelklasse sieht sich Rainer von der neuen Mathematiklehrerin, die aus seiner Sicht andere Kinder bevorzugt, in seinem Leistungsstatus gefährdet und möchte diese subjektiv empfundene Benachteiligung und Ungleichheit revidieren. Rainer versucht die Lage, die seine Orientierungen bedrohen, zu verbessern und initiiert ein klärendes Gespräch mit der Mathematiklehrerin. Dieser Versuch, seinen Status wiederherzustellen, verweist auf Enaktierungspotentiale seines exklusiven Orientierungsrahmens.
In dieser Passage kommen in der Bedrohung durch die Lehrerin eine fundamentale Umkehrung seiner Orientierungen eines exklusiven Schülers und eine extreme Form der Anerkennungsverweigerung zum Ausdruck. Hierin dokumentieren sich Rainers Orientierungen, eines außergewöhnlichen Umgangs seiner Person und ein negativer Gegenhorizont der Benachteiligung und Ungleichheit. Die Szene, wie die Lehrerin einzelne Schüler behandelt und mit Rainer umgeht, bestätigt zum einen die Bedeutung von hohem Status im Orientierungsrahmen von Rainer. Zum anderen konkretisiert diese Passage seinen Orientierungsrahmen, da zum Ausdruck kommt, dass es Rainer in der Schule darum geht, aktiv zu partizipieren, Rechte umzusetzen und Bewegungsspielräume zu haben.
Der in der Grundschule geronnene Orientierungsrahmen eines exklusiven Schülers besitzt auch bei der Auswahl der weiterführenden Schule Relevanz. Entsprechend seiner Orientierungen müsste Rainer auf die beste Schule der Besten gehen. Verfolgen wir dazu zunächst, wie sich die Schullaufbahnentscheidung bei ihm ereignet.
Im Interview wird klar, dass die Eltern und auch Rainer passend zum Habitusentwurf eine gymnasiale Schullaufbahn anvisieren. Da in der untersuchten Stadt mehrere Optionen für ein Gymnasium existieren, möchte Rainer ein angesehenes und leistungsstarkes Gymnasium mit einem naturwissenschaftlichen Schwerpunkt besuchen. Das familiale Netzwerk hat ebenfalls Bildungsaspirationen auf ein exklusives Gymnasium mit Profil, allerdings favorisiert die Familie ein sprachlich ausgerichtet, alterwürdig und international als Europaschule bekanntes Gymnasium der Stadt. Der Besuch dieses Gymnasiums hat darüber hinaus Tradition in der Familie, da die Mutter, ein Bruder und ein Onkel von Rainer bereits das Abitur dort ablegten. Folglich wird in einer quasi parlamentarischen Familienentscheidung über die Kernfamilie hinaus das anscheinend exklusivere Gymnasium ausgewählt:
R: also . es geht hauptsächlich darum weil mein . also weil- mehrere (aus der Familie d. A.) dazu gestimmt haben auch halt auch europa gymnasium is
Es werden, trotz der Gemeinsamkeit eines exklusiven Gymnasiums mit Anerkennungs- und Statusgewinnen, Abweichungen zwischen der Familie und Rainer bei der Entscheidung deutlich, wobei die Familie die Wahl letztendlich bestimmt und Rainer sich fügt:
R: ich meine . also ich denke mal es is wichtiger auf d- wenn man auf die familie hört was die sagt als auf den besten freund ich meine man findet neue freunde
Auch die Aufrechterhaltung von kontinuierlichen Freundschaftsbeziehungen muss sich dem Familiengebot bei der Schulwahl unterordnen. Folglich besitzt Rainer den positiven Gegenhorizont der Fortführung der Schullaufbahn an einem exklusiven Gymnasium mit Möglichkeiten von Statusgewinnen und der Befolgung des Familiengebotes. Er distanziert sich damit von einem Gegenhorizont, deutlich gegen die Familienentscheidung zu opponieren und Status- und Exklusivitätsverluste in Kauf zu nehmen. Seine Haltung auf das familiale Kontinuitäts- und Reproduktionsgebot der Exklusivität am „scheinbar“ exklusiveren Gymnasium der Stadt und die Verbürgung der Familientradition zur Fortsetzung des Status an der A.-Schule spezifizieren seinen Orientierungsrahmen.
Zusammenfassung zum individuellen Orientierungsrahmen und Ausblick auf die weiterführende Schule
Auf Basis der Interpretationen lässt sich zunächst zusammenfassen, dass die Rekonstruktionen der ersten drei Themen (spezielle Bildungsinteressen, Noten und Leistungen in der Schule, Demütigung von einer Lehrerin) im 1. Interview auf einen Orientierungsrahmen von Rainer hinweisen, über kulturelle (Hoch-)Bildung und Bestleistungen Status und Exklusivität zu sichern. In der Schule kommen dabei individuelle Spielräume zu Lehrern und Mitschülern zum Ausdruck, die Rainer nutzt, um sich von Gleichaltrigen zu distinguieren. Weiterhin konnten die Analysen zeigen, dass die Bedrohungen dieser Orientierungen durch abstrakte Modelle bearbeitet werden. Zudem verfügt Rainer über Enaktierungspotentiale, bedrohliche Lagen zu entschärfen und seine Orientierungen umzusetzen. An diesen drei Stellen dokumentiert sich so der elitäre und exklusive Habitus von Rainer. Die vierte Stelle des Übergangs konkretisiert diesen Orientierungsrahmen und deutet auf die Bedeutung der Reproduktion des Familienstatus und die Orientierung auf das Familiengebot bei der Schulwahlentscheidung hin. Die Familie und die Familientradition rücken damit stark als strukturierende Größen für seinen Orientierungsrahmen in den Fokus.
Bildung, Schule und die Auswahl der weiterführenden Schule haben eine hohe Relevanz im Orientierungsrahmen von Rainer, um den exklusiven und familiären Status fortzuführen und zu sichern. Dabei fokussieren seine Orientierungen vor allem auf spezielle Bildungsinteressen, denen Rainer außerhalb von Schule nachgeht und auf Leistungsbezüge, die er innerhalb von Schule für sich entfaltet. Rainer hat vor diesem Hintergrund einen sehr hohen und anspruchvollen Leistungs- und Fähigkeitsselbstentwurf und bezieht sich sehr selbstbewusst auf die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten. So wird auch das Selektionsereignis positiv gesehen und wird mit dem exklusiven Gymnasium eine passende Schule ausgewählt. Prognostisch ist mit einer Fortführung einer außergewöhnlich guten Schullaufbahn zu rechnen. Allerdings sind in seinem Orientierungsrahmen auch Krisenpotentiale angelegt und müssen auf der neuen Schule zwei Aufgaben bearbeitet werden. Zum einen bleibt die von der Familie getroffene und biographisch relevante Schulentscheidung begründungsbedürftig. Zum anderen besteht die Aufgabe, sich auf der neuen Schule in einer selektierten, exklusiveren und leistungshomogeneren Gruppe der Gleichaltrigen so einzuordnen und zu platzieren, dass seinem Orientierungsrahmen entsprechend ausreichend Status- und Anerkennungsgewinne gesichert sind. Hier stellen sich die Fragen, wie aus seiner herausragenden Position heraus häufigere Misserfolge emotional bewältigt und bei erfahrenen Ungleichbehandlungen Rechte umgesetzt werden können.
Der gelungene Übergang von Rainer auf das Elitegymnasium – Beschreibung des Ankommens auf der A.-Schule
Im zweiten Interview wird deutlich, dass Rainer gern auf die neue Schule geht. Er hat keine Anfangsschwierigkeiten, bezieht sich sehr selbstbewusst auf die A.-Schule und kommt gut mit den neuen Mitschülern, Lehrern und Anforderungen zurecht. Beispielsweise kennzeichnet Rainer die neuen Fächer als seine Lieblingsfächer, erzählt von neuen Freundschaften unter Gleichaltrigen und einem guten Verhältnis zu den Lehrern. Er betrachtet den Besuch des Gymnasiums als Gewinn, da er mehr Verantwortung zugeschrieben bekommt und sein Freundeskreis sich erweitert. Im Interview wird darüber hinaus offensichtlich, dass Rainer bereits durch seine Familie ein Vorwissen zur Schule besitzt und die Familiengeschichte an diesem besonderen Gymnasium fortsetzen möchte. Zudem passen seine Orientierungen als exzellenter und außergewöhnlicher Schüler sehr gut zur Schulkultur der neuen Schule. Er kann zum Beispiel den umfang- und anforderungsreicheren Stoff gut bewältigen und erhält nach wie vor überwiegend gute und sehr gute Noten. Rainer weiß vieles schon durch seine außerschulischen Bildungsinteressen. Ihm fällt das Lernen nach wie vor leicht und er nutzt die familiären Ressourcen. Des Weiteren nimmt Rainer an einem Kurs für Fortgeschrittene im Fach Englisch teil. Er hat sich in den meisten Fächern in den ersten zwei Reihen einen Sitzplatz ausgesucht, da seiner Meinung nach dort die Besten einer Klasse sitzen. Auch grenzt er sich im Interview nach wie vor von Gleichaltrigen ab, indem er sich beispielsweise als einziger der Klasse für aktuelle Nachrichten und besondere Themen interessiert und davon berichtet, dass er außerschulisch exklusive Beziehungen zu öffentlichen Persönlichkeiten (z.B. der Bürgermeisterin der Stadt) unterhält.
Jedoch äußert Rainer im Interview vereinzelt Unsicherheit, ob sich der gute Start an der A.- Schule fortsetzen und er mit seinen Leistungen vorn in der Statushierarchie der Klasse landen wird. Beispielsweise trifft ihn eine knapp die Eins verfehlende Zwei in seinem Lieblingsfach Geographie. Oder bringt Rainer die Nichtnominierung zur Mathematik-Olympiade durch die Lehrerin sehr emotional zum Ausdruck. Darüber hinaus äußert er im Interview an mehreren Stellen Unbehagen über die hohen zeitlichen Investitionen am Gymnasium, den morgendlichen Anfahrtsstress und die logistischen Probleme in einer größeren Schule. Trotz dieser marginalen Unsicherheiten und organisatorischen Umstellungen ist der Übergang auf die A.-Schule, auch aus der Sicht von Rainer, sehr gelungen und positiv zu bilanzieren. Rainers exklusive und unproblematische Schullaufbahn setzt sich an dem renommierten Gymnasium fort.
Die Fortsetzung der Orientierungen auf Exzellenz und Einzigartigkeit mit ersten leichten Unsicherheiten am Elite-Gymnasium – Ergebnisdarstellung des 2. Interviews
In der Rekonstruktion der Anfangserzählung zum Ankommen auf der neuen Schule mit der Dokumentarischen Methode konnte deutlicher herausgearbeitet werden, wie unproblematisch der Übergang von Rainer erfahren wird. Die schulischen Integrationsbemühungen eines Paten, der Führung durch das Schulgebäude und des Kennenlernens der Klassenlehrerin am ersten Tag werden von Rainer heruntergespielt:
R: da wurden alle schüler vorgerufn da hat’ n wer so’n paten bekomm ich persönlich hab meinen paten , noch nich richtig kennengelernt , hat mich bisher noch nicht besucht oder so . ja un der erste schultag da ham wer erstma nichts gemacht , die fächer die wer .. also eigentlich hatt’n wer dann keine fächer sondern halt nur mit unsrer klassen- lehrerin , hat uns alles gezeigt wo’s klo is ,ja .un hat uns da n bisschen rumgeführt
In dieser Darstellung dokumentiert sich ein erfahrener Mangel, dass der erste Tag noch kein richtiger Schultag mit Fachunterricht ist („nichts gemacht“, „n bisschen rumgeführt“, „nur klassenlehrerin“). Rainer besitzt keine Anfangsschwierigkeiten und entwirft das Neue (z.B. Gebäude, Bezugspersonen) als Normalität. Folglich geht es bei Rainers schulischen Orientierungen um Unterricht und das Messen nach besser/schlechter Zuweisungen und andere schulische Zusammenhänge, wie die sozialen Unterstützungsleistungen beim Ankommen auf der neuen Schule, sind für ihn Beiwerk und von geringer Relevanz.
Des Weiteren wird der unproblematische Übergang durch die Thematisierung von marginalen Umstellungen (z.B. der Umgang mit dem Schließfachsystem, andere Zeitrhythmen oder größere Sportanlagen), die seine zentralen Orientierungen der Unterrichtsanforderungen nicht gefährden, in der Anfangserzählung deutlich. Die neuen Anforderungen (z.B. neue Fächer) werden hingegen so eingeführt, als ob sie seinen Interessen und Neigungen entsprechen:
R: neue fächer , aber machen mir persönlich spaß so , also geschichte englisch biologie und geographie sind eingentlich die vier neuen fächer , englisch hatten wer ja schon vorher aber , nich als benotetes fach //hm// un das sind eigentlich auch so meine vier lieblingsfächer
Rainer entwirft sich als ein dem exklusiven Gymnasium passförmiger, kompetenter und reifer Schüler. Mögliche Veränderungen und Brüche durch die neuen Fächer werden im Paket als Lieblingsfächer und seinen Neigungen entsprechend gewendet, was auf eine Affinität und Anpassungsbereitschaft in Bezug auf die neuen Unterrichtanforderungen verweist. Demnach dokumentiert sich in diesen Anfangssequenzen ein individueller Orientierungsrahmen von Rainer, der sich auf die Bedeutung von schulischen (Leistungs-)Anforderungen und die Fortsetzung von Exklusivität bezieht.
Im weiteren Verlauf der Anfangserzählung zum Ankommen auf der neuen Schule wird nun aber auch virulent, dass in der Schule bereits zu Beginn des Schuljahres viele Bewährungssituationen initiiert werden, die Rainer nicht als selbstverständlich erlebt: „und ja jetz ging’s halt auch schon los , tests ham wer in jedem fach auch schon viel geschrieben , zensurn ham wer auch schon überall ja“. Rainer weist auf die heftigen und umfassenden Leistungsvergleiche nach dem Ankommen hin und besondert damit diese Praxis der Schule. Einerseits markiert diese Passage die geforderte Leistungsfähigkeit der Schüler, andererseits dokumentiert sich hier, dass Rainer trotz aller positiven Momente auf Selektion und Unterrichtsanforderungen mit einer für ihn überraschenden und umfassenden (Noten-)Maschinerie konfrontiert wird.
Für die gestiegenen Leistungsanforderungen entwirft er im Folgenden ein Phasenmodell zum Ankommen auf der Schule, um mögliche Einbrüche antizipatorisch kompensieren zu können:
R: also erstmal wenn du da drauf kommst die ersten tage , also wird dir alles erklärt (guck dirmal ein bisschen) an , dann gings dann geht’s so los dann komm schon dann erstma noch die schonungszeit jetz geht’s los , da komm schon die ersten tests un dann komm un dann kommst du schon in die phase , klassenarbeit (holt luft) ja und nach’n herbst- ferien greifen se dann nochma richtig an jetz geht’s los , da bin ich ja jetz auch gerade //hm// und im zweiten halbjahr dann merkst du halt im musst wer- werd ich dann denk ich halt wird ich auch merken , neue schule mehr fächer mehr stunden jetz wird’s hart , ja , bisher hab ich das noch nich so gu=gut gespürt schlechtere noten kriegt oder sch- kriegt man auch öfter äh öfters dann mal , ja bisher war’s noch nich der fall bei mir , ein oder andre mal vielleicht …
Rainer formuliert hier prognostisch abstrakte Erwartungen einer umfassenden Transformation an der neuen Schule, die analytisch und diagnostisch in einem Phasenmodell der stufenförmigen Steigerung der Anforderungen zum Ausdruck gebracht und damit bearbeitet werden. Das entworfene Phasenmodell verweist demnach auf eine Ungewissheit und Unsicherheit in Bezug auf die eigene Leistungsfähigkeit und einen Aufbau von Enttäuschungsresistenz gegen mögliche Einbrüche von Rainer, obwohl dies zum Interviewzeitpunkt nicht gegeben ist und in die Zukunft transponiert wird. Gerade über die eingeführten Kriegs- und Kampfbegriffe „angreifen“ „spüren“ wird klar, dass Rainer durch das theoretische Konstrukt eine mögliche Transformation bearbeitet. In der Metapher „greifen se dann nochma richtig an“ wird die Haltung offensichtlich, dass die Schule und ihre Akteure, die Lehrer, völlig legitim immer härtere Anforderungen stellen können und sie die Aufgabe haben, die Anforderungen hoch zu schrauben. Das schulische Spiel besteht für Rainer darin, dem als Schüler ausgesetzt zu sein und so lange wie möglich, gute Noten zu erringen. Schule wird nicht als Vermittlungsinstanz oder soziale Einrichtung gesehen, sondern als Arena, in der ein Kampf um die guten Noten entbrennt.
Andererseits wird dieses Modell von Rainer auch genutzt, um seine Exklusivität darzustellen und sich von Mitschülern abzugrenzen und abzuheben: „ja bisher war’s noch nicht der fall bei mir“. Damit bestätigt sich der Orientierungsrahmen, Exzellenz und Einzigartigkeit über schulische Leistungen darzustellen und zu sichern. Jedoch wird in dem abstrakten Modell auch klar, dass Rainer Bedrohungen für seinen Orientierungsrahmen durch steigende Anforderungen auf der neuen Schule sieht, die er sehr allgemein bearbeitet.
In der Passage, in der es explizit um Leistungen geht, können nun diese neuen Bedrohungen genauer gefasst und zum Orientierungsrahmen in Beziehung gesetzt werden. Rainer versucht auch hier Kontinuität als exzellenter Schüler herzustellen, indem die umfassenderen Anforderungen heruntergespielt werden: „n bisschen mehr forderung“.(4) Im Weiteren führt er nun eine Beispielgeschichte an, die diese undramatischen Mehranforderungen belegen soll, die aber in der Art und Weise der Thematisierung deutlich macht, dass die Fortführung der „perfekten Eins“ auf der neuen Schule nicht unproblematisch umzusetzen ist.
R: da hatt ich jetzt da steh ich momentan oder ich weiß nicht auf was ich stehe ich meine , ich hab ne zwei bei der mitarbeit jetzt , also nich in der mitarbeit sondern in der mitarbeit hatte ich ne- letztens ne eins gekriegt also so vierteljahresdurchschnitt stand ich eins komma fünf und zum halbjahr wird ja immer die schlechtere note gegeben damit noch mal ansporn is // I: hm// R: und die hätt mir ja jetzt die zwei gegeben , hätt kein- // I: hm// R: also kann ne eins geben kann ne zwei geben is aber halt auch noch keine zeugnis oder so jetzt müsst ich entweder auf eins stehen , weil die tests und so und arbeiten die zählen ja weniger und mitarbeit mehr in mitarbeit hatte ich jetzt ne eins und da müsst es eigentlich schon wieder so eins komma vier eins komma drei sein
In der Suche nach und in der Konstruktion der Eins dokumentiert sich seine Arbeit an der kontinuierlichen Exzellenz, die somit von Transformationsprozessen bedroht scheint. Er führt Rechenexempel durch, beispielsweise wird die Mitarbeit höher gewichtet, die das Schwanken von Zehntel zwischen Eins und Zwei noch auf die Eins zu drehen versuchen und die seine Orientierung an sehr guten Noten bestätigen. Genau diese Unterschiede im Zehntelbereich machen nun unter leistungshomogeneren Schülern die „feinen“ Leistungsdifferenzen aus und dokumentieren den möglichen Exzellenzverlust für Rainer. Die Bearbeitungsform dieses Statusverlustes ist das „Schummeln“ an die Eins. Vor dem Hintergrund einer natürlichen und selbstläufigen Begabungsgeschichte in den Orientierungen von Rainer, bei der Üben irrelevant ist und das Zurückgreifen darauf bereits ein Zugeständnis an das Scheitern wäre, werden keine Enaktierungspotentiale für diese Situation deutlich.(5)
Ebenfalls in Bezug auf das Lerntempo muss Rainer seine Spitzenposition der Grundschule aufgeben: „und da bin ich auch nich so schnell fertig dann“. Um diese Einbußen seiner Exklusivität und seines Status in Bezug auf Leistungen zu bearbeiten, wählt Rainer verschiedene Erklärungsansätze. Zum einen führt er eine von der Lehrerin autorisierte Legitimation ein:
R: und dann unsere lehrerin hab ich ja beim letzten mal auch schon gesagt hat uns halt so eingeflösst wir sind die besten der besten und so hier kommen nur die besten drauf also ich hab mehr konkurrenz sozusagen
In der funktionalen Anknüpfung an das Modell der Lehrerin bezieht er sich so auf eine Begründung, innerhalb der vorselektierten Gemeinschaft der „Besten der Besten“ mehr „Konkurrenz“ zu haben. Damit wird eine kollektive Exklusivität eröffnet, die seinem Entwurf von Einzigartigkeit gegenübersteht. Besonders über die Formulierung „ich hab mehr Konkurrenz“ wird deutlich, dass es in seinem Orientierungsrahmen um Begehrlichkeiten in Bezug auf seltene Statusplatzierungen geht, er sich aber nicht mehr mit dem Riesenabstand und der Selbstverständlichkeit wie in der Grundschule darauf beziehen kann und die Kämpfe innerhalb der Klasse härter werden.(6) Damit werden von Rainer implizit Ängste und Befürchtungen zum Ausdruck gebracht, dass andere seinen Platz einnehmen können und er diesen gegen die „neue Konkurrenz“ verteidigen muss. In seinem Orientierungsrahmen ist so bereits mit zehn Jahren die Schule als Selektionsinstanz verbürgt, die für Zuweisungen von Statusplatzierungen für spätere gesellschaftliche Positionen verantwortlich ist. In der Art und Weise der Darstellung dokumentiert sich hier, dass sein Status aufgrund des Zusammenschlusses von Kindern mit gleichen Ambitionen und ähnlich gelagerten Habituskonfigurationen neu zu bestimmen ist und Rainer daran arbeitet. Die Distinktion zu anderen leistungsstarken und exklusiven Schülern fällt schwer und eine neue Positionierung ist durch die neue „Konkurrenz“ im neuen sozialen Feld der A.-Schule vorzunehmen. Eine weitere, allerdings eher analytische Erklärungsgeschichte verdeutlicht Rainers Arbeit, dass andere Mitschüler genauso oder gar schneller im Lerntempo sind:
R: also d- nich dass ich langsamer werde , also es is ja nich so alle alle haben meinetwegen geschwindigkeitstempo fünf und ich hatte vorher dann sieben und bin jetzt wieder auf sieben so alle sind jetzt einfach auf sieben die anderen sind einfach auf sieben noch gerutscht , hoch . also ich bin sozusagen geblieben und die anderen warn- sind auch so wie immer nur halt ,
Er wählt folglich eine modellhafte Diagnose als Bearbeitungsform, um das zentrale Thema der Bedrohung seines Status zu bewältigen. Das Bemühen, Differenz zwischen ihm und den anderen zu markieren, kann Rainer nicht plausibel darstellen und misslingt. Er entwirft sich in einer Kontinuität, wo hingegen seine Mitschüler sich verändern, genauso schnell oder schneller sind, was Rainer verunsichert und tabuisiert. Nach diesem Erklärungsversuch führt Rainer einen dritten ein:
R: meinetwegen drei schulen aus jeden kommen die fünf besten , die sind immer ganz schnell fertig und die anderen hängen immer n bisschen hinterher die kommen jetzt in eine klasse is logisch dass die dann die alle so ungefähr gleich schnell sind , und deswegen bin ich auch jetzt nich mehr der schnellste oder so oder will ich ja auch nich sein also oder der beste
Erneut werden der Selektionsmechanismus und die Aussiebung nach Leistungs- und Fähigkeitsniveaus thematisiert, um seine Statusverluste zu erklären. So bearbeitet Rainer weiterhin seine Einbußen, indem er von einer kollektiven Leistungsspitze berichtet: „und so n klassenbesten ham mer eigentlich nich , nich wirklich , nö m m (klopft auf den tisch) , //I: hm// bloß n klass- klassenbeste , also mehrzahl“. Diese analytischen und abstrakten Behelfsmodelle (Geschwindigkeitstempo, Phasenmodell, Beste im Plural) sind Bewältigungsstrategien, den bedrohten Status zu kompensieren.
Die ersten Eindrücke der neuen Schule werden auch in den Bilanzierungen: „ich hab mich eingtlich ganz gut erstema eingelebt , also n paar umstellungen war’n schon ,“ ambivalent gesehen. Einerseits kommt hier zum Ausdruck, dass Rainer sich an der A.-Schule wohl und integriert fühlt, andererseits beinhaltet diese Evaluation mit „eingtlich“ und „erstma“ eine prognostische Dimension, die an unvorhersehbare Probleme geknüpft ist und auf Unsicherheiten in Bezug auf die Kontinuität in seiner Schullaufbahn deutet.
Im 2. Interview wird deutlich, dass sein individueller Orientierungsrahmen nach wie vor auf Exzellenz und Einzigartigkeit in Schule zielt, jedoch diese Orientierungen durch die Erfahrungen einer neuen „Konkurrenz“ innerhalb der neuen Klasse und die Probleme die „perfekte Eins“ zu schreiben, bedroht sind und in analytischen Modellen bearbeitet werden. Trotz gelungener Übergangsprozesse in Bezug auf neue Mitschüler, Lehrer und Anforderungen existieren zum Interviewzeitpunkt unsichere Haltungen in Bezug auf die eigene Leistungsfähigkeit und die Statusposition innerhalb der Klasse.
Zusammenfassende Betrachtungen und Prognosen für die weitere Schullaufbahn von Rainer
Die Rekonstruktionen der ersten zwei Interviews konnten herausarbeiten, dass Rainer ein Schüler ist, der Bildung und Schule positiv gegenübersteht, da sie ihm ermöglichen, Exklusivität und Einzigartigkeit gegenüber anderen Mitschülern darzustellen und einen elitären Habitus zu (re)produzieren. Folglich erfährt er eine sehr positive und unproblematische Schulkarriere, in die sich auch der Übergang an die A.-Schule einfügt. Bisher erlebt Rainer in seiner Schullaufbahn keine Einbrüche, die seine zentralen Orientierungen auf Bestleistungen und Exklusivität bedrängen. Vergleicht man die zwei Interviews fällt aber auf, dass auf der neuen Schule Bedrohungen auftauchen, die seinen Orientierungsrahmen zukünftig stärker gefährden könnten. Hier geht es vor allem darum, ob es ihm gelingt, den Status als bester und einzigartiger Schüler in der neuen Klasse zu halten und wie er mögliche Krisen bewältigt. Bildet Rainer zur Umsetzung seiner Orientierungen Enaktierungspotentiale aus oder nimmt er sich durch die Orientierungen der eigenen natürlichen Leistungsexzellenz und -fähigkeit die Möglichkeiten der Enaktierungen? Zudem könnten als weiteres Krisenpotential Probleme mit den Peers als unterstützende und kompensierende Gemeinschaft virulent werden, da er diese als Rivalen sieht und ein Zurückgreifen darauf bereits ein Scheitern seiner Orientierungen darstellen würde. Rainer ist somit ein Fall, bei dem eine exklusive und reproduktive Laufbahn zu erwarten ist, bei dem aber auch Krisenpotentiale aufscheinen, trotz der Leistungsstärke, nicht exklusiv genug zu sein und auf diesem hohen Niveau, bei dem es um „Zehntel geht“, zu scheitern.
Fußnoten
(1) An der Feier nahmen über 100 Familienmitglieder teil.
(2) In der 2. Klasse sind sie nur noch 13 Schüler.
(3) Diese Orientierungen kommen ebenfalls im Interview zum Ausdruck, da Rainer immer wieder dem Interviewer kurze Vorträge zu geschichtlichen, politischen und geographischen Themen mit vielen Details, Fakten und Zahlen hält. Beispielsweise präsentiert er sein politisches Wissen, indem er die Entstehungsgeschichte und den Verlauf der Neuwahlen im Jahr 2005 dem Interviewer erzählt (vgl. Interview von Rainer http://www.fallarchiv.uni-kassel.de/2011/methoden/dokumentarische-methode/rolf-torsten-kramer/interpretationsprotokolle-zum-fall-rainer-1/).
(4) In gleicher Weise zeigt sich in einer anderen Passage des Interviews, in der es um die Sitzordnung geht, seine Überzeugung nach wie vor zu den Besten der Klasse zu gehören: „in meinen lieblingsfächern sitze ich meist, in der ersten reihe (…) äh- die besten oder die besseren schüler sitzen immer vorne (betont).“
(5) Rainer ist ein Schüler, der größere häusliche Anstrengungen für die Schule bisher nicht kennt und von seinen gegebenen Lernfähigkeiten profitiert: „also ich lerne nicht direkt ich gucks mir einfach noch mal an und merk dass ichs kann“.
(6) Ebenfalls an einer anderen Stelle im Interview macht Rainer deutlich, dass er mit leistungsstärkeren und – gleichen sowie „den besten Mitschülern“ der Stadt die neue Klasse besucht und seine Chance, von der Lehrerin aufgerufen zu werden, lediglich bei eins zu fünfundzwanzig liegt.
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